Anspruch auf Sozialhilfe; Erbringung von Leistungen durch Dauer-Verwaltungsakt
Gründe:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Hannover vom 14. März 2008 bleibt ohne Erfolg. Das SG hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 7. Januar 2008 gegen den Bescheid der Landeshauptstadt
E. vom 5. Dezember 2007 zu Recht angeordnet. Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.
Die am 21. Mai 1973 geborene Antragstellerin erhielt Sozialhilfe - laufende Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt - nach
den Vorschriften des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Leistungen der Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung nach den §§ 41ff SGB XII werden (noch) nicht gewährt, weil die dauerhafte und volle Erwerbsminderung
der Antragstellerin noch nicht festgestellt ist. Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - wurde zuletzt mit Bescheid vom
13. August 2007 von der für die Antragsgegnerin handelnden Landeshauptstadt E. für den Monat Oktober 2007 in Höhe von 502,84
EUR bewilligt und für die Folgemonate bis einschließlich Dezember 2007 jeweils ausgezahlt. Mit Bescheid vom 5. Dezember 2007
stellte die Landeshauptstadt E. die Hilfe zum Lebensunterhalt mit Wirkung ab dem 1. Januar 2008 wegen vorrangiger Ansprüche
(Unterhalt) ein. Der Vater der Antragstellerin hatte sich bereit erklärt, ab Januar 2008 monatlich 867,03 EUR an seine Tochter
- die Antragstellerin - zu zahlen. Der Vater hat die Zahlungen ab Januar 2008 im Beschwerdeverfahren bestätigt (Auskunft des
Vaters F. G. vom 16. September 2008). Die Antragstellerin legte Widerspruch mit der Begründung ein, dass sie aufgrund des
Umstandes, dass ihre Eltern nun vollends für sie einzustehen hätten, psychisch zu dekompensieren drohe. Ihr gesundheitlicher
Zustand habe sich deutlich verschlechtert. Ein Widerspruchsbescheid ist bislang nicht ergangen. Die Landeshauptstadt E. hat
im Namen und im Auftrag der Antragsgegnerin mit Verfügung vom 8. Januar 2008 die sofortige Vollziehung des Bescheides vom
5. Dezember 2007 angeordnet. Sozialhilfezahlungen wurden seit Januar 2008 nicht erbracht.
Die Antragstellerin hat am 15. Februar 2008 um vorläufigen Rechtsschutz beim SG Hannover mit dem Ziel nachgesucht, die aufschiebende
Wirkung ihres Widerspruchs wiederherzustellen. Das SG hat mit Beschluss vom 14. März 2008 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 7. Januar 2008 gegen
den Bescheid der Landeshauptstadt E. vom 5. Dezember 2007 angeordnet und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass der
Einstellungsbescheid vom 5. Dezember 2007 rechtswidrig sei. Die Leistungsgewährung habe zuletzt auf der Grundlage eines konkludenten
Dauerverwaltungsaktes beruht. Eine wirksame Rücknahme der Leistungsbewilligung für die Zeit ab 1. Januar 2008 sei nicht erfolgt.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid vom 8. Januar 2008 genüge weiterhin nicht den formellen Erfordernissen.
Dagegen führt die Antragsgegnerin die rechtzeitig eingelegte Beschwerde.
Die Beschwerde bleibt erfolglos, weil das SG mit zutreffenden Erwägungen die aufschiebende Wirkung angeordnet hat. Der Senat verweist daher zunächst auf die Beschlussgründe,
§
142 Abs
2 Satz 3
SGG.
Allerdings hat der Senat erwogen, ob für das von der Antragstellerin eingeleitete vorläufige Rechtsschutzverfahren von Beginn
an das auch für Antragsverfahren notwendige Rechtsschutzbedürfnis wegen der Unterhaltszahlungen ihres Vaters fehlte. Bei Fehlen
des Rechtsschutzbedürfnisses hätte der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes als unzulässig verworfen werden müssen.
Mit dem Begriff des "Rechtsschutzbedürfnisses" wird zum Ausdruck gebracht, dass nur derjenige, welcher mit dem von ihm angestrengten
gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung
hat, so dass beim Fehlen eines solchen Interesses das prozessuale Begehren als unzulässig abzuweisen ist. Denn es besteht
der allgemeine Grundsatz, dass niemand die Gerichte unnütz oder gar unlauter in Anspruch nehmen oder ein Rechtsschutzverfahren
zur Verfolgung zweckwidriger und insoweit nicht schutzwürdiger Ziele ausnützen darf. Bei dem Rechtsschutzbedürfnis handelt
es sich um eine allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen aller Verfahrensarten, die aus dem auch im Prozessrecht geltenden
Grundsatz von Treu und Glauben (§
242 BGB) und dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte und dem auch für die Gerichte geltenden Grundsatz der Effizienz staatlichen
Handelns abgeleitet wird (vgl zum Vorstehenden: Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
SGG, 9. Auflage 2008, Vor §
51 Rdnrn 16ff; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 10. Auflage 2005, Rdnrn 560ff; Kopp/Schenke, Kommentar zur
VwGO, 15. Auflage 2007, Vorb §
40 Rdnrn 30ff). Das Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses gilt für alle vor Gericht geführten Verfahren, also auch für das
hier eingeleitete vorläufige Rechtsschutzverfahren. Das Rechtsschutzbedürfnis ist weiterhin zu unterscheiden von der Klagebefugnis,
welche ausschließlich auf die generelle Möglichkeit einer Verletzung der Rechte des Antragstellers bzw Klägers abstellt, während
beim Rechtsschutzinteresse darauf abzustellen ist, ob angesichts der besonderen Umstände des Falls die Einleitung des Rechtsschutzverfahrens
vor Gericht nicht erforderlich ist, weil die Rechte auf einfachere Weise verwirklicht werden können oder die Klage bzw der
Antrag aus anderen Gründen unnütz ist (vgl Keller, aaO., Rdnr 16a).
Da die Antragstellerin tatsächlich seit Januar 2008 Unterhaltszahlungen ihres Vaters in bedarfsdeckender Höhe erhält, könnte
dies dazu führen, das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen. Doch ist dem grundlegend entgegenzuhalten, dass die Frage des Erhalts
von bedarfsdeckenden Leistungen nicht beim Rechtsschutzbedürfnis, sondern innerhalb der Begründetheit des Anspruchs zu klären
ist. Denn die Frage der für den Sozialhilfeanspruch nötigen Bedürftigkeit bzw des Vorliegens von bereiten Mitteln betrifft
den Umstand, ob der behauptete Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfeleistungen tatsächlich besteht. Er ist daher nicht Bestandteil
der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Anspruchs.
Den Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - hat die für die Antragsgegnerin handelnde Landeshauptstadt
E. mit dem streitbefangenen Bescheid vom 13. August 2007 geregelt. Hierbei handelt es sich - wie das SG zutreffend dargelegt hat - um einen Dauerverwaltungsakt, der die Sozialhilfeleistungen ab Oktober 2007 ohne zeitliche Begrenzung
regelt. Sollen diese Wirkungen des Dauerverwaltungsaktes geändert oder aufgehoben werden, bedarf es eines entsprechenden Aufhebungsbescheides.
Bereits daran fehlt es, so dass die Regelung aus dem Bescheid vom 13. August 2007 weiterhin zeitlich unbegrenzt fortwirkt.
Weiterhin genügt die in der Verfügung vom 8. Januar 2008 angeordnete sofortige Vollziehung des Bescheides vom 5. Dezember
2007, mit welchem die Hilfegewährung ab dem 1. Januar 2008 eingestellt wurde, nicht den formellen Erfordernissen, was das
SG ebenfalls zutreffend herausgearbeitet hat, so dass darauf verwiesen werden kann.
Der Bewilligungsbescheid vom 13. August 2007 verliert seinen Charakter als Dauerverwaltungsakt nicht durch die darin enthaltene
Bestimmung, dass der Anspruch auf Sozialhilfe für den Monat Oktober 2007 in Höhe von 502,84 EUR bewilligt wurde. Womöglich
hat die Landeshauptstadt E. versucht, den Bewilligungsbescheid - wie es unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) üblich war - so auszugestalten, dass die Leistung lediglich für einen Monat geregelt wurde. Denn der Bescheid enthält weiterhin
den Zusatz, dass es sich bei den Leistungen der Sozialhilfe um keine rentengleiche Dauerleistung handele, vielmehr würden
sie zur Behebung eines am Tag der Bewilligung bestehenden aktuellen Bedarfes erbracht. Diese Formulierung geht zurück auf
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG, wonach sich aus der Rechtsstruktur der Sozialhilfe ergebe, dass sie
Hilfe zur Behebung einer gegenwärtigen konkreten Notlage sei, so dass der Sozialhilfefall gleichsam täglich neu regelungsbedürftig
und Sozialhilfe deswegen keine rentengleiche Dauerleistung sei; dies wurde zum Strukturprinzip der Sozialhilfe erhoben (vgl
BVerwG, Urteil vom 30. November 1966 - V C 29.66 - BVerwGE Band 25, Seite 307; Urteil vom 16. Januar 1986 - V C 36/84 - FEVS 36, Seite 1). Allerdings hat die Rechtsprechung des BVerwG Bescheide der Sozialhilfeverwaltung mit Dauerwirkung anerkannt
und somit den Dauerverwaltungsakt auch in der Sozialhilfe nicht grundsätzlich ausgeschlossen (vgl BVerwG, Urteil vom 14. Juli
1998 - V C 2.97 - FEVS 48, Seite 535; siehe auch Münder, Wünsche der Wissenschaft an die sozialgerichtliche Rechtsprechung zur Sozialhilfe,
SGb 2006, Seite 186, 192f).
Die Feststellung des Vorliegens eines Dauerverwaltungsaktes hängt mithin davon ab, wie ein verständiger Empfänger die von
der Sozialhilfeverwaltung getroffene Regelung verstehen kann. Ausgehend von diesem "Empfängerhorizont" verbleibt nur die Annahme
eines Dauerverwaltungsaktes. In dem Bescheidtext wird weiterhin ausgeführt, dass die Bewilligung sich stillschweigend von
Tag zu Tag verlängert, solange die gesetzlichen und tatsächlichen Voraussetzungen der Leistung anhalten; dies gelte auch hinsichtlich
der mit diesem Bescheid bewilligten Hilfe. Daraus kann ein mit den rechtlichen Vorgaben nicht vertrauter Empfänger nur den
Schluss ziehen, dass die Leistung nicht nur für den Monat Oktober 2007, sondern solange bewilligt ist, wie sich keine relevanten
Veränderungen ergeben. Tatsächlich hat sich die Bewilligung nicht mit dem Monat Oktober 2007 erschöpft; die Leistungen in
der im Bescheid vom 13. August 2007 bewilligten Höhe sind weiterhin bis Dezember 2007 ausgezahlt worden. Zwar wird die Ansicht
vertreten, dass in der Auszahlung für Folgemonate - hier die Monate November und Dezember 2007 - jeweils ein konkludenter
Verwaltungsakt nach § 33 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) liege (vgl hierzu BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R - mit Hinweisen auf Rechtsprechung des BSG und des BVerwG).
Allerdings hat das BSG in den Auszahlungen nicht zwingend einen Verwaltungsakt gesehen, sondern der jeweiligen Prüfung im
Einzelfall vorbehalten. Diese Prüfung führt hier - wie oben dargelegt - dazu, die Regelung im Bescheid vom 13. August 2007
als zeitlich unbegrenzte Dauerregelung anzusehen.
Diese Annahme erscheint auch deshalb angebracht, weil der früher aufgestellte Grundsatz, wonach Sozialhilfe keine rentengleiche
Dauerleistung, sondern aktuelle Nothilfe sei, durch die Überführung der Sozialhilfe in das SGB XII eine Einschränkung erfahren
hat. Denn die Sozialhilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt - wird durch Regelsatzleistungen erbracht, § 28 SGB XII. Die ab 1. Januar
2005 geltenden Regelsätze sind nicht nur für die aktuelle - monatliche Bedarfsdeckung gedacht; vielmehr enthält der Regelsatz
nunmehr die sogenannten Ansparleistungen, weil grundsätzlich einmalige Beihilfen wie früher nach dem BSHG nicht mehr erbracht werden. Vielmehr hat der Hilfesuchende für einmalige Bedarfe Rücklagen zu bilden - Ansparprinzip - (vgl
Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, 2. Auflage 2008, § 28 Rdnr 1; Münder, aaO., Seite 193). Auch das BSG
(Urteil vom 16. Oktober 2007 - B 8/9b SO 8/06 R - FEVS 59, Seite 337) hat zur Anwendung des § 44 SGB X dargelegt, dass das SGB XII die Hilfe zum Lebensunterhalt nicht mehr in Form differenzierter einmaliger Leistungen, sondern
weitgehend in Form von Pauschalen vorsieht. Der Leistungsempfänger müsse also einmalige Bedarfe für die Beschaffung von Bekleidung,
Wäsche, Schuhe, Lernmittel, Gebrauchsgüter von längerer Gebrauchsdauer und höherem Anschaffungswert, Bedarfe für besondere
Anlässe, wie Hochzeiten oder Beerdigungen, aus der laufenden Leistung nach dem SGB XII befriedigen, das heißt er habe die
ihm gewährte Leistung (Regelsatz) auch anzusparen, um sie dann im Bedarfsfall einsetzen zu können. Die Leistung diene damit
nicht allein der Befriedigung eines aktuellen, sondern auch eines zukünftigen und vergangen Bedarfs. Auch daraus erschließt
sich, dass der Grundsatz, wonach Sozialhilfe keine rentengleiche Dauerleistung und akute Nothilfe sei, in dieser Form nicht
mehr aufrechterhalten werden kann. Die Behauptung der akuten Nothilfe widerspricht weiterhin der Lebenswirklichkeit, weil
die Hilfe zum Lebensunterhalt nicht als Nothilfe, sondern regelmäßig als Dauerleistung erbracht wird, wie auch die vorliegende
Fallgestaltung zeigt. Die Antragstellerin erhält Sozialhilfe seit Juni 2005.
Auch hieraus erschließt sich, dass es sich bei den Auszahlungen der Leistung für November und Dezember 2007 nicht um konkludente
Verwaltungsakte, sondern um den jeweiligen bloßen Auszahlungsvorgang aufgrund der Bewilligung im Bescheid vom 13. August 2007
handelt, also um Realakte ohne Verwaltungsaktcharakter. Eine verfahrensrechtlich rechtmäßige Beendigung der Bewilligung aus
dem Bescheid vom 13. August 2007 kann die Antragsgegnerin nur erreichen, wenn der fragliche Bewilligungsbescheid aufgehoben
und sofern Widerspruch eingelegt wird, der sofortige Vollzug in formell ordnungsgemäßer Form angeordnet wird. Beides ist nicht
der Fall, wie das SG zutreffend dargelegt hat.
Da nunmehr feststeht, dass die Antragstellerin Anspruch auf Leistungen nach §§ 41ff SGB XII hat (s. Schriftsatz der Antragsgegnerin
vom 11.09.2008), kann dies bestätigend herangezogen werden, weil diese Leistungen gemäß § 43 Abs 2 SGB XII ohne die vom Vater
gezahlten Unterhaltsleistungen zu erbringen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Da die Antragstellerin obsiegt, hat die Antragsgegnerin ihre notwendigen außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Gerichtskosten werden in Sozialhilfeverfahren dieser Art nicht erhoben.
Der Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.