Vorläufige Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt für einen kosovarischen Staatsangehörigen
Erlaubnis zur Beschäftigungsaufnahme
Fiktionsbescheinigung nach dem Aufenthaltsgesetz
Unklare aufenthaltsrechtliche Lage
Gründe:
I.
Die im Februar 1997 geborene Antragstellerin ist kosovarischer Staatsangehörigkeit und war am 17. Februar 2012 als unbegleitete
Minderjährige nach Deutschland eingereist. Am 21. Mai 2012 wurde sie von der Polizei in Ritterhude aufgegriffen und gab in
einem Gespräch mit der Dolmetscherin an, dass sie "verheiratet" worden sei, unter dem Druck stehe, möglichst schnell schwanger
werden zu müssen und sexuellen Übergriffen und Gewalttätigkeiten ihres "Ehemannes" und dessen Familie ausgesetzt sei. Sie
habe keine Papiere, bei der Einreise nach Deutschland habe sie sich als Schwester ihres "Mannes" ausgeben müssen und wolle
zurück in den Kosovo.
In der Folgezeit wurde die Antragstellerin unter die Amtsvormundschaft des Jugendamts gestellt und in verschiedenen Kinder-
und Jugendschutzeinrichtungen in Osterholz, Wilhelmshaven, Aurich und Münster-Hiltrup untergebracht. Ein im Oktober 2012 gestellter
Asylantrag wurde mit Bescheid vom 25. Dezember 2012 abgelehnt. Nachdem die Antragstellerin zunächst befristete Duldungen nach
§ 60 a Abs. 1 Aufenthaltsgesetz erhalten hatte, wurde ihr am 13. Februar 2013 eine bis zum 10. Februar 2015 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt. Seither ist sie im Besitz von Fiktionsbescheinigungen, zuletzt befristet bis 15. November 2015, die verbunden sind
mit den Regelungen: "Wohnsitznahme Stadt Wilhelmshaven" und "die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist nicht gestattet".
Jedenfalls seit März 2015 hält sich die Antragstellerin bei ihrem ebenfalls kosovarischen "Verlobten" C. (im Folgenden: Verlobter)
in Seesen auf, wo sie zwischenzeitlich auch ordnungsbehördlich gemeldet ist, und lebt dort im Haushalt dessen im Leistungsbezug
nach dem SGB II bzw.
AsylbLG stehender Familie. Da sie von ihrem Verlobten ein Kind erwartete und deshalb beabsichtigte, weiter in Seesen zu wohnen, beantragte
die Antragstellerin bei der Stadt Wilhelmshaven die Streichung der Wohnsitzauflage. Diesen Antrag lehnte die Stadt Wilhelmshaven
mit Bescheid vom 2. Juni 2015 ab mit der Begründung, das Ausländeramt des Antragsgegners habe mit Schreiben vom 4. Mai 2015
einem Umzug nicht zugestimmt, weil dieser weder der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit einem aufenthaltsberechtigten
Ehepartner oder minderjährigen Kindern diene, noch die Antragstellerin pflegebedürftig oder für die Pflege aufenthaltsberechtigter
naher Angehöriger unabdingbar sei. Gegen diesen Bescheid ist ein Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg anhängig
(11 A 2538/15).
Am 20. März 2015 beantragte die Antragstellerin unter Hinweis auf ihre Mittellosigkeit und die bestehende Schwangerschaft
bei der Beigeladenen zu 1 und dem Antragsgegner die Gewährung existenzsichernder Leistungen. Der Antragsgegner verwies auf
die Zuständigkeit des Beigeladenen zu 2, der wiederum die Antragsunterlagen an die Asylbewerberleistungsabteilung der Beigeladenen
zu 1 weiterleitete. Die Antragstellerin stellte daraufhin am 8. April 2015 bei dem Sozialgericht (SG) Oldenburg einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Ziel, die Beigeladene zu 1 (dortige Antragsgegnerin)
zur Gewährung vorläufiger Leistungen zu verpflichten (S 32 SO 58/15 ER). Das SG Oldenburg verwies das Verfahren mit Beschluss
vom 13. April 2015 an das SG Braunschweig (S 32 SO 52/15 ER). Im Hinblick auf die ausstehende Entscheidung zur Streichung
der Wohnsitzauflage gab der Antragsgegner mit Schreiben vom 4. Mai 2015 für den Monat Mai 2015 ein Anerkenntnis ab und sagte
darüber hinaus die Gewährung von Leistungen nach § 50 SGB XII (Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft) zu, worauf die Antragstellerin das Verfahren für erledigt erklärte. Ein Leistungsbescheid
des Antragsgegners für den Monat Mai erging am 12. Mai und für den Monat Juni am 24. Juni 2015. Die Gewährung weiterer Leistungen
für die Zeit ab Juli 2015 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 29. Juni 2015 ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch
mit Widerspruchsbescheid vom 27. August 2015 zurück. Ein Klageverfahren ist vor dem SG anhängig (S 32 SO 124/15).
Am 1. Juli 2015 hat die Antragstellerin bei dem SG Braunschweig erneut die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt
mit dem Ziel einer vorläufigen Leistungsverpflichtung des Antragsgegners. Das SG hat die Stadt Wilhelmshaven und das Jobcenter Goslar zum Verfahren beigeladen und mit Beschluss vom 20. Juli 2015 den Antragsgegner
im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch
gegen den Bescheid vom 29. Juni 2015 Hilfe bei Krankheit und Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft zu gewähren und den
Antrag im Übrigen abgelehnt. An dem Bestehen eines Leistungsanspruchs dem Grunde nach bestehe kein Zweifel. Unter Berücksichtigung
von Art.
6 Abs.
4 GG sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Zuständigkeitsstreit der beteiligten Sozialleistungsträger auf dem Rücken der Antragstellerin
ausgetragen werde. Der Antragsgegner sei für die Leistungsgewährung örtlich zuständig, denn die Antragstellerin halte sich
in dessen Zuständigkeitsbereich dauerhaft auf. Eine Leistungspflicht der Beigeladenen zu 1 scheide deshalb aus. Eine Leistungspflicht
des Beigeladenen zu 2 komme ebenfalls nicht in Betracht, weil der Antragstellerin ausländerrechtlich eine Beschäftigungsaufnahme
untersagt sei. Der Antragsgegner sei vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen der Hilfe bei Krankheit und bei
Schwangerschaft und Mutterschaft zu gewähren, denn diese Leistungen seien nach § 23 Abs. 5 Satz 1 SGB XII unabweisbar geboten und damit trotz Verstoßes der Antragstellerin gegen die Wohnsitzauflage zu gewähren, zumal die gerade
volljährig gewordene Antragstellerin mit großer Wahrscheinlichkeit in Wilhelmshaven hoffnungslos überfordert sei, denn es
sei ihr selbst mit staatlichen Hilfen bis zur Volljährigkeit nicht gelungen, im Raum Wilhelmshaven ein sicheres Leben zu führen.
Eine darüber hinausgehende Leistungsverpflichtung bestehe nicht, denn hinsichtlich der laufenden Kosten, insbesondere von
Verpflegung und Unterkunft, fehle es an einem Anordnungsgrund, weil die Antragstellerin in die Familie des Verlobten aufgenommen
worden sei und die entsprechenden Leistungen von dort erhalten.
Gegen den ihr am 23. Juli 2015 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 17. August 2015 Beschwerde eingelegt. Die
Familie des Verlobten, die selbst von Leistungen nach dem
AsylbLG bzw. dem SGB II lebe, sei nicht in der Lage, der Antragstellerin und dem mittlerweile am 20. Oktober 2015 geborenen Sohn freie Kost und Logis
zu gewähren, sondern habe unter Gefährdung des eigenen Existenzminimums lediglich Unterstützungsleistungen als Überbrückung
gewährt. Die Führung der familiären Lebensgemeinschaft in Wilhelmshaven sei dem Kindesvater, der im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis
nach § 25 a Aufenthaltsgesetz sei und in Seesen seit dem 1. August 2015 eine Ausbildung zum Verkäufer absolviere, die voraussichtlich zum 31. Juli 2017
beendet sei, nicht zumutbar.
Der Antragsgegner hat den Beschluss des SG mit Bescheid vom 30. Juli 2015 umgesetzt, hält sich jedoch weiterhin für nicht zuständig, soweit die begehrten Leistungen
über das unabweisbar Gebotene nach § 23 Abs. 5 SGB XII hinausgehen. Die Antragstellerin sei in der Lage, sich selbst zu helfen, indem sie der Wohnsitzauflage nachkomme, ihren Wohnsitz
in Wilhelmshaven nehme und bei der dort zuständigen Beigeladenen zu 1 Leistungen beantrage, was ihr auch zumutbar sei.
Unabhängig davon stehe die erteilte Auflage "Erwerbstätigkeit nicht gestattet" mit geltendem Recht nicht im Einklang, denn
die Aufenthaltserlaubnis der Antragstellerin sei nach Abschnitt 5 des AufenthG erteilt worden und § 31 der Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern (BeschV) normiere, dass dann die Erteilung einer Erlaubnis zur Beschäftigung keiner Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit bedürfe.
Die Antragstellerin stehe dem Arbeitsmarkt vollumfänglich zur Verfügung und könne jederzeit eine Beschäftigung aufnehmen,
die ihr ausländerrechtlich zu gestatten sei. Damit sei sie vorrangig leistungsberechtigt nach dem SGB II.
Die Beigeladenen sehen ihre Zuständigkeit ebenfalls nicht als gegeben an.
Der Verlobte hat die Vaterschaft für das am 20. Oktober 2015 geborene Kind am 29. Oktober 2015 beim Standesamt Seesen anerkannt,
die Eltern haben am 10. November 2015 gegenüber dem Jugendamt des Antragsgegners erklärt, die elterliche Sorge gemeinsam ausüben
zu wollen, und eine Aufenthaltserlaubnis für das Kind beantragt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakte des
Antragsgegners sowie die Gerichtsakte zu dem Verfahren S 32 SO 52/15 ER Bezug genommen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§§
172,
173 SGG) Beschwerde der Antragstellerin ist in dem tenorierten Umfang begründet. Die Antragstellerin hat über die vom SG im Wege einer einstweiligen Anordnung bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 29. Juni 2015
zugesprochenen Hilfen bei Krankheit, Schwangerschaft und Mutterschaft hinaus einen vorläufigen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt
in Höhe der Regelleistung zuzüglich eines Mehrbedarfs für Schwangere glaubhaft gemacht. Die Leistungen sind auch nach Erlass
des Widerspruchsbescheides vom 27. August 2015 vorläufig bis zunächst 31. März 2016 weiter zu gewähren. Darüber hinaus gehende
Ansprüche sind nicht glaubhaft gemacht.
Einstweilige Anordnungen sind nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung
zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass
ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass
der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit
eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 ZPO).
Nach diesen Maßgaben hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch auf lebensunterhaltssichernde Leistungen nach dem Dritten
Kapitel des SGB XII sowie einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Die Antragstellerin ist nicht vorrangig leistungsberechtigt nach dem
AsylbLG (§ 23 Abs. 2 SGB XII), denn sie gehört nicht zum Kreis der leistungsberechtigten Personen nach §
1 AsylbLG, weil ihr ursprünglich eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt wurde, die in §
1 Abs.
1 Nr.
3 AsylbLG nicht aufgeführt ist und die gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG bis zu einer Entscheidung der Ausländerbehörde über die rechtzeitig vor Ablauf beantragte Verlängerung oder Erteilung eines
anderen Aufenthaltstitels als fortbestehend gilt, was durch die auf der Grundlage des § 81 Abs. 5 AufenthG erteilte Fiktionsbescheinigung dokumentiert ist.
Der Senat kann in diesem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht endgültig klären, ob die Antragstellerin vorrangig
leistungsberechtigt nach dem SGB II ist (§ 21 Satz 1 SGB XII) und damit die Zuständigkeit des Beigeladenen zu 2 begründet wäre, denn die aufenthaltsrechtliche Lage ist unklar und die
Ausländerakten der Beigeladenen zu 1 liegen nicht vor.
Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II Personen, die erwerbsfähig sind. Nach § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die Geburt ihres Sohnes und der derzeit
bestehende Mutterschutz steht einer dem Grunde nach bestehenden Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin nicht entgegen, denn
dabei handelt es sich lediglich um eine zeitliche Beschränkung (vgl. Hackethal in: jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 8 Rn. 17). Gemäß § 8 Abs. 2 SGB II können im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II Ausländerinnen und Ausländer jedoch nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt
werden könnte. Die rechtliche Möglichkeit, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustimmung nach § 39 Aufenthaltsgesetz aufzunehmen, ist ausreichend. Erlaubt ist die Aufnahme einer Beschäftigung für Drittstaatenangehörige, wenn der Aufenthaltstitel
zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit berechtigt (vgl. Hackethal, aaO., § 8 Rn. 31), während ein ausdrückliches Verbot der Erwerbstätigkeit
im Aufenthaltstitel, z.B. mit der Nebenbestimmung "Erwerbstätigkeit nicht erlaubt", ein Hinweis dafür ist, dass auch keine
abstrakt-generelle Möglichkeit der Erlaubniserteilung besteht. In den Fällen, dass der Ausländer im Besitz einer Fiktionsbescheinigung
i.S.d. § 81 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 AufenthG ist, ist davon auszugehen, dass die Erwerbstätigkeit nicht gestattet ist, sofern die Fiktionsbescheinigung nicht ohnehin
eine Nebenbestimmung enthält, die die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausdrücklich nicht gestattet (vgl. Hackethal, aaO.,
§ 8 Rn. 33).
Mit Blick auf das zusammen mit der Erteilung der Fiktionsbescheinigung ausgesprochene Verbot, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen,
spricht vieles dafür, dass die Antragstellerin nicht erwerbsfähig i.S.d. § 8 SGB II ist. Die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis für die Antragstellerin bedarf zwar, da sich die Fiktionswirkung (§ 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) auf eine nach Abschnitt 5 des AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis bezieht, keiner Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit (§ 31 BeschV). Dies dürfte aber die Befugnis der Ausländerbehörde, über die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu entscheiden, nicht aufheben
(vgl. § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG). Im Übrigen hat die Antragstellerin - soweit ersichtlich - das verfügte Verbot einer Erwerbstätigkeit nicht angefochten.
Einer endgültigen Entscheidung hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin bedarf es im Rahmen dieses ER-Verfahrens
nicht, denn der Antragsgegner ist jedenfalls als erstangegangener Leistungsträger nach §
43 Abs.
1 Satz 2
SGB I zur vorläufigen Leistung verpflichtet.
Der Antragsgegner ist erstangegangener Leistungsträger, denn die Antragstellerin hat dort bereits am 20. März 2015 (zeitgleich
mit der Antragstellung bei der Beigeladenen zu 1) einen Leistungsantrag gestellt. Die Antragstellerin, die weder über eigenes
Einkommen noch über Vermögen verfügt, hat einen Anspruch auf Sozialleistungen, der dem Grunde nach zwischen den Beteiligten
auch nicht streitig ist. Sie ist von Leistungen weder nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II noch nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen, denn sie ist nicht eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen und ihr Aufenthaltsrecht ergibt sich auch nicht
allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. Die Frage der endgültigen Zuständigkeit mag deshalb im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens
bzw. eines Erstattungsstreitverfahrens zwischen dem Antragsgegner und dem Beigeladenen zu 2 geklärt werden.
Der Antragsgegner ist für die hier von der Antragstellerin begehrten Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt sachlich und
örtlich zuständig. Die sachliche Zuständigkeit des Antragsgegners als örtlicher Träger der Sozialhilfe ergibt sich aus § 97 Abs. 1 SGB XII, denn eine vorrangige Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers besteht nicht. Die örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners
folgt aus § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, denn die Antragstellerin hält sich tatsächlich in Seesen und damit im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners
auf. Im Übrigen ergibt sich die örtliche Zuständigkeit der Antragstellerin auch aus § 23 Abs. 5 SGB XII. Danach besteht in den Fällen des Zuwiderhandelns gegen eine ausländerrechtliche räumliche Beschränkung jedenfalls gegenüber
dem Ausländer (im Außenverhältnis) eine auf das unabweisbar Gebotene gerichtete Leistungspflicht der Behörde seines tatsächlichen
Aufenthaltsorts (vgl. ausführlich zu der ähnlich gefassten Vorschrift des §
11 Abs.
2 AsylbLG: Senatsbeschluss vom 20. Februar 2014 - L 8 AY 98/13 B ER - juris Rn. 22 ff)
Eine Zuständigkeit der Beigeladenen zu 1 scheidet danach aus, denn es fehlt bereits an deren örtlicher Zuständigkeit. Eine
dem §
10a Abs.
1 Satz 1
AsylbLG vergleichbare Vorschrift existiert im SGB XII nicht. Ein möglicher Verstoß der Antragstellerin gegen die in der Fiktionsbescheinigung enthaltene Wohnsitzauflage vermag
an der örtlichen Zuständigkeit nichts zu ändern (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. Mai 2015 - L 12 AS 573/15 B ER - juris Rn. 21).
Nach Aktenlage spricht einiges dafür, dass es sich bei der vor dem VG Oldenburg am 1. Juli 2015 erhobenen Klage auf Streichung
der Wohnsitzauflage in der Fiktionsbescheinigung um eine Anfechtungsklage handelt und diese nach §
80 Abs.
1 Satz 1
VwGO aufschiebende Wirkung hat, weil die isolierte Anfechtung der Wohnsitzauflage nicht zu den in §
80 Abs.
2 Satz 1 Nr.
3 VwGO i. V. m. § 84 Abs. 1 AufenthG geregelten Fällen zählt, in denen die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Eine fiktive Erlaubnis ist
ebenso beschränkbar wie der fiktiv fortgeltende Aufenthaltstitel selbst, hier die ursprüngliche Aufenthaltserlaubnis nach
§ 25 Abs. 3 AufenthG, denn sie erfüllt eine ähnliche Funktion wie ein Aufenthaltstitel und kann deshalb auch nachträglich befristet oder mit Bedingungen
und Auflagen versehen werden (vgl. Samel in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013 § 81 AufenthG Rn. 15, Dienelt, aaO. § 12 Rn. 31). Gegen eine Bedingung oder modifizierte Auflage (als inhaltliche Beschränkung des Aufenthaltstitels) sind bei Ersterteilung
wie bei Verlängerung Verpflichtungswiderspruch und -klage gegeben, gerichtet auf Erteilung des Aufenthaltstitels ohne Bedingung
oder Auflage, angefochten werden kann dagegen eine gleichzeitig mit dem Aufenthaltstitel oder zuvor verfügte (selbstständige)
Auflage im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG (vgl. Dienelt, aaO., § 12 Rn. 61). Ob bereits die der Antragstellerin ursprünglich erteilte Aufenthaltserlaubnis mit einer Wohnsitzauflage verbunden
war, ist nicht ersichtlich, da weder die Aufenthaltserlaubnis noch die Ausländerakten der Antragstellerin vorliegen. Angesichts
der aufenthaltsrechtlich sicher rechtmäßigen Unterbringung der Antragstellerin in wechselnden Jugendhilfeeinrichtungen ist
jedoch davon auszugehen, dass die ursprüngliche Aufenthaltserlaubnis nicht mit einer Wohnsitzauflage verbunden gewesen ist.
Soweit die vor dem VG erhobene Klage als Anfechtungsklage auszulegen ist, wäre diese jedenfalls nicht verfristet, denn die
Fiktionsbescheinigung war, soweit ersichtlich, nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen mit der Folge, dass die Jahresfrist
nach §
58 Abs.
2 VwGO maßgeblich ist, die bei Klageerhebung noch nicht abgelaufen war.
Der Senat hat in diesem Verfahren nicht darüber zu entscheiden, ob die verfügte Wohnsitzauflage auf der Grundlage des § 12 Abs. 2 AufenthG rechtmäßig ist. Danach kann eine Aufenthaltserlaubnis mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung verbunden
werden. Eine danach im Ermessen der zuständigen Behörde stehende Wohnsitzauflage ist zwar keine räumliche Beschränkung i.S.v.
§ 12 Abs. 2 AufenthG, sondern ordnet lediglich eine Residenzpflicht an und lässt - anders als eine räumliche Beschränkung - die Freizügigkeit
im Bundesgebiet im Übrigen unberührt; weil die Wohnsitzauflage insoweit mit einem geringeren Eingriff verbunden ist als eine
räumliche Beschränkung, ist sie aber erst recht grundsätzlich zulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 2008 - 1 C 17.07 - juris Rn. 13; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. November 2013 - 18 A 1291/13 - juris.)
Hat die Klage der Antragstellerin aufschiebende Wirkung, ist die Wohnsitzauflage bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung
über deren Aufhebung unbeachtlich. Zwar mag ein gegen die Wohnsitzauflage eingelegtes Rechtsmittel nicht die Wirksamkeit der
Wohnsitzauflage berühren, weil ein von Anfang an nur mit der verfügten Wohnsitzbeschränkung gestatteter Aufenthalt auch nur
in diesem Umfang rechtmäßig ist; die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels verhindert aber die Vollziehung der Auflage (vgl.
BVerwG, EuGH-Vorlage vom 19. August 2014 - 1 C 3/14 - juris Rn. 17). Solange die Wohnsitzauflage aber nicht vollziehbar ist, kann sie auch keine Verpflichtung zur Wohnsitznahme
in einem bestimmten Bezirk begründen.
Ein Leistungsanspruch der Antragstellerin folgt dann unmittelbar aus § 23 Abs. 1 Satz 1, § 27 Abs. 1, § 27 a Abs. 1 Satz 1 SGB XII und umfasst den nach § 27a Abs. 3 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) maßgeblichen Regelsatz nach Regelbedarfsstufe (RBS) 3 zuzüglich eines bis zur Geburt
des Sohnes bestehenden Mehrbedarfs von 17 vom 100 für werdende Mütter nach § 30 Abs. 2 SGB XII sowie Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII und Hilfe für Schwangerschaft und Mutterschaft nach § 50 SGB XII.
Selbst wenn der Klage gegen die Wohnsitzauflage keine aufschiebende Wirkung zukommt, hat die Antragstellerin einen Anspruch
auf die Gewährung von Leistungen glaubhaft gemacht, die sich der Höhe nach an den zuvor genannten Vorschriften orientieren.
Rechtsgrundlage für die Leistungsgewährung ist dann § 23 Abs. 5 Satz 1 SGB XII. Danach darf in den Teilen des Bundesgebiets, in denen sich Ausländer einer ausländerrechtlichen räumlichen Beschränkung
zuwider aufhalten, der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständige Träger der Sozialhilfe nur die nach den Umständen unabweisbar
gebotene Leistung erbringen. Unabweisbar geboten sind im Regelfall lediglich Leistungen für die (Rück-) Reise an den aufenthaltsrechtlich
erlaubten Ort (Birk, in: LPK-SGB XII, 8. A. 2008, § 23 Rn. 32). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn Gründe vorliegen, die einen Verbleib am Ort des tatsächlichen Aufenthalts zwingend
erfordern oder eine Rückkehr in das Gebiet der räumlichen Beschränkung unzumutbar erscheinen lassen; in diesen Fällen kann
die unabweisbar gebotene Hilfe auch weitergehende Leistungen umfassen, die bis zu den regulären Leistungen reichen können
(vgl. zu der ähnlich gefassten Vorschrift des §
11 Abs.
2 AsylbLG: Beschlüsse des Senats vom 20. Februar 2014 - aaO. - juris Rn. 37 und vom 27. Mai 2011 - L 8 AY 31/11 B ER - juris Rn. 10
m.w.N; zu der Vorgängervorschrift des § 120 Abs. 5 BSHG: OVG Berlin, Beschluss vom 30. Mai 1997 - 6 S 14.97 - juris Rn. 5; BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2001 - 1 BvR 781/98 - juris Rn. 25). Eine Beschränkung der Leistungen auf die Rückreisekosten kommt nach der Rechtsprechung nicht in Betracht
bei Personen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (grundlegend BVerwG, Urteil vom 18 Mai 2000 - 5 C 29/98 - juris) und wenn der auch in Abwägung mit dem Gesetzeszweck des § 120 Abs. 5 BSHG nach Art.
6 Abs.
1 GG schutzwürdige Wunsch nach Herstellung der ehelichen oder familiären Lebensgemeinschaft Grund für die Wahl des Aufenthaltsorts
ist (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 16. Juni 2000 - 4 M 1928/00 - juris Rn. 4). Zwar enthält § 23 Abs. 5 Satz 3 SGB XII bereits eine diese Rechtsprechung berücksichtigende Einschränkung, diese bezieht sich jedoch nur auf den hier nicht einschlägigen
Satz 2 der Vorschrift. Es erscheint deshalb sachgerecht, den Umfang des "unabweisbar Gebotenen" nach den Umständen des Einzelfalles
verfassungskonform zu bestimmen (vgl. ausführlich: SG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 25. Juli 2011 - S 9 SO 5262/08 - juris
Rn. 24).
Eine Abwägung zwischen dem von § 23 Abs. 5 Satz 1 SGB XII verfolgten öffentlichen Interesse einer gleichmäßigen Lastenverteilung unter den Ländern und Gemeinden bei Sozialhilfebedürftigkeit
von in ihrem Zuständigkeitsbereich sich aufhaltenden Ausländern (vgl. Gesetzesbegründung zu § 120 Abs. 5 BSHG: BT-Drucks. 15/420, S. 122) und dem Interesse der Antragstellerin, mit dem gemeinsamen Kind bei ihrem Verlobten und dessen
Familie in Seesen zu leben, fällt nach den Umständen des Einzelfalls zugunsten der Antragstellerin aus und hat zur Folge,
dass jedenfalls vorläufig die tenorierten Leistungen als unabweisbar geboten anzusehen sind.
Die Antragstellerin, die erst im Februar 2015 das 18. Lebensjahr vollendet hat und zudem seit dem 20. Oktober 2015 Mutter
eines Säuglings ist, kann nicht darauf verwiesen werden, alleine den Wohnsitz in Wilhelmshaven zu nehmen. Sie hat bereits
seit 2012 unter der Obhut des Jugendamts gestanden und in verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen gelebt, die sie stets gewechselt
hat, sobald die Familie ihres "Ehemannes" sie ausfindig gemacht hat. In Wilhelmshaven hat sie keine familiären Bindungen,
selbst wenn ihr "Ehemann" dort leben sollte, wird ihr eine Rückkehr in dessen Familie kaum zumutbar sein. Grund für ihre jugendhilferechtliche
Betreuung ist gerade die durch sexuelle Übergriffe und Gewalt geprägte Beziehung zu diesem "Ehemann" und dessen Familie gewesen.
Dass sich diese zum Guten wenden wird, nachdem die Antragstellerin mittlerweile ein Kind von einem anderen Mann geboren hat,
wird niemand ernstlich erwarten. Demgegenüber scheint sie in die Familie des Vaters ihres Kindes integriert zu sein und dort
die notwendige Unterstützung zu erfahren. Ihrem Verlobten ist es ebenfalls nicht zuzumuten, mit ihr und dem Kind nach Wilhelmshaven
zu ziehen, denn er absolviert in Seesen eine Ausbildung, die es ihm möglicherweise erlauben wird, nach deren Abschluss unabhängig
von Leistungen nach dem SGB II zu leben.
Demgegenüber tritt das öffentliche Interesse an einer Wohnsitznahme der Antragstellerin in Wilhelmshaven zurück. Die Gewährung
der tenorierten Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt sowie die Leistungen der Hilfe zur Krankheit, bei Schwangerschaft
und Mutterschaft sind danach unabweisbar geboten.
Der Umfang der Leistungen orientiert sich an § 27 a Abs. 1 Satz 1 SGB XII und umfasst den nach § 27a Abs. 3 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) maßgeblichen Regelsatz nach Regelbedarfsstufe (RBS) 3 zuzüglich eines bis zur Geburt
des Sohnes bestehenden Mehrbedarfs von 17 vom 100 für werdende Mütter nach § 30 Abs. 2 SGB XII sowie Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII und Hilfe für Schwangerschaft und Mutterschaft nach § 50 SGB XII.
Maßgeblich ist RBS 3, denn bei der Antragstellerin handelt es sich um eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die - soweit
ersichtlich - weder einen eigenen Haushalt führt noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftlicher
Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt. Sie lebt vielmehr im Haushalt der Familie ihres Verlobten. Der nach § 2 der
Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung (RBSFV) 2015 maßgebliche Regelsatz beläuft sich in der Zeit vom 1. Juli bis 31.
Dezember 2015 auf 320,00 EUR und der nach § 2 der RBSFV 2016 ab 1. Januar 2016 maßgebliche Regelsatz auf 324,00 EUR. Hinzu
kommt für die Zeit vom 1. Juli bis 20. Oktober 2015 ein Mehrbedarf für werdende Mütter nach § 30 Abs. 2 SGB XII. Dieser Mehrbedarf beläuft sich 17 vom Hundert des maßgeblichen Regelsatzes und damit auf 54,40 EUR und endet mit der Geburt
des Sohnes am 20. Oktober 2015.
Die Familie des Verlobten lebt selbst von Leistungen nach dem SGB II bzw.
AsylbLG. Die Antragstellerin hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie von der Familie lediglich überbrückungsweise und unter Einschränkung
deren eigenen Existenzminimums unterhalten wird. Nicht glaubhaft gemacht ist hingegen ein Anspruch auf Leistungen für die
Unterkunft und Heizung, denn es ist nicht ersichtlich, dass der Antragstellerin entsprechende Aufwendungen tatsächlich entstehen.
Insbesondere ist weder vorgetragen noch belegt, dass die der Familie des Verlobten gewährten Leistungen nach dem SGB II bzw. dem
AsylbLG um Mietanteile für die Antragstellerin gekürzt werden.
Die unabweisbar gebotenen Leistungen umfassen, wie das SG zutreffend entschieden hat, Hilfe bei Krankheit nach § 48 SGB XII und Hilfe für Schwangerschaft und Mutterschaft nach § 50 SGB XII, denn es ist nicht ersichtlich, dass der Antragstellerin entsprechende Leistungen von einer Krankenkasse gewährt werden.
Auch hinsichtlich dieser Kosten ist der Antragsgegner erstangegangener Leistungsträger und es obliegt ihm zu klären, ob eine
Übernahme der Krankenbehandlung für nicht Versicherungspflichtige gegen Kostenerstattung nach §
264 SGB V in Betracht kommt. Eine zeitliche Befristung auf den Erlass des Widerspruchsbescheides, der im Übrigen zwischenzeitlich ergangen
ist, ist nicht gerechtfertigt. Sachgerecht erscheint vielmehr eine vorläufige Leistungsgewährung bis zunächst 31. März 2016.
Bis dahin obliegt es den Beteiligten, die bestehenden Unklarheiten zu klären.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG. Für das erstinstanzliche Verfahren verbleibt es bei der Kostenentscheidung des SG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, §
177 SGG.