Krankengeld
Einstweilige Anordnung
Aktuell bestehende Notlage
Glaubhaftmachung eines besonderen Nachholbedarfs
Gründe
I.
Der 1967 geborene Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes von der Antragsgegnerin die Gewährung von
Krankengeld über den 07.03.2016 hinaus.
Der Antragsteller ist seit September 2013 arbeitslos gemeldet und bezog aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit seit 30.10.2015
Krankengeld von der Antragsgegnerin. Zuletzt bewilligte sie ihm mit Bescheid vom 29.02.2016 Krankengeld für die Zeit vom 20.02.2016
bis 29.02.2016. Am 04.03.2016 stellte der behandelte Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. L eine voraussichtliche
Arbeitsunfähigkeit bis zum 18.03.2016 fest. Aufgrund einer Untersuchung des Antragstellers am 07.03.2016 gelangte der Arzt
für Innere Medizin Dr. O für den Sozialmedizinischen Dienst (SMD) zu der Einschätzung, dass der Antragsteller ab 08.03.2016
eine leichte Tätigkeit für mindestens sechs Stunden arbeitstäglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben könne. Mit Bescheid
vom 07.03.2016 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass das Krankengeld bei rechtzeitiger Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
für die Zeit vom 05.03.2016 bis 07.03.2016 gezahlt werde. Nach ärztlicher Ansicht bestehe ab dem 08.03.2016 wieder Arbeitsfähigkeit.
Ab diesem Zeitpunkt bestehe kein Anspruch auf Krankengeld mehr. Hiergegen legte der Antragsteller am 09.03.2016 Widerspruch
ein. Eine aktuelle Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 18.03.2016 läge seit dem 07.03.2016 vor. Zudem übersandte er eine
Bescheinigung von Dr. L vom 09.03.2016, nach der insgesamt eine leichte Beschwerdebesserung, insbesondere der Wurzelreizsymptomatik
eingetreten sei. Es bestünden noch ausgeprägte Zervikobrachialgien mit Muskelhartspann und eingeschränkter Beweglichkeit der
HWS, so dass eine berufliche Tätigkeit zur Zeit nicht zumutbar sei. Er attestiere daher weiter Arbeitsunfähigkeit. Mit Bescheid
vom 14.03.2016 teilte die Antragsgegnerin mit, dass sie das Krankengeld für die Zeit vom 01.03.2016 bis 07.03.2016 zahlen
werde. In seiner Stellungnahme vom 07.04.2016 teile Dr. O für den SMD mit, dass aufgrund des Schreibens von Dr. L dem Widerspruch
nicht abgeholfen werden könne. Der Antragsteller befindet sich nicht in einem bestehenden Arbeitsverhältnis. Aufgrund der
bestehenden Erkrankungen sei er durchaus in der Lage, irgendeiner leichten Tätigkeit von über sechs Stunden täglich mit qualitativen
Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.2016 wies die Antragsgegnerin
den Widerspruch zurück. Zwar sei auf dem Krankengeldauszahlschein Arbeitsunfähigkeit bis zum 18.03.2016 bescheinigt, jedoch
dürfe nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 08.11.2005 - B 1 KR 18/04 R - ein Versicherter nicht darauf vertrauen, dass ihm allein schon deshalb Krankengeld zustehe, weil der behandelte Vertragsarzt
abweichend von einem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Arbeitsunfähigkeit bescheinige. Nach der
ständigen Rechtsprechung des BSG seien Krankenkassen und Gerichte an den Inhalt einer ärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit nicht gebunden.
Einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung komme vielmehr lediglich die Bedeutung einer ärztlich-gutachterlichen Stellungnahme
zu, welche die Grundlage für den über den Krankengeldanspruch zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bilde. Die Krankengeldzahlung
erfolge durch die Krankenkasse auf der Grundlage der Bescheinigung für die Krankengeldzahlung jeweils abschnittsweise. In
der abschnittsweisen Zahlung des Krankengeldes sei die Entscheidung der Krankenkasse zu sehen, dass dem Versicherten ein Krankengeldanspruch
für die laufende Zeit der vom Vertragsarzt bestätigten Arbeitsunfähigkeit zustehe. Habe der Vertragsarzt dem Versicherten
für eine bestimmte Zeit Arbeitsunfähigkeit attestiert und gewähre die Krankenkasse aufgrund einer solchen Bescheinigung Krankengeld,
könne der Versicherte nach dem Urteil des BSG vom 22.03.2005 - B 1 KR 22/04 R - davon ausgehen, dass er für diese Zeit Anspruch auf Krankengeld habe, soweit die Kasse ihm gegenüber nichts anderes zum
Ausdruck bringe. Es handele sich somit bei der Zahlung von Krankengeld um einen zeitlich befristeten Verwaltungsakt, der seine
Wirksamkeit mit Ablauf des vom Arzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeitraums verliere. Durch die zeitliche Begrenzung entstehe
kein Vertrauensschutz im Sinne des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) über den jeweiligen Endzeitpunkt hinaus.
Der Antragsteller hat am 02.05.2016 Klage erhoben. Am 23.05.2016 hat er beim Sozialgericht (SG) Münster im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zudem zum einen beantragt festzustellen, dass der Widerspruch vom 09.03.2016
aufschiebende Wirkung habe und das Krankengeld weiterhin zu gewähren sei (1) und zum anderen hilfsweise die Krankenkasse durch
einstweilige Anordnung zur nahtlosen Weitergewährung des Krankengelds zu verpflichten (2). Zur Begründung hat er ausgeführt,
die Antragsgegnerin habe die Krankengeldzahlung nicht einfach einstellen dürfen, sein Widerspruch habe aufschiebende Wirkung.
Er sei dringend auf das Krankengeld angewiesen. Die Antragsgegnerin hat darauf verwiesen, dass nach den Feststellungen des
SMD keine Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung mehr bestehe. Im Übrigen habe der Antragsteller Möglichkeiten,
seinen Lebensunterhalt anderweitig zu bestreiten. Er habe noch nicht einmal vorgebracht, dass der begehrte Erlass einer einstweiligen
Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich sei. Entgegen seiner Auffassung handele es sich bei einem Bescheid
über die Bewilligung von Krankengeld nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, dessen Korrektur lediglich im Rahmen
der §§ 45, 48 SGB X zu erfolgen habe. Ein solcher Bewilligungsbescheid wirke für den Zeitraum, für den Krankengeld gewährt werde.
Mit Beschluss vom 01.06.2016 hat das SG den Antrag abgelehnt. Bei Bewilligung von Krankengeld handele es sich nicht um einen Dauerverwaltungsakt. Somit trete eine
aufschiebende Wirkung in diesem Fall nicht bereits durch die Einlegung des Widerspruchs ein, so dass der Hauptantrag des Antragstellers
gestützt auf §
86b Abs.
1 SGG abzulehnen sei. Auch die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach §
86b Abs.
2 SGG lägen nicht vor. Hinsichtlich der Zeit vor Eingang des Antrags bei Gericht vom 08.03.2016 bis 22.05.2016 fehle es an einem
Anordnungsgrund. Es könne keine Hilfe für die Vergangenheit gewährt werden. Für die Zeit ab 23.05.2016 habe der Antragsteller
keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Zum einen sei die auf dem Gutachten des SMD vom 07.03.2016 beruhende Einschätzung
der Antragsgegnerin zutreffend. Zum anderen habe der Antragsteller keine fortlaufende Krankschreibung für die Zeit ab 23.05.2016
bis zum Ende des Monats der gerichtlichen Entscheidung vorgelegt. Es werde offen gelassen, ob der Antragsteller im Übrigen
mit Blick auf seine Möglichkeit des Bezuges von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch und seine auch ansonsten nicht belegte (schlechte) finanzielle Lage für die Zeit ab 23.05.2016 im Übrigen einen Anordnungsanspruch
überhaupt glaubhaft gemacht habe.
Gegen den ihm am 02.06.2016 zugestellten Beschluss richtet sich die am 24.062016 beim SG eingegangene Beschwerde. Der Antragsteller trägt vor, dass eine lückenlose Dokumentation der Arbeitsunfähigkeit bis aktuell
14.06.2016 belegbar sei. Auch erleide er wesentliche Nachteile, wenn er auf die deutlich niedrigeren Leistungen nach dem SGB II verwiesen werde. Zudem hat er u.a. eine vom 31.05.2016 datierende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung überreicht, in der ihm
durchgehende Arbeitsunfähigkeit vom 30.10.2015 bis 14.06.2016 attestiert wurde. In einer weitergehenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
14.06.2010 wurde ihm Arbeitsunfähigkeit bis zum 01.07.2016 bescheinigt. Er übersandte zudem eine Bescheinigung der Bundesagentur
für Arbeit, nach der er vom 08.03.2016 bis 03.06.2016 Arbeitslosengeld bezogen habe und die Zahlung wegen Erschöpfung des
Antrags eingestellt werde.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.
1. Feststellung der aufschiebenden Wirkung
Die vom Antragsteller begehrte Feststellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs (oder seiner Klage) gegen den Bescheid
der Antragsgegnerin vom 07.03.2016 analog §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ist unzulässig. Der Antragsteller kann sein Ziel des einstweiligen Rechtsschutzes nicht mittels isolierter Anfechtung und
Aufhebung des Bescheides vom 07.03.2016 erreichen. Mit diesem Bescheid wurde ihm lediglich Krankengeld für die Zeit bis 07.03.2016
in Aussicht gestellt und ein weitergehender Anspruch auf Krankengeld ab dem 08.03.2016 verneint. Dieser Bescheid schloss sich
an den Bescheid vom 29.02.2016 an, mit dem ihm die Antragsgegnerin mitgeteilt hat, dass sie das Krankengeld für die Zeit vom
20.02.2016 bis 29.02.2016 angewiesen habe. Unabhängig von der zeitlichen Befristung der Krankengeldzahlung in diesem Bescheid
handelt es sich bei der Bewilligung des Krankengelds grundsätzlich nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der nach
§ 48 SGB X aufgehoben werden muss und bei dem eine aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bis zur Erhebung einer Anfechtungsklage (vgl.
§
86 a Abs.
2 Nr.
3 SGG), d. h. zumindest bis einen Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheides besteht. Regelmäßig bewilligen die Krankenkassen
Krankengeld im zweiwöchigen Turnus nach Vorlage eines ärztlichen Auszahlungsscheins. Die Bewilligung von Krankengeld stellt
danach keinen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung i.S. von § 48 SGB X dar, der vor Einstellung der Zahlung erst im Verwaltungsverfahren zu beseitigen wäre und bei dem einstweiliger Rechtsschutz
im Wege der Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsmittels zu erhalten wäre. Krankengeld gewährt die Krankassenkasse
abschnittsweise, das Vorliegen der leistungsrechtlichen Voraussetzungen ist für jeden weiteren Bewilligungsabschnitt von dieser
neu zu prüfen. In Anwendung dieser Grundsätze muss ein Anspruch auf Krankengeld in Eilverfahren vor den Sozialgerichten regelmäßig
im Wege der Regelungsanordnung gemäß §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG verfolgt werden (BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 1 KR 31/14 R - ; Landessozialgericht (LSG) Bayern, Beschluss vom 17.06.2011 - L 4 KR 76/11 B ER -).
2. Weitergewährung des Krankengeldes
Der Antragsteller kann auch nicht auf der Grundlage des §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG die Fortzahlung des Krankengeldes beanspruchen. Nach dieser Norm sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs,
d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes,
d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können
ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen,
die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch,
sondern abschließend zu prüfen (Senat, Beschluss vom 30.07.2015 - L 11 KR 303/15 B ER). Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an
der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005
- 1 BvR 569/ 05 -).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zu Recht hat das SG eine Verpflichtung der Antragstellerin für die Zeit vor der Antragsstellung bei Gericht zur vorläufigen Leistungsgewährung
abgelehnt. Werden Leistungen für die Vergangenheit begehrt, besteht kein Anordnungsgrund (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 22.01.2014 - L 16 KR 740/13 B - Senat, Beschluss vom 21.05.2012 - L 11 KR 113/12 B ER -). Im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden,
die zur Behebung einer aktuellen, d.h. gegenwärtig noch bestehenden Notlage erforderlich sind (Frehse in Jansen,
SGG, 4. Auflage 2012, §
86b, Rdn. 101 m.w.N.). Nur ausnahmsweise, wenn die Nichtgewährung der begehrten Leistungen in der Vergangenheit noch in die Gegenwart
fortwirkt und infolgedessen eine aktuelle Notlage besteht, kann von diesem Grundsatz eine Ausnahme gemacht werden. Hierzu
müssen die Tatsachen für einen besonderen Nachholbedarf glaubhaft gemacht werden (Frehse, a.a.O., m.w.N). Daran fehlt es hier.
Der Antragsteller hat einen besonderen Nachholbedarf nicht glaubhaft gemacht. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus den von
ihm überreichten Kontoauszügen. Aber auch für die Zeit ab Antragstellung bis 03.06.2016 fehlt es an einem Anordnungsgrund.
Bis zum 03.06.2016 hat der Antragsteller Arbeitslosengeld in Höhe von 900,60 EUR bezogen. Bezieht ein Antragsteller bereits
Arbeitslosengeld, das seinen Lebensunterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz sichert, ist i.d.R. nicht ersichtlich,
welche wesentlichen Nachteile mit der Gewährung weiteren Krankengelds durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung sofort
abgewendet werden müssen. Ein Anordnungsgrund ist dann nicht gegeben (LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.08.2015 - L 5 KR 149/13 B ER -).
Zudem fehlt es für den kompletten Zeitraum an einem Anordnungsanspruch. Jedenfalls führt das von der Antragsgegnerin vorgelegte
Gutachten des SMD dazu, dass von der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs nicht ausgegangen werden kann. Zu berücksichtigen
ist, dass das Gutachten nach einer persönlichen Untersuchung des Antragstellers erfolgte und auch der behandelnde Arzt Dr.
L in seiner Bescheinigung vom 09.03.2016 eine leichte Beschwerdebesserung festgestellt hat. Weder für noch gegen das Vorliegen
von Arbeitsunfähigkeit sprechen eindeutige Gründe und sind den Befunden auch nicht zu entnehmen. Liegen wie hier unterschiedliche
Äußerungen von Medizinern bzw. Gutachtern zur Frage der Arbeitsunfähigkeit vor, ist ein Anordnungsanspruch hinsichtlich der
Leistung von Krankengeld in der Regel nicht glaubhaft gemacht (LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 01.09.2014 - L 5 KR 148/14 B ER -; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.01.2014 - L 16 KR 740/13 B -).
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§
177 SGG).