Erstattung von Kosten für das Arzneimittel Alvesco®
Anspruch auf Kostenerstattung für die Vergangenheit
Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots
Subjektives Empfinden eines Versicherten nicht ausreichend für eine Behandlungsbedürftigkeit
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten für das Arzneimittel Alvesco®, die ihr seit Januar 2009 entstanden sind, sowie
die zukünftige Übernahme der Kosten nach vertragsärztlicher Verordnung, soweit sie den Festbetrag der Festbetragsgruppe "Glucocortikoid,
inhalativ, oral" der Stufe 2, Gruppe 1 und die gesetzliche Zuzahlung übersteigen.
Die 1957 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet u.a. an Asthma bronchiale. Am 24.04.2009
beantragte sie bei der Beklagten die vollständige Kostenübernahme für das Medikament Alvesco® (Wirkstoff Ciclesonid). Sie
verwies auf einen Bericht des Klinikums S vom 02.04.2009, wonach eine Allergie gegen den Festbetragsarzneistoff Beclometason
die Notwendigkeit dieses Medikaments begründe. Dem Antrag war der Ausdruck einer E-Mail von Prof. Dr. I1, Professorin an der
Fakultät pharmazeutische Chemie für die Fachbereiche Biochemie und klinische Chemie an der Universität X, vom 19.08.2008 an
die Klägerin beigefügt. Darin ist u.a. ausgeführt: "Es ist so, dass die einzelnen Glucocorticoide prinzipiell die gleiche
Effektivität haben, wenn man die Dosis entsprechend anpasst Das Potenzial für Nebenwirkungen ist für ältere Substanzen (Belcometasondipropionat,
Budesonid) aus pharmakologischer Sicht höher als für neue Substanzen (Fluticasonpropionat, Mometasonfuroat, Ciclesonid)."
Die Klägerin führte weiter aus, beim Versuch, auf den Festbetragsarzneistoff Beclometason umzustellen, habe sie nach drei
Tagen kleine Pusteln am ganzen Körper, starken Juckreiz, verbunden mit leichtem Fieber bekommen. Das Medikament sei sofort
abgesetzt worden und die Symptome verschwunden. Laut Auskunft ihrer Lungenfachärzte gebe es Behandlungsalternativen für die
lebensnotwendige Grundbehandlung außer mit dem begehrten Medikament nicht.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 24.04.2009 ab. Den dagegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.2009 zurück.
Die Klägerin hat am 01.06.2009 Klage beim Sozialgericht Detmold erhoben. Ein zugleich anhängig gemachtes Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes blieb für die Klägerin in beiden Instanzen erfolglos (LSG NRW - L 11 B 11/09 KR ER).
Die Klägerin hat zur Begründung der Klage ausgeführt, die Entscheidung der Beklagten verstoße gegen ihre Grundrechte aus Art.
2 Abs.
1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip sowie mit Art.
2 Abs.
2 Satz 1
GG. Sie sei seit 2005 auf das begehrte Medikament angewiesen. Die Corticoide der ersten Generation hätten - soweit zum Einsatz
gekommen - allergische Reaktionen ausgelöst; das Kombinationsspray Viani (Fluticason) habe zu massiven Kreislauf- und Atemproblemen
geführt. Aufgrund der allergischen Reaktionen auf die Testung sei es zu Krankenhausaufenthalten gekommen. Insoweit führe die
strenge Handhabung des vermeintlichen Wirtschaftlichkeitsgebots zu Mehrkosten für den Krankenversicherungsträger. Auch der
MDK habe eine Fortführung der aktuellen Therapie empfohlen. Aufgrund der allergischen Reaktionen sei die medikamentöse Grundversorgung
weder ausreichend noch zweckmäßig. Sie sei nicht verpflichtet, weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen aufgrund zusätzlicher
und vorhersehbarer Arzneimittelnebenwirkungen im Rahmen der Testung weiterer Medikamente in Kauf zu nehmen. Eine solche Forderung
sei weder mit den Menschenrechten noch mit den Grundrechten und auch nicht mit den Zielen des
SGB V bzw. des
SGB IX und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH, EGMR, Bundesverfassungsgerichts und Bundessozialgerichts zu vereinbaren. Eine kostenaufwändige Erprobung etwa des Arzneistoffes
Budenosid widerspräche angesichts des geringen Einsparpotenzials für die Krankenkassen zudem dem Wirtschaftlichkeitsgebot.
Die Festbetragsregelung sei fehlerhaft zustande gekommen. Daher sei die neue Generation der inhalativen Corticoide von der
Festbetragsregelung mit der nicht zutreffenden Begründung ausgeschlossen worden, diese habe nur einen sehr geringen Zusatznutzen.
Ihre Recherchen hätten gegenteilige Feststellungen erbracht (Verweis auf die E-Mail von Prof. Dr. I1 vom 19.08.2008). An der
Prüfkommission für die Festlegung des Festbetrages seien weder Lungenfachärzte noch Vertreter der medizinischen Chemie bzw.
Pharmakologie beteiligt gewesen. Die Entscheidungen zu den Festbetragsregelungen basierten auf den Forschungsergebnissen zu
Monotherapien. Zahlreiche Patienten bräuchten wie sie aber mehrere Medikamente. Zwischenzeitlich sei auch bekannt, dass etliche
Medikamente unterschiedliche Wirkweisen entfalteten, je nachdem, ob sie von einem Mann oder einer Frau eingenommen würden.
Auch auf die unterschiedliche Bioverfügbarkeit sei nicht eingegangen worden. Die Bildung der Festbetragsgruppen sei daher
möglicherweise nur oberflächlich und nicht dem Stand der Wissenschaft entsprechend erfolgt. Im Gesetzgebungsverfahren sei
als Ziel der seinerzeitigen gesetzlichen Neuregelung auch der Erhalt innovativer Arzneimittel formuliert worden (Verweis auf
BT-Drs. 15/1170). Der Gemeinsame Bundesausschuss habe aber lediglich die zwei ältesten Wirkstoffe in einer Festbetragsgruppe
zusammengefasst und sämtliche neueren Zulassungen in nicht nachvollziehbarer Weise vom Festbetrag ausgeschlossen.
Sie sehe sich durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 17.12.2009 (B 3 KR 20/08 R) in ihrer Rechtsauffassung bestätigt. Es liege ggf. ein Systemversagen vor. Es sei ein Gutachten durch einen chemisch-pharmazeutischen
oder pharmakologischen Sachverständigen einzuholen. Die Klägerin hat diverse Veröffentlichungen vorgelegt, auf die der Einzelheiten
wegen Bezug genommen wird. Die ihr entstandenen Kosten in den Jahren 2009 und 2010 entstandenen (Mehr-)Kosten hat sie mit
insgesamt 319,50 EUR beziffert.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2009 zu verurteilen,
die Mehrkosten für das Arzneimittel Alvesco® für die Zeit ab Januar 2009 zu erstatten und künftig die Kosten für das Arzneimittel
Alvesco® nach vertragsärztlicher Verordnung auch insoweit zu übernehmen, als sie den Festbetrag der Festbetragsgruppe "Glucocortikoid,
inhalativ, oral" der Stufe 2, Gruppe 1 und die gesetzliche Zuzahlung übersteigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht hat Behandlungs- und Befundberichte von Dr. L (Allgemeinmedizinerin) vom 01.06.2011 und von Dr. I vom 01.07.2011
eingeholt. Frau Dr. L hat u.a. ausgeführt, sie selbst habe nur Ciclesonid verordnet, da die Klägerin angegeben habe, dass
die anderen Cortisonpräparate entweder keine gute Wirkung gezeigt oder allergische Reaktionen verursacht hätten. Bei höheren
Dosen von Cortison trete auch immer schnell eine Cortisonakne auf. Erhebliche Zahnfleischprobleme seien unter Ciclesonid am
geringsten. Lungenfachärztlicherseits werde Ciclenosid empfohlen. Dr. I hat mitgeteilt, die Klägerin habe berichtet, dass
sie alle anderen Wirkstoffe bzw. entsprechende Präparate nicht vertrage, da diese zu akuten, unvorhersehbaren Atemnotanfällen
führten. Eine entsprechende Einzeltestung sei durch ihn nicht durchgeführt worden. Dafür wäre eine Lungenfunktionsprüfung
zu entsprechenden Austestungen nach einer Inhalation bzw. Provokation mit den betreffenden Wirkstoffen/Präparaten erforderlich.
Diese könne aber nicht in adäquater Weise durchgeführt werden, da die Klägerin früher angegeben habe, dass sie aus Gründen
der Platzangst während der möglicherweise im Rahmen einer Testung ausgelösten bronchialen Obstruktion (und ggf. Asthmaanfall)
keine Lungenfunktionsprüfung durchführen könne. Eine derartige Testung dürfte daher nur schwerlich möglich sein, da die Klägerin
bekanntermaßen selbst auf geringste Duftstoffe oder Parfumstoffe sehr empfindlich reagiere. Ciclesonid sei der einzige Wirkstoff,
der erst auf zellulärer Ebene im Bereich der bronchialen Schleimhaut mit den aktiven Metaboliten umgewandelt werde und daher
ein deutlich geringeres Nebenwirkungsprofil gegenüber den anderen Wirkstoffen aufweise. Rein medizinisch bzw. pharmakologisch
müsste die Verbesserung der Symptomatik auch mit den genannten anderen Wirkstoffen erreichbar sein.
Der von der Beklagten eingeschaltete MDK hat mit Gutachten vom 22.08.2011 darauf hingewiesen, dass eine Testung der in der
Festbetragsgruppe enthaltenen Wirkstoffe bisher nicht erfolgt sei und die behandelnden Ärzte lediglich die Angaben der Klägerin
wiedergäben. Dass das begehrte Medikament am besten vertragen werde, sei lediglich eine Einschätzung, jedoch nicht eine begründete
und auf Befunderhebung basierende medizinische Beurteilung.
Das Klageverfahren hat zwischenzeitlich bis zur Entscheidung im Revisionsverfahren B 1 KR 22/11 R geruht.
Das Sozialgericht hat die Klage sodann mit Urteil vom 19.02.2014 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es sei nicht nachgewiesen,
dass durch die Einnahme der übrigen in der Festbetragsgruppe enthaltenen Wirkstoffe Nebenwirkungen von solchem Ausmaß eintreten
würden, dass eine neue Krankheit mit Behandlungsbedürftigkeit auftrete. Seit 2007 habe die Klägerin lediglich Ciclesonid erhalten.
Der Grund dafür habe darin gelegen, dass die Klägerin angegeben habe, andere Cortisonpräparate vertrage sie nicht. Für den
Wirkstoff Beclometason lasse sich noch das Vorliegen einer Erkrankung im Sinne des §
27 Abs.
1 Satz 1
SGB V auf Grundlage der Stellungnahmen der behandelnden Ärzte und der glaubhaften und nachvollziehbaren Angaben der Klägerin annehmen.
Insoweit werde nämlich über allergische Reaktionen berichtet. Ob und ggf. mit welchen therapeutischen Maßnahmen eine Gegensteuerung
erreicht werden könnte, ergebe sich aus den Befunden jedoch nicht. Gesicherte Erkenntnisse lägen insgesamt nicht vor. Jedenfalls
die Wirkstoffe Mometason und Budenosid seien zu keinem Zeitpunkt getestet worden. Auch wenn die Klägerin ggf. alternative
Wirkstoffe in einer höheren Dosierung einnehmen müsse, ergebe sich daraus ein Anspruch erst dann, wenn dadurch Nebenwirkungen
mit Krankheitswert verursacht würden. Es reiche nicht aus, dass die alternativen Wirkstoffe theoretisch Nebenwirkungen mit
dem erforderlichen Krankheitswert verursachten.
Gegen das der Klägerin am 21.03.2014 zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 22.04.2014 (Dienstag nach Ostern).
Sie führt in Ergänzung ihres bisherigen Vorbringens aus, das Urteil verletze auch das in Art.
3 Abs.
3 Satz 2
GG verankerte Benachteiligungsverbot wegen Behinderung. Das Urteil übersehe die verfassungsrechtlichen Schranken der Regelungsbefugnis,
wonach sie Anspruch auf Berücksichtigung des im Pfichtversicherungssystem enthaltenen Gebots habe, die behinderungsbedingte
Freiheitseinschränkung durch angemessene Leistungen zu kompensieren, um ihrem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit
gerecht zu werden. Sie benötige Alvesco® in einer Dosierung, welche nach den Herstellerangaben nicht vorgesehen sei. Das Sozialgericht
sei ihrem Einwand nicht nachgegangen, wonach mit einer Steigerung der Medikamentendosis auch ein Anstieg der zu erwartenden
Nebenwirkung einhergehe. Das Statement von Prof. Dr. I1, wonach die älteren Substanzen aus pharmakologischer Sicht ein höheres
Potenzial für Nebenwirkungen hätten als neuere Substanzen, werde in Erinnerung gerufen. Eine äquivalente Dosierung mit dem
einzig für sie verfügbaren Festbetragsarzneistoff "Budenosid" führe aufgrund der vom Hersteller nicht vorgesehenen, aber erwartbaren
Dosierung zudem zu keiner erwähnenswerten Kostenersparnis der Krankenkasse. Die Festbetragsfestsetzung orientiere sich in
Bezug auf die festgelegten Festbeträge lediglich an einer mittleren Dosierung der verglichenen Medikamente. Vergleichsdaten
und Berechnungen zu deutlich höheren Dosierungen lägen nicht vor. Sie leide an mehreren Atemwegserkrankungen. Das Sozialgericht
Aachen (S 13 KR 170/10) vertrete die Auffassung, dass die Festbetragsgruppenbildung mit nur zwei Wirkstoffen nicht der vom Gesetzgeber geforderten
Bereitstellung medizinisch notwendiger Verordnungsalternativen genüge. Des Weiteren habe das Sozialgericht die Auffassung
vertreten, dass die Nichtaufnahme des Wirkstoffs Ciclesonid die im Gesetz verankerte Pflicht, patentgeschützte Wirkstoffe
von Festbetragsgruppen auszunehmen, deren Wirkungsweise neuartig sei oder die eine therapeutische Verbesserung auch wegen
geringerer Nebenwirkungen bedeute, verletze. Es liege auch ein Verstoß gegen verfassungsrechtliche Vorgaben vor. Der Gesetzgeber
habe mit der Ermächtigung zur Festsetzung von Festbeträgen das Sachleistungsprinzip nicht aufgegeben. Eine für die Therapie
ausreichende Vielfalt müsse erhalten bleiben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müsse die Krankenkasse
im Einzelfall ihren Versicherten ein Arzneimittel ohne Beschränkung auf den Festbetrag zur Verfügung stellen, wenn dieses
das einzige zur Krankenbehandlung des Versicherten ausreichende, zweckmäßige und erforderliche Arzneimittel sei und es dazu
kein gesundheitlich zumutbares, zum Festbetrag erhältliches Arzneimittel gebe. Durch die Forderung, sie müsse alternative
Wirkstoffe testen, werde sie in verfassungswidriger Weise als chronisch Kranke und Schwerbehinderte diskriminiert.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 19.02.2014 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.04.2009
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2009 zu verurteilen, die Mehrkosten für das Arzneimittel Alvesco® für
die Zeit ab Januar 2009 zu erstatten und künftig die Kosten für das Arzneimittel Alvesco® nach vertragsärztlicher Verordnung
auch insoweit zu übernehmen, als sie den Festbetrag der Festbetragsgruppe "Glucocortikoid, inhalativ, oral" der Stufe 2, Gruppe
1 und die gesetzliche Zuzahlung übersteigen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und hält das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend. Sie verweist im Wesentlichen
auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Danach reiche allein das subjektive Empfinden der Klägerin ohne Nachweis
von Nebenwirkungen zur Begründung des Anspruchs nicht aus.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des Verwaltungsvorgangs der Beklagten sowie
der Prozessakten und den Inhalt der Prozessakten zum Eilverfahren (SG Detmold S 5 KR 144/09 ER; L 11 B 11/09 KR ER) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthafte Klage der Klägerin zu Recht abgewiesen.
Die Klägerin ist durch den Bescheid der Beklagten vom 24.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2009
nicht beschwert im Sinne von §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Erstattung ihr bereits entstandener (aber nicht abschließend bezifferter, vgl.
zu diesem grundsätzlichen Erfordernis BSGE 83, 254, 26) Kosten nach §
13 Abs.
3 Satz 1
SGG noch einen Anspruch auf Freistellung von zukünftig entstehenden Kosten bzw. entsprechende Sachleistungen.
Zulässiger Streitgegenstand ist dabei der Anspruch auf Versorgung mit dem Festbetragsarzneimittel Alvesco®. Beruft sich ein
Versicherter - wie hier - für sich selbst auf einen atypischen Einzelfall, in welchem er trotz genereller Achtung der allgemeinen
gesetzlichen Vorgaben für Festbeträge keine hinreichende Arzneimittelversorgung zum Festbetrag erhält, kann er die konkrete
Leistung eines Arzneimittels gesondert auf dem dafür regelhaft vorgesehenen Weg eines Verwaltung- und Gerichtsverfahrens gegen
die Krankenkasse geltend machen (BSG, Urteil vom 03.07.2012 - B 1 KR 22/11 R, Rn. 10, juris).
Rechtsgrundlage des Anspruchs auf zukünftige festbetragsfreie Arzneimittelversorgung als Naturalleistung sind die §
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
3,
31 SGB V. Auf diesen Anspruch ist auch im Rahmen der Kostenerstattung abzustellen. Denn der Anspruch auf Kostenerstattung für die
Vergangenheit reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch; er setzt voraus, dass die selbstbeschaffte
und zukünftig zu beschaffende Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemeinen Natur als Sach- oder
Dienstleistung zu erbringen haben (etwa BSG a.a.O. Rn. 11).
Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, sie müsse sich mit einer Teilkostenerstattung nicht zufrieden geben.
Zwar begrenzt die Reichweite des Wirtschaftlichkeitsgebots zugleich die Wirkkraft der Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel.
Die Versicherten haben unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots Anspruch auf eine in der Qualität gesicherte Vollversorgung
durch Sachleistungen aus einer Pflichtversicherung, die durch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge solidarisch finanziert
wird (BVerfGE 106, 275, 306, 307 = juris Rn. 130). Der Nachweis der Wirtschaftlichkeit bedingt im Sinne des Minimalprinzips den Beleg, dass bei Existenz verschiedener
gleich zweckmäßiger und notwendiger Behandlungsmöglichkeiten die Kosten für den gleichen zu erwartenden Erfolg geringer oder
zumindest nicht höher sind. Das Wirtschaftlichkeitsgebot greift aber nicht ein, wenn lediglich überhaupt nur eine Leistung
in Rede steht (BSG a.a.O. Rn. 14).
Festbeträge sind so festzusetzen, dass sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der
Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten (§
35 Abs.
5 Satz 1
SGB V). Geht es dagegen um einen atypischen Ausnahmefall, in dem - trotz Gewährleistung einer ausreichenden Arzneimittelversorgung
durch die Festbetragsfestsetzung im Allgemeinen - aufgrund der ungewöhnlichen Individualverhältnisse keine ausreichende Versorgung
zum Festbetrag möglich ist, greift die Leistungsbeschränkung auf den Festbetrag nicht ein. Aufgrund ungewöhnlicher Individualverhältnisse
ist keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag mehr möglich, wenn die zum Festbetrag erhältlichen Arzneimittel unerwünschte
Nebenwirkungen verursachen, die über bloße Unannehmlichkeiten oder Befindlichkeitsstörungen hinausgehen und damit die Qualität
einer behandlungsbedürftigen Krankheit (§
27 Abs.
1 Satz 1
SGB V) erreichen. Die Beurteilung der Verursachung richtet sich nach der im Sozialrecht maßgeblichen Theorie der wesentlichen Bedingung.
Lediglich für die zu prüfenden Kausalzusammenhänge genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit, die zur vollen Überzeugung
des Gerichts feststehen muss. Nach allgemeinen Grundsätzen tragen die Versicherten hierfür die objektive Beweislast.
Das Bundessozialgericht fasst die Anspruchsvoraussetzungen eines Anspruchs auf eigenanteilsfreie Versorgung mit einem nur
oberhalb des Festbetrags erhältlichen Festbetragsarzneimittel wie folgt zusammen (BSG, Urteil vom 03.07.2012 a.a.O. Rn. 18 ff):
Es muss zumindest objektiv nachweisbar eine zusätzliche behandlungsbedürftige Krankheit oder eine behandlungsbedürftige Verschlimmerung
einer bereits vorliegenden Krankheit nach indikationsgerechter Nutzung aller anwendbaren, preislich den Festbetrag unterschreitenden
Arzneimittel eintreten, die zusätzliche Erkrankung/Krankheitsverschlimmerung muss zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
wesentlich durch die Anwendung der den Festbetrag preisunterschreitenden Arzneimittel bedingt sein und die Anwendung des nicht
zum Festbetrag verfügbaren Arzneimittels muss ohne Nebenwirkungen im Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Krankheit bleiben
und in diesem Sinne alternativlos sein.
Allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete (hier zusätzliche)
Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemeine
anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse und die danach zur Verfügung stehenden Methoden, um Beschwerden zu objektivieren.
Ist die Erkrankung/Verschlimmerung objektiv gesichert, muss diese mit Wahrscheinlichkeit wesentlich jeweils durch die Anwendung
des Festbetragsarzneimittels bedingt sein. Insoweit sind die tatsächlichen Lebensumstände des Versicherten, die als Ursache
der objektivierten Krankheit in Betracht kommen, umfassend abzuklären. Auch der Hersteller des angewendeten, vermeintlich
der Nebenwirkungen verdächtigten Arzneimittels ist zu befragen. Ein gewichtiges, stets zu überprüfendes Indiz soll in diesem
Zusammenhang auch der Umstand sein, dass der Vertragsarzt die bei dem Versicherten im Rahmen der Behandlung mit dem Festbetragsarzneimittel
aufgetretenen, objektiv festgestellten behandlungsbedürftigen Krankheitserscheinungen zumindest als vermutete Nebenwirkungen
gemeldet hat.
Diese (sehr restriktiven) Voraussetzungen liegen auch zur Überzeugung des Senats schon deshalb nicht vor, weil jedenfalls
hinsichtlich des Wirkstoffs Budenosid eine Austestung nicht erfolgt ist. Darüber hinaus fehlen auch hinsichtlich der bereits
getesteten weiteren, der einschlägigen Festbetragsgruppe unterfallenden Arzneimittel objektivierbare, d.h. nicht allein auf
Angaben der Klägerin beruhende Befunde. Die behandelnden Ärzte geben übereinstimmend an, hinsichtlich der beklagten allergischen
Reaktionen weder Diagnostik betrieben noch Befunde erhoben zu haben. Folglich sind auch keine Nebenwirkungen von ihnen gemeldet
worden.
Das Bundessozialgericht fordert jedoch, dass alle zum Festbetrag in Betracht kommenden Arzneimittelalternativen erfolglos
ausgeschöpft sein müssen (BSG, Urteil vom 03.07.2012 a.a.O. Rn. 27). Dies behauptet auch die Klägerin nicht. Sie kann sich aber nicht mit Erfolg darauf
berufen, eine Austestung der Behandlungsalterativen sei ihr nicht zumutbar. Den Ausführungen der behandelnden Ärzte lassen
sich keine objektivierbaren und zwingenden (medizinischen) Gründe entnehmen, die einer (weiteren) Testung entgegenstünden.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (a.a.O.) und der vor allem Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten
Rechnung tragenden Zielsetzung der Festbetragsregelungen bedarf es jedoch auch insoweit mehr als subjektiv empfundener Hinderungsgründe.
Soweit sich die Klägerin zur Objektivierung gravierender Gefahren meint auf die Ausführungen von Prof. Dr. I1 in der an sie
gerichteten E-Mail beziehen zu können, weist der Senat darauf hin, dass diese Ausführungen keinerlei Aussage zu den individuellen
Verhältnisse der Klägerin treffen. Allein der Umstand, dass bei wissenschaftlich-theoretischer Betrachtung die älteren, zum
Festbetrag erhältlichen Arzneimittel ein höheres Allergiepotenzial in sich tragen (sollen), vermag den Anspruch der Klägerin
ersichtlich nicht zu begründen. Die grundsätzliche (weitere) Eignung der einschlägigen Festbetragsarzneimittel zur Behandlung
des internistisch-lungenfachärztichen Krankheitsbildes der Klägerin bestreiten weder Prof. Dr. I1 noch ihre behandelnden Ärzte.
Die Klägerin vermag sich auch nicht mit Erfolg auf die von ihr zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG,
Urteil vom 17.12.2002 - 1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95, 1 BvL 30/95 = BVerfGE 106, 275-310, juris), die das Bundessozialgericht in der Grundsatzentscheidung vom 03.07.2012 (a.a.O.) aufgreift, zu stützen. Eine
Verfassungswidrigkeit der einschlägigen Rechtsgrundlagen als solche bzw. der Entscheidung der Beklagten ist nicht ersichtlich.
Zunächst geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die in §§
35 und
36 SGB V enthaltene Ermächtigung, für Arznei- und Hilfsmittel Festbeträge festzusetzen, mit dem
Grundgesetz vereinbar ist. Den Sozialgerichten kommt die Aufgabe zu, im Rahmen gerichtlicher Kontrolle die Festbetragsfestsetzung zu
überprüfen, um zu verhindern, dass der Festbetrag so niedrig festgesetzt wird, dass eine ausreichende Versorgung nicht mehr
gewährleistet ist (BVerfG a.a.O. Rn. 141). Dem trägt die höchstrichterliche Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 03.02.2012 a.a.O.) Rechnung. Der Nachweis, dass die Klägerin nicht in zumutbarer Weise durch die zum Festbetrag
zur Verfügung gestellten Arzneimittel zu behandeln ist, ist gerade, wie bereits ausgeführt, nicht erbracht. Ein Verletzung
der Klägerin in ihren Grundrechten, insbesondere aus Art.
3 Abs.
1 und Abs.
2 GG bzw. Art.
2 Abs.
1 GG I.V.m. dem Sozialstaatsprinzip sowie Art.
2 Abs.
1 GG scheidet bei bestehenden Versorgungsalternativen aus.
Der von der Klägerin zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs angeführten Entscheidung des Sozialgerichts Aachen vom
16.11.2012 (S 13 KR 170/10, juris) liegt schon insoweit ein anderer Sachverhalt zugrunde, als das Sozialgericht den Anspruch damit begründet hat, dass
der dortige Kläger nach den Feststellungen des Sozialgerichts in zumutbarer Weise nur mit dem hier streitigen Medikament zu
behandeln war.
Soweit die Klägerin - wie auch das Sozialgericht Aachen (a.a.O.) - in Zweifel zieht, dass die Aufnahme des Wirkstoffs Ciclenosid
in die Festbetragsgruppe von der gesetzlichen Ermächtigung gedeckt sei und das Verfahren bemängelt, vermag der Senat dem ebenfalls
nicht zu folgen. Das Sozialgericht hat explizit dahinstehen lassen, ob die Einordnung von Ciclesonid in die Festbetragsgruppe
"Glucocorticoide, inhalativ, oral" von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist. Zutreffend hat es zugleich aber
darauf hingewiesen, dass sich der Gemeinsame Bundesausschuss bei seinen Beratungen seinerzeit insbesondere auch mit der Thematik
der geringeren Nebenwirkungen des Wirkstoffes Ciclesonid befasst hat (SG Aachen a.a.O. Rn. 21).
Der Senat hat keine Zweifel daran, dass die Festbetragsgruppenbildung "Glucocorticoide, inhalativ, oral, Gruppe 1, in Stufe
2" ohne Verfahrensfehler und in Einklang mit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage erfolgt ist. Aus den tragenden Gründen
des Beschlusses vom 21.06.2007 - der Änderungsbeschluss vom 16.09.2010 bezieht sich lediglich auf eine Änderung der Vergleichsgrößen
- ergibt sich ohne Weiteres, dass Stellungnahmen von Sachverständigen der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaften
und der Berufsvertretungen der Apotheker (§
35 SGB V) einbezogen wurden. Die tragenden Gründe des Beschlusses führen die erhobenen Einwände im Einzelnen auf und lassen eine eingehende
wissenschaftliche Auseinandersetzung unter Berücksichtigung der vorgelegten Fachpublikationen und vorliegenden Studien erkennen.
Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass die seinerzeitige Einschätzung auf sachfremden Erwägungen beruhte; auch ist nicht
zu erkennen, dass sich an der Sachlage durch Vorlage neuer Studien etwas geändert haben könnte (vgl. etwa auch Peters/Dicheva/I/Heyde/Böschen,
Mehrkosten für neuere inhalative Glucocorticoide, DAZ 2013, Nr. 27, S. 42).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), liegen nicht vor.