Abgrenzung der Leistungsverpflichtung der Krankenkasse und des Pflegeheims bei Hilfsmittelversorgung
Gründe:
I
Streitig ist die Versorgung der Klägerin mit einem Faltrollstuhl mit verstellbarer Rückenlehne und Fußstützen (Lagerungsrollstuhl)
sowie mit einer Fixationsweste für den Oberkörper auf Kosten der beklagten Krankenkasse.
Die 1912 geborene Klägerin ist als Rentnerin bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet an fortgeschrittener Alzheimer-Demenz
und an Beugekontrakturen aller Extremitäten, lebt in einem Pflegeheim und erhält Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe
III als Härtefall.
Mit vertragsärztlicher Verordnung der Dres. H beantragte die Klägerin im September
1999 die Versorgung mit einem Lagerungsrollstuhl nebst Fixationsweste für den Oberkörper. Die Beklagte holte eine Stellungnahme
des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein und teilte der Klägerin sodann im Anhörungsverfahren mit, sie
beabsichtige nicht, die Kosten für das begehrte Hilfsmittel zu übernehmen. Dr. S informierte daraufhin die beklagte
Krankenkasse, die Klägerin sei wegen fortgeschrittener seniler Demenz bettlägerig und werde zur Dekubitus- und Pneumonieprophylaxe
regelmäßig in einen herkömmlichen Faltrollstuhl gesetzt, aus dem sie jedoch wiederholt herausgefallen sei; deshalb sei sie
auf einen Lagerungsrollstuhl angewiesen. Ergänzend teilte das Pflegeheim der Beklagten auf Anfrage mit, die Klägerin werde
morgens nach dem Waschen in einen herkömmlichen Faltrollstuhl gesetzt, könne darin aber nicht über einen längeren Zeitraum
aufrecht sitzen. Deshalb sei ein Lagerungsrollstuhl mit Fixationsweste erforderlich; in diesem könne sie sich täglich fünf
bis sechs Stunden aufhalten und auch wieder an gesellschaftlichen Veranstaltungen im Heim teilnehmen. In einer weiteren Stellungnahme
des MDK führte Dr. Sch hierzu aus, die Klägerin sei nach dem Pflegegutachten nicht in der Lage, den überwiegenden
Teil des Tages sitzend im Rollstuhl zu verbringen; erst recht könne sie nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.
Mit dieser Begründung lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für das begehrte Hilfsmittel ab (Bescheid vom 2. Dezember 1999,
Widerspruchsbescheid vom 12. April 2000).
Während des Klageverfahrens ist die Klägerin im Juli 2001 durch ein örtliches Sanitätshaus auf eigene Rechnung mit einem sog
Multifunktionsrollstuhl versorgt worden, bei dem die Sitzhöhe, -breite und -tiefe sowie die Rückenhöhe jeweils individuell
angepasst werden kann und eine zusätzliche Begurtung dafür sorgt, dass der Patient in eine aufrechte Sitzhaltung gebracht
wird. Der Kaufpreis (2.351,25 EUR plus MWSt) ist der Klägerin bis zum Abschluss dieses Verfahrens gestundet worden.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. Januar 2002). Dem Anspruch der Klägerin stehe zwar nicht grundsätzlich entgegen,
dass sie in einem Pflegeheim lebe. Der Lagerungsrollstuhl mit Fixationsweste sei jedoch kein individuell angepasstes Hilfsmittel,
da es sich um ein Serienmodell handele. Solche Hilfsmittel müsse der Heimträger zur Verfügung stellen, auch wenn sie in der
Pflegeeinrichtung nicht jederzeit von weiteren Heimbewohnern benutzt werden könnten. Zudem diene der begehrte Rollstuhl in
erster Linie dem Transport der Klägerin innerhalb der Pflegeeinrichtung und nicht der Befriedigung allgemeiner Grundbedürfnisse
außerhalb der Heimsphäre.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin von den Kosten der Versorgung mit
dem Rollstuhl in Höhe von 2.351,25 EUR freizustellen (Urteil vom 26. Februar 2003). Vor der Selbstbeschaffung des Rollstuhls
habe die Beklagte die begehrte Leistung zu Unrecht abgelehnt; deshalb stehe der Klägerin nunmehr ein Freistellungsanspruch
zu. Im vorliegenden Fall sei eine Leistungsverpflichtung der beklagten Krankenkasse gegeben, weil der Lagerungsrollstuhl wesentlich
zur Befriedigung von Grundbedürfnissen der Klägerin diene. Diese könne zwar nicht mehr aktiv am Gemeinschaftsleben teilhaben,
doch dürfe darauf nicht entscheidend abgestellt werden. Auch geistig verwirrte und hirnorganisch geschädigte Versicherte hätten
Anspruch auf ein Zusammensein mit anderen; es sei nicht gerechtfertigt, die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung
für einen im individuellen Fall erforderlichen Rollstuhl zu bejahen, wenn der Versicherte noch aktiv am Heimleben teilnehmen
und zurückzulegende Wege selbst bestimmen könne, sie aber zu verneinen, wenn diese geistige Fähigkeit nicht mehr vorhanden
sei. Lagerungsrollstuhl und Fixationsweste seien im Falle der Klägerin zur Herstellung der Mobilität und zur Ermöglichung
des Aufenthalts in der Gemeinschaft erforderlich und deshalb von der beklagten Krankenkasse zu finanzieren. Diesem Anspruch
stehe auch das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht entgegen.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von §
33 Abs
1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V) und weiterer Vorschriften aus dem Recht der sozialen Pflegeversicherung (
SGB XI). Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Hilfsmittelversorgung und damit auch keinen Freistellungs- oder Erstattungsanspruch.
Das LSG habe die vom Bundessozialgericht (BSG) im Hilfsmittelbereich aufgestellten Kriterien zur Abgrenzung zwischen der Leistungspflicht
der gesetzlichen Krankenversicherung und der Vorhalteverpflichtung der Heimträger verkannt. Es handele sich weder um ein individuell
für die Klägerin angefertigtes Hilfsmittel noch diene es zur Befriedigung von außerhalb der Heimsphäre liegenden Grundbedürfnissen.
Im vorliegenden Falle gehe es nicht darum, über das Recht der Klägerin auf Zusammensein mit Anderen im Heim zu befinden, sondern
allein um Abgrenzungskriterien dafür, wann der Behinderungsausgleich iS des §
33 SGB V und wann die Heimpflege im Vordergrund stehe. Nach der Rechtsprechung des BSG stehe die Heimpflege mit der Folge der Vorhaltepflicht
des Pflegeheimes dann im Vordergrund, wenn eine selbstbestimmte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nicht mehr möglich sei.
Dies sei hier der Fall, wie die Beweisaufnahme ergeben habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Februar 2003 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 28. Februar 2002 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Klägerin hält die angefochtene Entscheidung des LSG für zutreffend. Bei dem von ihr benutzen Lagerungsrollstuhl handele
es sich um ein individuell hergestelltes Hilfsmittel, wie schon die Umrüstzeit von immerhin 60 bis 75 Min. erkennen lasse.
Des ungeachtet sei er aber auch ein Hilfsmittel, welches ihr die Teilhabe am Gemeinschaftsleben ermögliche. Diese könne sie
noch durch Mimik bzw Reaktion nach Ansprache zum Ausdruck bringen. Mit Hilfe des Multifunktionsrollstuhls werde vermieden,
dass sie in ihrem Zimmer isoliert werde und "verkümmere".
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das LSG hat die beklagte Krankenkasse zu Unrecht zur Freistellung von den Kosten
der Versorgung mit einem Lagerungsrollstuhl nebst Fixationsweste verurteilt. Die Beklagte hat die Gewährung der Sachleistung
zutreffend abgelehnt; der Klägerin steht deshalb auch kein Kostenerstattungs- oder Freistellungsanspruch (§
13 Abs
3 Satz 1
SGB V - vgl dazu BSG SozR 4-2500 §
13 Nr
1 und SozR 3-2500 § 13 Nr 14) zu.
1. Die auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die Vorinstanzen
haben allerdings weder die für die Klägerin zuständige Pflegekasse noch den Heimträger beigeladen. Zumindest letzteres hätte
jedoch nahe gelegen, weil die berechtigten Interessen des Heimträgers durch die zu treffende Entscheidung berührt werden (§
75 Abs
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz >SGG<). Es geht im vorliegenden Fall um die Abgrenzung der Leistungsverpflichtung von gesetzlicher Kranken- und sozialer
Pflegeversicherung und hier insbesondere um die Vorhaltepflicht des Pflegeheimes, die wiederum entscheidend vom jeweiligen
Versorgungsauftrag sowie von den Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen (§ 80a
SGB XI) zwischen den in §
85 Abs
2 SGB XI genannten Vertragsparteinen abhängt. Die Verneinung eines Anspruchs der Klägerin aus §
33 SGB V bzw eines entsprechenden Kostenerstattungs- oder Freistellungsanspruchs gegen die beklagte Krankenkasse kann im Falle vollstationärer
Pflegebedürftigkeit zu einem Anspruch gegen den Heimträger führen, soweit die dafür maßgeblichen Voraussetzungen des Heimvertrages
erfüllt sind. Allerdings könnte sich dieser Anspruch der Klägerin gegen den Heimträger auch nur aus dem privatrechtlichen
Heimvertrag ergeben. Deshalb liegt kein Fall des §
75 Abs
2 SGG (notwendige Beiladung) vor: Zum einen ist der Heimträger an dem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis zwischen Versicherter
und Krankenkasse nicht derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann, zum anderen
ist der Heimträger kein anderer Versicherungsträger, dessen Leistungsverpflichtung ersatzweise in Betracht kommt. Das Unterlassen
einer einfachen Beiladung (§
75 Abs
1 Satz 1
SGG) ist kein von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel. Die Nachholung einer einfachen Beiladung ist im Revisionsverfahren
nicht mehr möglich (§
168 SGG).
2. Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Freistellungsanspruch ist §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 19. Dezember 1998 (BGBl I 3853); das dort geregelte Recht auf Kostenerstattung umfasst auch
den Anspruch auf Freistellung von einer Verbindlichkeit (vgl BSGE 89, 39 = SozR 3-2500 § 13 Nr 25; BSGE 85, 287 = SozR 3-2500 § 33 Nr 37; BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 14). Die Voraussetzungen dieses Freistellungsanspruchs sind jedoch nicht
erfüllt, weil die beklagte Krankenkasse weder eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht noch eine Leistung
zu Unrecht abgelehnt hat. Versicherte haben zwar nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V in der damals noch gültigen Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S 2477) Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen
und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung
auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen sind. Behinderte Versicherte wie die Klägerin, die die Fähigkeit zum selbstständigen Sitzen, Stehen und Gehen
verloren haben, können deshalb zur Erhaltung ihrer Mobilität grundsätzlich einen Lagerungsrollstuhl mit Fixationsweste als
Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung beanspruchen (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 37).
a) Nach der seit dem 1. Januar 1989 geltenden Rechtslage sind die Krankenkassen zur Versorgung von Versicherten mit Hilfsmitteln
grundsätzlich unabhängig davon verpflichtet, ob sie in einer eigenen Wohnung oder in einem Pflegeheim leben. Dieser Grundsatz
erfährt jedoch beim Versicherungsfall der vollstationären Pflegebedürftigkeit, also bei der vollstationären Pflege in einem
Pflegeheim (§
71 Abs
2 SGB XI), eine Einschränkung: Die Pflicht der gesetzlichen Krankenversicherung zur Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln endet
nach der Konzeption des
SGB V und des
SGB XI dort, wo bei vollstationärer Pflege die Pflicht des Heimträgers auf Versorgung der Heimbewohner mit Hilfsmitteln einsetzt
(Urteil des Senats vom 10. Februar 2000, BSGE 85, 287 = SozR 3-2500 § 33 Nr 37). Bei vollstationärer Pflege hat der Träger des Heimes für die im Rahmen des üblichen Pflegebetriebs
notwendigen Hilfsmittel zu sorgen, weil er verpflichtet ist, die Pflegebedürftigen ausreichend und angemessen zu pflegen und
sozial zu betreuen. Die Heime müssen das für die vollstationäre Pflege notwendige Inventar bereithalten.
In seiner Entscheidung vom 6. Juni 2002 (BSGE 89, 271 = SozR 3-2500 § 33 Nr 43) hat der Senat zur Vorhaltepflicht der Pflegeeinrichtung ausgeführt, dass diese entscheidend vom
jeweiligen Versorgungsauftrag und - nach In-Kraft-Treten des Pflege-Qualitätssicherungsgesetzes (PQsG) vom 9. September 2001
(BGBl I S 2320) - von der Leistungs- und Qualitätsvereinbarung (§ 80a
SGB XI) abhänge. Sie lasse sich nicht allgemein für Pflegeheime jeder Art beschreiben, sondern werde zB für Pflegeheime mit Pflegebedürftigen
überwiegend der Pflegestufe I anders aussehen als bei Pflegeheimen mit beatmungsbedürftigen Schwerstpflegebedürftigen. Soweit
der Versorgungsvertrag, den die Pflegekassen mit dem Heimträger abschließen, nichts Ausdrückliches zur Heimausstattung vorschreibe,
sei lediglich die zur Durchführung von üblichen Maßnahmen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung erforderliche
Ausstattung vorzuhalten, weil sich dies aus dem Wesen jeder Pflegeeinrichtung ohne weiteres ergebe. Was im Einzelnen dazu
gehöre und wie die Abgrenzung zu den von den Krankenkassen zu leistenden Hilfsmitteln in diesen Bereichen vorzunehmen sei,
könne nur jeweils für konkrete Gegenstände entschieden werden. Mit Urteil vom 28. Mai 2003 (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 4) hat
der Senat ausgeführt, dass auch solche Gegenstände der Heimausstattung zuzurechnen seien, bei denen zwar noch ein gewisser
Behinderungsausgleich zu erkennen sei, ganz überwiegend aber die Pflege im Vordergrund stehe, weil eine Selbstbestimmung und
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (vgl §
1 Satz 1
SGB IX) nicht mehr möglich sei, eine Rehabilitation damit nicht mehr stattfinde; ist das aber noch der Fall, bleibt die Leistungszuständigkeit
der Krankenkasse wie bei der Behandlungspflege bestehen. Denn die Krankenkasse ist im Unterschied zur Pflegekasse Rehabilitationsträger
(vgl §
6 Abs
1 Nr
1 SGB IX); ihre Leistungsverpflichtung ist gegenüber Leistungen der Pflegeversicherung vorrangig (§§
5,
31,
40 Abs
1 SGB XI). Als Leistung der medizinischen Rehabilitation hat die Krankenkasse ua Hilfsmittel zu gewähren (§
26 Abs
1 Nr
6 SGB IX). Übergeordnetes Ziel jeder Rehabilitation ist es aber, behinderten Menschen eine selbstbestimmte gleichberechtigte Teilhabe
am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen oder zu fördern (§§
1,
4 Abs
1 Nr
4 SGB IX). Soweit es dabei um den Ausgleich einer Behinderung sowie die Vermeidung oder Minderung von Pflegebedürftigkeit geht (§
4 Abs
1 Nr
1 und Nr
2 SGB IX) müssen Leistungen deshalb auf eine Förderung der Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
ausgerichtet sein, um als Maßnahmen der Rehabilitation die Leistungspflicht der Krankenkasse zu begründen.
b) Unter Berücksichtigung der vorstehend wiedergegeben Abgrenzungskriterien ist ein Freistellungsanspruch der Klägerin nach
§
13 Abs
3 Satz 1
SGB V gegenüber der Beklagten wegen der Selbstbeschaffung eines Lagerungsrollstuhls nebst Fixationsweste nicht gegeben. Dabei kommt
es nicht entscheidend darauf an, ob es sich bei dem streitbefangenen Lagerungsrollstuhl um ein serienmäßig hergestelltes Modell
mit individuell an die Bedürfnisse der Klägerin angepassten Nutzteilen aus einem Baukastensystem des Herstellers handelt oder
um ein Beförderungsmittel, welches speziell für die Klägerin angefertigt worden ist und nur von dieser benutzt wird. Ebenso
wenig ist es allein ausschlaggebend, ob die Klägerin mittels des Lagerungsrollstuhls nur im Pflegeheim und dem dazugehörigen
Garten oder aber gelegentlich auch zu Zielen außerhalb transportiert wird.
Entscheidend ist vielmehr, dass der Klägerin eine verantwortungsbewusste Bestimmung über das eigene Schicksal nicht mehr möglich
ist, sie also wegen des Fehlens eigengesteuerter Bestimmungsmöglichkeiten quasi zum "Objekt der Pflege" geworden ist (vgl
Götze in Hauck/Noftz,
SGB IX - Band 1, Stand: April 2003, §
1 RdNr 14 mwN). Eine Rehabilitation ist dann mangels Erfolgsaussichten nicht mehr möglich, der Ist-Zustand der Behinderung
nicht mehr behebbar. Nach den Feststellungen des LSG war es der Klägerin schon Mitte 2001 nicht mehr möglich, ihren Aufenthaltsort
innerhalb oder gar außerhalb des Heimes selbst zu bestimmen, die im Ablauf des täglichen Lebens anfallenden Verrichtungen
eigenständig und ohne Hilfestellung des Pflegepersonals zu erledigen oder aktiv am Gemeinschaftsleben im Heim teilzunehmen.
Sie wurde vielmehr vom Pflegepersonal in den Lagerungsrollstuhl gesetzt und in den Gemeinschaftsraum geschoben, um dort mit
anderen Menschen - passiv - zusammen sein zu können. Ein eigenständiges und bewusstes Gestalten dieses Zusammenseins war für
sie auf Grund der Behinderung ausgeschlossen. Zwar war die Klägerin damals noch in der Lage, selbst Eindrücke wahrzunehmen,
zu lachen und auf Ansprache zu reagieren; das bedeutet aber nur ein passives Reagieren, nicht ein Agieren.
Zu Unrecht hat es das LSG für den geltend gemachten Leistungsanspruch als irrelevant angesehen, ob sich die Klägerin noch
aktiv am Gemeinschaftsleben beteiligen kann oder nicht. Es geht vorliegend nicht darum, über die (selbstverständliche) Berechtigung
der Klägerin auf ein Zusammensein mit anderen und die - passive - Teilhabe am Gemeinschaftsleben zu befinden, sondern allein
um die Frage, wer den dafür erforderlichen Lagerungsrollstuhl mit Fixationsweste zu finanzieren hat. Die vom Senat grundsätzlich
getroffene Abgrenzung, ob das Hilfsmittel überwiegend dem Behinderungsausgleich dient (dann Leistungsverpflichtung der gesetzlichen
Krankenversicherung) oder aber die Pflege den Schwerpunkt bildet (dann Vorhaltepflicht des Heimträgers), ist sach- und systemgerecht,
wie sich insbesondere auch aus der Vorschrift des §
28 Abs
4 SGB XI erschließt. Danach soll die Pflege auch die Aktivierung der Pflegebedürftigen zum Ziel haben, um vorhandene Fähigkeiten zu
erhalten und, soweit dies möglich ist, verlorene Fähigkeiten zurückzugewinnen (Satz 1). Um der Gefahr der Vereinsamung der
Pflegebedürftigen entgegenzuwirken, sollen bei der Leistungserbringung auch die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen nach Kommunikation
berücksichtigt werden (Satz 2). Diese sog aktivierende Pflege ist ein wesentlicher Bestandteil der sozialen Pflegeversicherung,
wie sich ua aus §§
6 Abs
2 und 11 Abs
2 SGB XI ergibt. Die Berücksichtigung des Kommunikationsbedarfs ist vom Gesetzgeber zwar nicht in den Katalog des §
14 Abs
4 SGB XI aufgenommen worden, bei der stationären Pflege gehört er aber als Bestandteil der sozialen Betreuung (§§
41 Abs
2,
42 Abs
2 und
43 Abs
2 SGB XI) zu den Leistungen der Pflegeversicherung (vgl Udsching,
SGB XI - Soziale Pflegeversicherung, 2. Aufl 2000, §
28 RdNr 11 mwN). Dieser Aufgabe wird der Heimträger dadurch gerecht, dass er die Klägerin mittels des Lagerungsrollstuhls in
den Aufenthaltsraum des Pflegeheims transportiert und ihr Fahrten in den Garten ermöglicht.
c) Die hiermit vorgenommene Abgrenzung zwischen der Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung und der Vorhaltepflicht
des Heimträgers verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen aus Art
3 Abs
3 Satz 2
Grundgesetz (
GG). Wie der Senat in anderem Zusammenhang bereits entschieden hat, ergeben sich aus dieser Verfassungsnorm keine weiter gehenden
Ansprüche bei der Hilfsmittelversorgung (vgl Urteil vom 26. März 2003, SozR 4-2500 § 33 Nr 3 mit Anm Davy, SGb 2004, 315, 318 f). Zwar ist das Verbot einer Benachteiligung zugleich mit einem objektiv-rechtlichen Auftrag an den Staat verbunden,
auf die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen hinzuwirken; dieser auch nach Inkrafttreten des
SGB IX fortbestehende Auftrag zur Ausgestaltung des Sozialstaatsgebots begründet indes keine konkreten Leistungsansprüche und damit
kein einklagbares subjektives Recht des Einzelnen auf eine bestimmte Hilfsmittelversorgung. Von dieser Prämisse geht auch
Davy (aaO) aus, weist dann jedoch darauf hin, dass aus dem Benachteiligungsverbot des Art
3 Abs
3 Satz 2
GG ein Recht auf Unterlassung von Benachteiligungen wegen einer Behinderung abzuleiten sei; dies werde von der Rechtsprechung
des BSG nicht hinreichend beachtet (ähnlich Plantholz, PflR 2003, 6, 8 f). Dem ist entgegenzuhalten, dass es allein um die Abgrenzung geht, ob eine Leistungsverpflichtung der beklagten
Krankenkasse aus §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V oder eine Vorhaltepflicht des Heimträgers besteht. Eine verfassungswidrige Benachteilung von Behinderten kann nicht bereits
darin gesehen werden, dass sie - auch abhängig von der Schwere der Behinderung - in einem gegliederten System der sozialen
Sicherung dem Leistungsbereich der Krankenversicherung oder der Pflegeversicherung, notfalls auch demjenigen der Sozialhilfe
zugeordnet werden. Die Leistungszuständigkeit der Krankenkasse für Hilfsmittel lässt sich jedenfalls nicht damit begründen,
dass bei stationärer Pflege die Leistungen der sozialen Sicherheit geringer ausfallen als bei ambulanter Pflege. Es ist zwar
zutreffend, dass die vom Heimträger vorzuhaltenden Hilfsmittel zum großen Teil von den Pflegebedürftigen refinanziert werden
- sei es über die Pflegevergütung bei Verbrauchsgütern (§
82 Abs
2 Nr
1 Halbsatz 2
SGB XI), soweit die Höchstsätze der Pflegekassen nach §
43 SGB XI überschritten werden, sei es über die gesonderte Vergütung von Investitionsaufwendungen nach §
82 Abs
3 Satz 1
SGB XI, soweit diese durch öffentliche Förderung nach §
9 SGB XI nicht gedeckt sind. Weil faktisch regelmäßig die Höchstsätze der Pflegeversicherung überschritten werden und die öffentliche
Förderung durch die Länder die Investitionskosten nicht oder nur unvollständig abdeckt, verbleibt für einen Teil der Pflegebedürftigen
ein privat zu finanzierender Eigenanteil, für den anderen, bedürftigen Teil der Pflegeheimbewohner das Eintreten des Sozialhilfeträgers.
Aber auch bei häuslicher Pflege gibt es für Pflegehilfsmittel Leistungsbegrenzungen und Zuzahlungen für den Versicherten (vgl
§
40 Abs
2 und
3 SGB XI). Eine faktische Benachteiligung zumindest der sog Selbstzahler im Pflegeheim gegenüber ambulant Pflegebedürftigen, die auf
Hilfsmittel angewiesen sind, läge aber allein an Unzulänglichkeiten im System der sozialen Pflegeversicherung, die möglicherweise
auch verfassungsmäßig verbürgte Rechte tangieren; sie sind aber kein Grund, dafür die gesetzliche Krankenversicherung gleichsam
als Ausfallbürge solange eintreten zu lassen, bis diese Unzulänglichkeiten behoben sind. Das Risiko der Pflegebedürftigkeit
hat der Gesetzgeber - von einer vorübergehenden Einordnung von Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit in den §§
53 ff
SGB V aF abgesehen - nunmehr eigenständig in einem besonderem System abgesichert. Auch bei einer systemübergreifenden Betrachtungsweise
kommt eine Leistungsverpflichtung der Krankenversicherung für reine Pflegehilfsmittel sowohl bei ambulanter als auch stationärer
Pflege nicht mehr in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.