Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft und Heizung; Ermessensausübung bei der Übernahme von Mietschulden
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten - vorliegend im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - über die darlehensweise Übernahme von
Mietschulden.
Der 1968 geborene Antragsteller, der vom 1. Mai 2010 bis 30. April 2011 Arbeitslosengeld I und ab 1. Juni 2010 ergänzend Wohngeld
bezog, steht seit dem 1. Mai 2011 im Leistungsbezug des Antragsgegners. Er erhält Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
sowie Kosten für Unterkunft und Heizung nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II). Bereits im Oktober
2010 kündigte der Vermieter den Mietvertrag über die von dem Antragsteller bewohnte Wohnung wegen Zahlungsverzuges des Antragstellers.
Die Zahlungsrückstände waren nach Angaben des Antragstellers im Zusammenhang mit einer kurzfrist erforderlich gewordenen Reise
zu seiner erkrankten Mutter auf Zypern entstanden. Seinerzeit wurden die Mietrückstände darlehensweise von der Stadt N__________
übernommen. Für die Monate August, Oktober und November 2011 kam es erneut zu Mietrückständen in Höhe von 1.047,84 EUR, die
den Vermieter zur fristlosen Kündigung vom 7. November 2011 veranlassten. Am 20. Dezember 2011 wurde dem Antragsteller die
Räumungsklage zugestellt. Am 29. Dezember 2011 erging ein Vollstreckungsbescheid über 1.261,51 EUR einschließlich Nebenforderungen.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 9. Januar 2012 sagte der Vermieter zu, den Räumungstitel bei Zahlung des Rückstands in voller
Höhe, pünktlichen laufenden Mietzahlungen und ratenweisem Abtrag der Verfahrenskosten nicht zu vollstrecken. Seit Januar 2010
zahlt der Antragsgegner die Unterkunftskosten direkt an den Vermieter.
Den am 21. November 2011 gestellten Antrag auf darlehensweise Übernahme der Mietrückstände lehnte der Antragsgegner mit Bescheid
vom 21. November 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2011 ab. Am 9. Januar 2012 hat der Antragsteller
den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt; am 24. Januar 2012 hat er in der Hauptsache Klage
erhoben und gleichzeitig unter Geltendmachung eines anwaltlichen Büroversehens Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen
Versäumung der Klagefrist gestellt. Den Eilantrag,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller ein Darlehen in Höhe von 1.300,00
EUR zu gewähren mit der Maßgabe, den Darlehensbetrag direkt zu zahlen an den Vermieter, A__________ Baugenossenschaft EG,
O_____________ Straße, N_______________,
hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 19. Januar 2012 abgelehnt und dabei auch die für das erstinstanzliche Verfahren nachgesuchte
Prozesskostenhilfe versagt. Zur Begründung hat das Sozialgericht zum einen ausgeführt, dass der Antragsteller gegen den Bescheid
vom 21. November 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2011 keine Klage erhoben habe, die Klagefrist
abgelaufen sei und dem Eilantrag insoweit das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Zum anderen habe der Antragsteller bei summarischer
Prüfung keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe bestehe wegen Fehlens hinreichender
Erfolgsaussichten des Eilantrags nicht. Auf die Gründe des Beschlusses vom 19. Januar 2012 wird zur Vermeidung von Wiederholungen
Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 9. Februar 2012 eingegangene Beschwerde des Antragstellers. Zur Begründung macht
er unter sinngemäßer Bezugnahme auf früheres Vorbringen geltend, dass die Mietrückstände aufgelaufen seien, weil er seinem
13jährigen Sohn, der bei der Kindesmutter lebt, aus von ihm empfundener sozialer Verantwortung einen Laptop sowie Schuhe,
einige Kleidungsstücke und einen neuen Schulranzen gekauft habe. Für den Laptop habe sich im August 2011 auf einem Flohmarkt
eine günstige Kaufgelegenheit ergeben. Ihm könne nicht entgegengehalten werden, dass es bereits 2010 zu Mietrückständen gekommen
sei. Zum einen habe er seinerzeit noch keine Leistungen von dem Antragsgegner bezogen; zum anderen erkläre sich der damalige
finanzielle Rückstand mit der erforderlich gewordenen Reise nach Zypern. Ergänzend legt der Antragsteller die Räumungsankündigung
des Obergerichtsvollziehers L_______ vom 8. März 2012 vor, wonach ein zwischenzeitlich ergangenes Räumungsurteil am 20. April
2012 vollstreckt werden soll.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen und bezweifelt wegen fehlender Belege die von dem Antragsteller gemachten
Angaben. Im Übrigen hält er seine Entscheidung - auch vor dem Hintergrund der schon 2010 aufgelaufenen Mietrückstände - für
rechtsfehlerfrei, zumal die jetzt in Rede stehenden Mietrückstände während des laufenden Leistungsbezuges entstanden seien,
wobei er - der Antragsgegner - dem Antragsteller seit Mai 2011 auch die Kosten für Unterkunft und Heizung zur Verfügung gestellt
habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
einschließlich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht
hat zu Recht entschieden, dass der Antragsteller im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung keinen Anspruch auf darlehensweise
Übernahme der Mietrückstände hat. Auch die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren ist rechtsfehlerfrei.
Es kann im vorliegenden Verfahren dahingestellt bleiben, ob dem geltend gemachten Begehren - wie das Sozialgericht gemeint
hat - bereits die Bestandskraft des Bescheides vom 21. November 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember
2011 entgegensteht. Nachdem der Antragsteller nach Erlass des angefochtenen Beschlusses Klage gegen diese Bescheide erhoben
und wegen der Versäumung der Klagefrist einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat, könnte die vom Sozialgericht gegebene
Begründung des Beschlusses vom 19. Januar 2012 insoweit überholt sein. Der Senat vermag der Entscheidung des Sozialgerichts
über den Wiedereinsetzungsantrag allerdings nicht vorzugreifen und sieht hierzu gegenwärtig von weiteren Ausführungen ab.
Der Senat ist jedoch mit dem Sozialgericht der Auffassung, dass der Antragsteller den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung
erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat. Gemäß §
86b Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint.
Dabei hat der Antragsteller das Bestehen des zu sichernden materiellen Rechts (Anordnungsanspruch) sowie die besondere Dringlichkeit
für den Erlass der begehrten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §§
920 Abs.
2,
294 Zivilprozessordnung [ZPO]). Ist auch schon wegen des inzwischen angekündigten Räumungstermins vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes auszugehen,
so fehlt es an einem von dem Antragsteller glaubhaft gemachten Anordnungsanspruch.
Nach § 22 Abs. 8 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden,
soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen
werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs.
2 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.
Bei der Ermessensentscheidung sind in einer umfassenden Gesamtschau die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, nämlich
die Höhe der Rückstände, ihre Ursachen, das Alter sowie eventuelle Behinderungen der jeweiligen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft,
das in der Vergangenheit vom Hilfesuchenden gezeigte Verhalten (erstmaliger oder wiederholter Rückstand, eigene Bemühungen,
die Notsituation abzuwenden und die Rückstände auszugleichen) und ein erkennbarer Wille zur Selbsthilfe. Dabei kann es insbesondere
darauf ankommen, ob sich der Leistungsberechtigte missbräuchlich verhalten hat. Dies ist im Regelfall zu bejahen, wenn der
Hilfesuchende die Mietzahlungen bewusst nicht leistet und sein Verhalten darauf schließen lässt, dass er auf eine darlehensweise
Übernahme entstehender Schulden durch den Leistungsträger vertraut oder gar spekuliert. In solch einem Fall wird die Notlage
gezielt zu Lasten des Leistungsträgers herbeigeführt. Dies kann jedoch nicht hingenommen werden (Schleswig-Holsteinisches
Landessozialgericht, Beschluss vom 23. März 2012 - L 6 AS 191/11 B ER unter Hinweis auf Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 9. Juni 2010 - L 13 AS 147/10 B, zitiert nach juris).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die Versagungsentscheidung des Antragsgegners nach summarischer Prüfung nicht zu
beanstanden. Zweifelhaft ist bereits, ob dem Antragsteller im Sinne von § 22 Abs. 8 SGB II Wohnungslosigkeit droht. Denn er
hat sich - soweit ersichtlich - in Kenntnis der Folgen der aufgelaufenen Mietrückstände (fristlose Kündigung des Mietvertrages,
Räumungsklage und -urteil, Vollstreckungsankündigung) nicht um die Anmietung angemessenen Ersatzwohnraums bemüht. Drohende
Wohnungslosigkeit, die einen Anspruch auf Übernahme von Schulden nach den Bestimmungen des SGB II auslöst, bedeutet nicht
nur den drohenden Verlust der bewohnten, kostenangemessenen Wohnung, sondern auch die fehlende Möglichkeit, angemessenen Ersatzwohnraum
zu erhalten (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. Juni 2010 - B 14 AS 58/09 R, zitiert nach juris). Es ist von dem Hilfebedürftigen jedenfalls dann zu fordern, eine an sich kostenangemessene Wohnung
zu verlassen und nach einem Umzug (der sich dann als notwendig darstellt) eine neue Wohnung zu beziehen, wenn durch sein unwirtschaftliches
Verhalten in Form der zweckwidrigen Verwendung der nach § 22 SGB II gewährten Mittel eine Schuldenlage entstanden ist (BSG,
aaO.). Vorliegend sind die Mietrückstände dadurch entstanden, dass der Antragsteller die ihm ab 1. Mai 2011 von dem Antragsgegner
gewährten tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung nicht an den Vermieter weitergeleitet hat. Dies dürfte unbeschadet
der dazu von dem Antragsteller gegebenen Begründung als vorsätzliches unwirtschaftliches Verhalten zu würdigen sein, so dass
nach den Maßstäben der zitierten BSG-Rechtsprechung die Übernahme von Mietschulden nicht gerechtfertigt ist. In diesem Zusammenhang
hat das Sozialgericht auch zu Recht darauf abgestellt, dass es sich hier nicht um erstmalige Mietschulden handelt. Dabei ist
zur Überzeugung des Senats unerheblich, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der 2010 aufgelaufenen Mietrückstände noch nicht
im Leistungsbezug nach dem SGB II stand. Ebenso wenig kommt es darauf an, aus welchen Gründen seinerzeit Mietschulden entstanden
sind. Entscheidend ist vielmehr, dass dem Antragsteller durch die wegen der Mietschulden bereits im Oktober 2010 erfolgte
Kündigung seines Mietvertrages in besonderem Maße die möglichen Folgen erneuter Rückstände deutlich sein mussten. Für die
- weiterhin nicht belegten - Aufwendungen zugunsten seines Sohnes bestand auch selbst bei Annahme des von dem Antragsteller
beschriebenen Gefühls einer sozialen Verpflichtung keine derartige Notwendigkeit, dass der Antragsteller insoweit das Auflaufen
erneuter Mietrückstände hätte in Kauf nehmen dürfen.
Nach allem vermag auch der Senat nicht vom Vorliegen eines glaubhaft gemachten Anordnungsanspruchs auszugehen. Dass durch
eine Räumung der bisherigen Wohnung und den Umzug in eine neue angemessene Wohnung auch für den Antragsgegner Aufwendungen
entstehen könnten, die bei einem Verbleib in der bisherigen Wohnung nicht anfielen, kann in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt
werden.
Den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren hat das Sozialgericht zu Recht abgelehnt,
weil dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aus den vorstehend genannten Gründen hinreichende Erfolgsaussichten
fehlen (§
73a SGG in Verbindung mit §
114 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG und orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.