Grundsatz der Zuordnung eines Vertragsarztsitzes und eines vollen Versorgungsauftrags in der vertragsärztlichen Versorgung
auch nach den Flexibilisierungsoptionen durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz
Gründe:
I
Streitig ist das Begehren der Klägerin, durch Erhalt der Genehmigung zur Verlegung eines Teils ihrer ärztlichen Tätigkeit
an einen anderen Ort zwei volle Versorgungsaufträge ausüben zu können.
Die Klägerin erlangte im Mai 1993 eine Zulassung als Augenärztin zur vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der beklagten
Kassenärztlichen Vereinigung mit Vertragsarztsitz in Hanau (Stadtteil S.). Seit September 1993 führt sie gemäß Beschluss des
Zulassungsausschusses zusätzlich die Fachgebietsbezeichnung Neurologie. Im Juni 2007 beantragte sie, ihr zu genehmigen, unter
Beibehaltung ihres vollen Versorgungsauftrags als Augenärztin in Hanau ihren Vertragsarztsitz im Bereich der Neurologie nach
Schlüchtern zu verlegen und diese ärztliche Tätigkeit im Rahmen des dortigen Medizinischen Versorgungszentrums mit vollem
Versorgungsauftrag ausüben zu dürfen.
Dies lehnten der Zulassungs- und der Berufungsausschuss sowie das SG und LSG ab. Im Urteil des LSG (vom 7.7.2010) ist ausgeführt, das
SGB V und die Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) gingen davon aus, dass einem Arzt ein (einheitlicher) Vertragsarztsitz
mit einem vollen oder einem hälftigen Versorgungsauftrag zugeordnet sei. Dieser Grundsatz sei allerdings modifiziert worden,
insbesondere durch die Möglichkeiten, den Praxissitz zu verlegen und/oder zusätzlich an anderen Standorten tätig zu werden.
Das Begehren der Klägerin entspreche aber keiner dieser zugelassenen Ausnahmen. Sie begehre eine "Aufspaltung" ihres Vertragsarztsitzes
in zwei volle Sitze, einen zur Ausübung der Augenheilkunde in Hanau und einen zweiten zur Ausübung der Neurologie in Schlüchtern,
beides mit je einem vollen Versorgungsauftrag. Darin, dass das
SGB V und die Ärzte-ZV keine Möglichkeit zur Erlangung von zwei vollen Vertragsarztsitzen vorsähen, wie die Klägerin sie begehre,
liege kein Verstoß gegen höherrangiges Recht. Insbesondere könne sie ihr Begehren nicht auf Art
12 Abs
1 GG gründen. Die von ihr erstrebte Zuerkennung zweier voller Versorgungsaufträge entspreche auch nicht dem ihr zuerkannten Zulassungsstatus.
Ihr seien nicht zwei volle Versorgungsaufträge zuerkannt worden, sondern nur ein voller Versorgungsauftrag.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG. Sie macht geltend,
die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung.
II
Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
1. Das Vorbringen der Klägerin, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG), entspricht zwar den Darlegungsanforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG. Ihre Beschwerde ist mithin zulässig. Sie ist aber unbegründet, denn nicht alle Erfordernisse für die Revisionszulassung
sind erfüllt.
Eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren
klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR
4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt insbesondere dann, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist
und/oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar
beantworten lässt (hierzu siehe zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; BSG SozR 3-1500 § 160a
Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; siehe auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Diese Anforderungen
sind verfassungsrechtlich unbedenklich (siehe die BVerfG-Angaben in BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 sowie BVerfG [Kammer]
SozR 4-1500 § 160a Nr 16 RdNr 4 f).
Die Klägerin wirft sinngemäß die Rechtsfrage auf,
ob bei einer Vollzulassung für zwei Fachgebiete die Tätigkeit für eines davon an einen anderen Ort verlegt werden kann, während
die Tätigkeit für das andere Fachgebiet am Ort der Hauptpraxis verbleibt,
ob mithin die Zulassung auf zwei Fachgebiete mit jeweils vollem Versorgungsauftrag aufgeteilt werden kann.
Wegen dieser Rechtsfrage kommt eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht in Betracht. Denn die Rechtsfrage
ist nicht klärungsbedürftig, weil sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften iVm der bereits vorliegenden Rechtsprechung
klar beantworten lässt.
a) Der Beklagte und die Vorinstanzen haben zu Recht darauf abgestellt, dass das
SGB V und die Ärzte-ZV davon ausgehen, dass einem Arzt (nur) ein Vertragsarztsitz und (nur) ein voller Versorgungsauftrag zugeordnet
ist. Dies hat das BSG schon bisher in seiner Rechtsprechung so gesehen. In den Urteilen BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 20 und BSG
SozR 3-2500 § 95 Nr 22 kommt deutlich zum Ausdruck, dass es sich bei einer zugelassenen Tätigkeit in zwei Fachgebieten stets
um nur eine Zulassung - und ebenso um nur insgesamt einen vollen Versorgungsauftrag - handelt (BSG aaO § 87 Nr 20 S 102 ff
zur Festlegung der Fallpunktzahl für einen Vertragsarzt bei Zulassung für zwei Fachgebiete; BSG aaO § 95 Nr 22 S 94 ff zum
Recht des in zwei Fachgebieten zugelassenen Vertragsarztes, seine Tätigkeit auf eines dieser Fachgebiete zu beschränken).
Sinngemäß ist der Senat ebenso im Urteil zur gleichzeitigen vertragszahn- und vertragsärztlichen Zulassung eines Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen
davon ausgegangen, dass dieser nur einen Versorgungsauftrag hat (vgl BSGE 85, 145 = SozR 3-5525 § 20 Nr 1 - allerdings mit der Besonderheit, dass er infolge der Mitgliedschaft in der Kassenzahnärztlichen
und der Kassenärztlichen Vereinigung über zwei - freilich inhaltlich verbundene - Zulassungen verfügt).
Der Gesetzgeber hat zwar die Möglichkeit geschaffen, die ärztliche Tätigkeit auch an anderen Orten auszuüben, zB in Zweigpraxen
und/oder ausgelagerten Praxisräumen (§
98 Abs
2 Nr
13 SGB V iVm §
24 Abs
3 und Abs
5 Ärzte-ZV). Weiterhin können der volle Versorgungsauftrag auf einen hälftigen reduziert (§
95 Abs
3 Satz 1
SGB V iVm § 19a Abs 2 Ärzte-ZV) und der Vertragsarztsitz verlegt werden (§ 24 Abs 7 Ärzte-ZV). Diese Flexibilisierungsoptionen ändern aber nichts
an dem Grundsatz, dass einem Arzt (nur) ein Vertragsarztsitz und (nur) ein voller Versorgungsauftrag zugeordnet ist.
b) Hieran scheitert das Begehren der Klägerin. Sie will einen Teil ihrer ärztlichen Tätigkeit, nämlich die neurologischen
Behandlungen, vom Vertragsarztsitz (in Hanau) trennen und an einen neu zu begründenden anderen Tätigkeitsort (Schlüchtern)
verlegen und an beiden Orten je einen vollen Versorgungsauftrag ausüben.
Eine solche Kombination von teilweiser Sitzverlegung iVm der Gründung eines weiteren Standorts, mit der von ihr erstrebten
Folge der Erlangung zweier voller Versorgungsaufträge, verlässt den Grundsatz, dass einem Arzt nur ein Versorgungsauftrag
zugeordnet ist, in einer Weise, die keiner der vom Gesetz- bzw Verordnungsgeber normierten Ausnahmen entspricht: Rechtlich
vorgesehen sind nur Sitzverlegungen gemäß § 24 Abs 7 Ärzte-ZV, wobei der gesamte Vertragsarztsitz an einen anderen Ort verlegt
wird, und die Gründung von Zweigpraxen und ausgelagerten Praxisräumen gemäß § 24 Abs 3 und Abs 5 Ärzte-ZV, wobei zugleich
die Tätigkeit in der Stammpraxis reduziert wird. Zu keinem dieser beiden Rechtsinstitute würde es passen, einem Arzt seinen
bisherigen Stammsitz mit vollem Versorgungsauftrag zu belassen und zugleich die Wahrnehmung eines weiteren vollen Versorgungsauftrags
an einem anderen Ort zu gestatten.
Eine Vermehrung der Versorgungsaufträge, wie die Klägerin sie begehrt, wäre insbesondere auch mit Gesichtspunkten der Bedarfsplanung
und der vertragsärztlichen Honorarverteilung unvereinbar (in diesem Sinne bereits BSG vom 3.12.2010 - B 6 KA 39/10 B - RdNr 4 - zu einer Sonderbedarfszulassung mit vollem Versorgungsauftrag unter der Bedingung, dass die Jobsharing-Tätigkeit
beendet werde).
c) Soweit die Klägerin die Rechtslage anders sieht, folgt der Senat dem nicht, ohne dass dazu ein Revisionsverfahren durchgeführt
werden muss.
Ihr Vorbringen, der Grundsatz des strengen einheitlichen Vertragsarztsitzes sei zum 1.1.2007 aufgegeben worden, ist nicht
zutreffend. Dieser Grundsatz ist zum 1.1.2007 lediglich gelockert worden, etwa durch die dargestellten erleichterten Möglichkeiten
der Gründung von Zweigpraxen, durch die Befugnis, die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit auf einen hälftigen Versorgungsauftrag
zu beschränken, und auch durch die Möglichkeit der Schaffung überörtlicher Gemeinschaftspraxen bzw Berufsausübungsgemeinschaften.
Für eine weitergehende Lockerung des Grundsatzes, dass einem Arzt nur ein Vertragsarztsitz und nur ein - voller oder hälftiger
- Versorgungsauftrag zugeordnet ist, gibt es in den Gesetzes- und Verordnungsregelungen keinen Ansatzpunkt.
Auch den von der Klägerin angeführten Senatsentscheidungen kann nichts anderes entnommen werden. Weder aus der Möglichkeit,
dass ein für zwei Fachgebiete zugelassener Vertragsarzt seine vertragsärztliche Tätigkeit auf eines dieser Fachgebiete beschränken
darf (BSG SozR 3-2500 § 95 Nr 22), noch aus dem Urteil zu der Frage, wie die Fallpunktzahl für einen Vertragsarzt bei Zulassung
für zwei Fachgebiete festzulegen ist (BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 20), ergibt sich etwas für die Möglichkeit einer Aufspaltung
und Vermehrung des Versorgungsauftrags.
Schließlich kann auch nichts anderes aus Art
12 Abs
1 GG abgeleitet werden. Denn das Grundrecht auf Berufsausübung darf gemäß Art
12 Abs
1 Satz 2
GG durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt - auch beschränkt - werden. Beschränkungen auf Grund des Art
12 Abs
1 Satz 2
GG sind zwar nicht unbegrenzt zulässig; insbesondere dürfen Eingriffe nicht unverhältnismäßig schwer wiegen. Diese Grenzen sind
im Falle von Regelungen nur der Berufsausübung unter leichteren Voraussetzungen eingehalten als bei Regelungen der Berufswahl;
sie sind im vorliegenden Fall, in dem nur die Berufsausübung betroffen ist, gewahrt. Der aus dem
SGB V und der Ärzte-ZV abgeleitete Grundsatz, dass einem Arzt (nur) ein Vertragsarztsitz und (nur) ein voller Versorgungsauftrag
zugeordnet werden kann, liegt dem Ordnungssystem des Vertragsarztrechts mit der Bedarfsplanung und Honorarverteilung als wesentliches
Element zugrunde. Dass darin ein unverhältnismäßig schwerer Eingriff liegen könnte, ist nicht greifbar und wird auch in der
Beschwerdebegründung nicht aufgezeigt. Das Vorbringen der Klägerin in ihrer Antragsbegründung vom 28.8.2007, sie habe erhebliche
Honorarrückgänge zu verzeichnen, kann eine Unverhältnismäßigkeit nicht begründen und ist - wohl deshalb - auch nicht in der
Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wiederholt worden.
2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG abgesehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§
154 ff
VwGO. Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§
154 Abs
2 VwGO). Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten ist hinsichtlich der Beigeladenen zu 2. bis 8. nicht veranlasst, weil keiner
von ihnen einen Antrag gestellt hat (§
162 Abs
3 VwGO, vgl BSG vom 31.5.2006 - B 6 KA 62/04 R - BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).
Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 1
SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz. Seine Bemessung entspricht dem von den Vorinstanzen festgesetzten Streitwert.