Rente wegen Berufsunfähigkeit
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Rüge einer Gehörsverletzung
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten besteht Streit, ab wann und in welcher Höhe der Klägerin eine Rente wegen Berufsunfähigkeit nach
dem bis zum 31.12.2000 geltenden Recht zusteht.
Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), die seit dem 1.10.2005 unter dem Namen der Beklagten fortgeführt wird,
bewilligte der Klägerin aufgrund eines am 29.12.2000 in einer Auskunfts- und Beratungsstelle zur Niederschrift gestellten
Antrags ab dem 1.1.2001 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Bescheid vom 3.5.2001 - mit Rentenartfaktor 0,5 und Zugangsfaktor 0,979). Ab dem 15.4.2002 nahm die Klägerin eine neue Beschäftigung auf; sie erhielt von da an - nach Anrechnung von Hinzuverdienst
- die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe der Hälfte (Bescheid vom 6.3.2003), ab dem 1.11.2004 bis zum Ablauf der Befristung am 31.12.2004 wiederum in voller Höhe (Bescheid vom 10.2.2005). Mit weiterem Bescheid vom 5.9.2005 bewilligte die BfA die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1.1.2005 in voller
Höhe auf Dauer. Dieser Bescheid wurde mit Korrekturbescheid vom 27.4.2007 ab dem 1.7.2005 teilweise zurückgenommen. Nachfolgend
erließ die Beklagte weitere Bescheide zu dieser Rente (zB Bescheide vom 7.6.2007 und - unter Berücksichtigung eines Zuschlags aus einem Versorgungsausgleich - vom 19.12.2007 sowie
vom 15.9.2011 und vom 2.11.2011).
Im Oktober 2016 beantragte die Klägerin über einen Rentenberater die Altersrente für langjährig Versicherte. Dieser stellte
im Rahmen einer Akteneinsicht fest, dass die Klägerin im März 2000 Rehabilitationsleistungen beantragt hatte und am 7.12.2000
aus der Rehabilitationsklinik mit dem Befund entlassen worden war, dass sie ihre letzte berufliche Tätigkeit als Dialysekrankenschwester
nur noch unter zwei Stunden täglich ausüben könne. Die Klägerin beantragte daraufhin am 16.1.2017, den Rehabilitationsantrag
vom März 2000 in einen Rentenantrag umzudeuten und ihr ab dem 1.11.2000 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit nach altem Recht
(dh mit höherem Rentenartfaktor und ohne Abschlag) zu gewähren. Das sei ein neuer "regulärer Antrag", der die Umdeutung des
Reha-Antrags als noch nicht getätigte Handlung voraussetze; die Ausschlussfrist des § 44 Abs 4 SGB X sei deshalb nicht anwendbar. Rein vorsorglich werde aber auch ein Überprüfungsantrag gestellt. Die Beklagte lehnte den Antrag,
den sie auf Rücknahme des Bescheids vom 3.5.2001 zielend ansah, ab (Bescheid vom 17.2.2017, Widerspruchsbescheid vom 10.8.2017). Im anschließenden Klageverfahren erkannte die Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Berufsunfähigkeit nach
altem Recht ab dem 1.11.2000 sowie - mit Rücksicht auf § 44 Abs 4 SGB X - einen Zahlungsanspruch ab dem 1.1.2013 an. Die Klägerin nahm dieses Teilanerkenntnis an. Ihre weitergehende Klage auf Auszahlung
der Rente wegen Berufsunfähigkeit bereits ab dem 1.11.2000 blieb ohne Erfolg (SG-Urteil vom 14.11.2018). Während des Berufungsverfahrens erließ die Beklagte zwei Bescheide (vom 1.3.2019 und vom 7.3.2019) zur Ausführung des Teilanerkenntnisses und bewilligte Nachzahlungen von insgesamt 12.177,85 Euro für den Zeitraum vom 1.1.2013
bis zum 31.12.2016. Das LSG sah durch diese Bescheide den ursprünglichen Rentenbescheid vom 3.5.2001 nach §
96 SGG als ersetzt an; es wies das Rechtsschutzbegehren, diese Bescheide zu ändern und Rente wegen Berufsunfähigkeit auch für den
Zeitraum vom 1.11.2000 bis zum 31.12.2012 zu zahlen, auf Klage hin ab (Urteil L 10 R 118/19 vom 19.9.2019). Die von der Klägerin gegen diese Entscheidung geführte, auf eine Verletzung des §
96 SGG und des rechtlichen Gehörs gestützte Nichtzulassungsbeschwerde verwarf das BSG als unzulässig (Beschluss vom 19.8.2020 - B 13 R 233/19 B).
Unabhängig von diesem Verfahrensgang hatte die Klägerin gegen die Bescheide vom 1.3.2019 und vom 7.3.2019 Widerspruch erhoben,
den die Beklagte zurückwies (Widerspruchsbescheid vom 5.7.2019). Das gegen den Bescheid vom 1.3.2019/Widerspruchsbescheid vom 5.7.2019 geführte Klageverfahren S 6 R 2866/19 mit dem Begehren, die Beklagte zur Zahlung der Rente in voller Höhe für den Zeitraum vom 1.1.2008 bis zum 31.12.2015 und
"unter einer veränderten Berechnung" zu verurteilen, hat das SG abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 8.6.2020). Die Klage sei, soweit sie Zeiträume vor dem 1.1.2013 betreffe, wegen doppelter Rechtshängigkeit bereits unzulässig und im
Übrigen - hinsichtlich der Anrechnung von Hinzuverdienst - unbegründet. Die Berufung der Klägerin gegen diese Entscheidung
hat das LSG zurückgewiesen (Urteil vom 8.2.2022). Über den Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Jahre 2008 bis 2012 habe das rechtskräftig gewordene
Urteil des LSG vom 19.9.2019 abschließend entschieden. Die materielle Rechtskraft jener Entscheidung erstrecke sich (unabhängig
davon, ob sie dort zutreffend angenommen worden sei) auch auf den Fall einer gesetzlichen Klageänderung nach §
96 SGG, sodass die hier zu beurteilende Klage unzulässig sei. Dasselbe gelte, soweit für die Jahre 2013 bis 2015 die Rente wegen
Berufsunfähigkeit in voller Höhe begehrt werde, denn das LSG-Urteil vom 19.9.2019 habe diesbezüglich die Klage abgewiesen.
Jedenfalls sei die Klage auch insoweit unbegründet; die gesetzliche Regelung zum Hinzuverdienst in §
313 SGB VI sei verfassungsgemäß (Hinweis auf BVerfG <Kammer> Beschluss vom 14.6.2007 - 1 BvR 154/05 - SozR 4-2600 § 96a Nr 10).
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 8.2.2022 (L 13 R 1963/20) hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie rügt Verfahrensmängel.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen.
Die Klägerin hat Verfahrensmängel nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG erforderlichen Weise bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.
a) Die Klägerin rügt zunächst eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl §
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG). Dabei bezieht sie sich in erster Linie auf den Beschluss des BSG vom 19.8.2020 im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren B 13 R 233/19 B. Das BSG - wie zuvor das LSG im Verfahren L 10 R 118/19 - habe Entscheidungen der Beklagten einbezogen, ohne ihren Bevollmächtigten zuvor anzuhören. Das sei geschehen, obwohl die
Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde seinerzeit ausführlich dargelegt habe, warum diese Bescheide "keine 96er- Bescheide"
seien und weshalb eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das LSG im dort zugrunde liegenden Verfahren vorgelegen habe.
In dem hier angefochtenen Urteil habe das LSG auf jene BSG-Entscheidung Bezug genommen und damit den Fehler fortgesetzt. Es sei nicht möglich gewesen, zur Frage der materiellen Rechtmäßigkeit
der Bescheide vom 1.3.2019 und 7.3.2019 Stellung zu nehmen. Ihr Bevollmächtigter im Berufungsverfahren habe sich zu diesen
Bescheiden zu keinem Zeitpunkt äußern können - "obwohl auch in der Berufungsbegründung, die hier komplett zitiert wurde, umfassend
zu dieser Frage Stellung genommen wurde". Die Klägerin bekräftigt ihre Ausführungen mit der wörtlichen Wiedergabe ihrer Berufungsbegründung
im Verfahren L 13 R 1963/20, die ihrerseits die Klagebegründung im Verfahren S 6 R 2866/19 wörtlich zitiert (Beschwerdebegründung S 3 bis 7).
Diese Darstellung zeigt eine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung durch die für das Vorliegen eines Verfahrensfehlers
allein maßgebliche Entscheidung des LSG vom 8.2.2022 (L 13 R 1963/20) nicht schlüssig auf. Eine Anhörungsrüge gegen den von ihr hauptsächlich kritisierten Beschluss des BSG vom 19.8.2020 (B 13 R 233/19 B) hat die Klägerin nicht erhoben; ein solcher Rechtsbehelf wäre nunmehr aufgrund Fristablaufs ausgeschlossen (vgl §
178a Abs
2 Satz 2
SGG). Soweit sich die Klägerin mit ihrer Gehörsrüge auch gegen das Urteil des LSG vom 8.2.2022 wendet, lässt sie außer Acht, dass
das LSG dort aus der vorangegangenen Entscheidung eines anderen Senats des LSG (L 10 R 118/19) und der genannten Entscheidung des BSG im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren eigenständige rechtliche Schlussfolgerungen gezogen hat. Inwiefern diese für sie überraschend
gewesen sein könnten, stellt die Klägerin nicht nachvollziehbar dar (zum insoweit zugrunde zu legenden Kenntnisstand eines gewissenhaften und kundigen Prozessbeteiligten vgl BVerfG <Kammer>
Beschluss vom 7.7.2021 - 1 BvR 2356/19 - NJW 2021, 3525 RdNr 13 mwN). Bereits das SG hatte im vorangegangenen Gerichtsbescheid vom 8.6.2020 darauf abgestellt, dass im LSG-Urteil vom 19.9.2019 über den Bescheid
vom 1.3.2019 auf Klage hin abschließend entschieden worden sei. §
62 SGG bzw Art
103 Abs
1 GG vermitteln keinen Anspruch darauf, dass das Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten übernimmt (vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom 27.5.2016 - 1 BvR 1890/15 - SozR 4-1100 Art 103 Nr 4 RdNr 14 mwN).
Zur Anwendung der Hinzuverdienstregelung in §
313 SGB VI hat das LSG - ungeachtet seiner Ansicht zur Unzulässigkeit der Klage - unter Hinweis auf eine einschlägige Entscheidung des
BVerfG ausgeführt, dass es die Klage insoweit jedenfalls auch für unbegründet erachte. Inwiefern darin eine Gehörsverletzung
liegen könnte, ist nicht ersichtlich. Soweit sich die Klägerin gegen die Bemerkung des LSG zu fehlenden substantiierten Einwendungen
gegen die Berechnung der Hinzuverdienstgrenzen wendet, weil sie darin "dauernde(n) Angrifflich- und Übergrifflichkeiten gegenüber
den Bevollmächtigten" sieht, hat sie ebenfalls eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht schlüssig aufgezeigt. Insoweit
beanstandet sie vielmehr eine von ihr in der Sache als "unangemessen und fehl am Platze" empfundene Auseinandersetzung des
Gerichts mit ihrem Vorbringen; hiervor schützen jedoch weder §
62 SGG noch Art
103 Abs
1 GG. Sofern die Klägerin damit eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens rügen will, wäre auch ein solcher Verfahrensmangel
nicht hinreichend dargetan (zum Inhalt des Rechts auf ein faires Verfahren vgl zB BVerfG <Kammer> Beschluss vom 14.11.2018 - 1 BvR 433/16 - juris RdNr 11 mwN).
b) Weiterhin beanstandet die Klägerin, das SG habe im Gerichtsbescheid vom 8.6.2020 über etwas entschieden, "was in der Klageschrift gar nicht geltend gemacht wurde (Seite
5 Berufungsbegründung)". An der in Bezug genommenen Stelle der Berufungsbegründung ist ausgeführt, mit der Klage sei lediglich
beantragt worden, "über den Zeitraum 01/2008 bis 05/2015 eine Rente zu zahlen in voller Höhe und unter einer veränderten Berechnung".
Das SG sei in der Begründung seiner Entscheidung jedoch fehlerhaft davon ausgegangen, es werde "eine Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente
für den Zeitraum vom 01.11.2000 bis 31.12.2012 verlangt". Damit rügt die Klägerin eine Verletzung des §
123 SGG durch die erste Instanz (zu einem solchen Verfahrensmangel vgl BSG Beschluss vom 9.1.2019 - B 13 R 25/18 B - juris RdNr
6 f). Ein Verfahrensmangel iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG muss sich grundsätzlich auf das Verfahren vor dem LSG beziehen (vgl BSG Beschluss vom 23.2.2017 - B 5 R 381/16 B - juris RdNr 16). Im Einzelfall kann allerdings ein Mangel im Klageverfahren vor dem SG im Berufungsverfahren fortwirken und deshalb zugleich einen Mangel des Verfahrens vor dem LSG darstellen (vgl Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX RdNr 120). Dass Umstände vorliegen, die zum Fortwirken eines dem SG unterlaufenen Verfahrensmangels führen, ist in der Beschwerdebegründung schlüssig darzustellen. Daran fehlt es hier. Die
Klägerin hat nicht aufgezeigt, dass das LSG in seinem Urteil vom 8.2.2022 über einen Anspruch entschieden haben könnte, den
sie im Berufungsverfahren überhaupt nicht zur gerichtlichen Entscheidung gestellt hat. Ihrer Bemerkung, das LSG habe "drumherum
geschrieben" und sich "auf die BSG-Entscheidung in dem anderen Verfahrenszug bezogen", lässt sich eine Verkennung des Streitgegenstands nicht hinreichend schlüssig
entnehmen. Dies deutet vielmehr darauf hin, dass die Klägerin mit der rechtlichen Bewertung durch das LSG nicht einverstanden
ist. Hierin liegt kein Mangel im Verfahren des LSG.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
183 Satz 1 iVm §
193 Abs
1 und 4
SGG.