Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf eine große Witwenrente hat.
Der am 29. April 1954 geborene spätere Ehemann der Klägerin (nachfolgend: Versicherter) litt seit längerem unter schweren
Rückenbeschwerden und wurde diesbezüglich behandelt. Er lebte seit 1987 mit der 1950 geborenen Klägerin zusammen, zu einer
Heirat kam es zunächst nicht. Die Klägerin und der Versicherte bezogen zeitweilig Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), wobei vom zuständigen Leistungsträger vom Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft ausgegangen wurde.
Am 13. Oktober 2008 wurden bei dem Versicherten im Rahmen einer MRT-Untersuchung diffuse Metastasierungen im gesamten Lendenwirbelsäulenbereich
festgestellt. Eine Ganzkörperskelettszintigraphie vom 6. November 2008 wies auf multiple Mehrspeicherherde hin. Er wurde ab
12. November 2008 im Kreiskrankenhaus G. stationär behandelt. Mehrere Untersuchungen erbrachten den Nachweis eines kleinzelligen
neuroendokrinen Karzinoms im Bereich des linken Lungenoberlappens mit ausgedehnten Metastasierungen. Nach den Feststellungen
der behandelnden Ärzte bestand für die Tumorerkrankung kein kurativer Ansatz mehr, sodass mit einer palliativen Chemotherapie
begonnen wurde. Der Versicherte wurde zur Schädel-Hirn-Bestrahlung angemeldet, am 5. Januar 2009 sollte ein zweiter Chemotherapiezyklus
beginnen.
Am 27. November 2008 meldete die Klägerin sich und den Versicherten zur Eheschließung an. Das Kreiskrankenhaus G. bestätigte
die Voraussetzungen einer Nottrauung. Am 28. November 2008 wurde im Kreiskrankenhaus G. die Eheschließung unter Anwesenheit
des behandelnden Arztes Dr. Peter Z. und der Krankenschwester R. D. vollzogen. Am 7. Januar 2009 verstarb der Versicherte.
Die Klägerin beantragte am 9. Februar 2009 die Zuerkennung einer Witwenrente. Sie gab hierbei an, dass die Hochzeit bereits
vor der schweren Erkrankung geplant gewesen sei und zwar zum 55. Geburtstag des Versicherten, also zum 29. April 2009. Außerdem
sollte die Hochzeit der Vereinfachung dienen, damit ohne weitere Vollmachten Entscheidungen getroffen werden könnten. Die
Standesbeamtin I. P. teilte auf Nachfrage der Beklagten mit Schreiben vom 9. April 2009 mit, dass keine Anmeldung zur Eheschließung
für den 29. April 2009 und auch keine sonstige Reservierung vorliege. Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag mit Bescheid
vom 15. April 2009 ab. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3. November 2009).
Im Klageverfahren hat die Klägerin geltend gemacht, dass der Versicherte einem Freund, dem Zeugen J. P., von der geplanten
Hochzeit erzählt habe. Das Sozialgericht hat daraufhin ihn und die Standesbeamtin I. P. als Zeugen vernommen. Zum genauen
Inhalt wird auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 59 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen. Das Sozialgericht hat die Beklagte
mit Urteil vom 4. November 2011 zur Zahlung einer großen Witwenrente ab dem 1. Februar 2009 verurteilt. Es habe für die Heirat
zumindest gleichwertige emotionale Beweggründe gegeben. Die Klägerin und der Versicherte hätten seit 1987 zusammengelebt,
sich gegenseitig beigestanden und ein gemeinsames Konto geführt. Der Zeuge P. habe die konkreten Heiratsabsichten indirekt
bestätigt.
Im Berufungsverfahren macht die Beklagte geltend, dass die gesetzliche Vermutung für das Bestehen einer Versorgungsehe nicht
widerlegt worden sei.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 4. November 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zum Bundessozialgericht zuzulassen.
Sie bestreitet das Vorliegen einer Versorgungsehe. Es sei gerade nicht der alleinige bzw. überwiegende Zweck der Heirat gewesen,
einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Tatsächlich sei es ein symbolischer Akt gewesen, sich zueinander
zu bekennen und dies nach außen hin zu dokumentieren. Im Übrigen seien sie im Rahmen des SGB II-Bezuges als Bedarfsgemeinschaft angesehen worden.
Der Senat hat durch seinen Berichterstatter am 22. April 2013 einen Erörterungstermin durchgeführt und dabei Dr. Z. und R.
D. als Zeugen vernommen. Zum genauen Inhalt wird auf die Sitzungsniederschrift (Blatt 118 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen,
der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat entgegen der Auffassung des Sozialgerichts keinen Anspruch auf eine
große Witwenrente aus der Versicherung des Versicherten.
Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit
erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie (1.) ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten
Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen, (2.) das 47. Lebensjahr vollendet haben oder (3.) erwerbsgemindert
sind (§
46 Abs.
2 Satz 1 des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI)). Die Voraussetzungen des §
46 Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 SGB VI liegen bei der Klägerin zwar vor, dem Anspruch steht aber §
46 Abs.
2a SGB VI entgegen. Hiernach haben Witwen oder Witwer keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens
ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass
es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Ehe
hat kein Jahr gedauert und es liegen auch keine besonderen Umstände im Sinne des §
46 Abs.
2a Halbsatz 2
SGB VI vor.
Der Begriff "besondere Umstände" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der von den Rentenversicherungsträgern und den Sozialgerichten
mit einem bestimmten Inhalt ausgefüllt werden muss und dessen Beurteilungsspielraum der vollen richterlichen Kontrolle unterliegt
(vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 3. September 1986 - Az.: 9a RV 8/84, nach juris Rn. 13). Besondere Umstände im Sinne des §
46 Abs.
2a SGB VI sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund
für die Heirat schließen lassen. Sie müssen bei einer Gesamtbetrachtung und Abwägung den Versorgungszweck überwiegen oder
zumindest gleichwertig sein (vgl. BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 - Az.: B 13 R 55/08, nach juris Rn. 21). Hinsichtlich dieser Umstände muss nach §
202 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) i. V. m. §
292 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) der volle Beweis erbracht werden (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 1986 - Az.: 9a RV 8/84, nach juris Rn. 10). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade
wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach
der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage 2012, §
128 Rn. 3b).
Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Einzelfalls, wobei eine gewichtige Bedeutung stets dem Gesundheits- bzw.
Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung zukommt. In der Regel ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt
der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten der Ausnahmetatbestand
des §
46 Abs.
2a Halbsatz 2
SGB VI nicht erfüllt. Zwar ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose
und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest
gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde. Dann müssen allerdings bei der abschließenden Gesamtbewertung
diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger
und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen war. Dementsprechend steigt
mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem
Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der
gesetzlichen Annahme ("Vermutung") einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres
nach Eheschließung angeführt werden (vgl. BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 - Az.: B 13 R 55/08, nach juris Rn. 25 ff.).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist bei der Klägerin der Ausnahmetatbestand des §
46 Abs.
2a Halbsatz 2
SGB VI nicht erfüllt. Zum Zeitpunkt der Eheschließung bestand bei dem Versicherten eine offenkundig lebensbedrohliche Erkrankung.
Dies ergibt sich aus dem Bericht des Kreiskrankenhaus G., wonach es keinen kurativen Ansatz mehr gab und lediglich eine palliative
Behandlung vorgenommen wurde. Dies muss dem Versicherten und der Klägerin auch klar gewesen sein, was insbesondere die Durchführung
der Nottrauung zeigt. Nach dem damals gültigen § 7 des Personenstandsgesetzes waren nämlich hierfür eine lebensgefährliche Erkrankung eines Verlobten und die entsprechende ärztliche Bescheinigung erforderlich,
die auch vorgelegt wurde.
Vor dem Hintergrund dieser Erkrankung sind keine gewichtigen, gegen die Annahme einer Versorgungsehe sprechenden Gründe ersichtlich
bzw. nicht im Vollbeweis gesichert. Der Senat stellt nicht in Abrede, dass zwischen der Klägerin und dem Versicherten eine
besondere emotionale Verbundenheit bestand und dass sie füreinander Verantwortung übernehmen wollten. Die Einschätzung als
Bedarfsgemeinschaft nach § 7 SGB II ist insoweit nachvollziehbar. Dass dies jedoch der gleichwertige Beweggrund für die Eheschließung war, kann nicht aus dem
langjährigen Zusammenleben "wie eine Ehepaar" hergeleitet werden. Tatsächlich ist eher das Gegenteil der Fall. Gerade das
mehr als zwanzigjährige Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft spricht dafür, dass sich die Klägerin und der Versicherte
trotz der besonderen emotionalen Verbundenheit in dieser Situation eingerichtet hatten. Es wäre ansonsten wohl schon früher
zu einer Eheschließung gekommen. Auch der im Verwaltungsverfahren angegebene Umstand, die Klägerin hätte als Lebensgefährtin
keine Entscheidungsbefugnis gehabt, überzeugt nicht. Es ist nicht ersichtlich, warum die Erteilung einer Vorsorgevollmacht
nicht auch ohne Eheschließung möglich gewesen sein soll.
Dass die besondere emotionale Verbundenheit der gleichwertige Beweggrund war, kann letztlich auch nicht aus dem Vortrag geschlossen
werden, bereits vor Bekanntwerden der lebensbedrohlichen Erkrankung sei ein Hochzeitstermin vereinbart gewesen. Für eine solche
konkrete Absicht gibt es keine Belege. Die Zeugin I. P. hat bei ihrer Vernehmung vor dem Sozialgericht angegeben, sie könne
sich nicht daran erinnern, dass die Klägerin einen anderweitigen späteren Hochzeitstermin genannt hat. Dem entsprechen ihre
Angaben im Verwaltungsverfahren, dass keine Anmeldung oder Reservierung für einen Hochzeitstermin Ende April 2009 (d.h. zum
55. Geburtstag des Versicherten) vorlag. Der Zeuge P. hat bei der Vernehmung vor dem Sozialgericht ausgesagt, er habe den
Versicherten immer wieder darauf angesprochen, ob er nicht auch heiraten wolle. Die Kenntnis eines konkreten Hochzeitstermins
hat er aber - entgegen dem Vortrag der Klägerin im Verwaltungsverfahren - ausdrücklich verneint. Entgegen der Ansicht der
Vorinstanz kann aus seinen Angaben, der Versicherte habe ihn gefragt, ob er auch "während des Winterdienstes von November
bis Ende März frei bekommen könnte", kein Schluss auf konkrete Heiratsabsichten gezogen werden. Es handelt sich insoweit um
eine durch nichts belegte und im Ergebnis nicht nachvollziehbare Unterstellung. Ihr stehen zudem die Angaben der Klägerin
im Verwaltungsverfahren entgegen, es sei zunächst ein Hochzeitstermin zum 55. Geburtstag des Versicherten geplant gewesen,
den sie jedoch niemand mitgeteilt hätten. Dieser Planung sei nur die Erkrankung dazwischen gekommen. Der angefragte Zeitraum
November 2008 bis Ende März 2009 liegt jedoch deutlich vor dem Geburtstag am 29. April 2009.
Auch die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme hat keine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit für den Vortrag der Klägerin
erbracht. Zwar schließen die Aussagen der Trauzeugen D. und Dr. Z. die Möglichkeit nicht aus, dass tatsächlich bereits vor
Bekanntwerden der Erkrankung eine Hochzeit beabsichtigt war. Sie sind aufgrund ihrer Uneindeutigkeit und Unbestimmtheit aber
nicht geeignet, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Die Zeugin D. hat angegeben, sie könne nicht sagen warum
es gerade an diesem Tag zur Hochzeit kam. Es könne sein, dass ein Patient erwähnt habe, dass sowieso eine Hochzeit geplant
war, genau wisse sie das nicht. Der Zeuge Dr. Z. hat angegeben, er glaube sich "schwach" daran erinnern zu können, es sei
gesagt worden, man habe ohnehin die Absicht gehabt zu heiraten. Er habe dahingehend "zumindest" ein Gerücht gehört. Gerüchte
und persönliche Ansichten von Zeugen ohne konkrete Fakten sind aber für die richterliche Überzeugungsbildung mit Vollbeweis
ohne Relevanz. Tatsächlich hat auch dieser Zeuge auf Frage des Berichterstatters am 22. April 2013 ausdrücklich konkrete Kenntnisse
verneint. Weitere Ermittlungsmöglichkeiten sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.