Vergütung stationärer Krankenhausleistungen; Begutachtung des Abrechnungsfalles durch den MDK; Rechtmäßigkeit der Aufwandspauschale
gemäß § 275 Abs. 1c S. 3 SGB 5
Gründe:
I
Streitig ist, ob die beklagte Krankenkasse der Klägerin eine Aufwandspauschale nach §
275 Abs
1c S 3
SGB V in Höhe von 100 Euro nebst Zinsen zu zahlen hat.
Die 1919 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Patientin E. R. wurde in der Zeit vom 8. bis 23.10.2007 in der geriatrischen
Fachabteilung des von der Klägerin betriebenen GPR-Klinikums in R. vollstationär behandelt. Die Klägerin stellte der Beklagten
hierfür auf der Basis des Entgeltkataloges G-DRG 2007 die DRG I41Z (geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung bei
Krankheiten und Störungen am Muskel-Skelett-System und Bindegewebe) zzgl Zu- und Abschlägen insgesamt 6616,57 Euro in Rechnung
(Rechnung vom 6.11.2007). Als Hauptdiagnose gab die Klägerin M81.45 (arzneimittelinduzierte Osteoporose: Beckenregion und
Oberschenkel [Becken, Femur, Gesäß, Hüfte, Hüftgelenk, Iliosakralgelenk]) an. Aufgrund einer früheren Fraktur des proximalen
Endes des Humeruskopfes führte sie ua S42.21 als Nebendiagnose auf. Als durchgeführte Prozedur gab sie die OPS-Position 8-550.1
(geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung: mindestens 14 Behandlungstage und 28 Therapieeinheiten) an.
Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Begutachtung - soweit nach dem Ausdruck
des elektronisch am 16.11.2007 versandten Prüfauftrags lesbar - mit den Fragestellungen:
- (...) "ist die Mindestzahl an angeforderten Behandlungstagen (8 T) und Therapieeinheiten (TE) für di"
- "Prüfung der Indikation für stationäre geriatrische Behandlung-Abrechnungsform: Rechtfertigt das bestehende Krankheitsbild
d"
- "Bestand die medizinische Notwendigkeit der Aufnahme in ein Krankenhaus zur vollstationären Behandlung §
39 SGB V"
- "Prüfung der Indikation für stationäre geriatrische Behandlung-Abrechnungsform".
Der MDK führte in seinem Sozialmedizinischen Gutachten vom 14.4.2008 auf der Basis von Auszügen aus der Krankenakte aus:
"Geriatr. Behandlung nach operativer Versorgung einer prox. Humerusfraktur. Keine Veränderung der DRG nach Veränderung der
Kodierung. Liegedauer nachvollziehbar. Die Leistungen der Komplexbehandlung wurden erbracht. Noch kurz vor Entlassung Anpassung
der antihypertensiven Medikation."
Die vollstationäre Krankenhausbehandlung sei in vollem Umfang medizinisch notwendig gewesen. Bei ordnungsgemäßer Abrechnung
hätte als Hauptdiagnose allerdings S42.21 (Fraktur des proximalen Endes des Humerus: Kopf) anstelle der arzneimittelinduzierten
Osteoporose angegeben werden müssen. Unter Bemerkungen findet sich der Hinweis: "OP.-Versorgung einer subcapitalen Humerusfraktur".
Das Groupingergebnis ändere sich dadurch jedoch nicht.
Die Beklagte zahlte die Krankenhausrechnung, lehnte aber eine Begleichung der Nachtragsrechnung der Klägerin vom 28.5.2008
ab, mit welcher diese eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 100 Euro geltend machte. Gegen die Nachtragsrechnung wandte die
Beklagte ein, die Prüfung durch den MDK sei nur deshalb eingeleitet worden, weil die Klägerin einen nach §
301 SGB V unvollständigen Datensatz gemeldet habe. Die Hauptdiagnose sei seitens des MDK geändert worden. Bei korrekter Vorlage des
Datensatzes wäre die MDK-Prüfung nicht erforderlich gewesen.
Auf die Zahlungsklage der Klägerin hat das SG die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung der Aufwandspauschale in Höhe von 100 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 29.6.2008 verurteilt (Urteil vom 24.3.2010): Der Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale
ergebe sich aus §
275 Abs
1c SGB V in der seit dem 1.4.2007 gültigen Fassung. Eine (möglicherweise) fehlerhafte Übermittlung von Daten stehe dem Anspruch nicht
entgegen, da für eine solche Einschränkung weder der Gesetzeswortlaut noch die Gesetzesbegründung Anhaltspunkte böten. Zudem
sei nicht erkennbar, aus welchem Grund angesichts des zutreffenden DRG-Codes die Hauptdiagnose Anlass für die Einschaltung
des MDK gewesen sei. Die Versicherte sei nicht in der chirurgischen Abteilung, sondern in der Geriatrie behandelt worden.
Der Diagnoseschlüssel für die durchgeführte Operation, die DRG-Ziffer sowie der Rechnungsbetrag seien unbeanstandet geblieben.
Daher stehe der Klägerin die Aufwandspauschale zu. Der Zinsanspruch ergebe sich aus §§
291,
288 BGB. Für die am 8.5.2008 zugeleitete Rechnung habe eine Zahlungsverpflichtung innerhalb von 30 Tagen bestanden.
Auf die von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Hessische LSG das erstinstanzliche Urteil geändert, die Klage abgewiesen
und die Revision zugelassen (Urteil vom 29.11.2012). Zur Begründung hat sich das LSG auf das Urteil des 1. Senats des BSG vom 22.6.2010 (B 1 KR 1/10 R - BSGE 106, 214 = SozR 4-2500 §
275 Nr
3) berufen: Danach sei die Vorschrift des §
275 Abs
1c S 3
SGB V einschränkend auszulegen. Ein Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale entstehe nicht, wenn in dem an den MDK gerichteten
Prüfauftrag Auffälligkeiten konkret benannt würden, der MDK unter Auswertung von medizinischen Behandlungsunterlagen die Widersprüche
aufklären könne und es letztlich bei dem angesetzten Rechnungsbetrag bleibe. Die objektiv bestehenden Ungereimtheiten in den
vom Krankenhaus übermittelten Daten und Informationen als Grund für die Einschaltung des MDK seien von der Krankenkasse (KK)
darzulegen und ggf nachzuweisen. Die von der Klägerin verschlüsselten Diagnosen seien hier nicht kohärent gewesen und hätten
auf Unstimmigkeiten schließen lassen. Die angegebene Hauptdiagnose einer arzneimittelinduzierten Osteoporose im Bereich der
Beckenregion und Oberschenkel stehe im Widerspruch zu der Nebendiagnose einer Fraktur des Oberarmkopfes. Es hätte auch eine
arzneimittelinduzierte Osteoporose im Oberarmbereich (Humerus, Ellenbogengelenke) mittels des ICD-10-Codes M81.42 ausgewiesen
werden können. Daher habe die Klägerin die Veranlassung für die weitere Aufklärung des Abrechnungsvorgangs durch den MDK gesetzt.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts, insbesondere ihres Rechts aus §
275 Abs
1c S 3
SGB V. Der vorliegende Sachverhalt sei nicht mit dem zu vergleichen, über den der 1. Senat des BSG in seinem Urteil vom 22.6.2010 (B 1 KR 1/10 R) entschieden habe, weil dort Konsens über die fehlerhaft kodierte Hauptdiagnose bestanden habe, während hier eine Fehlkodierung
weiterhin bestritten werde. Die Humerus-Mehrfragment-Fraktur, die sich die Versicherte durch einen Sturz am 19.8.2007 zugezogen
habe, sei am 28.8.2007 in der unfallchirurgischen Abteilung des Klinikums operativ versorgt worden. Danach habe sich die Versicherte
mehrere Wochen in der Kurzzeitpflege aufgehalten. Die erneute stationäre Aufnahme im Oktober 2007 sei zur Mobilisierung und
Krankengymnastik in der Geriatrie erfolgt. Die Klägerin habe die Osteoporose als Hauptdiagnose gewählt, da die geriatrische
Behandlung aufgrund der Gesamtsituation des Bewegungsapparates und des Gesamtzustandes der Patientin erfolgt sei und nicht
wegen der alten, bereits seit Monaten versorgten Oberarmfraktur. Die Therapien hätten sich auch nicht auf die Fraktur bezogen.
Insbesondere sei die Patientin nicht, wie der MDK angegeben habe, operativ versorgt worden. Die Osteoporose sei ohne pathologische
Fraktur (M81.45) angegeben worden, da die Fraktur auf einem Sturz beruht habe. Anlass für die Beauftragung des MDK sei - wie
sich aus den Fragen im Gutachtenauftrag ergebe - eine Überprüfung der Indikation sowie der Mindestvoraussetzungen (Belegungstage
und Therapieeinheiten) der geriatrischen Komplexbehandlung nach dem OPS-Code gewesen. Diese Fragen habe der MDK auch zum Gegenstand
der Prüfung gemacht und beantwortet. Inkohärenzen bezüglich der übermittelten Haupt- und Nebendiagnosen oder eine Infragestellung
der Hauptdiagnose ließen sich dem Prüfauftrag nicht entnehmen. Eine Pflichtverletzung bei der Kodierung sei daher nicht ersichtlich;
weitere medizinische Ermittlungen durch die Gerichte würden deshalb im Widerstreit zu der gesetzgeberischen Intention stehen,
bei unstreitigem Rechnungsbetrag zusätzlichen bürokratischen Aufwand zu vermeiden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen LSG vom 29.11.2012 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Darmstadt vom
24.3.2010 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist - abgesehen von einem Teil des Zinsanspruchs - begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale
nach §
275 Abs
1c S 3
SGB V in Höhe von 100 Euro nebst Zinsen seit dem 9.6.2009.
1. Rechtsgrundlage des zulässig mit der (echten) Leistungsklage nach §
54 Abs
5 SGG verfolgten Klagebegehrens auf Zahlung der Aufwandspauschale ist §
275 Abs
1c S 3
SGB V (idF von Art 1 Nr
185 Buchst a Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007, BGBl I 378). Nach §
275 Abs
1c S 1
SGB V (in der genannten Fassung) ist bei Krankenhausbehandlung nach §
39 SGB V eine Prüfung durch den MDK nach §
275 Abs
1 Nr
1 SGB V zeitnah durchzuführen. Diese Prüfung ist spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten
und durch den MDK dem Krankenhaus anzuzeigen (§
275 Abs
1c S 2
SGB V). Daran anschließend bestimmt §
275 Abs
1c S 3
SGB V: "Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führt, hat die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale
in Höhe von 100 Euro zu entrichten." Erst seit dem 25.3.2009 beträgt die Aufwandspauschale 300 Euro.
Der Anspruch auf die Aufwandspauschale setzt danach voraus, dass die Krankenasse eine Abrechnungsprüfung durch den MDK iS
des §
275 Abs
1 Nr
1 SGB V veranlasst hat (dazu a), dem Krankenhaus durch eine Anforderung von Sozialdaten durch den MDK gemäß §
276 Abs
2 S 1 Halbs 2
SGB V ein Aufwand entstanden ist (dazu b), die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages geführt hat (dazu c) und
das Prüfverfahren nicht durch eine nachweislich fehlerhafte Abrechnung seitens des Krankenhauses veranlasst wurde (dazu d).
Diese Voraussetzungen liegen vor.
a) Die Beklagte hat eine Abrechnungsprüfung durch den MDK iS des §
275 Abs
1 Nr
1 SGB V veranlasst. Da der Anspruch auf die Aufwandspauschale voraussetzt, dass die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages
führt, muss es sich bei der Prüfung des MDK um eine Prüfung der Abrechnung iS des §
275 Abs
1 Nr
1 SGB V handeln, die mit dem Ziel der Verminderung des Rechnungsbetrages eingeleitet und durchgeführt wird (vgl dazu ausführlich
BSG Urteil vom 22.11.2012 - B 3 KR 20/12 R - SozR 4-2500 § 275 Nr 9). Die Einleitung eines solchen Prüfverfahrens durch die Krankenkasse setzt nach dem vom erkennenden
Senat entwickelten dreistufigen Schema voraus, dass sich die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung oder weitere Abrechnungsvoraussetzungen
den - medizinisch in der Regel nicht besonders ausgebildeten - Mitarbeitern der Krankenkasse aufgrund der Angaben nach §
301 SGB V oder eines etwaigen Kurzberichts nicht selbst erschließen (1. Stufe). Ist das der Fall, muss die Krankenkasse den MDK einschalten,
der zunächst intern - meist durch eine sozialmedizinische Fallberatung - feststellt, ob die zur Verfügung stehenden Informationen
ohne Beteiligung des Krankenhauses zur Prüfung insbesondere von Voraussetzung, Art und Umfang der Krankenbehandlung ausreichen
(2. Stufe). Erst wenn sich damit kein abschließendes Ergebnis finden lässt, kann der MDK nach §
276 Abs
2 S 1 Halbs 2
SGB V die im Einzelfall erforderlichen Sozialdaten und Unterlagen vom Krankenhaus anfordern (3. Stufe - vgl hierzu ua BSG Urteil vom 22.11.2012 - B 3 KR 20/12 R - SozR 4-2500 § 275 Nr 9).
Die Klägerin hatte der Beklagten ihre Aufwendungen für den stationären Aufenthalt der Versicherten unter dem 6.11.2007 abschließend
in Rechnung gestellt. Die Beklagte beauftragte den MDK mit der Überprüfung dieser Rechnung, weil sich die Abrechnungsvoraussetzungen
ihren Mitarbeitern aufgrund der Angaben nach §
301 SGB V nicht selbst erschlossen haben. Das geht aus den an den MDK gerichteten Fragen im Prüfauftrag hervor. Danach stellte sich
den Mitarbeitern der Beklagten ua die Frage, ob das Krankheitsbild der Versicherten eine stationäre geriatrische Behandlung
rechtfertige. Eine Verneinung dieser Frage kann bei objektiver Betrachtungsweise eine Herabsetzung der in Rechnung gestellten
Krankenhausvergütung zur Folge haben. Daher kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Prüfung durch den MDK mit
dem Ziel der Abrechnungskürzung eingeleitet und durchgeführt wurde. Es handelte sich mithin um eine Abrechnungsprüfung iS
des §
275 Abs
1 Nr
1 SGB V.
b) Nach der Rechtsprechung des BSG (BSG Urteil vom 22.11.2012 - B 3 KR 20/12 R - SozR 4-2500 § 275 Nr 9 RdNr 14; vgl auch BSG Urteil vom 22.6.2010 - B 1 KR 1/10 R - BSGE 106, 214 = SozR 4-2500 § 275 Nr 3, RdNr 16) kommt die Pflicht zur Zahlung einer Aufwandspauschale nach §
275 Abs
1c S 3
SGB V nur in Betracht, wenn der MDK auf der 3. Stufe der Sachverhaltserhebung auf Veranlassung der Krankenkasse zuvor Sozialdaten
gemäß §
276 Abs
2 S 1 Halbs 2
SGB V zur Rechnungsprüfung beim Krankenhaus angefordert hatte. Denn nach der Gesetzesbegründung zu §
275 Abs
1c S 3
SGB V (BT-Drucks 16/3100 S 171) dient diese Vorschrift in erster Linie dem Bürokratieabbau; die festgestellten hohen Prüfquoten
im Rahmen der Einzelfallprüfung belasteten die Abläufe in den Krankenhäusern teils erheblich, sorgten für zusätzlichen personellen
und finanziellen Aufwand und führten in der Regel zu hohen und nicht gerechtfertigten Außenständen und Liquiditätsproblemen.
Die Aufwandspauschale soll daher einen Anreiz setzen, Einzelfallprüfungen zielorientierter und zügiger einzusetzen und damit
einen Beitrag zum angestrebten Bürokratieabbau leisten. §
275 Abs
1c SGB V soll - so die Gesetzesbegründung weiter - eine einfache und unbürokratische Regelung sein; Detailgerechtigkeit werde nicht
in jedem Einzelfall gewährleistet. Deshalb wurde auch die Entschädigung der Krankenhäuser für den unnötigen - zusätzlichen
- Verwaltungsaufwand pauschaliert. Diesem gesetzgeberischen Ziel entsprechend ist aber gleichwohl ein tatsächlich entstandener
Aufwand des Krankenhauses als Voraussetzung für die Aufwandspauschale erforderlich. Denn eine Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse
ohne Aufwand seitens des Krankenhauses würde nicht dem gesetzlichen Zweck gerecht und widerspräche daher dem Wirtschaftlichkeitsgebot.
Ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand wird beim Krankenhaus indes regelmäßig anfallen, wenn der MDK gemäß §
276 Abs
2 S 1 Halbs 2
SGB V auf der dritten Stufe des Prüfverfahrens weitere Sozialdaten und/oder Unterlagen anfordert (BSG, aaO).
Ausweislich des vom MDK gefertigten Gutachtens lagen diesem nicht nur die Daten nach §
301 SGB V, sondern darüber hinaus Auszüge aus der Krankenakte, insbesondere der Krankenhausentlassungsbericht zugrunde, die nur vom
MDK angefordert worden sein können. Das Heraussuchen, Zusammenstellen und Vorlegen dieser Unterlagen, ja selbst das erneute
Befasstwerden mit dem Vorgang, verursacht bei einem Krankenhaus immer einen Verwaltungsaufwand.
c) Schließlich hat die Überprüfung hier auch nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages geführt. Für diesen Fall bestimmt
§
275 Abs
1c S 3
SGB V grundsätzlich, dass die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100 Euro (ab dem 25.3.2009: 300 Euro)
zu entrichten hat.
d) Dem Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale kann nicht der Einwand des Rechtsmissbrauchs wegen eigenem Fehlverhalten
der Klägerin entgegengehalten werden. Insbesondere hat die Klägerin das Prüfverfahren nicht durch eine nachweislich fehlerhafte
Abrechnung selbst veranlasst.
aa) Der erkennende 3. Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des 1. Senats, nach der ein Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale
trotz unvermindert gebliebener Abrechnung ausscheidet, wenn die Krankenkasse durch eine nachweislich fehlerhafte Abrechnung
des Krankenhauses veranlasst wurde, das Prüfverfahren nach §
275 Abs
1 Nr
1 SGB V unter Beteiligung des MDK einzuleiten (vgl BSG Urteil vom 22.6.2010 - B 1 KR 1/10 R - BSGE 106, 214 = SozR 4-2500 § 275 Nr 3). Danach wird ausdrücklich eine nachgewiesene Fehlerhaftigkeit der Abrechnung vorausgesetzt (BSG, aaO, RdNr 26). Das ist folgerichtig, denn nach der oa Gesetzesbegründung zu §
275 Abs
1c SGB V sollen insbesondere solche zusätzlichen und bürokratieverursachenden Streitigkeiten vermieden werden, in denen die Beteiligten
nur mittelbar - also allein wegen der Aufwandspauschale - rechtliche Auseinandersetzungen über die Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit
einer Kodierung des Krankenhauses führen. Der erkennende 3. Senat weist zudem darauf hin, dass eine weitere Aufklärung des
Sachverhalts in solchen Fällen mit ggf aufwändigen Ermittlungen mit dem Sinn und Zweck von §
275 Abs
1c S 3
SGB V nicht vereinbar wäre. Mit der Pauschale wird ausdrücklich eine vereinfachte, aber unbürokratische Regelung verfolgt; sie
kann und will deshalb auch keine Detailgerechtigkeit in jedem Einzelfall gewährleisten (BT-Drucks 16/3100 S 171). Es wäre
geradezu widersinnig, zu der Frage, ob ein Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale besteht, aufwändige Ermittlungen im
Hinblick auf die Fehlerhaftigkeit einer Kodierung durchzuführen, wenn feststeht, dass der Abrechnungsbetrag unvermindert bleibt.
Dem kann nicht von der Beklagten entgegengehalten werden, Krankenhäuser müssten ein Gutachten des MDK nur - und sei es auch
pauschal und substanzlos - im Ergebnis bestreiten, um einen Anspruch auf die Aufwandspauschale geltend machen zu können. Dieser
Einwand berücksichtigt nicht, dass nach dem Wortlaut §
275 Abs
1c S 3
SGB V die Aufwandspauschale ohne weitere Voraussetzungen dann zu entrichten ist, wenn die Prüfung nicht zu einer Minderung des
Abrechnungsbetrags führt. Die dem Sinn und Zweck nach gerechtfertigte Einschränkung des Anspruchs für den Fall einer unstreitig
oder nachgewiesen fehlerhaften Abrechnung bildet lediglich einen eng zu begrenzenden Ausnahmefall.
bb) Die Klägerin hat das Prüfverfahren vorliegend nicht durch eine nachweislich fehlerhafte Abrechnung veranlasst.
Es ist schon nicht ersichtlich, dass die Beklagte die Wahl der Haupt- bzw Nebendiagnosen zum Anlass für ihre Überprüfung genommen
hat. Die an den MDK gerichteten Fragen im Prüfauftrag sprechen vielmehr dafür, dass die Beklagte lediglich überprüfen lassen
wollte, ob die Voraussetzungen für die durchgeführte geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung nach Behandlungstagen,
Therapieeinheiten und gegebenenfalls sonstigen durchgeführten Therapien und Maßnahmen sowie aufgrund der Indikation und des
insgesamt bestehenden Krankheitsbildes vorgelegen haben. Fragen bzgl der Haupt- und/oder Nebendiagnosen enthält der Gutachtenauftrag
nicht.
Darüber hinaus ist eine Falschkodierung durch die Klägerin weder zwischen den Beteiligten unstreitig noch seitens der Beklagten
nachgewiesen. Denn die Ausführungen des MDK, dass die Fraktur des proximalen Endes des Humeruskopfes (S42.21) als Hauptdiagnose
hätte angegeben werden müssen, während die arzneimittelinduzierte Osteoporose im Bereich des Beckens und der Oberschenkel
(M81.45) stattdessen als Nebendiagnose aufzuführen gewesen wäre, ist nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Nach den Deutschen
Kodierrichtlinien (Allgemeine und Spezielle Kodierrichtlinien für die Verschlüsselung von Krankheiten und Prozeduren, Version
2007 [DKR]) wird die Hauptdiagnose definiert als: "Die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich
für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist" (DKR, D002f - Hauptdiagnose,
S 4 ff). Weiter wird in den DKR zur Hauptdiagnose ausgeführt: "Wenn zwei oder mehrere Diagnosen in Bezug zu Aufnahme, Untersuchungsbefunden
und/oder der durchgeführten Therapie gleichermaßen die Kriterien für die Hauptdiagnose erfüllen und ICD-10-Verzeichnisse und
Kodierrichtlinien keine Verschlüsselungsanweisungen geben, muss vom behandelnden Arzt entschieden werden, welche Diagnose
am besten der Hauptdiagnose-Definition entspricht" (DKR - D002f, S 4-6). Die Nebendiagnose wird demgegenüber definiert als:
"Eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes
entwickelt" (DKR - D003d - Nebendiagnosen, S 10 ff). Dazu wird weiter ausgeführt: "Für Kodierzwecke müssen Nebendiagnosen
als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden
Faktoren erforderlich ist:
- therapeutische Maßnahmen
- diagnostische Maßnahmen
- erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand" (DKR - D003d, S 10-12).
Daraus wird deutlich, dass die Abgrenzung von Haupt- und Nebendiagnosen nicht immer einfach und eindeutig ist. Entscheidend
ist danach nicht in erster Linie die Schwere der Erkrankung, sondern welche Diagnose den Krankenhausarzt nach eigener Analyse
zur stationären Aufnahme veranlasste, auf welches Krankheitsbild sich die Behandlung in erster Linie bezieht, welche Diagnose
also den Schwerpunkt der stationären Behandlung gebildet hat. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, welche operativen Prozeduren
durchgeführt werden (sollen). Im Zweifel entscheidet der behandelnde Arzt (vgl hierzu Bartkowski in: ders/Bauer/Witte, G-DRG,
Praxiskommentar zum Deutschen Fallpauschalensystem, Allgemeines, 1.4.1 Festlegung der Hauptdiagnose und 1.4.2 Kodierung von
Nebendiagnosen).
Nach diesen Kriterien war die von der Klägerin vorgenommene Kodierung nicht nachweislich falsch. Der stationäre Aufenthalt
der Versicherten wurde zur Durchführung einer geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung bei Krankheiten und Störungen
am Muskelskelettsystem und Bindegewebe veranlasst. Neben der Diagnose einer arzneimittelinduzierten Osteoporose in der Beckenregion
und im Bereich der Oberschenkel (Becken, Femur, Gesäß, Hüfte, Hüftgelenk sowie Iliosakralgelenk) lag eine Fraktur des proximalen
Endes des Humeruskopfes vor. Welche der beiden Erkrankungen hauptsächlich für den stationären Aufenthalt der Versicherten
verantwortlich war, ließe sich allenfalls durch ein medizinisches Sachverständigengutachten auf der Basis der gesamten Patientenakte
gegebenenfalls unter Heranziehung weiterer Unterlagen und Befragung der behandelnden Ärzte, Therapeuten und der Versicherten
aufklären - insbesondere mit der Fragestellung, ob sich die geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung in erster Linie
auf die Behandlung der Osteoporose im Becken- und Oberschenkelbereich bezog oder ob die Beweglichkeit des Oberarms nach der
bereits Ende August 2007 stattgehabten Fraktur und operativen Versorgung im Vordergrund stand. Möglicherweise erfüllen aber
auch beide Diagnosen gleichermaßen die Kriterien für die Hauptdiagnose, sodass die Entscheidung des behandelnden Arztes, welche
Diagnose am besten der Hauptdiagnose-Definition entspricht, nicht zu beanstanden wäre. Das Gutachten des MDK enthält hierzu
keine Aussagen. Die Angaben der Klägerin, die Therapien hätten sich nicht auf die Oberarmfraktur bezogen, sprechen für die
Richtigkeit ihrer Kodierung. Eine nachgewiesene Falschkodierung liegt ersichtlich nicht vor.
2. Die Klägerin hat Anspruch auf Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.6.2009. Dieser Zinsanspruch
kann nicht auf Vereinbarungen oder sonstige Regelungen zum Anspruch auf Vergütung für erbrachte Leistungen gestützt werden,
da die Aufwandspauschale kein Vergütungsanspruch des Leistungserbringers ist. Die Klägerin kann daher - mangels anderweitiger
Rechtsgrundlage - nur Prozesszinsen nach §§
291,
288 Abs
1 S 2
BGB geltend machen (vgl hierzu BSG Urteil vom 2.11.2010 - B 1 KR 11/10 R - BSGE 107, 78 = SozR 4-2500 § 140d Nr 2; BSG Urteil vom 25.11.2010 - B 3 KR 6/10 R - Juris). Danach hat der Schuldner eine Geldschuld von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht
im Verzug ist. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Nach §
94 SGG wird die Streitsache durch die Erhebung der Klage rechtshängig. Die Klage ist am 9.6.2009 beim SG eingegangen und damit rechtshängig geworden. Der Anspruch auf Prozesszinsen beginnt daher an diesem Tag.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm §
154 Abs
1 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §
197a Abs
1 S 1 Halbs 1
SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.