Anspruch auf Verletztenrente in der gesetzlichen Unfallversicherung
Anforderungen an das Vorliegen der Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 4104 BKV - Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs oder Eierstockkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestdose), in Verbindung
mit durch Asbest verursachte Erkrankung der Pleura oder bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbeststaub-Dosis am
Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren im Hinblick auf die Erforderlichkeit eines Vollbeweises
Tatbestand
Die Klägerin begehrt als Rechtsnachfolgerin ihres während des Berufungsverfahrens verstorbenen Ehemannes (im Folgenden: Versicherter)
die Anerkennung von Berufskrankheiten nach den Ziffern 4104 (Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs oder Eierstockkrebs) in Verbindung
mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestdose), in Verbindung mit durch Asbest verursachter Erkrankung der Pleura oder bei Nachweis
der Einwirkung einer kumulativen Asbeststaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren {25 x 106 [(Fasern/m³) x Jahre]}) und 4113 (Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis
der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo[a]pyren-Jahren [(µg/m³) x Jahre]) der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) (im Folgenden: BK 4104 und BK 4113).
Der 1938 geborene und am 00.03.2018 verstorbene Versicherte war nach einer entsprechenden Ausbildung (01.04.1953 bis 28.09.1956)
unterbrochen durch kleinere Zeiten der Arbeitslosigkeit ab Oktober 1956 bis Ende 1998 bei verschiedenen Arbeitgebern als Maurer
versicherungspflichtig beschäftigt. Im Juni 2014 wurde bei ihm ein peripheres Adenokarzinom des rechten Lungenunterlappens
entdeckt. Im Anschluss an diese Diagnose zeigte das Klinikum M der Beklagten den Verdacht einer Berufskrankheit nach den Ziffern
4103 und 4105 an. Im Entlassungsbrief des Klinikums M über einen stationären Aufenthalt des Versicherten Anfang Juni 2014
vom 25.06.2014 wurde unter anderem die Diagnose einer "beginnenden Lungenfibrose, UIP-Muster (? Lungenasbestose)" gestellt.
Im daraufhin eingeleiteten Feststellungsverfahren zu einer BK 4104 gab der Versicherte unter anderem an, er habe von 1956-1976
12-15 Zigaretten pro Tag geraucht. Ab 1976 habe er bis 2009 4-5 Pfeifen pro Tag geraucht. Seine Lungenerkrankung führe er
auf Altbausanierungen und Asbestkontakte zurück. In dem Bericht des Klinikums M vom 25.06.2014 wird demgegenüber von einem
früheren Nikotinabusus bis 2009 im Umfang von 30 Packungsjahren berichtet. In einem weiteren Bericht des Klinikums vom 21.07.2014
werden sogar 55 Packungsjahre genannt. Ende Juli 2014 erfolgte die operative Entfernung des tumortragenden rechten Lungenunterlappens.
Die Beklagte zog Befundberichte von behandelnden Ärzten des Versicherten bei. Aus den beigezogenen Berichten der Ärztin für
Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. M1 ging unter anderem hervor, dass bei dem Versicherten bereits Anfang
2003 eine chronische Bronchitis und ein Lungenemphysem sowie seit 2007 eine COPD Stadium 0-I bei reduziertem Nikotinabusus
diagnostiziert wurden. In einem weiteren Bericht des Klinikums M vom 12.08.2014 wurde unter anderem über eine histologisch
gesicherte UIP (gewöhnliche interstitielle Pneumonie) berichtet.
Der Technische Angestellte Q von dem mit der Erstellung einer Stellungnahme beauftragten Präventionsdienst der Beklagten führte
am 11.08.2014 ein persönliches Gespräch mit dem Versicherten in Anwesenheit der Klägerin. In dem vom Versicherten unterschriebenen
Gesprächsprotokoll vom 12.08.2014 heißt es unter anderem, während seiner Ausbildung sei der Versicherte mit allen üblichen
Hochbauarbeiten, die der Erstellung, dem Umbau- oder der Erweiterung von Gebäuden aller Art gedient hätten, betraut gewesen.
Im Rahmen der jeweiligen Baumaßnahmen sei er wiederkehrend auch mit der Eindeckung von Garagendächern, die sowohl unter Einsatz
von Wellasbestzementplatten, wie auch mittels Dachpappe abgedichtet worden seien, betraut gewesen. Die Abdichtung unter Einsatz
von Dachpappe und Heißbitumen sei hierbei von den Zimmerern vorgenommen worden. Der Zuschnitt der Platten sei unter Einsatz
eines Winkelschleifer erfolgt. Weiterhin seien in wenigen Einzelfällen Asbestplatten, beispielsweise zum Zwecke des Brandschutzes,
von ihm verbaut worden. Im Rahmen der Baumaßnahmen seien auch Isolieranstriche von ihm verarbeitet worden. Während seiner
anschließenden Beschäftigungsverhältnisse habe er vergleichbare Asbestkontakte gehabt. Während seines langjährigen Beschäftigungsverhältnisses
von März 1958 bis März 1985 sei er vielfach am Neubau von Ein- und Mehrfamilienhäusern beteiligt gewesen, habe allerdings
auch einzelne Abbrüche von Gebäuden (z.B. Fabrikbauten) wie auch komplette Umbauten durchgeführt. Ab Ende der 1960er Jahre
habe er zudem die Position eines Vorarbeiters eingenommen, habe jedoch zu jeder Zeit aktiv auf der Baustelle an den jeweiligen
Bauobjekten mitgearbeitet. Asbestkontakte hätten weiterhin durch die in Einzelfällen vorgenommenen Dacheindeckungen an Garagendächern,
wie auch durch die regelmäßig eingesetzten Fensterbänke, die über einen längeren Zeitraum (ca. 10 Jahre intensiv) im Innenbereich
als Unterbau der Natursteinbänke und im Außenbereich üblicherweise als abschließende Fensterbänke eingesetzt worden seien,
bestanden. Die Eternitbänke seien für die jeweiligen Einsatzzwecke von ihm noch anzupassen gewesen. Der Zuschnitt sei unter
Einsatz eines Winkelschleifer erfolgt. Weiterhin seien in Heizungsräumen in wiederkehrenden Einzelfällen Be- und Entlüftungsleitungen
von ihm verlegt worden. Weitere Hinweise für einen Asbestkontakt sehe er für diese langjährige Beschäftigungszeit nicht. Schwarzanstriche
gehörten ebenfalls zu den wiederkehrend eingesetzten Materialien. Vielfach seien lösemittelhaltige Materialien zur Verwendung
gekommen. Sporadisch und im Handauftrag habe er auch Holzschutzanstrichstoffe verarbeitet, wie beispielsweise Xylamon. Während
des anschließenden, etwa 9-monatigen Beschäftigungsverhältnisses bei der Firma Kuckuck sei er in der Regel mit Flick-, Umbau-
und Sanierungsarbeiten im Wohnungsbau betraut gewesen. Bei den durchgeführten Abbruch- und Sanierungsarbeiten erinnere er
sich immer auch an hohe Staubbelastungen gegenüber Stäuben aller Art. Während des letzten Beschäftigungsverhältnisses von
April 1988 bis Ende 1998 habe er vor allem an der Neuerstellung von Wohn- und Geschäftshäusern gearbeitet. In diesem Zusammenhang
erinnere er sich an einen Abbruch von etwa 20 Garagen, die allesamt mittels Wellasbestzementplatten eingedeckt gewesen seien.
Die Entfernung der alten Platten sei als Asbestsanierungsmaßnahme durchgeführt und unter entsprechenden Schutzmaßnahmen vorgenommen
worden. Der Zeitraum der Entfernung der Platten beziffere sich auf etwa eine Woche, die Mitte der 1990er Jahre durchgeführt
worden sei. Weitere Hinweise für einen Asbestkontakt sehe er für diese Beschäftigungszeit nicht.
Auf der Grundlage dieses Gesprächsprotokolls kam der Präventionsdienst der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 01.09.2014
zu der Einschätzung, der Versicherte sei gegenüber Stoffen der BK 4104 exponiert gewesen. Insgesamt ergäben sich unter Anwendung
des BK-Reports 1/2013 "Faserjahre", Tab. 7.10 5,9 Faserjahre. Relevante Hinweise für eine Exposition gegenüber Stoffen der
BK 4113 ergäben sich für das Arbeitsleben des Versicherten nicht.
Unter dem 01.10.2014 erstattete die Direktorin des Instituts für Pathologie der S-Universität C, Prof. Dr. U, im Auftrag der
Beklagten eine fachpathologische, wissenschaftlich begründete Stellungnahme, nachdem der Versicherte auf eine mit Schreiben
vom 15.08.2014 erfolgte entsprechende Ankündigung, die mit dem Hinweis verbunden war, dass der Versicherte auch einen anderen
Gutachter benennen könne, nicht reagiert hatte. Darin kam sie nach lichtmikroskopischer Untersuchung des bei der Entfernung
des rechten Lungenunterlappens entnommenen Gewebes zu der Einschätzung, neben einem gut differenzierten, muzinösen Adenokarzinom
zeige sich eine hochgradige chronische, gering floride interstitiell fibrosierende Alveolitis mit Nachweis von Fibroblastenfoci
sowie eine hochgradige Kondensatpneumonie/RBILD. Nach dem histomorphologischen Bild entspreche das Fibrosierungsmuster dem
klassischen Bild nach ATS/ERS einer sog UIP, nächstliegend unter Berücksichtigung der S3-Leitlinien des IPF-Konsenses dem
einer idiopathischen pulmonalen Fibrose/IPF. Eine Asbestose oder Minimalasbestose liege nicht vor. Bei der vorgenommenen Lungenstaubanalyse
seien 0,58 Gramm Lungengewebe ohne Nachweis von Asbestkörpern verfügbar gewesen. Sollten in dieser Probe Asbestkörper gewesen
sein, so habe deren Anzahl unter 9 pro Gramm Lungengewebe gelegen. Es habe sich deshalb kein Hinweis für vermehrte Asbestbelastung
ergeben.
Der Facharzt für Radiologie Dr. I kam in seiner ebenfalls von der Beklagten angeforderten fachradiologischen Stellungnahme
vom 13.10.2014 unter Auswertung von Röntgen-Thorax-Aufnahmen aus den Jahren 2003-2007 und von Computertomographien der Thorax-Organe
aus Juni 2014 zu der Einschätzung, hyaline oder verkalkte Pleuraplaques, die für eine Asbestexposition hochsignifikant seien,
fänden sich nicht. Das Lungenparenchym zeige auf beiden Seiten eine mantel- und basalbetonte Lungenfibrose vom UIP-/IPF-Muster.
Die Veränderungen seien bildmorphologisch vieldeutig. Infrage kämen Veränderungen im Rahmen einer chronischen exogen-allergischen
Alveolitis, autoimmunologische Erkrankungen, unspezifische interstitielle Pneumonien oder bei stattgehabter Exposition auch
eine initiale Asbestose. Die endgültige Entscheidung über das Vorliegen einer BK erfolge nicht aus den radiologischen Befunden
alleine.
Die von der Beklagten konsultierte Obergewerbemedizinalrätin und Fachärztin für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin Dr. X vom
Landesinstitut für Arbeitsgestaltung des Landes Nordrhein-Westfalen kam unter dem 18.12.2014 zu der Einschätzung, die Voraussetzungen
für die Anerkennung einer BK 4104 seien aufgrund der nicht gesicherten Brückensymptomatik nicht gegeben.
Mit Bescheid vom 24.02.2015 stellte die Beklagte fest, dass bei dem Versicherten weder eine BK 4104 noch eine BK 4113 vorlägen
und deshalb auch keine Ansprüche auf Leistungen bestünden.
Den hiergegen ohne Begründung eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2016 als unbegründet
zurück.
Der Kläger hat am 11.03.2016 Klage beim Sozialgericht Detmold erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte hätte
eine Zusammenhangsbegutachtung veranlassen müssen. Darüber hinaus hat er behauptet, er sei auch dadurch mit Asbest belastet
worden, dass andere Berufsgruppen auf den Baustellen, wie z.B. Dachdecker, ihre asbesthaltigen Materialien zugeschnitten hätten.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24.02.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.02.2016 zu verurteilen,
bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 4104 oder 4113 der Anl. 1 zur
Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen und ihm Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
Die Klage abzuweisen.
Sie hat auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden Bezug genommen.
Auf Anforderung des Sozialgerichts hat Herr Q vom Präventionsdienst der Beklagten unter dem 18.07.2016 nach Befragung von
zwei früheren Arbeitskollegen des Versicherten (Q1 X1 und I1 I2) eine ergänzende Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition
bezogen auf die BK 4104 erstellt und beim Sozialgericht eingereicht. Darin hat er unter anderem ausgeführt, der Versicherte
habe bei der Erstbefragung am 11.08.2014 keine Angaben zu Bystanderexpositionen von Asbest durch zeitgleiche andere Gewerke
(z.B. Dachdecker) gemacht. Darüber hinaus sei die Häufigkeit solcher zeitgleichen Arbeiten nicht bekannt. Die befragten Zeugen
könnten keine entsprechenden Angaben machen bzw. erinnerten sich nicht an Einzelobjekte. Ihren Angaben zufolge seien beispielsweise
Dachdeckerarbeiten zumeist erst nach Beendigung der Maurerarbeiten erbracht worden. Berücksichtige man dennoch die Angabe
des Versicherten, regelmäßig entsprechend als Bystander exponiert gewesen zu sein, ergebe sich in einer spekulativen orientierenden
Betrachtung bei einer Annahme von durchschnittlich 8-10 Stunden an Bystanderexposition pro Monat und unter Berücksichtigung
der gesamten Beschäftigungsjahre von 1953-1991 eine Gesamtexposition von weniger als einem Asbestfaserjahr. Dabei seien die
Asbestexposition als Bystander entsprechend dem BK-Report "Faserjahre" 1/2013 Abschnitt 7.3 Bystander mit der 10-prozentigen
Expositionszeit für die Arbeiten des Dachdeckers angenommen worden, obwohl diese Arbeiten nicht, wie im BK-Report angegeben,
in einer geschlossenen Halle vorgenommen, sondern in der Regel im Außenbereich erbracht worden seien.
Das Sozialgericht hat darüber hinaus den Facharzt für Arbeitsmedizin und Diplomchemiker Prof. Dr. U1 mit der Erstattung eines
Sachverständigengutachtens nach Aktenlage beauftragt. In seinem arbeitsmedizinischen Zusammenhangsgutachten vom 18.10.2016
ist der Sachverständige zu der Einschätzung gelangt, bei dem Kläger liege mit Wahrscheinlichkeit weder eine BK 4104 noch eine
BK 4113 vor. Grundlage für die Beurteilung, ob bei dem Versicherten sogenannte Brückenbefunde einer BK 4104 vorlägen, sei
die interdisziplinäre S2-Leitlinie "Diagnostik und Begutachtung asbestbedingter Berufskrankheiten". Danach komme es zum einen
wesentlich auf computertomographische Untersuchungen an. Ausweislich der im Verwaltungsverfahren eingeholten wissenschaftlichen
Stellungnahme von Dr. I hätten sich keine Befunde einer asbeststaubverursachten Pleura-Erkrankung gezeigt. Im Rahmen der radiologischen
Diagnostik sei eine Lungenfibrose vom UIP-/IPF-Muster nachgewiesen worden, die hinsichtlich ihrer Verursachung nicht eindeutig
zu interpretieren sei. Die pathologisch-histologische sowie faserstaubanalytische Untersuchung von Lungengewebe habe zu keinen
typischen Befunden geführt, die eine Asbestose bestätigen würden. Die für eine BK 4113 erforderliche Exposition gegenüber
polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen sei nicht ersichtlich, so dass insoweit bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen
nicht erfüllt seien.
Nach entsprechender Anhörung (am 09.12.2016 zugestellter Richterbrief vom 06.12.2016) hat das Sozialgericht die Klage durch
Gerichtsbescheid vom 13.02.2017 im Wesentlichen unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid (§
136 Abs.
3 SGG) abgewiesen.
Gegen den seinen früheren Prozessbevollmächtigten am 16.02.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Versicherte am 06.03.2017
Berufung eingelegt. Er hat behauptet, die diagnostisch gesicherte Lungenfibrose im Sinne einer UIP stelle einen klassischen
Brückenbefund im Sinne der Asbestose dar. Dass sich nach entsprechender Karenz Asbestkörper nicht mehr nachweisen ließen,
liege an dem sogenannten Fahrerfluchtphänomen. Darüber hinaus hat der Versicherte behauptet, die Asbestbelastung sei unzureichend
erhoben worden. Das Gesprächsprotokoll im August 2014 habe er im Krankenhaus unterschrieben, ohne noch einmal alles sorgfältig
zu lesen. Nicht berücksichtigt worden seien die von ihm häufig verrichteten Abrissarbeiten. Auch Außenfenster und Heizungsnischen
seien früher aus Eternit verbaut worden. Dies habe alles zugeschnitten werden müssen. Für das Schneiden mit der sogenannten
Flex seien nicht 4 Fasern pro Kubikzentimeter Atemluft anzusetzen, sondern 60. Eine weitere Asbestbelastung, welche bislang
nicht berücksichtigt worden sei, sei der Umgang mit Spachtelmasse Sinne von Moltofill als Maurer. Weiterhin hat der Versicherte
behauptet, es dürften Belastungen gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bestanden haben. Er habe Schwarzanstriche
zwecks Isolierung bereits als Lehrling aufbringen müssen. Hierbei hätten heiße Dämpfe auf ihn eingewirkt. Auch Sockel hätten
gestrichen werden müssen. Garagendächer seien nicht nur mit Eternitplatten, sondern auch mit Teerbahnen eingedeckt worden.
Holzunterschalungen seien mit Blumenschweißbahnen unterlegt bzw. abgeklebt worden. Auch an Nachbararbeitsplätzen seien Teerpechdachbahnen
gelegt worden, sodass auch deshalb polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe auf ihn eingewirkt hätten. Unberücksichtigt
seien bislang auch die Belastungen durch den Einsatz von Fliesenkleber geblieben. Auch hier hätten Asbestbelastungen bestanden.
Schließlich hat der der Versicherte gemeint, es müsse eine weitere pathologische Begutachtung nach §
106 SGG erfolgen, nachdem nicht ersichtlich sei, dass eine Gutachterauswahl bezüglich Prof. Dr. U angeboten worden sei.
Zur Unterstützung seines Vortrags hat der Versicherte eine schriftliche Aussage eines früheren Arbeitskollegen, Herrn I3 L,
vom 25.07.2017 zu den Akten gereicht. Darin hat dieser ausgeführt, grundsätzlich habe man als Maurer alle Arbeiten auf dem
Bau verrichten müssen. Dazu habe es gehört, Fensterbänke, Eternitplatten und Welleternitplatten zurückzuschneiden und zu verlegen.
Auch mit Schwarzanstrich sei viel gearbeitet worden. Auch wenn fremde Firmen auf dem Bau gearbeitet hätten, sei man den Fremdstäuben
ausgesetzt gewesen. Putz- und Spartenarbeiten seien mit Moltofill ausgeführt worden.
Der Versicherte selbst hat mit Schreiben vom 21.01.2018 aufgelistet, in welchem zeitlichen Umfang er mit belastenden Arbeiten
befasst gewesen sei. Danach habe er 1500 Stunden im Jahr Abrissarbeiten geleistet, 960 Stunden im Jahr mit Moltofill gearbeitet,
160 Stunden im Jahr mit asbesthaltigen Leichtbauplatten, Spachtelmasse und sonstigen Belägen gearbeitet, 300 Stunden im Jahr
Bitumenkleber abgeschleift, 120 Stunden im Jahr Bohrarbeiten verrichtet und sei 800 Stunden im Jahr der Exposition von durch
Fremdfirmen verursachten asbesthaltigen Stäuben ausgesetzt gewesen.
Nach dem Tode des Versicherten am 00.03.2018 und der durchgeführten Feuerbestattung hat die Klägerin erklärt, sie sei als
Ehefrau testamentarisch zur Alleinerbin bestimmt und wolle das Verfahren fortführen. Einen Nachweis in Gestalt einer Kopie
des von ihr handschriftlich verfassten und von ihr und dem Versicherten unterschriebenen gemeinschaftlichen Testaments hat
sie beim Senat eingereicht. Ergänzend zu ihrem bisherigen Vortrag hat die Klägerin weitere Behandlungsberichte des Klinikums
M zu den Akten gereicht.
In rechtlicher Hinsicht vertritt die Klägerin die Auffassung, vollbeweislich müsse bei der BK 4104 nur eine Asbestbelastung,
ein Lungenkrebs und eine Fibrose gesichert sein. Ob diese Fibrose dann dem Asbest geschuldet sei, sei im Sinne hinreichender
Wahrscheinlichkeit zu prüfen und nicht im Rahmen des Vollbeweises.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom 13.02.2017 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom
24.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.02.2016 zu verurteilen, bei dem verstorbenen Versicherten eine Berufskrankheit
nach den Ziffern 4104 und/oder 4113 der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Auf Aufforderung des Senats hat Herr Q vom Präventionsdienst der Beklagten unter Auswertung der Aktenlage unter dem 06.11.2017
und 09.03.2018 ergänzende Stellungnahmen zur Arbeitsplatzexposition abgegeben. Darin hat er ausgeführt, es lasse sich nicht
vollbeweislich darstellen, dass bei den vom Versicherten genannten Abrissobjekten asbesthaltigen Materialien zurückgebaut
worden seien und in welchem Umfang. Die Verwendung von asbesthaltigem Material in Außenfensterbänken und Platten für Heizungsnischen
sei in der Asbestfaserberechnung vom 01.09.2014 ebenso wie die Verlegung von Wellasbestzementplatten berücksichtigt worden.
Schwarzanstriche stellten keine relevante Belastung im Sinne der BK 4113 dar. Dass ein Maurer zum Putzen der Wände mindestens
10 Jahre lang Moltofill eingesetzt habe, sei ihm nicht geläufig. Vielmehr hätten im Innen- und Außenbereich vor allem Kalk-
oder Kalkzementputzmaterialien Verwendung gefunden. Nach einer dem Präventionsdienst vorliegenden Auskunft der Firma Molto
sei lediglich in 2 Produkten (Moltofill Innen und Moltofill Außen) Asbestmaterial eingesetzt gewesen. Bei diesen Produkten
habe es sich um Spachtelmasse gehandelt, die beispielsweise im Malerhandwerk eingesetzt worden sei. Alle anderen Produkte
der Firma seien jederzeit asbestfrei gewesen. Bei der Berechnung der Asbestbelastung habe der Präventionsdienst Expositionsanteile
zugrunde gelegt, die über das Maß hinaus gingen, dass üblicherweise im Maurerhandwerk wiederzufinden sei. Der Expositionswert,
der für das Schneiden der Wellplatten angesetzt worden sei, stelle den Schichtmittelwert eines Dachdeckers bei der Verarbeitung
von Wellasbestzementplatten dar und nicht den ausschließlichen Zeitraum des Schneidvorgangs. Deshalb wurde dieser Expositionswert
auch für den konkreten Fall herangezogen. Im Übrigen habe man etwaige Ausfallzeiten des Versicherten bei der Asbestberechnung
unberücksichtigt gelassen. Festzuhalten sei, dass der Versicherte hauptsächlich Maurertätigkeiten verrichtet habe. Aus arbeitstechnischer
Sicht habe ein Maurer lediglich sporadisch wiederkehrend mit der Verarbeitung von asbest- oder teerhaltigen Materialien Umgang
gehabt. Der Versicherte sei nicht als Dachdecker, Maler oder Bodenleger beschäftigt gewesen. Sofern er entsprechende Arbeiten
durchgeführt habe, stellten diese maximal einen Nebenschauplatz seiner Haupttätigkeiten als Maurer dar. Die zeitlichen Angaben
des Versicherten seien unrealistisch und nicht nachvollziehbar. Gehe man von üblichen 240 Schichten pro Jahr zu je 8 Stunden
pro Tag, also von 1920 Arbeitsstunden pro Jahr aus, überstiegen alleine die vom Versicherten angegebenen zeitlichen Aufwendungen
für Abrissarbeiten und Arbeiten mit Moltofill diesen Umfang deutlich. Darüber hinaus sei es absolut branchenfremd, dass ein
Maurer und Vorarbeiter, der im Schwerpunkt mit den dafür üblichen Maurerarbeiten betraut gewesen sei, rund 50 % seiner gesamten
Arbeitszeit mit der Verarbeitung von Moltofill und 80 % seiner Arbeitszeit mit Abrissarbeiten verbracht haben wolle.
Auf Antrag der Klägerin nach §
109 SGG hat der Facharzt für Arbeitsmedizin und Innere Medizin des Instituts und der Poliklinik für Arbeit- und Sozialmedizin am
Universitätsklinikum H, Prof. Dr. T, eine gutachterliche Stellungnahme nach Aktenlage vom 30.04.2019 abgegeben. Der Sachverständige
hat zunächst ausgeführt, die in den Stellungnahmen des Präventionsdienstes der Beklagten zugrunde gelegte Exposition sei für
einen Bauhandwerker, der Asbestzementwelllplatten eingedeckt habe, recht gering. Eine Korrektur der Asbestfaserstaubdosis
könne jedoch durch ihn nicht erfolgen, da eine qualifizierte Arbeitsanamnese nicht mehr erfolgen könne. Beim Versicherten
müsse auch von einer Einwirkung gegenüber Benzoapyren ausgegangen werden. Jedoch sei eine Quantifizierung offensichtlich nicht
erfolgt. Es sei insoweit jedoch nicht von einer besonders belastenden langjährigen Tätigkeit bei Verwendung von teerhaltigen
Produkten auszugehen. Der Versicherte sei nicht in einem besonders durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe belasteten
Arbeitsbereich/Beruf tätig gewesen. Die in der Legaldefinition der BK 4113 geforderte Dosis von 100 BaP-Jahren sei für den
Versicherten kaum erfüllbar. Was die BK 4104 betreffe, sei die im Tatbestand geforderte Dosis von 25 Faserjahren nicht erreicht
oder überschritten worden. Eine durch Asbestfaser verursachte Erkrankung der Pleura sei ebenfalls nicht im Vollbeweis gesichert.
Es stelle sich allerdings die Frage, ob es sich bei der röntgenologisch festgestellten Lungenfibrose um eine Lungenasbestose
handele. In Untersuchungen habe nachgewiesen werden können, dass auch bei Asbestfaserstaubdosen deutlich unter 25 Faserjahren
Lungenasbestosen anzutreffen seien. Das Fehlen von Pleuraplaques schließe eine Lungenasbestose nicht aus. Ebenso wenig sei
der Nachweis von Asbestkörperchen im Lungengewebe eine Voraussetzung für die Anerkennung einer Lungenasbestose gemäß BK 4103
oder 4104. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass vor allem für Weißasbest eine deutlich geringere Biobeständigkeit bestehe.
Bei dem Versicherten sei keine andere Ursache für die Lungenfibrose gesichert. Die Diagnose einer unspezifischen interstitiellen
Pneumonie bzw. idiopathischen Lungenfibrose basiere auf dem Ausschluss bekannter Ursachen. Weiterhin sei die epidemiologisch
basierte Wahrscheinlichkeitsabschätzung zu berücksichtigen. In der allgemeinen Bevölkerung liege die Häufigkeit idiopathischer
Lungenfibrosen im Bereich von 4-227 auf 100.000 Einwohnern. Demgegenüber weise die Häufigkeit von Lungenfibrosen bei Asbestfaserstaub
exponierten Kollektiven eine Dosis-Wirkungsbeziehung auf. Bei der nachgewiesenen Asbestfaserstaubexposition des Versicherten
habe eine hohe Wahrscheinlichkeit bestanden, eine Lungenfibrose infolge Asbestfaserstaubbelastung im Sinne der Asbestose zu
entwickeln. Im Hinblick darauf sei röntgenologisch bei gesicherter Asbestexposition die Lungenfibrose als Brückenbefund für
eine Lungenkrebserkrankung anzusehen. Die interstitiell fibrosierende Alveolitis sei hier außerdem unabhängig vom Rauchkonsum
zu sehen und als Folge der Asbestexposition hinreichend zu begründen. Bei fehlenden konkurrierenden Faktoren spreche mehr
für das Vorliegen einer Lungenasbestose als dagegen.
Die Beklagte hat auf dieses Gutachten mit der Einreichung einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Facharztes für Innere
Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. E vom 16.06.2019 reagiert. Dieser hat die Auffassung vertreten, die von Prof.
T aufgeführten Argumente seien nicht geeignet, das tatsächliche Vorliegen des Tatbestandes einer BK 4103 oder 4104 zu begründen.
Die von dem Sachverständigen angeführten Untersuchungsergebnisse und epidemiologischen Daten seien in den Falkensteiner Empfehlungen
berücksichtigt worden. Könnte man ohne weiteres bei fehlendem Nachweis von asbestbedingten Veränderungen des Lungengewebes
von einer asbestinduzierten Lungenfibrose ausgehen, wäre dies in den Falkensteiner Empfehlungen zum Ausdruck gebracht worden.
Zudem habe der Sachverständige den histopathologischen Befund nicht in seine Erwägungen mit einbezogen. Danach liege eine
Kondensatpneumonie vor. Zum anderen fänden sich Lungenveränderungen einer histopathologisch typischen UIP.
Der Senat hat anschließend Prof. Dr. U mit einer ergänzenden rasterelektronenmikroskopischen Analyse des 2014 entnommenen
Lungengewebes des Versicherten beauftragt. In ihrer fachpathologischen, wissenschaftlich begründeten ergänzenden Stellungnahme
vom 16.10.2019 hat sie ausgeführt, es hätten sich bei der vorgenommenen transelektronenmikroskopischen Analyse keine Chrysotil-
oder Amphibolasbestfasern von einer Länge von über 5 µm ergeben. Es hätten sich aber 73546 Amphilbolasbestfasern von einer
Länge zwischen 1 und 5 µm nachweisen lassen, ein Großteil davon unter 3 µm. Diese ermittelten Konzentrationen lägen allerdings
um Zehner-Potenzen unterhalb derjenigen, wie sie in Referenzfällen bei Patienten mit gesicherten asbestassoziierten interstitiellen
Lungenerkrankungen gefunden würden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass zur möglichst exakten Analytik auch sehr kurze Fasern
zwischen einer Länge von 1 und weniger als 5 µm berücksichtigt worden seien. Ausdrücklich sei aber in der Literatur im Messverfahren
für Gefahrstoffe bei der Analytik, Auswertung und Ablauf einer Faserzählung explizit vermerkt, dass "im Elektronenmikroskop
bei 10.000-facher Vergrößerung im Transmissionsbetrieb alle nicht umhüllten Fasern von einer Länge L >5 µm und mit einem Längen-Durchmesser-Verhältnis
(L/D) >= 3 µm gezählt würden, auch solche mit einem extrem kleinem Durchmesser oder mit einem Durchmesser D > 3 µm." Folge
man diesen Kriterien, wäre auch das Ergebnis der elektronenmikroskopischen Analyse mit 0 Fasern einzuschätzen. Die jetzt ermittelte
Konzentration deutlich kürzerer Fasern belege lediglich, dass eine Asbestbelastung vorgelegen habe, die mit 5,9 Faserjahren
bereits bestätigt worden sei. Nach den international gültigen Leitlinien und Richtlinien seit diese Faserkonzentration jedoch
nicht geeignet, die ILD als Brückenbefund zu werten.
Der Senat hat anschließend ein medizinisches Sachverständigengutachten nach Aktenlage von dem Arzt für Innere Medizin sowie
Lungen- und Bronchialheilkunde Prof. Dr. U2 eingeholt, das dieser unter Mitwirkung von Dr. T1 im Juli 2020 erstellt hat. Er
ist zu der Einschätzung gelangt, bei dem Versicherten habe nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Asbestose
im Sinne einer asbestbedingten Lungenfibrose vorgelegen. Asbestbedingte Veränderungen der Pleura im Sinne einer Pleurafibrose
oder Pleuraplaquebildung hätten definitiv nicht vorgelegen. Eine Pneumokoniose sei nicht zu sichern. Die erstmals im CT vom
02.06.2014 auf der Gegenseite zum initialen Tumor erkennbare geringgradige Lungenfibrose und die histopathologisch nach dem
operativen Eingriff gesicherte gewöhnliche interstitielle Pneumonie (UIP), die ohne von außen kommende Ursache als idiopathische
Lungenfibrose (IPF) bezeichnet werde, sei zusätzlich überlagert gewesen durch eine respiratorische Bronchiolitis mit interstitieller
Lungenerkrankung (RB-ILD), die als eine spezielle, bei Rauchern vorkommende, die Atemwege und das Lungengewebe (hier im Sinne
einer Fibrose) betreffende Erkrankung zu werten sei. Diese Kombination zweier Erkrankungen habe auch Prof. Dr. U beschrieben.
Auch der Verlauf der Erkrankung über den Zeitraum von Juni 2014 bis zum Tode im Jahre 2018 spreche gegen asbestassoziierte
Veränderungen. So sei im Februar 2018 noch einmal eine Biopsie aus dem Lungengewebe entnommen worden, woraufhin der dann tätige
Pathologe eine durch eine Chemotherapiesubstanz verursachte fibrosierende Lungenerkrankung diskutiert habe. Asbestassoziierte
Veränderungen breiteten sich nicht in dieser Geschwindigkeit wie im vorliegenden Fall aus. Vielmehr passe der Verlauf der
Erkrankung im Sinne einer relativ raschen, progrediend fibrosierenden Veränderung gut zu dem Bild einer idiopathischen Lungenfibrose
(IPF). Prof. T stelle das Fahrerfluchtphänomen in den Vordergrund und gehe nicht auf die nach der Helsinki-Klassifikation
auch für asbestbedingte Veränderungen recht typische Histopathologie ein. Hier hätten sich nach der pathologischen Einschätzung
von Prof. Dr. U ebenso wenig für absbestbedingte Lungenfibrosen typische Veränderungen gezeigt wie in den vorliegenden bildgebenden
Befunden. Als Ursache für die fibrosierenden Veränderungen der Lunge komme neben der rauchinduzierten respiratorische Bronchiolitis
mit interstitieller Lungenerkrankung (RB-ILD) auch eine Lymphangiosis carcinomatosa, also einer Ausbreitung von Tumorzellen,
in Betracht.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf die zu den Akten gereichten Gutachten und Stellungnahmen Bezug
genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streit- und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten,
die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen, weil sie unbegründet
ist.
I. Im Berufungsverfahren begehrt die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Versicherten allein die Verpflichtung
der Beklagten, das Vorliegen einer BK 4104 und/oder BK 4113 bei dem Versicherten bis zu dessen Tod festzustellen. Diese Klage
ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß §§
54 Abs.
1,
56 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig.
1. Die Klägerin konnte den Rechtsstreit, der durch den Tod des anwaltlich vertretenen Versicherten nicht unterbrochen wurde
(§
202 Satz 1
SGG i.V.m. §
246 Abs.
1 Satz 1
ZPO), anstelle des Verstorbenen als dessen Erbin fortführen. Dadurch ist während des Berufungsverfahrens ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel
eingetreten, der nicht den Voraussetzungen von §§
153 Abs.
1 i.V.m. 99
SGG unterliegt.
2. Die Klägerin ist klagebefugt im Sinne von §
54 Abs.
1 Satz 2
SGG. Mögliche Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung durch die Beklagte ist §
102 SGB VII (vgl. BSG, Urt. v. 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R -, juris Rn. 15, 18).
a) Dieser mögliche Anspruch steht der Klägerin in jedem Fall als Erbin des Versicherten zu (vgl. §
1922 BGB), denn sie ist durch wirksames gemeinschaftliches Testament als Alleinerbin des Versicherten eingesetzt (§§
1937,
2265,
2267,
2247 BGB). Ob insoweit auch die Voraussetzungen einer vorrangigen Sonderrechtsnachfolge nach §
56 Abs.
1 Nr.
1 SGB I vorliegen oder diese ausscheidet, weil die hier streitgegenständliche Feststellung des Vorliegens eines Versicherungsfalls
in Gestalt einer BK 4104 oder BK 4113 keine laufende Geldleistung im Sinne dieser Vorschrift ist (so BSG, Urt. v. 30.03.2017 - B 2 U 15/15 R -, juris Rn. 12), kann dahinstehen.
b) Der mögliche Anspruch aus §
102 SGB VII ist durch den Tod des Versicherten nicht entfallen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn für die Klägerin allein Hinterbliebenenleistungen
nach §§
63 ff.
SGB VI in Betracht kämen, denn ein Hinterbliebener kann mangels Anspruchsgrundlage nicht die isolierte Verpflichtung des Unfallversicherungsträgers
zur Anerkennung eines Versicherungsfalls erreichen. Vielmehr sind in dem auf Gewährung von Hinterbliebenenleistungen gerichteten
Verwaltungsverfahren die Anspruchsvoraussetzungen nach §§
63 ff
SGB VII selbstständig und ohne Bindung an bestands- oder rechtskräftige Entscheidungen gegenüber dem Verstorbenen neu zu prüfen (hierzu
zuletzt BSG, Urt. v. 06.10.2020 - B 2 U 9/19 R -, juris Rn. 14 m.w.N.).
Für die Klägerin kommen hier jedoch als Sonderrechtsnachfolgerin ihres Ehemannes gemäß §
56 Abs.
1 Nr.
1 SGB I "Lebenszeitleistungen", z.B. Verletztenrente, für die Zeit bis zum Tode des Versicherten in Betracht. Insoweit kann sie weiterhin
als Erbin des Anspruchs des Versicherten aus §
102 SGB VII die Feststellung des Vorliegens eines Versicherungsfalls gerichtlich geltend machen (vgl. insoweit BSG, Urt. v. 30.03.2017 - B 2 U 15/15 R -, juris Rn. 13).
3. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Verpflichtungsklage besteht fort, weil es durchaus möglich ist, dass die Klägerin aus
der begehrten Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung einer BK 4104 und/oder einer BK 4113 noch Rechte für die Zeit bis
zum Tode des Versicherten herleiten kann. Es steht nicht sicher fest, dass etwaige Ansprüche des Versicherten auf "Lebenszeitleistungen"
für die Zeit bis zu seinem Tod gemäß §
59 Satz 2
SGB I erloschen sind. Insoweit kann dahinstehen, ob der in dem in dem Bescheid vom 24.02.2015 enthaltenen Satz, dass Leistungen
der gesetzlichen Unfallversicherung nicht zu gewähren sind, als eigenständiger Verfügungssatz im Sinne einer Ablehnung aller
einzelnen Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu verstehen ist (siehe hierzu BSG, Urt. v. 16.11.2005 - B 2 U 28/04 R -, juris Rn. 11, 14 einerseits, und BSG, Urt. v. 30.03.2017 - B 2 U 15/15 R -, juris Rn. 13 andererseits) und ob der Versicherte durch den bislang gestellten Antrag, ihm Leistungen aus der gesetzlichen
Unfallversicherung zu gewähren, den Eintritt der Bestandskraft einer dergestalt ausgelegten Regelung hat verhindern können
(zur Auslegung eines entsprechenden pauschalen Leistungsbegehrens als bloße Wiederholung des auf Feststellung des Versicherungsfalls
gerichteten Klagebegehrens siehe BSG, Urt. v. 07.09.2004 - B 2 U 35/03 R -, juris Rn. 13). Ebenso kann dahinstehen, ob ein im Zeitpunkt des Todes des Versicherten noch nicht bestandskräftig abgeschlossenes
Verwaltungsverfahren, das allein auf die Feststellung des Bestehens eines Versicherungsfalls gerichtet ist, genügt, um ein
Erlöschen von Ansprüchen auf einzelne Leistungen der gesetzlichen Unfallsversicherung gemäß §
59 Satz 2
SGB I zu verhindern, wofür viel spricht (so Geckeler, NZS 2020, 727). In jedem Fall genügt nach Auffassung des BSG auch bei angenommener bestandskräftiger Ablehnung einzelner Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung die Möglichkeit
von Erben, ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X zu betreiben, um ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis für eine auf Feststellung des Versicherungsfalls gerichtete Klage
anzunehmen (so BSG, Urt. v. 30.03.2017 - B 2 U 15/15 R -, juris Rn. 13).
II. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 24.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
09.02.2016 nicht im Sinne von §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG beschwert. Die Beklagte hat in der Sache zu Recht die Anerkennung einer BK 4104 und einer BK 4113 bei dem Versicherten abgelehnt,
denn bis zum Tode des Versicherten lagen diese Berufskrankheiten nicht vor. Die Klägerin hat dementsprechend keinen Anspruch
auf Feststellung dieser Berufskrankheiten gegen die Beklagte.
Berufskrankheiten sind nach §
9 Abs.
1 Satz 1
SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet
und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. In der Anlage 1 zur
BKV sind unter Nr. 4104 Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs oder Eierstockkrebs
- in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestdose)
- in Verbindung mit durch Asbest verursachte Erkrankung der Pleura oder
- bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbeststaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren {25 x 106
[(Fasern/m³) x Jahre]})
und in Nr. 4113 Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung
einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo[a]pyren-Jahren [(µg/m³) x Jahre]) bezeichnet.
Für die Feststellung einer Listen-BK ist im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einergrundsätzlich versicherten Tätigkeit
(sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität)
und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben. Dabei gilt für die Überzeugungsbildung des Gerichts hinsichtlich der
"versicherten Tätigkeit", der "Verrichtung", der "Einwirkungen" und der "Krankheit" der Beweisgrad des Vollbeweises, also
der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit. Für die Überzeugungsbildung vom Vorliegen der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge
und der rechtlich zu bewertenden Wesentlichkeit einer notwendigen Bedingung genügt indes der Beweisgrad der hinreichenden
Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (statt vieler zuletzt BSG, Urt. v. 06.09.2018 - B 2 U 13/17 R -, juris Rn. 9 m.w.N., stRspr).
Ausgehend von diesen Grundsätzen lagen die hier allein streitgegenständlichen Berufskrankheiten bei dem Versicherten bis zu
dessen Tod nicht vor. Der Versicherte litt zwar an einer von der BK 4104 und der BK 4113 erfassten Erkrankung (Lungenkrebs).
Jedoch fehlt es an den in diesen Tatbeständen genannten weiteren Voraussetzungen.
1. Hinsichtlich der BK 4113 fehlt es an den arbeitstechnischen Voraussetzungen (Einwirkung von polyzyklischen aromatischen
Kohlenwasserstoffen und Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo[a]pyren-Jahren [(µg/m³) x
Jahre]). Der Präventionsdienst der Beklagten hat in seinen im Verwaltungs- und im gerichtlichen Verfahren abgegebenen Stellungnahmen
eine nennenswerte Einwirkung von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen während des Berufslebens des Versicherten
verneint. Der nach §
109 SGG beauftragte medizinische Sachverständige Prof. Dr. T hat zwar ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass der Kläger bei der
Verwendung von teerhaltigen Produkten mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen in Kontakt gekommen sei. Er hat
jedoch eingeräumt, dass im Falle des Versicherten nicht von einer besonders belastenden langjährigen Tätigkeit insoweit auszugehen
sei und der Kläger nicht in einem besonders durch diese Stoffe belasteten Arbeitsbereich/Beruf tätig gewesen sei. Er ist deshalb
zu der Einschätzung gelangt, dass der Versicherte die im Tatbestand der BK 4113 verlangte Dosis nicht erreicht haben kann.
Die Klägerin selbst hat insoweit lediglich unsubstantiierte Behauptungen aufgestellt. Insgesamt kann daher der notwendige
Vollbeweis der Einwirkung der in der BK 4113 vorausgesetzten Dosis nicht geführt werden.
2. In Bezug auf die BK 4104 sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen zwar insoweit erfüllt, als mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit feststeht, dass der Kläger während seines Berufslebens Asbeststaub ausgesetzt gewesen ist (vgl. zu den
arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK 4104 insoweit BSG, Urt. v. 30.01.2007 - B 2 U 15/05 R -, juris Rn. 20). Es fehlt jedoch an den in den 3 Spiegelstrichen genannten weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen dieser
BK, den sog. Brückentatbeständen.
a) Bei dem Versicherten lag bis zu seinem Tode keine Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) vor.
aa) Eine Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) im Sinne des 1. Spiegelstrich der BK 4104 muss entgegen der Auffassung der
Klägerin im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, gesichert sein. Die Auffassung der Klägerin,
wonach lediglich die Einwirkung von Asbest und das Vorliegen einer Lungenfibrose im Vollbeweis festzustellen sind, wohingegen
für die Verursachung der Lungenfibrose durch Asbestfasern lediglich der Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gelte,
ist rechtlich nicht haltbar.
Der 1. und der 2. Spiegelstrich der BK 4104 wiederholen als tatbestandliche Voraussetzungen dieser BK die in der BK 4103 erfassten
Erkrankungen. Im Rahmen der BK 4103 müssen aber nach allgemeinen Grundsätzen die dort genannten Erkrankungen (Asbeststaublungenerkrankung
<Asbestose> oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankungen der Pleura) im Vollbeweis festgestellt werden (so Bayerisches
LSG, Urt. v. 22.05.2019 - L 17 U 239/15 -, juris Rn. 54 f.; LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 26.11.2018 - L 6 U 60/17 -, juris Rn. 37 sowie auch das Urteil des Senats vom 27.11.2018 - L 15 U 538/16 -, juris Rn. 22; in der Sache wohl auch BSG, Urt. v. 07.09.2004 - B 2 U 25/03 R -, juris Rn. 13). Im Rahmen der BK 4104 kann nichts anderes gelten (Hessisches LSG, Urt. v. 15.12.2015 - L 3 U 28/12 -, juris Rn. 40). Nennt ein BK-Tatbestand, wie hier, einen fachmedizinischen Diagnosebegriff ("Asbeststaublungenerkrankung
<Asbestose>"), so bedeutet dies, dass diesem Diagnosebegriff der Bedeutungs- bzw. Sinngehalt zukommt, den ihm der aktuelle
wissenschaftliche Erkenntnisstand beimisst: Es müssen die Diagnosekriterien vorliegen, die krankheitsbeweisend sind, also
nach den aktuellen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft erfüllt sein müssen, um die Diagnose zu sichern (vgl. insoweit
BSG, Urt. v. 27.06.2017 - B 2 U 17/15 R -, juris Rn. 17 <Hervorhebungen nicht im Original>).
Die von der Klägerin vertretene Auffassung geht von einem BK-Tatbestand aus, der in der
BKV nicht normiert ist. Sie wird, soweit ersichtlich, auch weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur geteilt (auch LSG
Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 06.09.2018 - L 14 U 48/18 -, juris Rn. 33 geht in der Sache von der Notwendigkeit eines Vollbeweises aus). Sie steht letztlich auch im Widerspruch
zu dem im 3. Spiegelstrich der BK 4104 genannten Brückentatbestand, wonach ein bestimmter Umfang der beruflichen Belastung
mit Asbest genügt, um die Verursachung der genannten Krebsarten durch berufliche Einwirkungen im Sinne einer Vermutung anzunehmen.
Hätte der Verordnungsgeber gewollt, dass für die Annahme einer Asbestose lediglich die vollbeweisliche Feststellung einer
Lungenfibrose bei gesicherten beruflichen Einwirkungen von Asbest sowie die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Verursachung
der Fibrose durch diese berufliche Einwirkungen genügen soll, hätte er den Tatbestand der BK 4103 bzw. der BK 4104 entsprechend
formuliert.
bb) Die Auffassung der Klägerin entspricht auch nicht in tatsächlicher, d.h. medizinischer, Hinsicht den Diagnosekriterien
für eine Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose).
Wenn, wie hier, ein fachmedizinischen Diagnosebegriff im Tatbestand einer BK genannt ist, kommt es auf den medizinischen Diagnosebegriff
und die dazu entwickelten Kriterien an, die die überwiegende Mehrheit der Fachmediziner, die auf dem jeweils in Betracht kommenden
Gebiet über spezielle Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, wissenschaftlich fundiert vertreten (BSG, Urt. v. 27.06.2017 - B 2 U 17/15 R -, juris Rn. 17).
Klassifiziert wird die Asbestose in ICD-10: J61 (Pneumokoniose durch Asbest und sonstige anorganische Fasern). Der aktuelle
wissenschaftliche Erkenntnisstand zu den Diagnosekriterien wird in der von der DGUV herausgegebenen Empfehlung zur Begutachtung
asbestbedingte Erkrankungen - Falkensteiner Empfehlung - von 2011 und der AWMF-Leitlinie Diagnostik und Begutachtung asbestbedingter
Berufskrankheiten (Interdisziplinäre S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. und
der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. vom 23.10.2020 - im Folgenden: S2k-Leitlinie) abgebildet,
denn diese Zusammenstellungen sind von den in Bezug auf asbestbedingte Erkrankungen kompetenten medizinischen Fachgesellschaften
getragen und enthalten eine Zusammenfassung dessen, worüber unter den kompetenten medizinischen Experten in Deutschland Konsens
besteht.
Darin findet die Auffassung der Klägerin, für die Diagnose einer Asbestose müsse lediglich die Einwirkung von Asbest sowie
eine Lungenfibrose vollbeweislich gesichert sein, wohingegen für die Frage der Verursachung der Fibrose durch Asbest der Maßstab
der hinreichenden Wahrscheinlichkeit genüge, keine hinreichende Stütze, auch wenn die Falkensteiner Empfehlung und die S2k-Leitlinie
nicht in allen Einzelheiten übereinstimmen.
Zwar heißt es in der Falkensteiner Empfehlung zur medizinischen Definition des Krankheitsbildes (3.1.1, S. 20), bei Asbestose
handele es sich um eine Lungenfibrose nach Inhalation von asbesthaltigem Staub. In der S2k-Leitlinie findet sich unter 4.1.1.1,
Seite 10, eine vergleichbare Formulierung, wonach es sich bei Asbestose um eine durch Asbestfaserstaub verursachte, nicht
granulomatöse Fibrose der Lunge mit acinärer Beteiligung mit begleitenden chronisch-entzündlichen Veränderungen und Betonung
des Umbaus der mittleren und basalen Lungenabschnitte handele. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um medizinische Beschreibungen
des Krankheitsbildes. Ein Diagnosemaßstab wird in diesen Beschreibungen nicht genannt.
Dieser wird vielmehr in der Falkensteiner Empfehlung unter 3.1.2, Seite 20 ff. und in der S2k-Leitlinie unter 4.3 (S. 28 ff.)
und 4.4. (S. 33 ff.) sowie unter 5.2 (S. 50 ff.) behandelt und entwickelt. Danach kommt es wesentlich auf radiologische und
histopathologische Befunde an.
Nach der Falkensteiner Empfehlung sind die in hochauflösender Niedrigdosis-Computertomographie (HRCT) nachweisbaren pulmonalen
Veränderungen, die nach einer beruflichen Asbestexposition beschrieben werden, in der wissenschaftlichen Literatur gut charakterisiert.
Allerdings seien die parenchymalen Befunde ätiologisch vieldeutig. Differentialdiagnostisch müssten bei morphologisch ähnlichen
Mustern in der Computertomographie auch ätiopatho-genetisch differente fibrosierende interstitielle Lungenerkrankungen in
Erwägung gezogen werden. Deshalb komme es ergänzend auf pathologische Untersuchungen an. Hierzu fasst die Falkensteiner Empfehlung
folgendes zusammen (S. 23):
"Gelingt lichtmikroskopisch der Nachweis von Astbestkörpern in Fibrosierungsarealen, ist pathologisch-anatomisch eine Asbestose
gesichert. Falls dieser Nachweis nicht geführt werden kann und eine Fibrose vorliegt, genügt entsprechend der Helsinki-Kriterien
der Nachweis einer elektronenmikroskopisch ermittelten Konzentration von nicht umhüllten Asbestfasern, die im Wertebereich
von verifizierten Asbestosen liegt. Dabei gilt der jeweils laborintern qualitätsgesichert-referenzierte Standard."
Danach kann keine Rede davon sein, dass bei Vorliegen einer Fibrose und gesicherten Einwirkungen von Asbeststaub mit dem Maßstab
hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine Asbestose geschlossen werden kann. Vielmehr bedarf es des Nachweises entweder von
Asbestkörpern in Fibrosierungsarealen oder einer elektronenmikroskopisch ermittelten Konzentration von nicht umhüllten Asbestfasern,
die im Wertebereich von verifizierten Asbestosen liegt.
Die Auffassung der Klägerin entspricht auch nicht den in der S2k-Leitlinie genannten Diagnosekriterien.
Dort heißt es unter 5.4.1 (S. 59) zwar, bei gesicherter Diagnose einer Lungenfibrose oder von Veränderungen der Pleura (vgl.
4.1.1) sei zur Zusammenhangsbeurteilung eine ausreichende arbeitsbedingte Asbestexposition nachzuweisen, die von ihrer Intensität
und ihrem zeitlichen Verlauf mit dem Ausmaß und der Entwicklung der medizinisch gesicherten Erkrankung im Einklang stehe.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass bei Vorliegen einer Fibrose und ausreichender arbeitsbedingter Asbestexposition auf eine
Asbestose geschlossen werden könnte. Dies ist vielmehr nach der S2k-Leitlinie nur bei medizinisch gesicherten Veränderungen
der Pleura zulässig, wenn die berufliche Belastung über der ubiquitären Belastung der Allgemeinbevölkerung lag (4. Absatz
unter 5.4.1). Im Übrigen betont die S2k-Leitlinie, dass für die Beurteilung, ob asbestbedingte Veränderungen vorliegen, klinischen
und anamnestischen Informationen zu möglichen anderen Ursachen pleuraler oder parenchymaler Veränderungen nachzugehen sei.
Darüber hinaus verweist die S2k-Leitlinie ausdrücklich auf die notwendige Auswertung der radiologischen Befunde (Abbildung
1 zu 5.4.1). Insoweit wird auf die gut charakterisierten typischen pleuraler und pulmonalen Veränderungen, die im CT/HRCT
nachweisbar seien, abgestellt (4.3.1, S. 29 f.).
Darüber hinaus erwähnt die S2k-Leitlinie, dass für die pathologisch-anatomische Diagnose der Asbestose nach internationalem
Standard das Auffinden von mehreren Asbestkörpern im Lungengewebe im histologischen Schnittpräparat erforderlich ist (4.4.2.8,
S. 37). Sie betont allerdings, dass eine Biopsie zur Diagnosesicherung nicht nötig und nicht mitwirkungspflichtig sei und
dass ein negativer Asbestnachweis die medizinische Diagnose einer Asbestose nicht ausschließen könne (4.4.1, S. 33). Zusammenfassend
heißt es dann (4.4.2.12, S. 40):
"Für die pathologische Diagnose der Asbestose wird der Nachweis eines typischen Ausbreitungsmusters der Fibrosierung nach
den CAP/NIOSH-Kriterien gefordert (siehe oben). Dieser Nachweis kann an entsprechend repräsentativen Lungengewebsproben (Operations-
und Obduktionspräparaten, transbronchiale Biopsien) lichtmikroskopisch erfolgen. Differentialdiagnostisch ist zu beachten,
dass zahlreiche Asbest-unabhängige Faktoren zu einer interstitiellen Lungenfibrose führen können und auch vergleichbare klinische,
radiologische und histopathologische Aspekte zeigen [141,224]. Differenzialdiagnostisch ist eine Abgrenzung der Asbestose
gegenüber anderen interstitiellen Lungenfibrosen nach der internationalen ATS/ERS-Klassifikation erforderlich [104,225-228].
Die Diagnose einer idiopatischen Lungenfibrose setzt den Ausschluss einer anderen Genese, auch einer Pneumokoniose, voraus
[226]. Im fortgeschrittenen Stadium der Lungenfibrose (Wabenlunge) ist pathologisch-anatomisch eine Differenzierung von idiopathischen
Lungenfibrosen bei fehlendem histologischem Nachweis von Asbestkörpern selbst durch eine elektronenmikroskopische Bestimmung
der pulmonalen Asbestfaserbelastung nicht immer möglich [25,177]. Die Diagnose einer Asbestose oder asbestbedingten benignen
Erkrankung der Pleura wird unter sozialmedizinischen Aspekten anhand der Arbeitsanamnese (Asbestfaserstaub-Exposition) und
des Röntgenbildes gestellt. Eine Biopsie zur Diagnosesicherung ist nicht mitwirkungspflichtig. Gegebenenfalls (z. B. nach
operativen Eingriffen aus anderer Indikation) sind pathologisch-histologische Untersuchungsbefunde zu berücksichtigen."
Diese Ausführungen machen deutlich, dass es sich bei den Diagnosekriterien der S2k-Leitlinie erkennbar um einen Kompromiss
handelt, der sich, anders als die Falkensteiner Empfehlung, einer eindeutigen Positionierung zur Frage der Erforderlichkeit
des Nachweises von Asbestkörperchen im Lungengewebe enthält. Ausschlaggebend für die kompromisshaften Formulierungen waren
offensichtlich unterschiedliche Auffassungen darüber, ob und in welchem Umfang der Nachweis von Asbestkörperchen im Lungengewebe
nach Einwirkung von Chrysotilasbest, der eine deutlich geringere Biobeständigkeit als Krokydolit aufweist, nach einer längeren
Interimszeit zwischen der Einwirkung und der Entnahme von Lungengewebe noch geführt werden könne (hierzu 4.4.2.11, S. 39 f.).
Es bestand in jedem Fall, anders als die Klägerin offensichtlich meint, kein Konsens darüber, dass Fasern von Chrysotilasbest
bei der histologischen Untersuchung nach längerer Interimszeit wegen des sogenannten Fahrerfluchtphänomens generell nicht
nachgewiesen werden können (vgl. die in 4.4.2.11, S. 39 f. zitierten Studien, in denen nach vielen Jahren Interimszeit eine
erhöhte Konzentration auch von Chrysotilasbestfasern nachgewiesen werden konnten). Einig waren sich die Verfasser der S2k-Leitlinie,
zu denen im Übrigen sämtliche im Berufungsverfahren gehörten Sachverständigen gehören, zwar darüber, dass auch wenige inkorporierte
Chrysotolfasern karzinogene Effekte initiieren können. Es bestand aber kein Konsens darüber, dass ohne den Nachweis von Asbestkörper
im Lungengewebe bei Vorliegen einer Lungenfibrose und gesicherten beruflichen Belastungen mit Asbeststaub auf das Vorliegen
einer Asbestose geschlossen werden kann. Vielmehr betont die S2k-Leitlinie ausdrücklich, dass es einer Abgrenzung der Asbestose
gegenüber anderen interstitiellen Lungenfibrosen nach der internationalen ATS (American Thoracic Society)/ERS (European Respiratory
Society)-Klassifikation bedürfe. Die S2k-Leitlinie geht dementsprechend ebenso wie die Falkensteiner Empfehlung davon aus,
dass die Diagnose einer Asbestose gesichert sein muss. Dass es bei Vorliegen einer Lungenfibrose genügt, dass das diese mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Einwirkung von Asbest zurückgeführt werden kann, kann der S2k-Leitlinie nicht entnommen
werden.
Entsprechendes hat auch keiner der im Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahren gehörten Sachverständigen behauptet. Prof.
Dr. U1, Prof. Dr. U und Prof. Dr. U2 sind übereinstimmend davon ausgegangen, dass eine Asbestose nach aktuellem wissenschaftlichen
Erkenntnisstand gesichert sein muss und dass es nicht genügt, bei Vorliegen einer Lungenfibrose mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
auf deren Verursachung durch Asbesteinwirkungen zu schließen. Auch Prof. Dr. T hat nicht dargelegt, dass nach aktuellem wissenschaftlichen
Erkenntnisstand die Diagnose einer Asbestose gestellt werden kann, wenn eine Lungenfibrose vorliegt, deren Verursachung durch
Asbeststaub hinreichend wahrscheinlich ist. Er ist vielmehr entsprechend dem Willen der Klägerin ausdrücklich danach gefragt
worden, ob eine Asbestose mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann und, wenn nicht, ob bei Vorliegen
einer Lungenfibrose deren Verursachung durch Asbeststaub nicht hinreichend wahrscheinlich sei, und hat lediglich die zuletzt
gestellte Frage beantwortet. Dass dies für die Diagnose einer Asbestose nach wissenschaftlichem Standard genügt, hat Prof.
Dr. T weder behauptet noch begründet.
cc) Unter Berücksichtigung der Falkensteiner Empfehlung und der S2k-Leitlinie, die, wie bereits ausgeführt, den aktuellen
Stand der medizinischen Wissenschaft darstellen, lag bei dem Versicherten im Zeitpunkt seines Todes nicht mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit eine Asbestose vor.
(1) Keiner der von der Beklagten und von dem Gericht beauftragten Sachverständigen hält die Diagnose einer Asbestose für im
Vollbeweis gesichert. Auch der nach §
109 SGG beauftragte Prof. Dr. T hat eine im Vollbeweis gesicherte Diagnose einer Asbestose nicht angenommen. In der Beweisanordnung
vom 23.04.2019 ist er unter Ziffer 1. ausdrücklich danach gefragt worden, ob bei dem Versicherten mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit eine Asbestose vorlag. Prof. Dr. T hat dies nicht beantwortet. Er hat vielmehr folgendes ausgeführt:
"1. Bei dem Patienten bestand röntgenologisch und histologisch eine gesicherte Lungenfibrose. Es ist eine gesicherte Asbestfaserstaubexposition
nachgewiesen. Bei fehlenden konkurrierenden Faktoren spricht mehr für das Vorliegen einer Lungenasbestose als dagegen. Mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat röntgenologisch keine asbestbedingte Veränderung der Pleura vorgelegen. ..."
Die Frage 2 der Beweisanordnung, in der der Sachverständige ausdrücklich danach gefragt wurde, ob es für den Fall, dass eine
Asbestose oder asbestbedingte Veränderung der Pleura nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden
können, aber bei dem verstorbenen Versicherten eine Lungenfibrose gesichert vorgelegen habe, hinreichend wahrscheinlich sei,
dass diese durch Asbest wesentlich verursacht worden sei, hat Prof. Dr. T nicht ausdrücklich beantwortet. Offensichtlich ging
er davon aus, dass er mit den oben wiedergegebenen Ausführungen die Fragen der Beweisanordnung insgesamt beantwortet hat.
Nicht zuletzt deshalb, vor allem aber wegen der Wortwahl des Sachverständigen müssen seine Ausführungen dahingehend verstanden
werden, dass er eine Asbestose gerade nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen wollte, sondern lediglich
die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Verursachung der bei dem Versicherten gesicherten Lungenfibrose durch Asbest bejahen
wollte. Soweit er ausgeführt hat, es spreche mehr für das Vorliegen einer Lungenasbestose als dagegen, ist er offensichtlich
von anderen, nach den vorstehenden Ausführungen unzutreffenden rechtlichen Maßstäben ausgegangen.
(2) Der Vollbeweis einer Asbestose bei dem Versicherten lässt sich auch unter Anwendung der nach den vorstehenden Ausführungen
anerkannten Diagnosekriterien nicht führen.
(a) Die erhobenen radiologischen Befunde sichern die Diagnose einer Asbestose nicht. Wie bereits der von der Beklagten beauftragte
Radiologe Dr. I in seiner fachradiologisches Stellungnahme vom 13.10.2014, die den Anforderungen an ein gerichtliches Sachverständigengutachten
genügt und deshalb urkundsbeweislich (§
118 Abs.
1 SGG i.V.m. §§
415 ff.
ZPO) verwertet werden darf, ausgeführt hat, zeigte das Lungenparenchym des Versicherten auf beiden Seiten eine mantel- und basalbetonte
Lungenfibrose vom UIP-/IPF-Muster. Hyaline oder verkalkte Pleuraplaques, die für eine Asbestexposition hochsignifikant seien,
fänden sich nicht. Die Veränderungen seien bildmorphologisch vieldeutig. Dieser Einschätzung hat sich der vom Senat beauftragte
Sachverständige Prof. Dr. U2 nach eigener Befundung der vorliegenden Röntgen- und CT-Aufnahmen angeschlossen. Anhaltspunkte
dafür, dass diese Einschätzung unzutreffend sein sollte, bestehen nicht. Auch Prof. Dr. T hat die röntgenologischen Befunde
ebenfalls nicht als beweisend für eine Asbestose angesehen und die Einschätzung von Dr. I für zutreffend erachtet.
(b) Histopathologisch ist eine Asbestose bei dem Versicherten ebenfalls nicht zu sichern.
Ausweislich des von der Beklagten eingeholten pathologischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. U waren weder bei der
lichtmikroskopischen Untersuchung des anlässlich der operativen Entfernung des Lungentumors des Versicherten entnommenen Lungengewebes
noch bei der Lungenstaubanalyse Asbestkörper auffindbar. Asbestkörper in diesem Sinne sind dabei keulen- oder hantelförmige
Gebilde, bestehend aus der zentralen, aus Chrysotil oder Amphibolen bestehenden Faser, ummantelt von einer organeigenen, segmentierten,
eisen- und eiweißhaltigen Proteinhülle (S2k-Leitlinie unter 4.2.2.2, S. 34). Soweit Prof. Dr. U ausgeführt hat: "Sollten in
dieser Probe Asbestkörper gewesen sein, so lag deren Anzahl unter 9 pro g Lungengewebe", bedeutet dies nicht, dass sie 9 Asbestkörper
gefunden hat. Sie hat mit dieser Formulierung lediglich zum Ausdruck gebracht, dass nach der gewählten Untersuchungsart Asbestkörper
nur gefunden werden, wenn diese in einer Konzentration von 10 und mehr pro Gramm Lungengewebe vorhanden sind. Es handelt sich
bei den zitierten Ausführungen der Sachverständigen offensichtlich um einen Hinweis zur Statistik und Messgenauigkeit. Ein
Widerspruch zu ihrer Aussage, dass keine Asbestkörper nachgewiesen worden seien, liegt darin nicht.
Die im Verwaltungsverfahren eingeholte fachpathologische, wissenschaftlich begründete Stellungnahme von Prof. Dr. U genügt
den Anforderungen an ein medizinisches Sachverständigengutachten im Gerichtsverfahren und ist deshalb im Wege des Urkundsbeweis
zu verwerten. Ob die Beklagte das Gutachterauswahlrecht nach §
200 Abs.
2 1. Halbsatz
SGB VII verletzt hat, kann dahinstehen. Einen entsprechenden Verfahrensfehler der Beklagten hätte der durchgehend anwaltlich vertretene
Versicherte gemäß §
202 Satz 1
SGG in Verbindung mit §§
295 Abs.
1,
556 ZPO bis zum Ende des erstinstanzlichen Verfahrens durch Erlass des angefochtenen Gerichtsbescheids (vgl. zur Rügefrist beim schriftlichen
Verfahren Greger, in Zöller,
ZPO, §
295 Rn. 8) rügen müssen, so dass sich die Klägerin im Berufungsverfahren nicht mehr auf einen etwaigen Verstoß gegen §
200 Abs.
2 1. Halbsatz
SGB VII berufen kann (vgl. hierzu BSG, Urt. v 07.05.2019 - B 2 U 25/17 R -, juris Rn. 21 f.).
Aus der vom Senat eingeholten ergänzenden sachverständigen Stellungnahme von Prof. Dr. U folgt kein anderes Ergebnis. Zwar
hat die Sachverständige in der transelektronenmikoskopischen Analyse des 2014 entnommenen Lungengewebes 73.546 Amphilbol-asbestfasern
von einer Länge zwischen 1 und 5µm entdeckt. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um Asbestkörper im Sinne der Falkensteiner
Empfehlung oder der S2k-Leitlinie. Vielmehr sind Asbestkörper von den hier von der Sachverständigen entdeckten nicht umhüllten
Asbestfasern zu unterscheiden. Insoweit kommt es nach der Falkensteiner Empfehlung für den histopathologischen Nachweis einer
Asbestose darauf an, ob die elektronenmikroskopisch ermittelte Konzentration von nicht umhüllten Asbestfasern im Wertebereich
von verifizierten Asbestosen liegt, wobei der jeweils laborintern qualitätsgesichert-referenzierte Standard gilt. Insoweit
hat Prof. Dr. U ausgeführt, die im Falle des Versicherten ermittelten Konzentrationen habe um Zehner-Potenzen unterhalb derjenigen
gelegen, wie sie in ihrem Labor in Referenzfällen bei Patienten mit gesicherten asbestassoziierten interstitiellen Lungenerkrankung
gefunden würden. Darüber hinaus sei unter Anlegung der in der Literatur im Messverfahren für Gefahrstoffe bei der Analytik,
Auswertung und Ablauf einer Faserzählung entwickelten Maßstäbe die Faserkonzentration mit 0 einzuschätzen, weil danach nur
längere Fasern (> 5µm) zu berücksichtigen seien. Anlass, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln, hat der Senat nicht.
Dementsprechend ist die Schlussfolgerung der Sachverständigen, wonach die in der elektronenmikroskopischen Untersuchung ermittelte
Konzentration kürzerer Fasern lediglich belege, dass eine Asbestbelastung stattgefunden habe, aber nicht die Diagnose einer
Asbestose rechtfertige, unter Berücksichtigung der Kriterien der Falkensteiner Empfehlung überzeugend.
(c) Auch unabhängig von dem fehlenden histopathologischen Nachweis von Asbestkörpern im Lungengewebe des Versicherten lässt
sich die Diagnose einer Asbestose gerade auch unter Berücksichtigung der von der S2k-Leitlinie hervorgehobenen Diagnosekriterien
nicht sichern. Der vom Senat beauftragte Sachverständige Prof. Dr. U2 hat ausdrücklich ausgeführt, dass sich eine Pneumokoniose,
d. h. eine Staublunge, die nach ICD-10: J 61 erforderlich ist, nicht sichern lasse. Darüber hinaus hat er unter Verwertung
der Ausführungen von Prof. Dr. U in ihrem der Beklagten erstatteten Gutachten hervorgehoben, dass das Lungengewebe des Versicherten
keine für eine Asbestose typische Fibrosierung aufweise, sondern das Fibrosierungmuster nach den ATS/ERS-Kriterien, die nach
der S2k-Leitlinie anzuwenden sind, dem klassischen Bild einer UIP, nächstliegend dem einer IPF entspreche. Zudem hätten sich
nach Prof. Dr. U auch Anhaltspunkte für eine Rauch-assoziierte Erkrankung in Gestalt einer respiratorischen Bronchiolitis
mit interstitieller Lungenerkrankung (RBILD) ergeben. Auch diese Erkrankung könne zu fibrotischen Veränderungen führen. Für
eine IPF und gegen eine Asbestose spreche schließlich auch die relativ rasche Progredienz der fibrosierenden Veränderungen,
die bei der Analyse des 2018 erneut entnommenen Lungengewebes des Versicherten habe festgestellt werden können. Diese Ausführungen
sind schlüssig und überzeugend. Sie halten sich eng an die Kriterien der Falkensteiner Empfehlung sowie der S2k-Leitlinie
und genügen deshalb offensichtlich dem aktuellen wissenschaftlichen Standard. Einwände gegen die gutachterlichen Ausführungen
von Prof. Dr. U2 hat die Klägerin im Übrigen nicht erhoben.
dd) Selbst wenn man entgegen der vorstehend vertretenen Auffassung es für die Annahme einer Asbestose genügen lassen würde,
dass bei Nachweis einer Lungenfibrose deren Verursachung durch Asbeststaub hinreichend wahrscheinlich ist, lässt sich eine
Asbestose des Versicherten nicht bejahen. Prof. Dr. T, der eine entsprechende hinreichende Wahrscheinlichkeit angenommen hat,
kann nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, dass Prof. Dr. T nicht von den unter (2) dargestellten, den aktuellen wissenschaftlichen
Standard darstellenden Diagnosekriterien ausgegangen ist, leidet seine Argumentation daran, dass er sich nicht hinreichend
mit anderen möglichen Ursachen für die beim Versicherten gesicherte Lungenfibrose befasst. Insbesondere setzt er sich nicht
damit auseinander, dass das Fibrosierungsmuster bei dem Versicherten nach den Ausführungen von Prof. Dr. U dem klassischen
Bild einer UIP entspricht und zudem Anhaltspunkte für eine RBILD bestanden. Ebenso wenig berücksichtigt er, dass die Entwicklung
der Fibrosierung, wie sie sich anhand des 2018 entnommenen Lungengewebes des Versicherten ablesen lässt, auf einen raschen
Verlauf hindeutet, der, wie Prof. Dr. U2 ausgeführt hat, für eine Asbestose untypisch ist.
Darüber hinaus begründet er die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Verursachung der Lungenfibrose des Versicherten durch
Asbeststaub unter anderem damit, dass die Diagnose einer IPF nach der S2k-Leitlinie eine Ausschlussdiagnose sei und dementsprechend
nur angenommen werden dürfte, wenn eine Asbestose ausgeschlossen werden könne. Damit geht er von einer Art Regel-Ausnahmeverhältnis
zwischen Asbestose und IPF aus, für die es jedoch weder nach der Falkensteiner Empfehlung noch nach der S2k-Leitlinie einen
hinreichenden wissenschaftlichen Beleg gibt. Dass es sich bei der IPF nach der S2k-Leitlinie um eine Ausschlussdiagnose handelt,
bedeutet nicht, dass diese Diagnose nur zulässig ist, wenn eine Asbestose ausgeschlossen werden kann. Es ist vielmehr so,
dass die Ausschlussdiagnose einer IPF durchaus gestellt werden kann, wenn es für eine Asbestose, wie im vorliegenden Fall
nach den Ausführungen zu cc) (3), keine hinreichenden Belege gibt. Hier gab es im Übrigen, wie Prof. Dr. U2 dargelegt hat,
im histologischen Befund hinreichende Indizien für eine IPF.
Schließlich ist auch der zweite Argumentationsstrang von Prof. Dr. T, der im Wesentlichen auf das unterschiedliche, statistisch-epidemiologische
Risiko von asbestbelasteten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegenüber der Allgemeinbevölkerung abstellt, nicht tragfähig.
Die von Prof. Dr. T referierten epidemiologischen Untersuchungen bezogen sich stets auf Personen, bei denen Lungenasbestosen
computertomografisch nachgewiesen bzw. bei denen radiologische Veränderungen erkennbar waren. Dies war bei dem Versicherten
gerade nicht der Fall.
Letztlich bejaht Prof. Dr. T die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Verursachung der Lungenfibrose des Versicherten durch
Asbest allein deshalb, weil der Versicherte asbestexponiert gewesen ist und weil Chrysotilasbest eine geringere Biobeständigkeit
aufweist. Eine solche Annahme entspricht aber nicht dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wie er in der Falkensteiner
Empfehlung und in der S2k-Leitlinie zusammengefasst wird. Offensichtlich vertritt Prof. Dr. T in Bezug auf das sog. "Fahrerfluchtphänomen"
und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen für die Diagnose einer Asbestose eine Auffassung, über die bei Abfassung der
S2k-Leitlinie kein Konsens bestand.
Vielmehr ist auch hier Prof. Dr. U2 zu folgen, nach dessen Ausführungen die Verursachung der Lungenfibrose durch Asbest zwar
möglich, aber nicht hinreichend wahrscheinlich ist, weil zahlreiche Indizien gegen eine Asbestose und für das Vorliegen einer
anderen Ursache sprechen. Insoweit wird auf die Ausführungen unter cc) (3) Bezug genommen.
b) Bei dem Versicherten lag bis zu seinem Tod auch keine durch Asbeststaub verursacht der Erkrankung der Pleura im Sinne des
2. Spiegelstrichs der BK 4104 vor. Eine solche Erkrankung ist nach allen Sachverständigen, die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren
gehört worden sind, ausgeschlossen und damit weder im Vollbeweis gesichert, noch hinreichend wahrscheinlich.
c) Schließlich ist auch nicht nachgewiesen, dass der Versicherte der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis von
mindestens 25 Faserjahren ausgesetzt war (3. Spiegelstrich der BK 4104). Vielmehr lag die Asbestbelastung des Versicherten
deutlich unter diesem Wert. Der Präventionsdienst der Beklagten hat dies in mehreren Stellungnahmen erläutert. Diese Stellungnahmen
sind nachvollziehbar und unter Berücksichtigung des BK-Reports 1/13 - Faserjahre - schlüssig und überzeugend. Die ursprüngliche
Einschätzung des Präventionsdienstes basierte auf den persönlichen Angaben des Versicherten, dessen Richtigkeit der Versicherten
mit seiner Unterschrift bestätigt hat. Soweit der Versicherte nachträglich seinen Vortrag geändert und eine höhere Asbestbelastung
behauptet hat, handelt es sich um interessengeleitet nachgeschobenen Vortrag, den der Senat insgesamt nicht für glaubhaft
hält. Dies gilt namentlich für die im gerichtlichen Verfahren eingereichte Stundenübersicht. Wie bereits der Präventionsdienst
der Beklagten dargelegt hat, geht die Gesamtzahl der vom Kläger behaupteten Arbeitsstunden pro Jahr mit Asbestbelastung erheblich
über die von einem Arbeitnehmer pro Jahr insgesamt zu leistenden Arbeitsstunden hinaus. Zudem sind die einzelnen Angaben weit
entfernt von dem üblichen Berufsbild eines Maurers. Auch insoweit handelt es sich um offensichtlich unzutreffenden, interessengeleitet
Tatsachenvortrag, dem der Senat keinen Glauben zu schenken vermag.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §
183 SGG. Es kann dahinstehen, ob der Rechtsprechung des BSG zu folgen ist, wonach die Kostenprivilegierung nach §
183 Satz 1
SGG nicht eingreift, wenn Rechtsnachfolger den Anspruch des Versicherten darauf, dass die beklagte Berufsgenossenschaft das Vorliegen
eines Versicherungsfalls feststellt, nach dem Tode des Versicherten weiterverfolgen (so BSG, Beschl. v. 27.10.2016 - B 2 U 45/16 B -, juris Rn. 5 f.). In jedem Fall folgt für die Klägerin die Kostenprivilegierung hier aus §
183 Satz 2
SGG, weil der Versicherte erst während des Berufungsverfahrens verstorben ist.
4. Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), liegen nicht vor. Zu den Voraussetzungen für die Anerkennung einer Asbestose im Sinne der BK 4103 oder 4104 sowie zu dem
insoweit einschlägigen Beweismaßstab hat sich das BSG zwar noch nicht explizit geäußert. Abgesehen davon, dass die aufgeworfenen Rechtsfragen eindeutig auf der Grundlage der bisherigen
Rechtsprechung des BSG beantwortet werden können, ist eine Asbestose im vorliegenden Einzelfall nach den Ausführungen zu II. 2. a) dd) auch dann
aus tatsächlichen Gründen zu verneinen, wenn man davon ausgeht, dass bei nachgewiesener Lungenfibrose die hinreichende Wahrscheinlichkeit
von deren Verursachung durch Asbest ausreicht. Von daher ist die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage im vorliegenden
Verfahren nicht rechtserheblich und damit nicht klärungsfähig.