Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Formgerechte Bezeichnung einer Abweichung
Gründe
Der Senat lässt offen, ob die Nichtzulassungsbeschwerde schon deswegen unzulässig ist, weil der Beschwerdebegründung die an
den Darlegungserfordernissen bei der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde orientierte Struktur (vgl BSG vom 20.2.2017 - B 12 KR 65/16 B juris RdNr 15) fehlt. Es bestehen deswegen auch Zweifel, ob die Beschwerdebegründung auf einer eigenständigen Prüfung, Sichtung und rechtlichen
Durchdringung des Streitstoffs (vgl BSG vom 2.6.2017 - B 9 V 16/17 B - juris RdNr 4; BSG vom 18.11.2020 - B 13 R 189/19 B - juris RdNr 4; BSG vom 3.3.2021 - B 4 AS 422/20 B - juris RdNr 5; BSG vom 12.3.2021 - B 4 AS 396/20 B - juris RdNr 4) durch den anwaltlichen Bevollmächtigten des Klägers, der sie unterzeichnet hat, beruht.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedenfalls deswegen unzulässig, weil weder die als Zulassungsgrund behauptete Divergenz
(§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) noch die als Zulassungsgrund geltend gemachten Verfahrensmängel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) in der erforderlichen Weise bezeichnet worden sind (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 SGG).
Eine Abweichung (Divergenz) iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen
Aussage die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht
schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG aufgestellt haben, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung
einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über
den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung
im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen kann die Zulassung wegen Abweichung begründen (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 §
160a Nr 34; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, 2017, §
160 RdNr 119). Diese Darlegungsvoraussetzungen hat der Kläger schon deswegen nicht erfüllt, weil er keinen abstrakten Rechtssatz des LSG
bezeichnet, sondern lediglich auf den konkreten Rechtsstreit bezogene Formulierungen des LSG zitiert hat.
Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§
109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs
1 Satz 1
SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG
ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss
zu seiner Bezeichnung (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig
darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 §
160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel
beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Kläger rügt zum einen eine Verletzung seines Anspruchs auf den gesetzlichen
Richter, weil das LSG zusammen mit der Entscheidung über die Berufung des Klägers und unter Mitwirkung des von ihm abgelehnten
Vorsitzenden Richters am LSG W., ohne dass dieser zuvor eine dienstliche Stellungnahme abgegeben hätte, über dieses Ablehnungsgesuch
entschieden habe. Der Kläger gibt zwar umfangreich abstrakte Formulierungen aus Entscheidungen unter anderem des BVerfG und
des BSG zur Frage, wann ein abgelehnter Richter ausnahmsweise an der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch mitwirken darf, wieder.
Er versäumt aber darzulegen, weshalb diese Voraussetzungen im hier zu beurteilenden konkreten Fall nicht vorgelegen hätten.
Es reicht insofern nicht aus, erneut die eigene Rechtsauffassung derjenigen des Berufungsgerichts entgegenzustellen, zumal
eine - sei es in einem richterlichen Hinweis oder einer PKH-Entscheidung geäußerte - abweichende Rechtsauffassung als solche
von vorneherein nicht geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl BVerfG <Kammer> vom 20.8.2020 - 1 BvR 793/19 - juris RdNr 16).
Der Kläger rügt zum anderen eine Verletzung des §
88 Abs
1 SGG dadurch, dass das LSG in seinem Schriftsatz vom 15.1.2003 keinen Antrag nach § 44 SGB X gesehen habe und dass es seiner Entscheidung die Auffassung zugrunde gelegt habe, dass die Beklagte einen Überprüfungsantrag
vom 17.9.2007 bereits beschieden habe. Dies betrifft aber den Inhalt der Sachentscheidung des LSG und damit keinen Verfahrensmangel
(error in procedendo).
Der Kläger rügt des Weiteren, dass das LSG den Termin zur mündlichen Verhandlung entgegen seines Antrages nicht um sechs Monate
verlegt habe. Der Beschwerdebegründung lässt sich nicht entnehmen, dass ein erheblicher Grund iS des §
202 Satz 1
SGG iVm §
227 Abs
1 ZPO vorgelegen hätte. Der Kläger behauptet auch nicht, in der mündlichen Verhandlung einen Vertagungsantrag bzw einen Antrag
auf Einräumung einer Frist für eine weitere schriftsätzliche Stellungnahme gestellt zu haben; dies wäre aber notwendig, um
eine Verletzung rechtlichen Gehörs erfolgreich rügen zu können (vgl BSG vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - BSGE 122, 25 = SozR 4-1500 § 114 Nr 2, RdNr 36-37; BSG vom 2.3.2020 - B 4 AS 112/20 B ua - juris RdNr 3), nachdem der zuvor gestellte Verlegungsantrag bereits im Vorfeld der mündlichen Verhandlung abgelehnt worden war (vgl BSG vom 27.1.2020 - B 4 AS 5/20 BH - juris RdNr 7).
Soweit der Kläger schließlich einen Verstoß gegen das Willkürverbot, gegen das Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes,
gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren, gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und erneut eine Verletzung seines
Anspruchs auf den gesetzlichen Richter geltend macht, wird ein Verfahrensmangel ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet, weil
der Kläger wiederum nur seine eigene Rechtsauffassung wiederholt. Er verkennt insbesondere, dass aus den genannten Grundrechten
und grundrechtsgleichen Rechten kein Anspruch darauf folgt, dass die von ihm angerufenen Gerichte seiner Rechtsauffassung
folgen. Eine Überraschungsentscheidung scheidet im Übrigen schon deswegen aus, weil das LSG seine Rechtsauffassung bereits
in dem zuvor ergangenen PKH-Beschluss dargelegt hatte. Auch die Nichtzulassung der Revision durch das LSG als solche kann
keinen Verfahrensmangel iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG darstellen (BSG vom 13.8.2018 - B 13 R 393/17 B - juris RdNr 17; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, 2017, §
160 RdNr 148.1).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 Satz 1, Abs
4 SGG.