Höhe von Beiträgen zur freiwilligen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung
Freiwillig versichertes Mitglied
Verfassungskonformität der Differenzierung zwischen Pflichtversicherten und freiwillig versicherten Personen
1. Wegen der gegenüber Pflichtversicherten zumindest geringeren Schutzbedürftigkeit dürfen freiwillig versicherte Mitglieder
gegenüber den pflichtversicherten Mitgliedern beitragsrechtlich nicht begünstigt werden, sondern müssen im Durchschnitt selbst
kostendeckend verbeitragt werden; sie sollen nicht auf Kosten der Pflichtversicherten möglichst niedrige Beiträge erhalten.
2. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Differenzierung zwischen Pflichtversicherten und freiwillig versicherten Personen
eine im Recht der GKV langfristig bewährte Unterscheidung erkannt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Beiträge der Klägerin zur freiwilligen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung
für den Zeitraum 1. April bis 31. Dezember 2012.
Die 1978 geborene Klägerin ist bei der Beklagten zu 1. als hauptberuflich Selbstständige (Steuerberaterin) freiwillig kranken-
und bei der Beklagten zu 2. pflegeversichert. Unter dem 8. Mai 2012 übersandte sie der Beklagten zu 1. eine Erklärung über
ihre Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit sowie den Bescheid für 2012 über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag
(im Folgenden: Einkommensteuerbescheid) vom 26. März 2012. Danach betrugen ihre Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit 37.571,00
Euro und ihre Einkünfte aus Kapitalvermögen bereits unter Abzug des Sparer-Pauschbetrages 48,00 Euro.
Mit Bescheid vom 10. Mai 2012 teilte ihr die Beklagte zu 1. mit, ab 1. April 2012 würden ihre Beiträge monatlich für die gesetzliche
Krankenversicherung (GKV) 476,29 Euro, für die soziale Pflegeversicherung (sPV) 70,32 Euro, insgesamt 546,61 Euro betragen.
Sie würden grundsätzlich aus den beitragspflichtigen Einnahmen unter Beachtung der vom Gesetzgeber verbindlich vorgegebenen
Mindest- bzw. Höchstbeitragsbemessungsgrenze und der jeweilig geltenden Beitragssätze ermittelt. Der Bescheid ergehe auch
im Namen der Beklagten zu 2. Hiergegen erhob der Klägerin Widerspruch mit der Begründung, die Beklagte habe die von ihr zu
entrichtenden Beiträge auf einen monatlichen Beitrag oberhalb des Mindestbeitrags und unter Berücksichtigung der Kapitalerträge
festgelegt. Die zu Grunde gelegten Einheitlichen Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen
Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden
Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BeitrVerfGrsSz)) seien unwirksam, weil sie lediglich vom Vorstand des
GKV-Spitzenverbands beschlossen worden seien. Des Weiteren verstoße es gegen den Gleichheitsgrundsatz des
Grundgesetzes, dass bei Selbstständigen Einnahmen und Einkünfte aus Kapitalvermögen beitragspflichtig seien, bei Arbeitnehmern dagegen
nicht. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit Urteil vom 17. Oktober 2014 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid beruhe auf §
240 Abs.
1 Satz 2 und Abs.
2 Satz 1
SGB V i.V.m. den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler (BeitrVerfGrsSz). Diese seien nach dem Urteil des BSG vom 19. Dezember 2012 - Az.: B 12 KR 20/11 als untergesetzliche Normen für sich genommen ab 1. Januar 2009 eine hinreichende
Rechtsgrundlage für die Beitragsfestsetzung gegenüber freiwillig Versicherten in der GKV. Die Höhe der Beiträge nach §§
8 Abs.
1, Abs.
9 BeitrVerfGrsSz i.V.m. §
243 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V), §
59 Abs.
1 Satz 3 Abs.
3 Satz 1 des
Elften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB XI) in der bis zum 31. Dezember 2012 geltenden Fassung sei nicht zu beanstanden. Die BeitrVerfGrsSz stünden mit §
240 Abs.
2 SGB V im Einklang. Ein Verbot der Berücksichtigung weiterer Einnahmen ergebe sich daraus nicht. Entscheidend für die Beitragsbemessung
freiwilliger Mitglieder sei allein die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Maßgebliche Vergleichsgruppe sei im Hinblick auf
die zu verbeitragenden Einnahmen auch nicht die Gruppe der aufgrund Versicherungspflicht versicherten Mitglieder, sondern
die der freiwillig versicherten Mitglieder. Die Versicherungspflichtigen hätten sich nicht freiwillig für eine Mitgliedschaft
in der GKV entschieden, die freiwillig Versicherten hingegen schon. Es bestünden keine Bedenken dagegen, diese Gruppe der
freiwillig Versicherten bei der Beitragsbemessung dem Maßstab ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu unterwerfen und
dabei auch Einnahmen aus Kapitalerträgen der Beitragspflicht zu unterwerfen. Die GKV habe im Gegensatz zur privaten Krankenversicherung
(PKV) keine Möglichkeit, freiwillig Versicherte nicht aufzunehmen. Auch in der Beitragsbemessung für freiwillig Versicherte
nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit finde nicht zuletzt der die GKV tragende Solidargedanke seinen Ausdruck. Dieser zeige
sich im Übrigen gerade im Fall der Klägerin, die wegen schlechter gesundheitlicher Risikoprognose von der PKV abgelehnt worden
sei und gleichwohl der gesetzlichen Krankenversicherung habe beitreten können, ohne dabei höhere Beiträge zu zahlen als ein
freiwilliges Mitglied mit besserer gesundheitlicher Risikoprognose und gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit.
Im Berufungsverfahren vertritt die Klägerin die Ansicht, sie habe Anspruch auf Festsetzung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen
nach dem Mindestbetrag. Sie halte weiterhin an ihrer Ansicht fest, dass die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler des
GKV-Spitzenverbandes als Grundlage der streitgegenständlichen Beitragsberechnung für hauptberuflich Selbstständige zu unbestimmt
seien und dies auch im Rahmen der Entscheidung des BSG vom 19. Dezember 2012 noch nicht abschließend entschieden sei. Die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler hätten nicht
durch Beschluss des Vorstandes des Spitzenverbandes der Krankenkassen erlassen werden dürfen. Vielmehr hätte eine Beschlussfassung
durch den Verwaltungsrat erfolgen müssen. Im Gegensatz zur Einkommensteuer, bei der alle Einkünfte gleichermaßen und bei gleichem
Einkommen der gleiche Prozentsatz berücksichtigt werde, würden ohne ausreichenden Grund zur sachlichen Rechtfertigung bei
der Beitragsberechnung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung lediglich bei den freiwillig gesetzlich Versicherten
nach den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler zusätzlich die Kapitalerträge und diese noch zu einem höheren Prozentsatz
herangezogen. Hinzu komme, dass bei sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge
von Arbeitgeberseite getragen werden müsse und dies bei hauptberuflich Selbstständigen, die freiwillig in der GKV krankenversichert
seien und sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigten, zu einer weiteren Verschärfung der Ungleichbehandlung
führe.
Der Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 17. Oktober 2014 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 10. Mai 2012 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2012 abzuändern und die Beiträge vom 1. April bis 31. Dezember 2012 zur
gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung unter Berücksichtigung der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage
festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertritt die Ansicht, die Ungleichbehandlung zwischen freiwillig Versicherten und Pflichtversicherten sei verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden.
Bezüglich des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug
genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 10. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2012 ist rechtmäßig und
verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch darauf, dass die Beiträge zur GKV und zur sPV nach der
Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nach §
240 Abs.
4 SGB V festgesetzt werden. Der Senat nimmt insoweit nach §
153 Abs.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug, denen er sich anschließt. Ergänzend führt er im Hinblick
auf die Berufungsbegründung noch Folgendes aus: Die von der Klägerin vorgetragenen Gründe sind nicht geeignet, eine Verfassungswidrigkeit
des §
240 Abs.
1 SGB V i.V.m. den BeitrVerfGrsSz darzulegen. Soweit diese einwendet, sie trage als Selbstständige die Beiträge alleine, ist dem
entgegenzuhalten, dass keine Pflicht zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht, vielmehr
freiwillig Versicherte grundsätzlich frei disponieren können, ob sie sich gesetzlich oder privat krankenversichern. Dieses
Wahlrecht haben versicherungspflichtige Personen nicht. Wegen dieser gegenüber Pflichtversicherten zumindest geringeren Schutzbedürftigkeit
dürfen die freiwillig versicherten Mitglieder gegenüber den pflichtversicherten Mitgliedern beitragsrechtlich nicht begünstigt
werden, sondern müssen im Durchschnitt selbst kostendeckend verbeitragt werden. Sie sollen nicht auf Kosten der Pflichtversicherten
möglichst niedrige Beiträge erhalten. Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 15. März 2000 - Az.: 1 BvL 16/96 und andere, nach juris) hat in der Differenzierung zwischen Pflichtversicherten und freiwillig versicherten Personen eine
im Recht der GKV langfristig bewährte Unterscheidung erkannt. Als verfassungswidrig wurde nur angesehen, dass langjährig versicherungspflichtig
Beschäftigte, die durch Überschreitung der Jahresarbeitsverdienstgrenze zu freiwillig Versicherten geworden waren, der Zugang
zur Pflichtversicherung der Rentner versperrt worden war, mit der Folge, dass sie Beitragsnachteile zu tragen hatten. Der
Gesetzgeber hat die Verfassungswidrigkeit in Ausführung dieser Entscheidung nicht durch einen Eingriff in das Beitragsrecht
beseitigt, sondern durch eine Öffnung des Zugangs zur Krankenversicherung der Rentner. Die unterschiedliche Beitragsbelastung
von Pflichtversicherten einerseits und freiwillig Versicherten andererseits hat das Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet
(vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. Mai 2014 - Az.: L 1 KR 608/13 m.w.N., nach juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.