Gründe:
I. Streitig ist die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Die 1963 geborene Antragstellerin ist polnische Staatsangehörige. Sie war bereits von April 2001 bis Oktober 2002 und seit
dem 11. Mai 2006 wieder mit Wohnsitz in B gemeldet. Nach ihren Angaben hielt sie sich seit dem 11. Mai 2006 in der Bundesrepublik
Deutschland auf. Durch Bescheinigungen vom 30. Mai 2006 und 22. März 2007 bestätigte ihr das Bezirksamt Mitte von Berlin,
dass sie als Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union nach Maßgabe des Freizügigkeitsgesetzes/EU - FreizügG/EU
- zur Einreise und zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt sei. Sie besitzt mit Wirkung vom 11. Mai 2009
an eine unbefristete Arbeitsberechtigung-EU für eine berufliche Tätigkeit jeder Art vom 5. Mai 2009. Jedenfalls seit März
2008 lebte sie mit MT gemeinsam in ihrer Wohnung, der indessen am 23. Februar 2010 wieder auszog.
Die Antragstellerin hatte vom 1. Juni 2006 bis zum 24. Januar 2007 ein Gewerbe angemeldet mit den Tätigkeiten des Betreibens
eines Call-Shops, Telefonieren und Internet, Verkaufen von Getränken, Süßwaren und Lebensmitteln, Bereitstellung von Unterhaltungsautomaten
ohne Gewinnmöglichkeit. Weiter hatte sie vom 23. März 2007 bis 26. April 2007 ein Gewerbe als Bedienung, Gastronomie/Tresenkraft,
Aushilfe angemeldet. Nach ihren Angaben war sie darüber hinaus bis zum 26. September 2007 als Bedienung selbständig erwerbstätig.
Die Antragstellerin ist seit dem 17. September 2007 in ärztlicher Behandlung, sie war nach ärztlicher Bestätigung (jedenfalls)
vom 1. Juli 2009 bis 6. Dezember 2009 und ab dem 5. Januar 2010 arbeitsunfähig erkrankt und befand sich bereits vom 10. bis
17. August 2008, am 9. Januar 2009, vom 21. September 2009 bis 21. Oktober 2009 und vom 30. Oktober 2009 bis 13. November
2009 im Krankenhaus.
Im Oktober 2010 beantragte die Antragstellerin die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches -
SGB II -. Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner durch Bescheid vom 27. November 2008 ab. Die Antragstellerin habe gegenüber
der Ausländerbehörde erklärt, Arbeitsuchende zu sein. Zurzeit bestehe kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, da die
Antragstellerin nur aufgrund ihrer Erklärung, über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und Einkommen zu verfügen, die
Freizügigkeitsbescheinigung erhalten habe.
Am 22. Juni 2009 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Durch Bescheid vom 22. Juni
2009 bewilligte der Antragsgegner der aus M T und der Antragstellerin bestehenden Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 22. Juni 2009 bis 31. Oktober 2009. In dem Bescheid wurde darauf hingewiesen,
dass die Antragstellerin für maximal sechs Monate in die Bedarfsgemeinschaft aufgenommen werde. Durch weiteren Bewilligungsbescheid
vom 14. Oktober 2009 bewilligte der Antragsgegner Leistungen an die aus M T und der Antragstellerin bestehenden Bedarfsgemeinschaft
für den Zeitraum vom 1. November 2009 bis zum 21. Dezember 2009. Der Leistungsanspruch der Antragstellerin sei auf sechs Monate
beschränkt. Der Zeitraum ende am 21. Dezember 2009.
Am 17. Dezember 2009 beantragte die Antragstellerin die Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Durch Schreiben
vom 21. Dezember 2009 erklärte der Antragsgegner, dass die Antragstellerin vom 22. Juni 2009 bis 21. Dezember 2009 für 6 Monate
Leistungen erhalten habe. Ein weitergehender Leistungsanspruch sei ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang werde auf die bestandskräftigen
Bescheide vom 22. Juni 2009 und vom 14. Oktober 2009 verwiesen. Die Antragstellerin begehrte daraufhin den Erlass eines widerspruchsfähigen
Bescheides.
Mit dem am 6. Januar 2010 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung soll
der Antragsgegner verpflichtet werden, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende an die Antragstellerin bis zum 30.
April 2010 zu erbringen. Das Sozialgericht hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch Beschluss vom 2. Februar 2010
abgelehnt. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass die Antragstellerin nicht zu den uneingeschränkt freizügigkeitsberechtigten
Unionsbürgern der Alt-Mitgliedstaaten der Europäischen Union gehöre. Eine Genehmigung für die Beschäftigung auf dem deutschen
Arbeitsmarkt sei ihr bisher nicht erteilt worden. Auch greife der Ausschlussgrund nach 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II ein. An
der Europarechtskonformität dieser Regelung bestünden keine Zweifel.
Gegen den ihr am 9. Februar 2010 zugestellten Beschluss richtet sich die am 22. Februar 2010 bei dem Sozialgericht eingelegte
und am 2. März 2010 bei dem Landessozialgericht eingegangene Beschwerde der Antragstellerin. Die Antragstellerin macht geltend,
dass sie keine Arbeit habe und nicht wisse, wovon sie ihren Lebensunterhalt bestreiten solle. Sämtliche sozialen Kontakte
habe sie mittlerweile in Berlin. Sie habe erfolglos bei dem Sozialamt vorgesprochen. Mittlerweile habe sie ein Gewerbe als
Reinigungskraft und sei auf der Suche nach Auftraggebern. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II sei
mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar. Die Vorschrift greife nur, wenn ein EU-Bürger bereits zur Ausreise aufgefordert
worden sei. Das sei bei ihr nicht der Fall.
Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß)
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. Februar 2010 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihr Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts ab Rechtshängigkeit sowie Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht und
dem Verfahren vor dem Landessozialgericht unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten Rechtsanwalt Imanuel Schulz zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verweist auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses des Sozialgerichts Berlin,
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die die Antragstellerin betreffende
Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.
II. Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Zu Unrecht hat das Sozialgericht abgelehnt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen
Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu gewähren.
Nach §
86b Abs.
2 des Sozialgerichtsgesetzes -
SGG - kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Entsprechend den
Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts über den vorläufigen Rechtsschutz gegen die Versagung von Leistungen der Grundsicherung
für Arbeitsuchende (vgl. Beschluss v. 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -) reicht schon die Möglichkeit, dass die begehrten Leistungen zustehen könnten, allemal aus, um im Wege der Folgenabwägung
den Erlass einer zusprechenden einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen. Das rechtfertigt die Verpflichtung des Antragsgegners,
da hier einiges dafür spricht und jedenfalls nicht mit Sicherheit verneint werden kann, dass die Antragstellerin die Voraussetzungen
für den Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erfüllt.
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II) erhalten Personen,
die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3.
hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben
(erwerbsfähige Hilfebedürftige - § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Die Antragstellerin ist im erwerbsfähigen Alter, sie hat glaubhaft
gemacht, dass sie sich seit Mai 2006 in der Bundesrepublik Deutschland aufhält und hilfebedürftig ist. Dass ihr Aufenthalt
als erlaubt anzusehen ist, ergibt sich aus den von ihr vorgelegten Bescheinigungen entsprechend § 5 FreizügG/EU.
Die Antragstellerin ist auch erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II. Nach § 8 Abs. 2 SGB II können Ausländer nur erwerbsfähig
sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Die Antragstellerin kann sich -
auch als Angehörige des zum 1. Mai 2004 der Europäischen Union neu beigetretenen Staates Polen - uneingeschränkt auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit
berufen, da ihr mit Wirkung vom 11. Mai 2009 an - und damit vor Beginn des hier streitigen Zeitraumes - entsprechend §
284 des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch -
SGB III - die dafür erforderliche Arbeitsberechtigung-EU erteilt worden ist. Für einen Widerruf dieser Berechtigung ist nichts ersichtlich.
Der Leistungsanspruch entfällt auch nicht zwingend aufgrund der Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II, wonach Ausländer, deren
Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, von den Leistungen nach dem SGB II ausgenommen sind. Es
ist nämlich nicht zweifelsfrei, dass sich ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin "allein aus dem Zweck der Arbeitssuche"
ergeben kann. Nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizügigG/EU bleibt das Recht für Arbeitnehmer und selbständige Erwerbstätige auf Einreise
und Aufenthalt unberührt bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigte Arbeitslosigkeit oder Einstellung
einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr
Tätigkeit. Die Antragstellerin hat im Verwaltungsverfahren nicht nur vorgetragen - wie von Antragsgegner bei der Bewilligung
von Leistungen für einen Zeitraum von sechs Monaten auch berücksichtigt wurde, vgl. § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU - dass sie
von März bis September 2007 als Bedienung selbständig erwerbstätig war, sondern auch eine Gewerbeanmeldung für die Zeit von
Juni 2006 bis Januar 2007 vorgelegt. Zusammengerechnet würde so der Mindestzeitraum von einem Jahr selbständiger Erwerbstätigkeit
erreicht. Darüber hinaus verfügt sie seit dem 4. Februar 2010 wieder über eine Gewerbeerlaubnis, die darauf schließen lässt,
dass die Antragstellerin wieder erwerbstätig ist, aber ergänzende Leistungen von dem Antragsgegner benötigt. Angesichts der
Tatsache, dass die Antragstellerin seit nahezu vier Jahren ununterbrochen in Deutschland lebt und bisher offenbar nur in dem
Zeitraum vom 22. Juni bis 21. Dezember 2009 staatliche Sozialleistungen bezogen hat, kann auch nicht ohne weiteres widerlegt
werden, dass sie tatsächlich selbständig gewesen ist, Einkommen erzielt hat und wieder erzielt. Für eine unfreiwillige Unterbrechung
der Selbständigkeit spricht, dass die Antragstellerin jedenfalls seit September 2007 in ärztlicher Behandlung steht und die
Erkrankung jedenfalls zeitweise offenbar zur Arbeitsunfähigkeit führt. Nähere Ermittlungen über Umfang, Dauer und Höhe der
Einkünfte aus der selbständigen Erwerbstätigkeit und die Gründe der Unterbrechung müssen dem Hauptsacheverfahren vorbehalten
bleiben.
Danach war der Antragsgegner dem Grunde nach im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu gewähren. Der Endzeitpunkt für die Verpflichtung des Antragsgegners ist in Anlehnung
an den Regelbewilligungszeitraum von sechs Monaten (§ 41 SGB II) auf den 30. April 2010 bestimmt worden. Der Bescheid vom
14. Oktober 2009 umfasste den zeitlichen Rahmen vom 1. November 2009 bis zum 30. April 2010. Im erstinstanzlichen Verfahren
hat die Antragstellerin auch nur Leistungen bis zum 30. April 2010 geltend gemacht. Das ist im Beschwerdeverfahren zwar nicht
mehr so aufgegriffen worden. Im Hinblick auf die zeitliche Begrenzung des Bescheides vom 14. Oktober 2009 sieht der Senat
aber nur einen Regelungsbedarf bis zum 30. April 2010.
Indessen konnten Leistungen erst ab dem Tag gewährt werden, an dem die Beschwerde bei dem Landessozialgericht eingegangen
ist. Maßgebend für den Erfolg eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind - auch im Beschwerdeverfahren -
in der Regel die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Beschluss des
erkennenden Senats v. 4. September 2009 - L 14 AS 1063/09 B ER; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 18. Oktober 2007 - L 28 B 1637/07 AS ER, zitiert nach juris; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, §
123 Rdnrn. 165, 166 m. w. N. zur Parallelproblematik in §
123 VwGO). Denn in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ist ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten, welches im Grundsatz
nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden
- besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes
führen. Die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Abs. 4
Grundgesetz (
GG) nämlich darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich
vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil schwere und unzumutbare Nachteile drohen, zu deren nachträglicher
Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht - BVerfG-, Beschlüsse
vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes
in aller Regel ausscheidet, wenn diese Dringlichkeit nur vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat.
Denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren
der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.
Die Antragstellerin hat nichts Substantiiertes dafür vorgetragen, warum sie gegenwärtig noch unter dem Ausbleiben von in der
Vergangenheit zu gewähren gewesenen Leistrungen leidet. Der Senat hat den Beginn der Verpflichtung des Antragsgegners aber
auf den Tag des Eingangs der Beschwerde bei dem Beschwerdegericht - statt dem des Ergehens der Beschwerdeentscheidung - gelegt,
damit die Dauer des Beschwerdeverfahrens keine negativen Folgen für die Antragstellerin mit sich bringt.
Die Gewährung von Prozesskostenhilfe kommt nicht in Betracht, da angesichts der von dem Senat für beide Instanzen zu treffenden
Kostenentscheidung die Antragstellerin nicht als bedürftig im Sinne der §§ 73a
SGG, 114
ZPO angesehen werden kann.
Nach alledem war die Beschwerde im Übrigen zurückzuweisen und der Antrag auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das
Beschwerdeverfahren abzulehnen.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).