Grundsicherung für Arbeitsuchende
Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe
Streit über das Vorliegen eines Weiterbewilligungsantrages auf SGB-II-Leistungen
Behördliches Schreiben als Verwaltungsakt
Keine Verweigerung der Bescheidung bei fehlendem Antrag
Beratungspflicht des Grundsicherungsträgers über das Erfordernis eines Fortzahlungsantrags
1. Die Frage, ob ein Schreiben einen Verwaltungsakt darstellt, insbesondere eine Regelung beinhaltet, ist unter Berücksichtigung
des Empfängerhorizonts durch Auslegung zu ermitteln. Hierbei sind alle relevanten Umstände, insbesondere auch der Kontext,
in dem das Schreiben erfolgt ist, zu berücksichtigen.
2. Der Antrag i.S.d. § 37 SGB II ist eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Zahlung von Leistungen, bei deren (vermeintlichem) Fehlen die Bewilligung
abgelehnt werden muss, nicht aber eine Bescheidung verweigert werden darf. Die Argumentation, eine Bescheidung sei "obsolet",
wenn ein Antrag fehle, ist offensichtlich rechtswidrig.
3. Ob ein Antrag vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. An eine bestimmte Form ist ein Antrag nach § 37 SGB II nicht gebunden. Der Betroffene muss nur zum Ausdruck bringen, dass Leistungen vom Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende
begehrt werden. Bringt der Antragsteller zum Ausdruck, dass er derartige Leistungen begehrt, so ist der Antrag so auszulegen,
dass das Begehren möglichst weitgehend zum Tragen kommt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich mit der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren, das auf die Bewilligung
von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit von Juli 2014 bis Dezember 2014 gerichtet ist.
Der Kläger bezog bis zum 30.06.2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Bescheid vom 21.02.2014). Am 30.06.2014
rief der Kläger bei dem Beklagten an, um einen Umzugswunsch zu erörtern. Mit Schreiben vom 01.07.2014 forderte der Beklagte
den Kläger daraufhin unter dem Einleitungssatz "Sie haben Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beantragt " auf, eine
schriftliche Begründung zur Notwendigkeit des Umzugs vorzulegen. Dieser Aufforderung kam der Kläger mit Schreiben vom 13.07.2014,
das am 16.07.2014 bei dem Beklagten einging, nach. Mit Schreiben vom 30.07.2014 verweigerte der Beklagte die Zustimmung zum
Wohnungswechsel. Am 02.10.2014 beantragte der Kläger formularmäßig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Der Beklagte
bewilligte Leistungen ab 01.10.2014.
Mit Schreiben vom 04.02.2015 erinnerte die Bevollmächtigte des Klägers an eine Bescheidung eines Weiterbewilligungsantrags
ab Juli 2014. Nachdem der Beklagte geantwortet hatte, ein Weiterbewilligungsantrag lasse sich nicht belegen, führte die Bevollmächtige
mit Schreiben vom 03.03.2015 aus, dass der Kläger erkennbar die Weiterzahlung von Leistungen über Juni 2014 hinaus begehrt
habe und bat ausdrücklich "um rechtsmitteltaugliche Bescheidung". Mit Schreiben vom 11.03.2015 teilte der Beklagte dem Kläger
unter Zitierung von § 37 SGB II mit, da ein Weiterbewilligungsantrag für Juli 2014 bis September 2014 nicht vorliege, sei "eine Bescheidung obsolet". Hiergegen
legte der Kläger am 17.03.2015 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Bescheid vom 16.04.2015 als unzulässig verwarf. Bei dem
Schreiben vom 11.03.2015 handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt iSd § 31 SGB X. Eine Entscheidung über einen Leistungsanspruch sei nicht getroffen worden, da ein Antrag nicht vorgelegen habe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 20.04.2015 erhobene Klage. Der Kläger ist der Auffassung, bei dem Schreiben vom
11.03.2015 handele es sich um einen Verwaltungsakt. Die Klage sei begründet, weil er einen Weiterbewilligungsantrag gestellt
habe, der offenbar beim Beklagten verloren gegangen sei. Außerdem habe der Beklagte während des streitigen Zeitraums in Kontakt
mit dem Kläger gestanden und erkennen können, dass die Weiterzahlung von Leistungen begehrt werde. Eine Information darüber,
dass ein förmlicher Weiterzahlungsantrag fehle, sei pflichtwidrig nicht erfolgt, so dass die Klage auch unter dem Gesichtspunkt
des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs begründet sei.
Nachdem das Sozialgericht den Kläger unter Hinweis auf die Möglichkeit, Kosten nach §
192 SGG aufzuerlegen, zur Klagerücknahme aufgefordert hat, hat es mit Beschluss vom 12.02.2016 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
abgelehnt. Die Rechtsverfolgung habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil nicht nachgewiesen sei, dass der Kläger
einen Leistungsantrag gem. § 37 SGB II gestellt habe. Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 22.02.2016 erhobene Beschwerde des Klägers.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren
abgelehnt. Die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor und
die Rechtsverfolgung hat hinreichende Aussicht auf Erfolg (§§ 73a Abs. 1 Satz 1
SGG, 114
ZPO).
Der Beklagte hat den Widerspruch zu Unrecht als unzulässig verworfen. Bei dem Schreiben vom 11.03.2015 handelt es sich um
einen Verwaltungsakt iSd § 31 SGB X, gegen den der Widerspruch eröffnet ist. Die Frage, ob ein Schreiben einen Verwaltungsakt darstellt, insbesondere eine Regelung
beinhaltet, ist unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts durch Auslegung zu ermitteln (ausführlich Luthe, in: JurisPK
SGB X, § 31 Rn. 25 f mwN). Hierbei sind alle relevanten Umstände, insbesondere auch der Kontext, in dem das Schreiben erfolgt ist, zu
berücksichtigen. Das Schreiben vom 11.03.2015 erging - wie sich aus der Bezugszeile ergibt - ausdrücklich als Reaktion auf
das Schreiben der Bevollmächtigten vom 03.03.2015, in dem diese um "rechtsmitteltaugliche Bescheidung" gebeten hatte. Bereits
deshalb musste und durfte der Kläger das Schreiben als Bescheid ansehen. Auch seinem Inhalt nach enthält das Schreiben eine
Regelung, indem der Beklagte die begehrte Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit von Juli
2014 bis September 2014 ablehnt, weil nach seiner Auffassung der Weiterbewilligungsantrag fehlt. Die Argumentation, eine Bescheidung
sei "obsolet", wenn ein Antrag fehle, ist offensichtlich rechtswidrig. Der Antrag iSd § 37 SGB II ist eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Zahlung von Leistungen (zur Rechtsnatur des Antrags nach § 37 SGB II vergl. Link, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 37 Rn 22), bei deren (vermeintlichem) Fehlen die Bewilligung abgelehnt werden muss, nicht aber eine Bescheidung verweigert werden
darf. Der Umstand, dass der Beklagte rechtsirrig anderer Meinung war und keinen Bescheid erlassen wollte, ist unbeachtlich,
da die Auslegung nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts eines verständigen Beteiligten zu
erfolgen hat.
Nicht abschließend im Verfahren der Prozesskostenhilfe, sondern im Hauptsacheverfahren zu klären ist die Frage, ob der Beklagte
zu Recht davon ausgeht, dass der Kläger für den streitigen Zeitraum keinen Weiterbewilligungsantrag gestellt hat.
Zum einen wird der Kläger hinsichtlich seines Vortrags, er habe den Weiterbewilligungsantrag per Post versandt und in den
Hausbriefkasten des Beklagten eingeworfen, näher zu befragen sein. Das Sozialgericht genügt seiner Amtsermittlungspflicht
jedenfalls nicht, wenn es den entsprechenden Vortrag ohne weiteres als unbewiesen ansieht, ohne dem Kläger die Möglichkeit
einzuräumen, den Geschehensablauf in einer mündlichen Anhörung zu schildern und hierdurch ggfs. zu beweisen. Im sozialgerichtlichen
Verfahren ist der Beteiligtenvortrag als Beweismittel zulässig. Das Gericht kann die Beteiligten anhören und seine Überzeugung
allein auf deren Aussage stützen, wenn dies im Rahmen freier Beweiswürdigung möglich erscheint, dh die Aussage glaubhaft und
schlüssig ist und nicht zu anderen Beweisergebnissen im Widerspruch steht (BSG, Beschluss vom 10.02.1998 - B 2 U 2/98 B mwN).
Zum anderen ist die Rechtsfrage zu beantworten, ob der Kläger - unabhängig von der behaupteten Vorlage eines förmlichen Antrags
- durch seine Kommunikation mit dem Beklagten im Juli 2014 bereits hinreichend deutlich gemacht hat, eine Weiterbewilligung
von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu begehren. Hierfür spricht viel. Ob ein Antrag vorliegt, ist durch Auslegung
zu ermitteln. An eine bestimmte Form ist ein Antrag nach § 37 SGB II nicht gebunden (allg. Meinung, vergl. nur Link, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 37 Rn. 25). Der Betroffene muss nur zum Ausdruck bringen, dass Leistungen vom Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende begehrt
werden. Bringt der Antragsteller zum Ausdruck, dass er derartige Leistungen begehrt, so ist der Antrag so auszulegen, dass
das Begehren möglichst weitgehend zum Tragen kommt (BSG, Urteil vom 19.08.2010 - B 14 AS 10/09 R). Das am 30.06.2014 geäußerte Anliegen, einen Umzugswunsch zu erörtern, macht nur Sinn, wenn der Kläger auch über diesen
Zeitpunkt hinaus Leistungen beansprucht. Gleiches gilt für die Erläuterung der Gründe für den Umzugswunsch mit dem Schreiben
vom 13.07.2014. Der Beklagte hat dies offensichtlich zunächst auch entsprechend verstanden, denn er hat mit Schreiben vom
01.07.2014 dem Kläger selbst mitgeteilt, dieser habe Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beantragt.
Schließlich dürfte jedenfalls auch eine Begründung des Anspruchs nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
erfolgversprechend iSd §§ 73a Abs. 1 Satz 1
SGG, 114
ZPO sein (hierzu BSG, Urteil vom 18.01.2011, B 4 AS 99/10 R). Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund des
Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§
14,
15 SGB I), verletzt hat. Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil
des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene
Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können. Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem
jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen. Aus dem speziellen Sozialrechtsverhältnis des SGB II kann sich die Pflicht des Grundsicherungsträgers ergeben, den Hilfebedürftigen vor dem Ablauf des letzten Bewilligungszeitraums
über das Erfordernis eines Fortzahlungsantrags zu beraten. Zwar mag der Beklagte seiner Verpflichtung zur Unterrichtung des
Klägers zunächst nachgekommen sein. Der Kläger macht auch geltend, einen entsprechenden Antrag gestellt zu haben. Jedoch hat
der Beklagte den Kläger ursprünglich - wie ausgeführt - im Juli 2014 so behandelt, als ob er einen Fortzahlungsantrag gestellt
hätte. Wenn der Beklagte einen zusätzlichen förmlichen Antrag für erforderlich hält, ist er jedenfalls verpflichtet, den Kläger
auf das Fehlen eines solchen Antrags hinzuweisen.
Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1
SGG, 127 Abs. 4
ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).