BK Nr. 4101 Silikose; Nachweis der Erkrankung im Vollbeweis (Staublungenklassifikation der International Labor Organisation
(ILO 2000/2011); ICOERD (International Classification of HRCT for Occupational and Environmental Respiratory Diseases); Histologie
Tatbestand
Der 1936 geborene Kläger war vom 1. Dezember 1951 bis zum 31. März 1967 bei der E. (F.) als Bergbauarbeiter tätig. Vom 1.
März 1967 bis zum 6. Januar 1986 arbeitete er bei der Firma G.-Raffinerie in G-Stadt als Anlagenfahrer in der Messwarte. Schließlich
war er noch vom 6. Januar 1986 bis zum 30. September 1994 bei der H. AG im Bereich des Tanklagers tätig. Seit Januar 1997
bezieht der Kläger eine Altersrente aus der Gesetzlichen Rentenversicherung.
Im Mai 2010 zeigte die Fachärztin für Innere Medizin, Pneumologie und Notfallmedizin Dr. J. der Kliniken des Main-Taunus-Kreises
GmbH bei der Beklagten den Verdacht auf eine BK an. Bei dem Kläger bestehe ein retrosternales Druckgefühl und Dyspnoe bei
Belastung. Bei einer Computertomographie des Thorax hätten sich fibrotische Veränderungen gezeigt. Die Bronchoskopie habe
eine Anthrakose erbracht, die BAL (Bronchoalveoläre Lavage) eine lymphozytäre Alveolitis. Zudem seien eine Silikoanthrakose
und ca. acht Asbestkörper nachgewiesen worden. Die Beschwerden seien erstmals im Oktober 2009 aufgetreten, eine aktuelle Behandlungsbedürftigkeit
bestehe nicht. Im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen zog die Beklagte Stellungnahmen zur Arbeitsplatzexposition ihres
Präventionsdienstes vom 24. Juni 2010 (G.-Raffinerie), vom 6. Juli 2010 und 2. September 2010 (E.) und vom 16. September 2010
(K.-AG) bei. In medizinischer Hinsicht ermittelte sie bei Dr. J., dem Hausarzt des Klägers Herrn L. und auch bei dem behandelnden
Pneumologen Dr. M.. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Knappschaft-Bahn-See bestätigte unter dem 18. Oktober 2010 Beschäftigungszeiten
des Klägers im Bergbau als Berglehrling (1. Dezember 1951 bis 17. März 1955), als Knappe (18. März 1955 bis 20. März 1958)
sowie als Hauer (21. Februar 1958 bis 31. März 1967). Auf Veranlassung der Beklagten erstattete sodann Dr. N., Chefarzt der
Klinik für Pneumologie und Allgemeine Innere Medizin der Kliniken des Main-Taunus-Kreises GmbH, am 16. Februar 2011 nach ambulanter
Untersuchung des Klägers am 30. November 2010 ein fachinternistisches und pneumologisches Gutachten mit den Diagnosen Asbestose,
Pneumokoniose der Kohlenbergarbeiter, Mischstaub-Pneumokoniose bzw. "coal workers pneumokoniosis" und Quarzstaublungenerkrankung.
Der Sachverständige führte dazu aus, dass sich im Hinblick auf die Berufsanamnese und den radiologischen Befund in Form von
HRCT der Thoraxorgane die für die Asbestose typische Pleurabeteiligung mit Fibrosebildung ergäbe und auch der histologische
Nachweis von Asbestkörpern beim bronchoskopischen Gewebeprobegewinn das Vorliegen einer Asbeststaublungenerkrankung bestätige.
Mittels bronchoalveolärer Lavage habe bei dem Kläger außerdem eine mäßige lymphozytäre Alveolitis nachgewiesen werden können.
Anamnestisch, laborchemisch, bildgebend und endoskopisch hätten sich keine anderen bedeutsamen Erkrankungen (abgesehen von
der Silikose) feststellen lassen. Auch sei zu erwähnen, dass der Kläger in seinem Leben niemals geraucht habe und anhand der
Untersuchungsverfahren keine congenialen Dispositionen wie z. B. eine Allergieneigung bestehe. Nach der ausführlichen Eigen-
und Berufsanamnese sei eine andere Ursache für die Noxenexposition (Asbest) außer berufsbedingt unwahrscheinlich. Im pulmokardialen
Bereich diagnostizierte Dr. N. eine Asbeststaublungenerkrankung und eine durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura
mit leicht- bis mittelgradiger restriktiver Ventilationsstörung sowie eine leichtgradige Ruhehypoxämie. Radiologisch lasse
sich bei dem Kläger eine Silikose nicht eindeutig begründen. Eine kausale Zuordnung der fibrotischen Veränderungen zur Einwirkung
quarzhaltiger Stäube sei daher erschwert und nicht möglich. Zu der Expertise äußerte sich der beratende Arzt der Beklagten
Dr. O. am 15. Juli 2011. Er kam im Ergebnis dazu, dass sich nach Auswertung der Computertomographien der Thoraxorgane vom
30. November 2010 eine mit der im Versicherungsrecht geforderten Wahrscheinlichkeit typische, als asbestassoziiert zu bewertende
Veränderung von Lunge und Pleura nicht abgrenzen lasse. Aufgrund der dokumentierten beruflichen Asbestexposition von nur 0,1
Faserjahren sei ein Ursachenzusammenhang mit der computertomographisch dokumentierten segmental begrenzten Fibrosierung des
Lungenparenchyms unwahrscheinlich. Auch zeigten sich keine eindeutigen silikotischen Fleckschatten. Mit Bescheid vom 26. August
2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung der BKen nach den Nrn. 4101 und 4102 der BK-Liste ab. Sie führte aus, dass die gesundheitlichen
Beeinträchtigungen des Klägers die Voraussetzungen einer BK nach dem Ergebnis ihrer Ermittlungen nicht erfüllten. Eine BK
nach Nr. 4101 liege vor, wenn sichere Quarzstaublungenveränderungen festgestellt würden, eine BK nach Nr. 4102, wenn sichere
Quarzstaublungenveränderungen mit einer aktiven Lungentuberkulose zusammenträfen. Die bei der Untersuchung des Klägers am
30. November 2010 angefertigten HRCT-Aufnahmen zeigten keine sicheren Quarzstaublungenveränderungen, eine aktive Lungentuberkulose
läge nicht vor.
Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte ein fachradiologisches Gutachten von Dr. P., auch zu der von dem Kläger in einem
anderen Verfahren geltend gemachten BK Nr. 4103 (Asbeststaublungenerkrankung oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung
der Pleura) bei. In seiner Expertise vom 7. Mai 2012 führte der Sachverständige aus, dass die von ihm im Rahmen dieses Gutachtens
angefertigte Computertomographie der Lunge morphologisch eine Asbestose ersten Grades und diskrete Parenchym-/Pleuraveränderungen
zeige, wie sie bei einer Silikose vorkommen könnten. Im Verlauf seien seit April 2010 bis auf diskret progrediente Bronchiektasen
keine Veränderungen der Lunge festzustellen. Ein Malignom suspekter oder ein frisch-entzündlicher Befund lasse sich ausschließen.
Für sich alleine betrachtet seien die im CT detektierbaren diskreten Veränderungen der Lunge nicht ausreichend beweisend für
eine Asbestose oder Silikose. Da aber eine sichere Histologie vorliege, die bekanntermaßen eine höhere Sensitivität und Spezifität
als die HRCT aufweise, müsse zusammen mit den erkennbaren Veränderungen im HRCT von dem Vorliegen einer BK Nr. 4103 und 4101
ausgegangen werden.
Dazu zog die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme noch von Prof. Dr. Q. vom 1. August 2012 bei. Dieser vermochte
die Auffassung von Dr. P. nur partiell zu teilen. Es treffe zu, dass aufgrund der computertomographischen Befunde weder eine
Asbestose noch eine Silikose gesichert sei, so auch die Stellungnahme von Dr. O.. Nicht geteilt werde die Auffassung, dass
eine "sichere Histologie" vorläge. Die Ausführungen im Arztbrief vom 10. Mai 2010 ließen nicht erkennen, dass ein histologischer
Befund vorgelegen habe, der "sicher" eine BK Nr. 4101 oder 4103 beweisen könne. Eine BK lasse sich daher wie bisher nicht
feststellen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2013 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. August 2011 zurück.
Die Anerkennung der BK nach den Nrn. 4101 oder 4102 setze den Nachweis eindeutiger quarzstaubbedingter Lungenveränderungen
voraus. Diese lägen nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand vor, wenn Streuung und Ausdehnung der Veränderungen mindestens
das Ausmaß 1/1 der Internationalen Staublungenklassifikation ILO 2000 erreichten. Die im Widerspruchsverfahren angefertigten Bildbefunde des Brustkorbes belegten derartige Veränderungen
nicht. Soweit Dr. P. gleichwohl davon ausgehe, dass eine Silikose aufgrund des histologischen Befundes belegt sei, könne dem
nicht gefolgt werden. Nach dem Befundbericht vom 10. Mai 2010 sei anhand eines Zytozentrifugenpräparates die Diagnose einer
Silikoanthrakose gestellt worden. Dies lasse sich aus dem Befund jedoch nicht herleiten. Das zytologische Verfahren sei für
den Nachweis silikotischer Granulome nicht hinreichend geeignet und könne über das Ausmaß etwaiger silikotischer Veränderungen
keine Aussage treffen.
Seine Ansprüche hat der Kläger mit Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden, dort eingegangen am 14. März 2013, weiterverfolgt.
Mit Beschluss vom 25. Februar 2014 hat das Sozialgericht dieses Verfahren mit einem weiteren dort anhängigen (S 8 U 40/13) wegen Anerkennung der BK Nr. 4103 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen hat das Sozialgericht ein arbeitsmedizinisches Sachverständigengutachten von
Prof. Dr. R. vom 17. Dezember 2014 eingeholt, das dieser unter Einbeziehung eines radiologischen Zusatzgutachtens von Prof.
Dr. D. vom 1. Oktober 2014 erstattet hat. Danach liege bei dem Kläger auf lungenfachärztlichem Gebiet eine Lungenfibrose vor.
Es handele sich um eine Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) im Sinne der BK Nr. 4101. Die Diagnose einer Silikose werde
vornehmlich auf radiologischem Fachgebiet gestellt. Im Befundbericht des MVZ Bad Soden vom 2. Dezember 2010 würden die definitiv
vorhandenen fibrotischen Veränderungen der Lunge eher mit einer Asbestose als mit einer Silikose in Zusammenhang gestellt.
Das fachradiologische Gutachten von Dr. P. vom 7. Mai 2012 sehe die Silikose allein aufgrund der CT nicht hinreichend gesichert,
bejahe aber im Zusammenhang mit der Histologie das Vorliegen einer Silikose. Das aktuelle fachradiologische Gutachten von
Prof. Dr. D. bestätige nun den typischen Befund einer Silikose bzw. Silikoanthrakose des Ausmaßes 1/1 nach der ILO Klassifikation 2011. Er bestätige das Vorhandensein nicht nur von retikulären Veränderungen, sondern das Vorliegen von typischen
Knötchen (Mikronoduli) über allen Lungengeschossen mit Zusammenfließen kleinster Knötchen zu größeren. Zusätzlich konstatiere
Prof. Dr. D. das Vorliegen einer mediastinalen und hilären Lymphadenopathie; der Befall der Hilus-Lymphknoten sei ebenfalls
für eine Silikose typisch. Hinzu komme als stützende Evidenz der Nachweis einer Silikoanthrakose in der Zytologie der bronchoalveolären
Lavage vom 11. Mai 2010 sowie ein Nachweis einer ausgeprägten fleckförmigen Anthrakose in der Gewebsprobe eines Bronchus.
Das Krankheitsbild der Silikose sei damit aus arbeitsmedizinischer Sicht mit dem Gutachten von Prof. Dr. D. im Vollbeweis
gesichert. Eine Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose im Sinne der BK Nr. 4102 liege nicht
vor, weil die hierfür erforderliche Tuberkulose nicht bestehe. Eine Asbeststaublungenerkrankung oder durch Asbeststaub verursachte
Erkrankung der Pleura im Sinne der BK Nr. 4103 sei vor allem wegen der fehlenden hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs
bei nur geringer arbeitsbedingter Asbestfaserstaubbelastung nicht gesichert, hinzu komme die fehlende sichere Feststellung
der entsprechenden röntgenologischen Veränderungen. Die auf die BK zurückzuführende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) setzte
der Sachverständige mit 30 vom Hundert (v. H.) an. In Ergänzung seiner Expertise übersandte Prof. Dr. R. am 3. Februar 2015
noch diverse Untersuchungsergebnisse.
Der von der Beklagten wiederum mit der Streitfrage befasste Prof. Dr. Q. führte in einer beratungsärztlichen Stellungnahme
vom 10. August 2015 aus, dass eindeutige pathologische Befunde im Rahmen der Untersuchung bei Prof. Dr. R. nicht nachgewiesen
seien. Die Bezugnahme auf ältere, von anderer Seite erhobene, erheblich variierende Befunde sei problematisch. Die Computertomographie
vom 25. April 2014 zeige - ebenso wie die früheren - keine eindeutige Silikose. Unverständlich bleibe, weshalb eine korrekte
Beurteilung der Untersuchung mit der Klassifikation nach ICOERD nicht erfolgt sei. Im Ergebnis hätten weder die gutachterliche
Untersuchung vom 25. April 2014 noch die radiologischen noch die funktionsanalytischen Untersuchungen eindeutige Befunde im
Sinne einer BK Nr. 4101 ergeben.
Prof. Dr. R. hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 5. Oktober 2015 gleichwohl an seinen Feststellungen festgehalten.
Prof. Dr. Q. hat sich dazu in einer weiteren beratungsärztlichen Stellungnahme nochmals unter dem 16. November 2015 geäußert
und hervorgehoben, dass entgegen der mehrfach aktenkundigen gutachterlichen Ausführungen der histologische Befund einer Silikose
nicht erfolgt sei, da das für eine Silikose kennzeichnende histologische Merkmal, nämlich typische silikotische Granulome,
nicht gesichert worden seien. Zytologisch könne die Diagnose einer Silikose nicht gestellt werden. Die für eine Silikose im
Röntgenbild bzw. im CT des Thorax zu fordernden silikotischen rundlichen Schatten mit einer Mindeststreuung von ILO 1/1 mit Betonung der Lungenoberfelder seien nicht feststellbar. Die basal betonte leichtgradige Lungenfibrose ohne derartige
silikotische Knötchen lasse sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit als Folge einer BK Nr. 4101 bewerten.
Seine Klagen hat der Kläger im Kammertermin vor dem Sozialgericht Wiesbaden auf die Anerkennung der BK Nr. 4101 beschränkt.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 30. September 2016 stattgegeben, den Bescheid der Beklagten vom 26. August
2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2013 aufgehoben und festgestellt, dass bei dem Kläger eine BK Nr.
4101 (Silikose) vorliege und die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen dieser BK ab Dezember 2010 eine Verletztenrente nach
einer MdE von 30 v. H. zu gewähren. Die Voraussetzungen für die Feststellung der BK Nr. 4101 lägen vor. Der Kläger sei während
der insgesamt über 13 Jahre ausgeübten Tätigkeit im Steinkohlebergbau untertage unstreitig einer Belastung durch Quarzstaub
ausgesetzt gewesen. Er leide an einer Pneumokoniose, was alle behandelnden und begutachtenden Mediziner bestätigt hätten und
auch die Beklagte nicht bestreite. Entgegen der Auffassung der Beklagten halte das Gericht auch eine Silikose als Unterform
einer Pneumokoniose für nachgewiesen. Zu berücksichtigen sei, dass der Kläger als Bergarbeiter im Ruhrgebiet keiner reinen
Quarzstaubbelastung ausgesetzt gewesen sei, sondern ein Staubgemisch eingeatmet habe. Das Bild einer reinen Silikose sei als
Folge nicht zu erwarten. Dem entspreche die erste Diagnose der behandelnden Lungenfachärzte, die histologisch eine ausgeprägte
Anthrakose und bildgebend eine Anthrakosilikose festgestellt gehabt hätten. Hinsichtlich der Bewertung der Pneumokoniose des
Klägers als Silikose folge das Gericht dem arbeitsmedizinischen Gutachten von Prof. Dr. R. und dem radiologischen Zusatzgutachten
von Prof. Dr. D. Prof. Dr. D. sei für die Auswertung radiologischer Befunde in hohem Maße spezialisiert. Er habe eine eigene
CT-Begutachtung durchgeführt und lege seiner Bewertung - wie dies von der Bochumer und der Falkensteiner Empfehlung gefordert
werde - die von der International Labour Organization entwickelte ILO-Klassifikation 2011 zugrunde. Seiner Bewertung eines typischen Befundes einer Silikose bzw. Silikoanthrakose habe sich Prof.
Dr. R. angeschlossen. Prof. Dr. R. sei ein erfahrener Arbeitsmediziner und auch mit Erkrankungen von Bergleuten vertraut;
sein Gutachten sei durchgängig sehr gut verständlich und nachvollziehbar. Die Diagnose werde auch nicht dadurch erschüttert,
dass die im Verwaltungsverfahren beteiligten Gutachter Dres. N. und P. weniger eindeutige Aussagen getroffen hätten. Dies
lasse sich zum einen mit der geringeren Spezialisierung und gutachterlichen Erfahrung der Ärzte, zum anderen mit dem Fortschreiten
der Erkrankung erklären. Das Gericht teile auch nicht die Bedenken der Beklagten bzw. des von ihr befragten beratenden Arztes.
Der Beratungsarzt begründe seine Zweifel an der Diagnose nicht näher und erläutere auch nicht, welche zusätzlichen Erkenntnisse
bei Verwendung bzw. Vorlage des von ihm geforderten ICOERD-Formulars zu erwarten gewesen wären. Zudem verenge der Beratungsarzt
den Anwendungsbereich der BK Nr. 4101 auf "eindeutige" Silikosen, wofür das Gesetz keinen Anhaltspunkt biete. Der medizinische
Sachverhalt sei aufgeklärt, eine weitere Beweiserhebung, wie von der Beklagten gefordert, nicht erforderlich. Die MdE sei
mit 30 v. H. zu bemessen. Der Rentenbeginn entspreche dem Antrag des Klägers. Erkrankungen und Funktionseinbußen im tenorierten
Ausmaß seien durch das Gutachten von Dr. N. belegt, der den Kläger Ende November 2010 untersucht gehabt habe.
Gegen die ihr am 24. Oktober 2016 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 7. November 2016 Berufung bei dem Hessischen
Landessozialgericht angebracht. Die Anerkennung einer Silikose setze den Nachweis eindeutiger quarzstaubbedingter Lungenveränderungen
voraus. Die Computertomographien vom 4. und 13. April 2012 zeigten keine Veränderungen, die die hierfür nach dem wissenschaftlichen
Erkenntnisstand erforderliche Kategorie 1/1 ILO erreichten. Die radiologische Beurteilung von Prof. Dr. D., auf die sich Prof. Dr. R. berufe, sei nach den Feststellungen
ihres beratungsärztlichen Arztes, Prof. Dr. Q., dem sie folge, nicht zutreffend. Es seien weitere Ermittlungen angezeigt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 30. September 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Auf Antrag der Beklagten hat die Vorsitzende des Senats mit Beschluss vom 5. Dezember 2016 im Wege der einstweiligen Anordnung
die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 30. September 2016 bis zur Erledigung des Rechtsstreits
in der Rechtsmittelinstanz ausgesetzt.
Nach Beiziehung der bildgebenden Befunde von Prof. Dr. D. hat der Senat Prof. Dr. A. mit der Erstattung eines fachradiologischen
Gutachtens nach Aktenlage beauftragt. Seine Expertise hat der Sachverständige am 20. Juli 2017 unter Auswertung der Computertomografien
des Thorax vom 30. November 2010, 4. April 2012, 13. April 2012 und 25. April 2014 vorgelegt. Zusammenfassend zeige sich bei
dem Kläger danach eine Lungenfibrose, betont im apikalen Unterlappensegment rechts, zusätzlich auch rechts basal und im linken
Unterlappen. Es zeigten sich lediglich zwei knotige Veränderungen rechts, die eher dem Lappenspalt zuzuordnen seien als dem
Lungenparenchym, in direkter Nachbarschaft kämen flächige pulmonale Verdichtungen zur Darstellung, die als fixierte Dystelektasen
am ehesten nach lobären pulmonalen Prozessen anzusehen seien. In der Lingula fänden sich zwei weitere verkalkte Rundherde,
die am ehesten als Granulome zu werten seien. Disseminierte Knötchen, wie sie bei einer Silikose auftreten könnten, ließen
sich nicht nachweisen. Insoweit sei der beratungsärztlichen Stellungnahme von Prof. Dr. Q. zuzustimmen. Darüber hinaus zeigten
sich vergrößerte hiläre Lymphknoten beidseits. Eierschalenartige Verkalkungen, wie sie typisch für eine Silikose seien, ließen
sich nicht nachweisen. Eine ILO-Klassifikation werde bei thorakalen CT Aufnahmen nicht durchgeführt, sie erfolge ausschließlich bei konventionellen Röntgenaufnahmen
des Thorax. Eine Einstufung nach IOCERD fügte Prof. Dr. A. bei. Zusammenfassend führte er aus, dass bei zusätzlich fehlenden
knotigen Veränderungen und fehlenden Lymphknoten mit Silikateinlagerungen die Fibrose nicht in direktem Zusammenhang mit der
stattgehabten Exposition im Sinne einer BK Nr. 4104 (richtig: 4101) stehe.
Die Beteiligten haben sich schriftsätzlich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden
erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Verwaltungsakte
und die Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen, die sämtlichst Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen sind.
Gründe
Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§§
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -)
Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt (§
87 Abs.
1 Satz 2 i. V. m. §
153 Abs.
1 SGG,
151 SGG) und auch im Übrigen zulässig (§
143 SGG). Sie ist zudem begründet.
Zunächst ist die Klage unzulässig, soweit der Kläger über die Feststellung der BK hinaus auch die Gewährung von Versicherungsleistungen
geltend macht. Über die Gewährung von Sozialleistungen wie die Verletztenrente ist vor Klageerhebung in einem Verwaltungsverfahren
zu befinden, das mit einem Verwaltungsakt abschließt, gegen den die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder
Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig ist (§
54 Abs.
1,
2,
4 SGG).
Vorliegend hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 26. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.
Februar 2013 nur über die Anerkennung der BK Nr. 4101 bei dem Kläger entschieden. Die darüber hinausgehende abstrakte Feststellung,
dass "Ansprüche auf Leistungen" nicht bestünden, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn eine konkrete Entscheidung in Bezug
auf eine Verletztenrente wurde insoweit nicht getroffen, die Leistung selbst auch mit überhaupt gar keinem Wort erwähnt.
Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist damit alleinig die Feststellung der BK Nr. 4101 der Anlage 1 zur
BKV. Nachdem die Beklagte eine Entschädigung schon dem Grunde nach abgelehnt hatte, weil kein Versicherungsfall eingetreten sei,
konnte es dem Kläger in der Sache daher zunächst nur um die Anerkennung seiner Lungenerkrankung als Berufskrankheit, also
um die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses, aus dem im weiteren Verlauf gegebenenfalls Leistungsansprüche
abgeleitet werden können, gehen. Das Begehren, "aus Anlass einer Berufskrankheit nach Nr. 4101 bzw. 4102 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von mindestens 20 v. H. zu gewähren" (vgl. Seite 2 der Klageschrift
vom 12. März 2013), hat in dieser Situation keine eigenständige Bedeutung, sondern beschreibt nur die rechtlichen Folgerungen,
die sich im Falle der beantragten Feststellung ergeben.
Die Gewährung konkreter Entschädigungsleistungen - hier einer Verletztenrente - wegen dieser Berufskrankheit ist aus den genannten
Gründen nicht streitgegenständlich, die hierauf gerichtete Klage in Ermangelung einer gemäß §
54 Abs.
1 Satz 1
SGG anfechtbaren Entscheidung der Beklagten unzulässig (zum Ganzen siehe auch BSG vom 7. September 2004 - B 2 U 35/03 R; BSG vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 R). Eine Verurteilung (auch) zur Leistungsgewährung hätte durch das Sozialgericht entsprechend nicht erfolgen dürfen.
Im Übrigen ist der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 26. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. März
2013 nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Erkrankung
des Klägers eine BK nach §
9 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (
SGB VII) der Nr.
4101 der Anlage 1 zur
BKV ist. Das erstinstanzliche Urteil konnte daher keinen Bestand haben.
Versicherungsfälle sind neben Arbeitsunfällen auch Berufskrankheiten, § 7Abs.
1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (
SGB VII). Nach §
9 Abs.
1 SGB VII sind Berufskrankheiten solche Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates
als solche bezeichnet hat und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VIIbegründenden
Tätigkeit erleidet.
Voraussetzung für die Feststellung jeder Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden
Einwirkungen sowie die Erkrankung, für die Entschädigungsleistungen beansprucht werden, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen
sind. Eine absolute Sicherheit ist bei der Feststellung des Sachverhalts nicht zu erzielen. Erforderlich ist aber eine an
Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale
zweifelt (BSGE 6, 144; Keller in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / Schmidt,
SGG, 12. Auflage 2017, §
128 Rn. 3b m. w. N.). Es muss ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger
Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche
Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287; 61, 127, 128).
Zur Anerkennung einer Berufskrankheit muss zudem ein doppelter ursächlicher Zusammenhang bejaht werden. Die gesundheitsgefährdende
schädigende Einwirkung muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein (sog. haftungsbegründende Kausalität)
und diese Einwirkung muss die als Berufskrankheit zur Anerkennung gestellte Krankheit verursacht haben (sog. haftungsausfüllende
Kausalität - dazu: Schwerdtfeger in: Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung,
SGB VII, Kommentar, Anm. 54 zu §
8 SGB VII). Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen im Recht der Berufskrankheit gilt dabei, wie auch sonst
in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05). Die Theorie der wesentlichen Bedingung basiert auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der
Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (sog. conditio
sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der Bedingungstheorie werden im Sozialrecht als rechtserheblich aber nur solche
Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. "Wesentlich"
ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern
rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen
Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Als Beweismaßstab genügt für den Ursachenzusammenhang statt des Vollbeweises die
Wahrscheinlichkeit, d. h., dass bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände die für
den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen müssen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung
und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542
RVO). Der Ursachenzusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist
(BSGE 60, 58, 59).
Nach Nr. 4101 der Anlage zur
BKV (
BKV vom 31. Oktober 1997, BGBl. I S. 2623, zuletzt geändert Art. 1 der Verordnung zur Änderung der
Berufskrankheitenverordnung vom 22. Dezember 2014, BGBl. I S. 2397) gehört zu den BKen auch die Quarzstaublungenerkrankung (Silikose). Dabei handelt es sich um eine Erkrankung an Lungenfibrose
durch Einatmung von Staub, welcher in unterschiedlichen Anteilen freie kristalline Kieselsäure enthält. Diese freie kristalline
Kieselsäure kommt im Wesentlichen als Quarz, Cristobalit oder Tridymit an zahlreichen Arbeitsplätzen vor (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin,
"Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 1052). Derartige Arbeitsplätze finden sich typischerweise im Steinkohlebergbau,
in der Natursteinindustrie, im Gießereiwesen, in der Glasindustrie, in der Email- und keramischen Industrie sowie bei der
Herstellung feuerfester Steine (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 1055).
Nach Maßgabe der vorgenannten Grundsätze setzt die Anerkennung der BK Nr. 4101 zwingend voraus, dass der Vollbeweis für das
Vorliegen einer Silikose erbracht worden sein muss. Die Krankheit als solche muss voll bewiesen sein, d. h. ihr Vorliegen
muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen. Die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit
gilt nur für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung und zwischen
der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (Urteil vom BSG vom 31. Mai 2005 - B 2 U 12/04 R). Lassen sich unter Berücksichtigung dieser Grundsätze die den Anspruch begründenden Tatsachen nicht nachweisen, gelingt
insbesondere nicht der Nachweis des Vorliegens einer Krankheit im Sinne der geltend gemachten BK, so geht dies nach dem auch
im Sozialrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten, wenn er aus diesen Voraussetzungen
eine für ihn günstige Rechtsfolge herleiten will (BSG vom 27. Juni 1991 - 2 RU 31/90 und vom 12. Mai 1992 - 2 RU 26/91).
Vorliegend und zwischen den Beteiligten auch unstreitig war der Kläger zwar während seiner Tätigkeit im Bergbau vom 1. Dezember
1951 bis zum 31. März 1967 als Berglehrling, Knappe und Hauer untertage der Einwirkung von Quarzstäuben ausgesetzt. Allerdings
liegt zur Überzeugung des Senats entgegen den Feststellungen des Sozialgerichts ein einschlägiges Erkrankungsbild im Sinne
der BK Nr. 4101 nicht im Sinne des Vollbeweises vor.
Die Verdachtsdiagnose einer Silikose wird derzeit in erster Linie durch das Röntgenbild der Lunge gestellt. Charakteristisch
sind disseminierte, mehr oder minder rundliche Verschattungen unterschiedlicher Größe und Dichte, eventuell mit zusätzlichen
größeren sog. Schwielenbildungen, vorwiegend lokalisiert in den Ober- und Mittelfeldern, eventuell konfluierend und/oder zerfallend.
Die Befundung erfolgt standardisiert nach der Staublungenklassifikation der International Labor Organisation (ILO). Von der ILO wurde zur quantitativen Erfassung der röntgenmorphologischen Veränderungen ein Befundungsschema festgelegt, in dem an Hand
von Standardvergleichsfilmen die Größe, Zahl und Lage runder und unregelmäßiger Verschattungen, Pleuraplaques und -verkalkungen
und anderer Veränderungen in einer p. a. Thoraxübersichtsaufnahme, d. h. einer Röntgenaufnahme, bei welcher der Strahlengang
in Bezug auf den Körper von hinten (posterior) nach vorne (anterior) erfolgt. Für eine Silikose spricht dabei das Vorliegen
kleiner rundlicher Schatten vom Typ p, q oder r im Röntgenbild des Thorax mit einer Gewissenhaftigkeit und gleichmäßiger Verteilung
im Sinne eines Streuungsgrades nach ILO 2000 von 1/1 oder höher (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 1056; Empfehlung für die Begutachtung von Quarzstaublungenerkrankungen
<Silikosen> "Bochumer Empfehlungen", S. 17). Soweit Prof. Dr. D. und Prof. Dr. R. bei ihrer Bewertung auf die ILO 2011 abheben, ist zu bemerken, dass für die Klassifizierung analoger Röntgenbilder weiterhin der Text der vorherigen Ausgabe
(2000) gültig ist; die überarbeitete Ausgabe (2011) der Richtlinien für die Anwendung der Internationalen Klassifikation des
IAA von Pneumokoniose-Filmen erweitert die Anwendung der Klassifikation lediglich auf die - heute üblichen - digital angefertigten
Thoraxaufnahmen (vgl. Richtlinien für die Anwendung der Internationalen Klassifikation des IAA von Pneumokoniose-Röntgenfilmen
/ Internationales Arbeitsamt. − Revised edition 2011. − Genf: IAA, 2012 48 p. - Occupational safety and health series, No.
22. S. vii, 16).
Da in etlichen Studien belegt wurde, dass Sensitivität und Spezifität der konventionellen Röntgendiagnostik begrenzt sind
und der insoweit häufig bestehenden Unsicherheiten bei der Beurteilung der Röntgenaufnahmen, insbesondere bei geringgestreuter
Silikose, ist im Rahmen der Erstbegutachtung die CT in High-resolution-Technik erforderlich, um die Diagnose einer Silikose
zu sichern oder auszuschließen. Die HRCT wird in Analogie zur ILO semiquantitativ nach ICOERD (International Classification of HRCT for Occupational and Environmental Respiratory Diseases)
klassifiziert. Diese Klassifikation ist ein Instrument, um pulmonale und pleurale Befundmuster auf der Basis der HR-Phänomenologie
standardisiert zu beurteilen, diese Einschätzung weltweit zu vereinheitlichen sowie vergleichbar und epidemiologisch nutzbar
zu machen. Aus Gründen der Reproduzierbarkeit und Vergleichbarkeit ist dabei ein standardisiertes Untersuchungsprotokoll zwingend
erforderlich (Anwendung der CT-Klassifikation ICOERD - International Classification of Occupational and Environment Respiratory
Deseases). Um die Diagnose einer Silikose in der CT-Untersuchung zu stellen, ist der Nachweis scharf berandeter Verdichtungen
in beiden Oberlappen, die in Lungenkern und Lungenmantel lokalisiert sein können, erforderlich. Beim Vergleich mit dem Referenzfilm
muss mindestens die Streuungskategorie 1 im rechten wie auch im linken Oberfeld erreicht sein (Gesamtstreuung mindestens 2,
vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 1058; Empfehlung für die Begutachtung von Quarzstaublungenerkrankungen <Silikosen>
"Bochumer Empfehlungen", S. 23).
Eine diesen - heutigen und maßgebenden - Erkenntnisanforderungen gerecht werdende Diagnostik liegt nicht vor.
Blickt man auf die Ergebnisse der medizinischen Sachverhaltsermittlung im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren, findet sich
keine sichere Diagnose einer Silikose. Dr. N. war in Auswertung der CT vom 30. Oktober 2010 in seinem Gutachten vom 5. Januar
2011 zu dem Ergebnis gelangt, dass im Falle des Klägers keine radiologisch typische Erscheinungsform der Silikose vorliege
und diese eher unwahrscheinlich sei. Eindeutige silikotische Fleckschatten vermochte auch der zunächst gehörte Beratungsarzt
der Beklagten Dr. O. (Stellungnahme vom 15. Juli 2011) in den CT nicht zu erkennen. Zum gleichen Ergebnis gelangte der Radiologe
Dr. P. nach eigener computertomographischer Untersuchung der Lunge vom 4. April 2012 und 13. April 2012 in seinem Gutachten
vom 7. Mai 2012. Unter Befundung nur diskreter pneumonaler Veränderungen führte er aus, dass diese "durchaus mit einer Asbestose
und auch geringer mit einer Silikose vereinbar" seien, die im CT detektierbaren diskreten Veränderungen jedoch nicht ausreichend
beweisend für eine Silikose seien. Lediglich unter Hinweis auf eine seiner Auffassung nach "eindeutige Histologie" war Dr.
P. in seiner abschließenden Beurteilung zu dem Vorliegen einer BK (u. a.) der Nr. 4101 gelangt. Ungeachtet der Aussagekraft
eines histologischen Befundes - dazu gleich - verweist Dr. P. hierzu auf das Gutachten von Dr. N. vom 16. Februar 2011. Zu
bemerken ist insoweit, dass im Rahmen der Begutachtung dort kein eigener histologischer Befund erhoben wurde, sondern lediglich
anamnestisch der frühere Befund vom 10. Mai 2010 wiedergegeben wurde.
Eine Silikose kann zwar auch durch histologische Befunde definiert werden. Zur Diagnosesicherung im Rahmen eines BK-Verfahrens
dient dabei die Biopsie. Erfahrungsgemäß ist die Sensitivität und Spezifität der Diagnosestellung anhand von Gewebeproben
sogar sensitiver und spezifischer als die HRCT-Diagnostik, wenn ausreichend geeignetes und repräsentatives Gewebe vorliegt
(vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 1058). Als unwesentlich sind dabei Befunde anzusehen, bei denen weniger
als fünf Silikoseknötchen pro Lungenflügel palpatorisch erfasst und histologisch bestätigt werden und seltene nicht fibröse
Formen der Silikose wie eine rein makuläre Silikose ausgeschlossen werden können (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a.
O., S. 1058). Vorliegend findet sich in den Akten lediglich ein histologischer Befund der Gemeinschaftspraxis Pathologie Dres.
S. und T. aus T-Stadt vom 10. Mai 2010, wo nach Bronchoskopie und Biopsie (erfolgt am 7. Mai 2010 im Rahmen der stationären
Behandlung des Klägers in den Kliniken des Main-Taunus-Kreises, Dr. N.) aus dem Unterlappen S8 rechts feingewebliche Untersuchungen
vorgenommen worden waren. Festgestellt wurden dabei eine geringe fleckförmige chronische Bronchitis mit verstärktem Stromaoedem,
eine kapilläre Hyperämie und auch eine ausgeprägte fleckförmige Anthrakose in einem rechten Unterlappenbronchus.
Vorliegend wurde das durch die Biopsie vom 7. Mai 2010 gewonnene Lungengewebe sowohl histologisch als auch zytologisch ausgewertet.
Als abnormer Befund war in der Histologie lediglich eine auch zu den Pneumokoniosen gehörende ausgeprägte fleckförmige Anthrakose
(Kohlestaublunge) nachweisbar. Dies ist jedoch kein silikosespezifischer Befund, sondern Folge von Kohlepartikel- und Rußstaubinhalationen,
wie sie mit arbeitsmedizinischem Hintergrund, aber auch bei langjährigen Großstadtbewohnern auffindbar sind. Unter einer Anthrakose
versteht man pathologische Veränderungen der Lunge, die durch das Einatmen und Einlagern von Ruß- oder Kohlepartikeln verursacht
werden. Bewohner von Industriestädten nehmen deutlich mehr von derartigen Rußpartikeln auf als die ländliche Bevölkerung.
Eine stärkere Exposition findet im Kohlenbergbau statt. Relevante gesundheitliche Beeinträchtigungen werden hierdurch in der
Regel nicht hervorgerufen, falls nicht extrem hohe Belastungen stattfinden (vgl. Matthys / Seeger "Klinische Pneumologie",
4. Aufl. 2008, Kap. 4.8.8). Im Röntgenbild zeigen sich bei einer Anthrakose fein noduläre Verschattungen. Diese Knoten oder
Knötchen sind jedoch, im Gegensatz zur Silikose, weicher gezeichnet und unscharf begrenzt (vgl. Hien "Praktische Pneumologie",
1. Aufl. 2000, Seite 289). Zytologisch fand sich zwar Fremdmaterial (Staubbestandteile und Asbestfasern) in der Spülflüssigkeit.
Histologisch zeigten sich jedoch keine Indizien für eine hierdurch entstandene Lungenerkrankung im Sinne einer Silikose oder
Asbestose, z. B. in Form von Fremdkörpergranulomen.
Wenn die Gutachter Dres. N. und P., Prof. Dr. D. und auch Prof. Dr. R. in ihren Ausführungen postulieren, dass im vorliegenden
Fall die Silikose "histologisch gesichert" sei, deckt sich dies nicht mit dem einzigen vorliegenden histologischen Ergebnis
(Befund vom 10. Mai 2010), das allenfalls einen unspezifischen Befund im Sinne einer Staubbelastung des Klägers, konkret einer
Anthrakose, erbracht hat. Im Verlauf der gutachterlichen Beurteilung haben diese Sachverständigen offenbar den Begriff einer
"histologischen Silikosesicherung" unreflektiert voneinander übernommen, ohne selbst den Quellbefund (Histologie vom 10. Mai
2010) zur Kenntnis zu nehmen, der eben keine histologische Silikosesicherung beschreibt. Die diesbezüglichen Feststellungen
von Prof. Dr. Q., der auf diese Problematik mehrfach hingewiesen hat, sind insoweit zutreffend.
Liegt kein histologischer Befund einer Silikose vor, verbleibt es bei der Definition der Erkrankung über die bildgebende Diagnostik,
vorliegend über die HRCT- Beurteilung.
Soweit das Sozialgericht in seinen Entscheidungsgründen darauf abgehoben hat, dass Prof. Dr. D. aufgrund seiner Tätigkeit
am Institut für Diagnostische Radiologie der Universitätsklinik Göttingen in hohem Maße spezialisiert sei, was die Auswertung
radiologischer Befunde anbelange und Prof. Dr. R. als erfahrener Arbeitsmediziner auch mit Erkrankungen von Bergleuten vertraut
sei und auf das durchgängig sehr gut verständliche und nachvollziehbare Gutachten verwiesen hat, verzichtet der Senat auf
eine auf die BK Nr. 4101 bezogene fachliche Bewertung der Qualifikation dieser Sachverständigen. Beide Expertisen überzeugen
nicht und werden zudem dem an eine standardisierte Befundung einer Silikose nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand
zu fordernden Verfahren nicht gerecht.
Der Befund von Prof. Dr. D. ist für den Senat nicht nachvollziehbar mit den o. g. für die Silikose charakteristischen Veränderungen
vereinbar. Darüber hinaus fehlt es an der Benennung der Diagnose- und Klassifizierungskriterien nach der ICOERD, die in der
Bochumer Empfehlung beschrieben sind und ohne die eine Silikose-Diagnose nicht verifizierbar und im Sinne des Vollbeweises
sicher nachgewiesen ist.
Prof. Dr. D. hat die von ihm am 25. April 2014 angefertigten Computertomographien unter Anwendung der ILO-Klassifikation 2011 ausgewertet. Sein Ergebnis, dass "der Befund < .. > typisch für eine Silikose mit CT- Veränderungen entsprechend
einem Ausmaß 1/1 nach ILO-Klassifikation 2011" sei, ist bereits deshalb nicht verwertbar, weil die ILO- Klassifikation für die Klassifizierung von HRCT-Aufnahmen nicht anwendbar ist. Hierauf hat auch der Sachverständige Prof.
Dr. A. in seiner Expertise hingewiesen. Wie bereits ausgeführt, ermöglicht die ILO nur die systematische Beschreibung und Aufzeichnung von auffälligen thorakalen Röntgenbefunden, die durch die Inhalation
von Stäuben hervorgerufen wurden. Sie wird zur Beschreibung von Röntgenbefunden genutzt, die bei den unterschiedlichen Formen
der Pneumokoniose auftreten und ist ausschließlich für solche Befunde bestimmt, die auf Röntgenbildern gesehen werden. Soweit
andere Projektionen und bildgebende Techniken wie z.B. das HRCT oder die MRT erforderlich sind, wurde die ILO-Klassifikation nicht für die Beschreibung solcher Befunde entworfen (Richtlinien für die Anwendung der internationalen Klassifikation
des IAA von Pneumokoniose-Röntgenfilmen / Internationales Arbeitsamt. − Revised edition 2011. − Genf: IAA, 2012 48 p. - Occupational
safety and health series, No. 22. S. 1).
Trotz mehrfacher gerichtlicher Aufforderung im erstinstanzlichen Verfahren haben weder Prof. Dr. D. noch Prof. Dr. R. den
für die standardisierte Befundung einer Silikose unabdingbaren Beurteilungsbogen für die CT- Klassifikation nach ICOERD vorgelegt.
Prof. Dr. R. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 5. Oktober 2015 (Seite 6/ Bl. 204 der Gerichtsakte Bd. I) zudem erkennen
lassen, dass er mit diesem Beurteilungsverfahren überhaupt nicht vertraut ist.
Insgesamt erweist sich das Gutachten von Prof. Dr. R. für die Fragestellung, ob bei dem Kläger eine Silikose vorliegt oder
nicht, als nicht aussagekräftig. Eigene pathologische Befunde hat der Sachverständige im Rahmen seiner Untersuchung hierfür
nicht erhoben. Seine Feststellung, dass eine Silikose aus arbeitsmedizinischer Sicht im Vollbeweis gesichert sei, gründet
ausschließlich in den Ergebnissen der (unbrauchbaren) radiologischen Begutachtung durch Prof. Dr. D., auf die Prof. Dr. R.
insoweit schlicht verweist (S. 25 des Gutachtens/ S. 148 der Gerichtsakte Bd. I).
Für den Senat überzeugender präsentieren sich insoweit die Expertisen von Prof. Dr. Q. und Prof. Dr. A., an denen kein Anlass
zu Zweifeln besteht. Bei beiden Ärzten handelt es sich um erfahrene und hochspezialisierte Gutachter, was Lungenerkrankungen
anbelangt. Bis zu seiner Emeritierung war Prof. Dr. Q. Direktor der Klinik für Pneumologie, Allergologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin
am Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum mit wissenschaftlichem Schwerpunkt der Silikose.
Prof. Dr. A. ist stellvertretender Direktor und leitender Oberarzt am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie
am Universitäts-Klinikum Frankfurt am Main, daneben Fachbereichsleiter der radiologischen Abteilung der DKD Helios Klinik
Wiesbaden. Sein Schwerpunkt liegt in der radiologischen Befundung des Thorax, speziell der Lunge und des Bronchialsystems.
In dem Standardwerk von Freyschmidt/Galanski "Handbuch diagnostische Radiologie: Thorax" hat Prof. Dr. A. das Kapitel "Erkrankungen
der Atemwege" bearbeitet.
Prof. Dr. A. hat bei dem Kläger eine Lungenfibrose diagnostiziert. Scharf markierte disseminierte Knötchen, wie sie üblicherweise
bei einer Silikose auftreten, konnte er ebenso wenig nachweisen wie die für diese Erkrankung typischen eierschalenartigen
Verkalkungen der Lymphknoten. Auch findet sich seinen Feststellungen zufolge die Fibrosierung ohne Bevorzugung der Lungenoberfelder,
was bei einer Silikose zu erwarten wäre. Seine Befundung hat der Sachverständige nach der CT-Klassifikation ICOERD mit dem
Ergebnis vorgenommen, dass die Fibrose des Klägers nicht als im direkten Zusammenhang mit der stattgehabten Exposition im
Sinne einer BK Nr. 4101 stehe. Dem folgt der Senat und ist, auch unter Berücksichtigung der insoweit hiermit übereinstimmenden
radiologischen Befundungen und Bewertungen von Dres. N., P., O., insbesondere aber auch der von Prof. Dr. Q., entsprechend
nicht im nach §
128 Abs.
1 Satz 1
SGG gebotenem Maße davon überzeugt, dass bei dem Kläger das für diese BK einschlägige Krankheitsbild einer Silikose im Sinne
des Vollbeweises vorliegt.
Der Berufung war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, §
160 Abs.
2 SGG.