Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Übernahme von Beitragsrückstanden in der privaten Krankenversicherung
Gründe:
I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung von dem Antragsgegner und Beschwerdeführer
die Übernahme von Beitragsrückständen bei ihrer privaten Krankenversicherung nach den Vorschriften des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
(SGB II).
Die 1947 geborene Beschwerdegegnerin, die seit dem 27. März 2009 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach
dem SGB II bezieht, war früher bei der Vereinten Krankenversicherung, die im Jahre 2003 von der D. E. F. -AG (im Folgenden:
D.) übernommen wurde, privat krankenversichert. Nachdem die Beschwerdegegnerin im Jahre 2009 in Vermögensverfall geraten war,
konnte sie die Beiträge für die private Krankenversicherung nicht mehr zahlen.
In einem Schreiben der D. vom 29. April 2009, das sie bei dem Beschwerdeführer einreichte, informierte die D. die Beschwerdegegnerin
über die Kosten einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung und unterbreitete ihr ein entsprechendes Angebot. Nachdem der
Beschwerdeführer die Beschwerdegegnerin mehrfach aufgefordert hatte, eine Beitragsrechnung zur Krankenversicherung einzureichen,
teilte die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 9. Februar 2010 mit, dass ein Versicherungsverhältnis seitens der D. abgelehnt
worden sei und verwies insoweit auf ein beigefügtes Schreiben der D. vom 21. Oktober 2009.
Am 16. Februar 2011 schloss die Beschwerdegegnerin mit der D. einen Versicherungsvertrag über eine private Krankenversicherung
(Versicherungsscheinnummer G. -H.) mit Wirkung zum 1. Januar 2011 ab. Hierbei handelt es sich um einen Basistarif, der die
gesetzlichen Verpflichtungen zur Krankenversicherung nach § 193 Abs. 3 Satz 1 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) abdeckt.
Unter dem 1. März 2011 versuchte die D. die Beiträge für die private Krankenversicherung in Höhe von 2.650,13 Euro von dem
Konto der Beschwerdegegnerin abzubuchen; dies gelang jedoch nicht, da das Konto der Beschwerdegegnerin nicht die erforderliche
Deckung aufwies.
Mit Schreiben vom 15. März 2011 und 5. April 2011 wandte sich die D. an den Prozessbevollmächtigten der Beschwerdegegnerin
und schlüsselte die (Gesamt-)Forderung in Höhe von 2.650,13 Euro wie folgt auf: Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge
für Januar bis März 2011 in Höhe von insgesamt 971,76 Euro (Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 287,72 Euro monatlich
zuzüglich Pflegeversicherungsbeitrag in Höhe von 36,20 Euro = 323,92 Euro monatlicher Gesamtbetrag) zuzüglich eines Beitragszuschlags
für Nichtversicherte in Höhe von 1.678,37 Euro für den Zeitraum von September 2009 bis Dezember 2010.
Mit Änderungsbescheid vom 8. März 2011 gewährte der Beschwerdeführer der Beschwerdegegnerin für den Zeitraum von Januar bis
August 2011 den monatlichen Versicherungsbeitrag in Höhe von 323,90 Euro.
Mit Schreiben vom 22. März 2011 beantragte die Beschwerdegegnerin die Übernahme des von der D. erhobenen Beitragszuschlages
für Nichtversicherte nach § 193 Abs. 4 VVG. Mit Bescheid vom 23. März 2011 lehnte dies der Beschwerdeführer ab und führte zur Begründung aus: Er sei nach einem Urteil
des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. Januar 2011 (Az. B 4 AS 108/10 R) lediglich verpflichtet, einen Zuschuss in Höhe des halben Basistarifs (= 287,72 Euro monatlich) der privaten Krankenversicherung
zu übernehmen. Der Beitragszuschlag sei dadurch entstanden, dass sich die Beschwerdegegnerin nicht bzw. zu spät krankenversichert
habe, obwohl nach § 193 Abs. 1 VVG eine Krankenversicherungspflicht für sie schon seit September 2009 bestehe. Der Beschwerdegegnerin bliebe es unbenommen,
bei der D. einen Antrag auf Stundung gemäß § 193 Abs. 4 VVG zu stellen.
Mit Schreiben vom 4. Mai 2011 teilte die D. der Beschwerdegegnerin mit, dass auch auf das Mahnschreiben vom 14. April 2011
die rückständigen Beiträge zu der privaten Krankenversicherung nicht gezahlt worden seien und stellte daher das Ruhen der
Leistung für die Krankenversicherung zur Versicherungsscheinnummer G. -H. fest.
Den gegen den Bescheid vom 23. März 2011 eingelegten Widerspruch wies der Beschwerdeführer mit Widerspruchsbescheid vom 17.
Juni 2011 zurück und wiederholte im Wesentlichen seine Ausführungen aus dem Ausgangsbescheid.
Hiergegen hat die Beschwerdegegnerin am 22. Juni 2011 Klage zum Sozialgericht (SG) Hildesheim zum Aktenzeichen S 37 AS 1052/11 erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist.
Die Allianz hat der Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 angeboten, den Beitragszuschlag in monatlichen Raten
von mindestens 30,00 Euro zu zahlen, was die Beschwerdegegnerin abgelehnt hat.
Am 8. November 2011 hat die Beschwerdegegnerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem SG gestellt. Es drohe der Verlust ihres Krankenversicherungsschutzes. Zwar zahle der Beschwerdeführer die laufenden Beiträge
zur Krankenversicherung, doch verrechne die D. diese Zahlungen zunächst mit ihren Beitragsschulden, so dass - ausweislich
des Schreibens der von der D. bevollmächtigten Rechtsanwälte vom 11. November 2011 - der Rückstand an Versicherungsbeiträgen
nebst (Mahn- und Rechtsanwalts-)Kosten und Zinsen derzeit noch 1.131,95 Euro betrage.
Das SG hat den Beschwerdeführer mit Beschluss vom 08. Dezember 2011 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Beitragsrückstände
der Beschwerdegegnerin in der privaten Krankenversicherung bei der D. E. F. -AG zur Versicherungsscheinnummer G. -H. wegen
Beitragszuschlägen für Nichtversicherte nebst angefallener Kosten und Zinsen, jedoch höchstens in Höhe von insgesamt 1.131,35
Euro vorläufig, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens S 37 AS 1052/11, zu übernehmen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Es bestehe ein Anordnungsgrund, da die D. mit Schreiben vom 4. Mai 2011 das Ruhen der Leistungen aus der Krankenversicherung
im Sinne des § 193 Abs. 6 VVG festgestellt habe und insoweit für einen nicht absehbaren Zeitraum der Krankenversicherungsschutz ruhe und damit auf eine
Notversorgung beschränkt sei. Es sei im Übrigen auch ein Anordnungsanspruch gegeben. Es bestehe zwar außer für die laufenden
Zahlungen in Höhe des hälftigen Basistarifs keine unmittelbare Anspruchsgrundlage für das Begehren der Beschwerdegegnerin
auf Übernahme des Beitragszuschlages für Nichtversicherte durch den Beschwerdeführer. Jedoch ergebe sich ein solcher Anspruch
aus einer (gemeint wohl analogen) Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II in der ab dem 1. April 2011 geltenden Fassung. Der Beschwerdegegnerin
drohe als Folge des Ruhens des Krankenversicherungsschutzes, dass sie im Krankheitsfalle nicht oder nur sehr eingeschränkt
behandelt würde. Dies führe zwanglos zu der Annahme eines unabweisbaren Mehrbedarfs im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II, der auch
eine Übernahme der bereits bestehenden Beitragsrückstände rechtfertige. Soweit § 21 Abs. 6 SGB II in der ab 1. April 2011
geltenden Fassung fordere, dass es sich um einen laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf handeln müsse, sei diese Regelung
nach Sinn und Zweck der Vorschrift so zu verstehen, dass (auch) laufende Bedarfe aus einem in der Vergangenheit liegenden,
abgeschlossenen Zeitraum erfasst würden. Die hier streitigen Beitragszuschläge seien von der D. für den Zeitraum von September
2009 bis Dezember 2010, also für 16 Monate, erhoben worden, so dass mithin ein laufender Bedarf existiert habe. Diesen Bedarf
habe der Beschwerdeführer durch einen (verlorenen) Zuschuss und nicht durch ein Darlehen zu befriedigen. Denn nach § 24 Abs.
1 Satz 1 SGB II in der ab 1. April 2011 geltenden Fassung komme die Gewährung eines Darlehens nur dann in Betracht, wenn im
Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht
gedeckt werden könne. Bei den Beiträgen zur Krankenversicherung handele es sich jedoch nicht um einen vom Regelbedarf umfassten
Bedarf.
Gegen den ihm am 12. Dezember 2011 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am selben Tage Beschwerde eingelegt. Er
trägt vor, die Ausführungen des SG zur Anwendbarkeit des § 21 Abs. 6 SGB II seien nicht nachvollziehbar. Denn nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift sollen gerade keine in der Vergangenheit
liegenden, abgeschlossenen Zeiträume erfasst werden, sondern künftige während des Bewilligungszeitraums mehrfach bzw. laufend
anfallende Sonderbedarfe. Es handele sich auch nicht um einen laufenden, sondern vielmehr um einen einmaligen Zuschlag, da
nach § 193 Abs. 4 VVG der Prämienzuschlag nur einmalig zusätzlich zur laufenden Prämie erhoben werde. Es bestehe im Übrigen auch kein Anordnungsgrund,
da es die Beschwerdegegnerin selbst in der Hand habe, mit der D. eine Stundung nach § 193 Abs. 4 Satz 5 VVG, wie dies die D. mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 bereits sinngemäß angeboten habe, zu vereinbaren, so dass keine weiteren
Beitragsrückstände aufgebaut würden.
Der Beschwerdeführer beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 8. Dezember 2011 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung abzulehnen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie tritt der erstinstanzlichen Entscheidung bei und trägt ergänzend vor, dass für sie keine Verpflichtung bestehe, einen
Rechtsstreit gegen die D. wegen der Erhebung des Zusatzbeitrages zu führen. Es sei auch nicht ersichtlich, warum sie bei der
D. Ratenzahlungen beantragen solle, da dies indizieren würde, dass sie verpflichtet sei, die entsprechenden Beitragszuschläge
für Unversicherte zu zahlen. Es bestehe in Bezug auf die Erhebung von Beitragszuschlägen für Nichtversicherte zumindest in
Bezug auf denjenigen Personenkreis, der berechtigt sei, Leistungen nach dem SGB II zu beziehen, eine gesetzliche Regelungslücke.
Es könne nicht gesetzgeberischer Sinn gewesen sein, einerseits Hilfebedürftigen nach dem SGB II die Pflicht zur Beitragszahlung
abzunehmen und andererseits ihm wiederum die Pflicht aufzuerlegen, Beitragszuschläge für Nichtversicherte zu entrichten. Sie
- die Beschwerdegegnerin - habe es aus Scham lange Zeit vermieden, einen Antrag auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen
nach dem SGB II zu stellen und - aufgrund der fehlenden Krankenversicherung - ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze,
die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beschwerdeführers Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung
und Entscheidungsfindung.
II. Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Das SG hat mit seinem angefochtenen Beschluss vom 8. Dezember 2011 zu Unrecht entschieden, dass die Beschwerdegegnerin die Voraussetzungen
für den Erlass einer einstweiligen Anordnung glaubhaft gemacht habe. Der Senat hat bereits Zweifel, ob die Voraussetzungen
für die Annahme eines Anordnungsgrundes vorliegen. Jedenfalls fehlt es entgegen der Auffassung des SG an einem Anordnungsanspruch für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass
einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, das heißt des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger
Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, das heißt die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung
aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, voraus. Können ohne die Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren
nicht mehr zu beseitigen wären, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende regelmäßig
der Fall ist, weil der elementare Lebensbedarf für die Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt
ist, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige
Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes
orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5, 237) Die Folgenabwägung ist daran ausgerichtet, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern,
auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Sicherung des Existenzminimums (verwirklicht durch Leistungen
der Grundsicherung für Arbeitsuchende) ist eine grundgesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne, da die Sicherung eines menschenwürdigen
Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates ist, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde und aus dem Sozialstaatsprinzip
folgt. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung).
Gemessen an diesen Voraussetzungen ist bereits zweifelhaft, ob der Beschwerdegegnerin ein Anordnungsgrund zur Seite steht.
Das SG hat zwar insoweit zutreffend ausgeführt, dass die D. mit Schreiben vom 4. Mai 2011 das Ruhen der Leistungen aus der Krankenversicherung
im Sinne des § 193 Abs. 6 VVG festgestellt hat und insoweit für einen nicht absehbaren Zeitraum der Krankenversicherungsschutz ruht und damit auf eine
Notversorgung beschränkt ist. Allerdings hat die Beschwerdegegnerin es letztlich selbst in der Hand, das Ende des Ruhens der
Krankenversicherung durch Vereinbarung einer Stundungsvereinbarung mit der D. im Sinne des § 193 Abs. 4 Satz 5 VVG herbeizuführen. Nach dieser Vorschrift kann der Versicherungsnehmer vom Versicherer die Stundung des Prämienzuschlages verlangen,
wenn ihn die sofortige Zahlung ungewöhnlich hart treffen würde und den Interessen des Versicherers durch die Vereinbarung
einer angemessenen Ratenzahlung Rechnung getragen werden kann. Bereits mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 hatte die D. der
Beschwerdegegnerin den Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung angeboten. Soweit die Beschwerdegegnerin meint, eine Ratenzahlung
indiziere, dass sie verpflichtet sei, den Beitragszuschlag für Unversicherte zu zahlen, hält dies der Senat zumindest für
zweifelhaft. Der Beschwerdegegnerin bleibt es unbenommen, die Ratenzahlung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht oder unter
dem Vorbehalt einer späteren rechtlichen Klärung zu leisten und gegen die Forderung der D. Rechtsschutz vor den Zivilgerichten
in Anspruch zu nehmen.
Dies kann im Ergebnis jedoch offenbleiben, da die Beschwerdegegnerin zumindest keinen Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft
gemacht hat.
Das SG hat insoweit zunächst zutreffend ausgeführt, dass es außer für die laufenden Zahlungen für den hälftigen Basistarif für weitere
Zahlungen keine Anspruchsgrundlage für das Begehren der Beschwerdegegnerin besteht.
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 18. Januar 2011 - B 4 AS 108/10 R) kann ein privat krankenversicherter Bezieher von Arbeitslosengeld (Alg) II-Leistungen die Übernahme seiner unterhalb des
hälftigen Höchstbetrags zur gesetzlichen Krankenversicherung liegenden Beiträge zur privaten Krankenversicherung im Wege einer
analogen Anwendung der für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Personen geltenden Regelung von
dem SGB II-Leistungsträger beanspruchen. § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung (bzw.
ab 1. April 2011 § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II) enthält nach Auffassung des BSG eine planwidrige Regelungslücke, da hierdurch
die Höhe des Beitragssatzes für Bezieher von Arbeitslosengeld II beschränkt ist. Dies führt nach Ansicht des BSG zu einer
nicht gerechtfertigten "Beitragslücke", die durch eine analoge Anwendung des § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 1 SGB II zu
füllen sei, wonach für Bezieher von Alg II für die Dauer des Leistungsbezugs der Beitrag zur freiwilligen Krankenversicherung
ohne höhenmäßige Begrenzung übernommen werden muss. Der Grundsicherungsträger nach dem SGB II ist daher verpflichtet, die
Beiträge zur privaten Krankenversicherung bis zur Hälfte des Basistarifes in vollem Umfang zu übernehmen (die andere Hälfte
darf der Versicherer nach § 12 Abs. 1 c Versicherungsaufsichtsgesetz - VAG - von Leistungsempfängern nach dem SGB II nicht
verlangen). Denn nach der gesetzlichen Konzeption des SGB II sollen Bezieher von Leistungen nach dem SGB II umfassenden Krankenversicherungsschutz
genießen, ohne mit Beiträgen belastet zu sein. Demgemäß sind nach §
5 Abs.
1 Nr.
2a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) Personen in der Zeit, für die sie Alg II nach dem SGB II nicht nur darlehensweise beziehen und auch nicht familienversichert
sind, versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ihnen stehen die Leistungen nach dem
SGB V in vollem Umfang zu, ohne dass sie selbst Krankenversicherungsbeiträge zahlen müssen, da gemäß §
251 Abs.
4 SGB V deren Beiträge der Bund trägt. Die Versicherungspflicht gilt allerdings nach dem seit dem 1. Januar 2009 geltenden §
5 Abs.
5a Satz 1
SGB V, eingefügt durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 378), nicht, wenn der Leistungsbezieher unmittelbar vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II privat krankenversichert oder - wie
hier die Beschwerdegegnerin - weder gesetzlich noch privat krankenversichert war und zu dem Personenkreis des §
5 Abs.
5a SGB V genannten Personen gehört.
Der Gesetzgeber wollte mit diesem Regelungskonzept eines "bezahlbaren Basistarifs" zum einen Kostenrisiken für die Allgemeinheit
durch verspätete oder unterlassene Versicherungen vermeiden und zum anderen einen Versicherungsschutz für alle in der Bundesrepublik
Deutschland lebenden Menschen zu bezahlbaren Konditionen sicherstellen (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss
vom 16.08.2011 - L 7 AS 1953/11 ER-B -). Für den von §
5 Abs.
5a Satz 1
SGB V umfassten Personenkreis enthält §
26 Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung (ab 01. April 2011 § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II) eine Regelung zur
Übernahme von Beiträgen zu einer privaten Krankenversicherung dergestalt, dass § 12 Abs. 1c Satz 5 und 6 VAG gilt. Diesem
Verweis in § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung (ab 01. April 2011: § 26 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 SGB II) auf § 12 Abs. 1c Satz 5 und 6 VAG kommt nach Ansicht des BSG (Urteil vom 18. Januar 2011 - B 4 AS 108/10 R) nicht nur eine formale, sondern eine materiell-rechtlich begrenzende Wirkung zu, weil in § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB
II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung (ab 01.04.2011: § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II) auch die Verpflichtung
des SGB II-Trägers zur Kostentragung gesetzlich fixiert ist. Dies zeigt, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, dass der Gesetzgeber zum einen mit Einführung des Basistarifs einen bezahlbaren ausreichenden
Krankenversicherungsschutz für alle in Deutschland lebenden Menschen sicherstellen und zum anderen bei Beziehern von SGB II-Leistungen
eine Überforderung des SGB II-Trägers mit Beitragsleistungen vermeiden wollte. Da ausreichender Krankenversicherungsschutz
durch den Basistarif gewährleistet wird, erscheint es auch nach Auffassung des erkennenden Senats konsequent, dass der SGB
II-Träger in Anwendung der Regelungen in § 12 Abs. 1c Satz 4 bis 6 VAG einen Zuschuss lediglich bis zur Höhe des hälftigen
Basistarifs zu leisten hat.
Entgegen der Auffassung des SG folgt ein Anspruch der Beschwerdegegnerin nicht aus einer (analogen) Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung. Soweit das SG auf die ab dem 01. April 2011 geltende Fassung abgestellt hat, ist dies insoweit unzutreffend, weil die Beschwerdegegnerin
ihren Antrag bereits mit Schreiben vom 22. März 2011 bei dem Beschwerdeführer gestellt hat; in der Sache ändert dies jedoch
nichts, da sich an dem Wortlaut der Vorschriften nichts geändert hat. Nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II wird bei Leistungsberechtigten
ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht.
Der Mehrbedarf ist nach Satz 2 unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung
von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen
Bedarf abweicht. Die Voraussetzungen des § 21 Abs. 6 SGB II liegen nicht vor.
Bei dem Beitragszuschlag für Nichtversicherung handelt es sich bereits nicht um einen laufenden Bedarf im Sinne des § 21 Abs.
6 SGB II, sondern vielmehr um einen einmaligen Bedarf. Mit dem Verweis auf einen laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf wird
der Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II von dem Darlehen für unabweisbare Bedarfe nach § 24 Abs. 1 SGB II abgegrenzt. Das BVerfG
ist in seiner Entscheidung vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) von der Annahme ausgegangen, dass nur einmalig auftretende "Bedarfsspitzen" über diese Darlehensregelung erfasst werden
können (vgl. Behrend in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 21, Rn. 79). Ein laufender Bedarf liegt vor, wenn es sich um einen
regelmäßig wiederkehrenden, dauerhaften, längerfristigen Bedarf handelt (vgl. BT-Drs. 17/1465, S. 9; Behrend, aaO., Rn. 80).
Gemessen an diesen Vorgaben handelt es sich schon deswegen um einen einmaligen und nicht laufenden Bedarf der Beschwerdegegnerin,
weil der Prämienzuschlag nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 193 Abs. 4 Satz 4 VVG lediglich einmalig zusätzlich zur laufenden Prämie zu entrichten ist.
Soweit das SG ausführt, dass nach dem Sinn und Zweck des § 21 Abs. 6 SGB II die Vorschrift so zu verstehen sei, dass (auch) laufende Bedarfe aus einem in der Vergangenheit liegenden,
abgeschlossenen Zeitraum erfasst würden, folgt der Senat dem nicht.
Zur Klarstellung weist der Senat auf Folgendes hin: § 21 Abs. 6 SGB II kann zunächst nicht (analog) auf Fallgestaltungen angewandt
werden, die vor ihrem Inkrafttreten liegen. Der Gesetzgeber hat erst mit Wirkung zum 3. Juni 2010 eine Rechtsgrundlage für
eine gesetzliche Härtefallregelung in § 21 Abs. 6 SGB II geschaffen (BGBl. I 2010, 671). Die Allianz hat jedoch Beitragszuschläge nach § 193 Abs. 4 Satz 1 VVG erhoben und dabei einen Verspätungszuschlag für den Zeitraum von September 2009 bis Dezember 2010 zugrunde gelegt. Sofern
das SG daher einen laufenden Bedarf für die Vergangenheit, also für die Zeit von September 2009 bis Dezember 2010 angenommen hat,
hätte es folgerichtig für den Zeitraum ab dem 9. Februar 2010 auf die von Seiten des BVerfG in seiner Entscheidung vom 9.
Februar 2010 (Az.: 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) entwickelten Grundsätze abstellen müssen. Darin hat das BVerfG ausgeführt, dass es mit Art.
1 Abs.
1 i.V.m. Art.
20 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) unvereinbar sei, dass im SGB II eine Regelung fehle, die einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines zur Deckung
eines menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs vorsehe. Gleichzeitig
hat das BVerfG angeordnet, dass zur Vermeidung der Gefahr einer Verletzung von Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. Art.
20 Abs.
1 GG in der Übergangszeit bis zur Einführung einer entsprechenden Härteklausel die verfassungswidrige Lücke für die Zeit ab Verkündung
des Urteils durch eine entsprechende Anordnung des BVerfG geschlossen werden müsse. In einem weiteren Beschluss vom 24. März
2010 1 (Az.: 1 BvR 395/09) hat das BVerfG betont, dass die Härteregelung nicht rückwirkend für Zeiträume vor Verkündung des Urteils gelte. Für Zeiträume
vor dem 09. Februar 2010 hätte das SG daher auf § 73 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) zurückgreifen müssen. Denn für Zeiträume vor der Entscheidung des BVerfG vom
09. Februar 2010 und dem Inkrafttreten der Härteregelung am 03. Juni 2010 verbleibt es bei der Heranziehung des § 73 SGB XII
als möglicher Rechtsgrundlage für eine Leistungsgewährung aufgrund einfachgesetzlicher Grundlage, wenn eine "sog. atypische
besondere Bedarfslage" vorliegt (vgl. hierzu Behrend in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 21, Rn. 75).
Entgegen der Auffassung des SG handelt es sich indessen nicht um einen laufenden Bedarf aus einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum. Denn nach § 193 Abs. 4 Satz 4 VVG ist der Prämienzuschlag einmalig zusätzlich zur laufenden Prämie zu entrichten, das heißt, es handelt sich gerade um einen
aktuellen und nicht um einen in der Vergangenheit liegenden Bedarf.
Die Beschwerdegegnerin hat schließlich auch keinen Anspruch auf ein Darlehen in Höhe des begehrten Betrages nach § 24 Abs.
1 Satz 1 SGB II. Nach dieser Vorschrift kommt die Gewährung eines Darlehens nur dann in Betracht, wenn im Einzelfall ein vom
Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden
kann. Bei dem Prämienzuschlag nach § 193 Abs. 4 VVG handelt es sich jedoch nicht um einen vom Regelbedarf umfassten Bedarf (siehe auch Schwabe, ZfF 2011, 97 ff.).
Nach alledem fehlt es - wie ausgeführt - an einer Anspruchsgrundlage für das Begehren der Beschwerdegegnerin. Die Beschwerdegegnerin
ist daher gehalten, von der D. die Stundung des Prämienzuschlages zu verlangen, wie dies § 193 Abs. 4 Satz 5 VVG vorsieht, zumal die D. der Beschwerdegegnerin bereits mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 eine Ratenzahlungsvereinbarung vorgeschlagen
hatte, und/oder den Zivilrechtsweg gegen die D. im Hinblick auf den Prämienzuschlag zu beschreiten.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, §
177 SGG.