Anspruch eines Empfängers von Grundsicherungsleistungen auf Erstattung privatzahnärztlicher Kosten
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Der Zahnarzt E implantierte dem bei der beklagten Krankenkasse versicherten, Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII beziehenden Kläger 2012 im zahnlosen Unterkiefer vier Zahnimplantate, die einen später herzustellenden Zahnersatz stützen
sollten. Der Kläger beglich dessen Rechnung nicht. Für die Suprakonstruktion und den Zahnersatz nahm der Kläger auf der Grundlage
von Heil- und Kostenplänen aus dem Jahr 2014 und dazu ergangener Festkostenzuschuss-Bescheide Leistungen der Zahnärztin P
in Anspruch, die wegen ausbleibender Zahlung des Eigenanteils des Klägers die Behandlung nicht fortsetzte. Der Kläger ist
mit seinem 2019 vorgebrachten Begehren auf Zahlung von 2452,15 Euro, um die Zahnersatzbehandlung abzuschließen, bei der Beklagten
und den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe aufgrund der Heil- und Kostenpläne
vom 1.10.2014 keinen Anspruch auf Freistellung von weiteren Kosten der Zahnersatzbehandlung. Ein über die bewilligten Festzuschüsse
(100 vH der Regelversorgung) hinausgehender Anspruch bestehe nicht. Die vom Kläger geltend gemachten "Restkosten" stellten
sein Eigenanteil an den Kosten des von ihm anstelle der Regelversorgung gewählten Zahnersatzes dar. Im Übrigen seien die Bewilligungen
der Heil- und Kostenpläne infolge Zeitablaufs erloschen. Die Genehmigung eines Heil- und Kostenplans sei auf sechs Monate
befristet. Die Befristung solle dafür Sorge tragen, dass die nach dem Heil- und Kostenplan geplante vertragsärztliche Behandlung
nicht durch einen nach der Genehmigung sich ändernden Zahnbefund, obwohl ganz oder teilweise gegenstandslos, dennoch ausgeführt
werde (Hinweis auf BSG vom 27.8.2019 - B 1 KR 9/19 R - BSGE 129, 62 = SozR 4-2500 § 13 Nr 49). P habe die Festzuschüsse nicht vollständig abgerechnet, sondern infolge des Behandlungsabbruchs lediglich Teilleistungen
in Rechnung gestellt. Hinsichtlich des restlichen Festzuschussbetrags hätten sich die Heil- und Kostenpläne jedoch erledigt
(Urteil vom 20.7.2021).
Der Kläger hat mit Schreiben vom 19.8.2021, beim BSG eingegangen am 20.8.2021, selbst Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 20.7.2021, ihm zugestellt
am 24.7.2021, eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.
II
Dem Kläger ist keine PKH unter Beiordnung eines anwaltlichen Bevollmächtigten zu bewilligen. Nach §
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §§
114,
121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn ua die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht
auf Erfolg bietet. Es kann offenbleiben, ob dem Kläger wegen nicht fristgerechter Übersendung der Erklärung über die persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse Wiedereinsetzung zu gewähren ist (dazu 1). Jedenfalls bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (dazu 2. bis 5.).
1. Ein Rechtsmittelkläger ist nur dann an der Einhaltung der Rechtsmittelfrist wegen Bedürftigkeit ohne sein Verschulden gehindert,
wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist einen Antrag auf Bewilligung von PKH stellt und die Erklärung über die persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse (Erklärung) auf dem vorgeschriebenen Formular einreicht (vgl zB BSG vom 25.7.2007 - B 1 KR 80/07 B - mwN; BSG SozR 1750 § 117 Nr 1 und 3; BVerfG vom 20.10.1981 - 2 BvR 1058/81 - SozR 1750 § 117 Nr 2). Der Kläger hat die Erklärung nicht innerhalb der Monatsfrist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde (§
160a Abs
1 Satz 2, §
64 Abs
2 SGG), die mit der Zustellung des LSG-Urteils am 24.7.2021 begann und mit dem Ablauf des 24.8.2021 endete, beim BSG auf dem vorgeschriebenen Formular eingereicht. Vielmehr ist die Erklärung erst am 30.8.2021 beim BSG eingegangen. Auf die Monatsfrist ist der Kläger durch die dem LSG-Urteil beigefügte zutreffende Rechtsmittelbelehrung hingewiesen
worden.
Der Kläger hat mit seinem am 20.8.2021 beim BSG eingegangenen PKH-Antrag allerdings auch mitgeteilt: "Erklärungen über meinen Verhältnissen erneut auf Verlangen nachgereicht
werden". Es kann offenbleiben, ob es unter Berücksichtigung der prozessualen Fürsorgepflicht nur dann dem ordnungsgemäßen
Geschäftsgang entsprochen hätte (allgemein dazu BSG vom 18.11.2020 - B 1 KR 1/20 B - SozR 4-1500 § 65a Nr 6 RdNr 19 ff), den Kläger mit einem schon am 23.8., und nicht erst wie geschehen am 26.8.2021 abgesandten Berichterstatterschreiben aufzufordern,
die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu übersenden.
Selbst wenn dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre, kann der Kläger aller Voraussicht nach mit
seinem Begehren auf Zulassung der Revision nicht durchdringen, weil es keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Nach
Durchsicht der Akten fehlen auch unter Würdigung des Vorbringens des Klägers Anhaltspunkte dafür, dass er einen der in §
160 Abs
2 Nr
1 bis
3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.
2. Die Sache selbst bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Die Voraussetzungen und Begrenzungen des Anspruchs auf Versorgung mit Zahnersatz, soweit es um Fragestellungen geht, die
einen Bezug zum hier maßgeblichen Sachverhalt haben, sowie die Vereinbarkeit des §
55 SGB V mit höherrangigem Recht sind in der Rechtsprechung des erkennenden Senats geklärt (vgl BSG vom 30.6.2009 - B 1 KR 19/08 R - SozR 4-2500 § 13 Nr 21; BSG vom 7.5.2013 - B 1 KR 5/12 R - SozR 4-2500 § 55 Nr 2; BSG vom 2.9.2014 - B 1 KR 12/13 R - juris; BSG vom 27.8.2019 - B 1 KR 9/19 R - BSGE 129, 62 = SozR 4-2500 § 13 Nr 49).
Auch das Vorbringen des Klägers führt zu keinem anderen Ergebnis, eine grundsätzliche Bedeutung ergebe sich aus der verfassungsrechtlich
garantierten körperlichen Unversehrtheit, der Menschenwürde und dem allgemeinen Gleichheitssatz. Hierzu hat der erkennende
Senat entschieden: Die Regelungen über die Versorgung der Versicherten mit Zahnersatz (zahnärztliche und zahntechnische Leistungen)
verstoßen nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (vgl Art
3 Abs
1 GG). Welche Behandlungsmaßnahmen in den GKV-Leistungskatalog einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung
des Versicherten (vgl §
2 Abs
1 Satz 1
SGB V) zugeordnet werden, unterliegt aus verfassungsrechtlicher Sicht einem weiten gesetzgeberischen Ermessen. Der Gesetzgeber kann
grundsätzlich frei entscheiden, von welchen Elementen der zu ordnenden Lebenssachverhalte die Leistungspflicht abhängig gemacht
und die Unterscheidung gestützt werden soll. Eine Grenze ist erst dann erreicht, wenn sich für eine Ungleichbehandlung kein
in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund mehr finden lässt. Verweist der
Gesetzgeber - wie hier - die Versicherten grundsätzlich auf eine partielle Eigenverantwortung, ist es sachgerecht, nur dort
- wenn auch nicht zwingend innerhalb des
SGB V - zu differenzieren, wo die Eigenverantwortung an der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit scheitert. Eine solche Differenzierung
hat der Gesetzgeber in §
55 Abs
2 Satz 1 Halbsatz 1
SGB V vorgenommen. Zwingende verfassungsrechtliche Gründe für eine darüber hinausgehende Härtefallregelung bestehen nicht (BSG vom 2.9.2014 - B 1 KR 12/13 R - juris RdNr 16 ff mwN). Eine grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts kommt zwar nicht nur bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich
verlaufenden, sondern auch bei wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankungen wie einer drohenden Erblindung in Betracht.
Indes erreicht selbst drohende Zahnlosigkeit keinen vergleichbaren Schweregrad (vgl BSG vom 4.3.2014 - B 1 KR 6/13 R - SozR 4-2500 § 28 Nr 7 RdNr 16; BSG vom 2.9.2014 - B 1 KR 12/13 R - juris RdNr 21).
3. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend bewusst von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
2 SGG).
4. Schließlich ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler
des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG). Danach ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Anhaltspunkte für einen Verfahrensfehler sind nach Durchsicht der Akten nicht ersichtlich.
Soweit der Kläger geltend macht, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden durch: "Erklärungen lagen nicht seit
erst bei den hiesigen Gewrichten, es wurde zugunsten resp zum Nachteil einer Partei verschwiegen, schon gar nicht fristgeercht
eingereichte Schriftsdätze, weitergeleitet, berücksichtigt wurden", ergeben sich aus den Akten keine Anhaltspunkte dafür,
dass die Vorinstanzen gegen §
108 SGG verstoßen haben könnten.
Auch ist nichts dafür ersichtlich, dass das LSG den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör dadurch verletzt haben könnte,
dass es ihn gehindert hätte, sich in der mündlichen Verhandlung am 20.7.2021 zu äußern. Dies behauptet der Kläger zwar, zugleich
führt er jedoch aus, dass es keinen Sinn gehabt habe, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Denn es sei allen Beteiligten
klar gewesen, dass bei ihm Zahnlosigkeit vorliege. Für eine unterlassene oder fehlerhafte Terminsmitteilung ist nichts ersichtlich.
Ebenso spricht nichts dafür, dass der Kläger eine Revisionszulassung mit der Verletzung der Sachaufklärungspflicht des Gerichts
erfolgreich begründen könnte, weil das LSG den Anspruch des Klägers aus Rechtsgründen verneint hat und es nach seiner zugrundeliegenden
Rechtsauffassung tatsächliche Ermittlungen nicht für geboten halten musste.
5. Im Übrigen greift der Kläger die vermeintliche Unrichtigkeit der LSG-Entscheidung mit einer Aneinanderreihung zusammenhangloser
Schlagworte an. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf seine sachliche Richtigkeit ist aber nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde
(vgl BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG vom 15.4.1981 - 1 BA 23/81 - SozR 1500 § 160 Nr 44 S 42).
Da PKH nicht bewilligt werden kann, entfällt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß §
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO.
6. Die von dem Kläger selbst eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unzulässig, da sie nicht von
einem vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt worden ist (§
73 Abs
4 SGG).
Die Verwerfung des Rechtsmittels des Klägers erfolgt entsprechend §
169 Satz 3
SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2
SGG).
7. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.