Anerkennung von kompensatorischen Einsparungen bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung
Gründe:
I
Das Verfahren betrifft einen Arzneimittelregress.
Der Kläger, Arzt für Allgemeinmedizin mit den Zusatzbezeichnungen Naturheilverfahren und Psychotherapie, überschritt im Quartal
II/1998 mit dem Volumen seiner Arzneimittelverordnungen den Durchschnitt der Gruppe der 99 Praxen von Allgemein- und praktischen
Ärzten - ohne Röntgen und mit Sonographie - um 87,5 % bzw (gewichtet) 59,2 %. Der Prüfungsausschuss setzte deshalb gegen ihn
einen Regress in Höhe von 5 % seiner Arzneimittelkosten je Behandlungsfall fest. Den Widerspruch des Klägers wies der beklagte
Beschwerdeausschuss zurück.
Der Kläger ist mit seiner Klage und Berufung erfolglos geblieben. In dem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) ist ausgeführt,
die Durchführung einer statistischen Vergleichsprüfung sei nicht zu beanstanden. Einer ergänzenden Einzelfallprüfung hätte
es nur bei relevanten Besonderheiten der Praxisausrichtung oder des Patientenkreises bedurft, wofür nichts ersichtlich sei.
Ein Grund, von der gewählten Prüfungsmethode abzuweichen, ergebe sich auch nicht aus seinen geringeren Fallzahlen. Ebenfalls
unbedenklich sei die Wahl der Vergleichsgruppe der Allgemein- und praktischen Ärzte - ohne Röntgen und mit Sonographie -.
Eine verfeinerte - engere - Vergleichsgruppe der Ärzte mit Naturheilverfahren habe nicht gebildet werden müssen. Eine Zusatzbezeichnung
erfordere nur dann eine engere Vergleichsgruppe, wenn der Arzt seine Tätigkeit so sehr auf diesen Spezialbereich konzentriere,
dass er den primären Versorgungsauftrag nicht mehr umfassend wahrnehme. Dies habe der Kläger aber nicht geltend gemacht. Der
hohe Arzneimittelaufwand lasse sich nicht allein mit der Verwendung von Präparaten der Naturheilverfahren erklären, denn deren
Verordnung führe in der Regel zu geringeren Kosten. Der Kläger habe vielmehr vorgetragen, sowohl herkömmliche als auch naturheilkundliche
Arzneimittel zu verordnen. Eine solche doppelte Form der Behandlung sei indessen unwirtschaftlich. Der hohe Aufwand lasse
sich auch nicht aus dem Zuschnitt seines Patientenkreises erklären. Nur 31 der 690 bei der AOK, HKK, TKK und DAK Versicherten
seien Krebspatienten gewesen. Die Allergie-Patienten, die bei oraler Desensibilisierung erhöhte Arzneimittelkosten verursachten,
stellten im Verhältnis zur Vergleichsgruppe keine Besonderheit dar. Eine verfeinerte Vergleichsgruppe habe auch nicht wegen
der Zusatzbezeichnung "Psychotherapie" gebildet werden müssen, weil zwischen dieser und dem hohen Arzneimittelaufwand kein
Zusammenhang bestehe. Praxisbesonderheiten seien ebenso wenig ersichtlich. Die Zusatzbezeichnungen Naturheilverfahren und
Psychotherapie reichten dafür nicht aus. Diese ergäben keinen besonderen Patientenzuschnitt. Eine überdurchschnittliche Zahl
an Diabetes-Patienten habe der Kläger nicht belegt. Auch kompensierende Einsparungen seien nicht anzuerkennen. Eine Kompensation
des Arzneimittelmehraufwandes durch weniger Arbeitsunfähigkeits(AU)-Fälle und weniger Krankenhauseinweisungen habe er nicht
nachgewiesen. Dazu habe er die ihm verweigerten Unterlagen seiner Fachkollegen nicht benötigt, denn für die Ermittlung der
Einsparungen in seiner Praxis seien andere Praxen nicht zu berücksichtigen. Der Regress schöpfe nicht seinen gesamten überdurchschnittlichen
Aufwand ab, sondern habe ihm einen Mehraufwand von 51 % belassen.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache und Verfahrensmängel geltend.
II
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 Satz 3
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) abzuleitenden Anforderungen.
Der Kläger führt zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Rechtsfragen an, ob
- Allgemeinärzte, die Naturheilverfahren anwenden, mit der gesamten Gruppe
der Allgemeinmediziner und praktischen Ärzte verglichen werden können und
- die zusätzliche Verschreibung von Naturheilkunde-Präparaten neben solchen
der Schulmedizin als Praxisbesonderheit gewertet werden kann.
Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG) muss gemäß den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnen
(vgl BVerfGE 91, 93, 107; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 37 f) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten
Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) sowie klärungsbedürftig ist. Es muss ersichtlich sein, dass sich
die Antwort nicht ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt, oder, falls schon
Rechtsprechung vorliegt, dass die Frage - zB mit Blick auf einschlägige Kritik im jüngeren Schrifttum - erneut erörterungsbedürftig
geworden ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151
f mwN). In Fällen, in denen zwar eine gleichartige Konstellation fehlt, aber erkennbar Rechtmäßigkeitsmaßstäbe betroffen sind,
zu denen bereits Rechtsprechung vorliegt, muss mindestens ein Aspekt noch der Klärung im Revisionsverfahren bedürfen (vgl
dazu zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34). Dabei bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen
Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung (vgl BVerfG >Kammer<, SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f; BSG SozR 3-1500
§ 160a Nr 21 S 38; Nr 23 S 42). Lediglich allgemeine oder nur kursorische Hinweise ohne Durchdringung des Prozessstoffs reichen
nicht aus (vgl BVerfG >Kammer<, DVBl 1995, 35). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s die zitierte BVerfG-Rspr und zB BVerfG >Kammer<, SozR 3-1500
§ 160a Nr 7 S 14).
Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht. Mit ihr wird lediglich geltend gemacht, die Rechtsfragen seien
höchstrichterlich noch nicht entschieden und sie ließen sich auch nicht aus dem Gesetzeswortlaut oder aus dem Schrifttum eindeutig
beantworten. Das reicht für eine Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung
nicht aus. Erforderlich wäre die Erörterung der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), das sich
mehrfach mit den Kriterien für Vergleichsgruppenbildungen und für Praxisbesonderheiten befasst hat. Die einschlägigen Urteile
hätten aufbereitet werden müssen, mit der Analyse, ob sich aus ihnen die Antworten für die hier aufgeworfenen, speziell das
Naturheilverfahren betreffenden, Rechtsfragen ergeben bzw welche Aspekte noch der Klärung in einem Revisionsverfahren bedürfen.
Eine Auseinandersetzung erfolgt nicht einmal mit denjenigen BSG-Urteilen, die das LSG in seinem Urteil bereits genannt hat.
Der Kläger setzt sich in der Beschwerdebegründung mit seinen Ausführungen zur grundsätzlichen Bedeutung (S 4 f) auch nicht
mit der vorinstanzlichen Entscheidung selbst auseinander, die die beiden Rechtsfragen unter Heranziehung von BSG-Rechtsprechung
beantwortet. Mithin hat sich die Beschwerdebegründung auf allgemeine Hinweise ohne Durchdringung des Prozessstoffs beschränkt.
Das reicht nicht aus.
Unzulässig sind ferner die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
Die Rüge, das LSG habe seiner Amtsermittlungspflicht nicht genügt, indem es die Auffassung vertreten habe, der Kläger müsse
seine Praxisbesonderheiten selbst belegen (Beschwerdebegründung S 6 unten), ist schon deshalb unzulässig, weil sie nicht auf
einen Beweisantrag bezogen wird. Denn mit der Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG) ist gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG iVm §
160a Abs
2 Satz 3
SGG ein Beweisantrag zu benennen, dem das LSG ohne hinreichenden Grund nicht gefolgt ist. Ein Beweisantrag wird indessen in diesem
Zusammenhang nicht erwähnt (s Beschwerdebegründung aaO).
Im Zusammenhang mit den geltend gemachten kompensierenden Einsparungen durch weniger AU-Fälle und weniger Krankenhauseinweisungen
(Beschwerdebegründung S 5 f) wird demgegenüber ein Beweisantrag benannt. Mit den Ausführungen, im LSG-Verfahren habe der nicht
anwaltlich vertretene Kläger schriftsätzlich Beweiserhebungen angeregt, wird sinngemäß dargelegt, das LSG habe dies als Beweisantrag
verstehen müssen, es sei diesem aber ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Dazu wird erläutert, das LSG habe in seinem
Urteil nur zur Nichtvorlage der Unterlagen seiner Fachkollegen Stellung genommen. Angefordert habe er - der Kläger - jedoch
seine persönlichen Statistiken, die er nicht mehr zur Verfügung gehabt habe. Die Urteilsbegründung (S 8) zur Nichterhebung
von Beweisen werde also seinem Beweisantrag nicht gerecht (Beschwerdebegründung aaO).
Auch diese Verfahrensrüge des Klägers ist indessen unzulässig. Allerdings kann ihr nicht entgegengehalten werden, er habe
seinen Beweisantrag auf Vorlage seiner persönlichen Statistiken im Berufungsverfahren nicht bis zuletzt aufrechterhalten (zu
diesem Erfordernis s zB BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 29 S 49; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5 und Nr 4 RdNr 5). Denn nur bei
anwaltlich vertretenen Klägern ist im Regelfall davon auszugehen, dass ein Beweisantrag, der in der mündlichen Verhandlung
nicht wenigstens hilfsweise noch einmal gestellt wird, offenbar nicht mehr weiter verfolgt werden soll (s dazu Krasney/Udsching,
Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, Abschn IX RdNr 130, 209 und vorgenannte BSG-Rechtsprechung). Dieser
Maßstab gilt nicht für solche Kläger, die - wie hier - im bisherigen Verfahren nicht anwaltlich vertreten gewesen sind (s
BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5).
Es fehlt aber an der weiteren Voraussetzung ausreichender Darlegungen dazu, dass bzw inwiefern das Berufungsurteil auf dem
geltend gemachten Verfahrensmangel "beruhen" kann (§
160 Abs
2 Nr
3 iVm §
160a Abs
2 Satz 3
SGG). Für die Anerkennung kompensierender Einsparungen, wie der Kläger sie durch weniger AU-Fälle und Krankenhauseinweisungen
erreicht haben will, ist erforderlich, dass (1.) die Aufwendungen in dem geltend gemachten Einsparungsbereich geringer als
beim Durchschnitt der Fachgruppe waren und dass (2.) dargelegt wird, dass diese Einsparungen durch den beanstandeten Mehraufwand
(hier: den Arzneimittelmehraufwand) kausal bedingt waren (zum Erfordernis des Kausalzusammenhangs s zB BSG SozR 3-2500 § 106
Nr 42 S 231 ff; Nr 57 S 318). Auch wenn ihm für frühere oder spätere Quartale kompensierende Einsparungen anerkannt worden
sind, waren für das Quartal II/1998 Darlegungen zum Kausalzusammenhang erforderlich. Von gleich bleibenden Verhältnissen kann
angesichts möglicher Änderungen im Praxiszuschnitt und bei der Zusammensetzung der Patientenschaft nicht ausgegangen werden
(zur gesonderten Beurteilung jeden Quartals s BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 20). Mithin musste der Kläger für das Quartal
II/1998 nicht nur Einsparungen im Verhältnis zum Durchschnitt der Fachgruppe belegen, was möglicherweise durch die von ihm
begehrten persönlichen Statistiken geschehen konnte, sondern er musste zusätzlich substantiiert darlegen, dass diese Einsparungen
durch den beanstandeten Mehraufwand (hier: den Arzneimittelmehraufwand) kausal bedingt waren; hierfür benötigte er die persönlichen
Statistiken nicht. Auch ohne diese hat bzw hätte er unter Auswertung seiner Krankenunterlagen anhand der Kenntnis seiner Patientenschaft
die bei dieser typischen Krankheiten und die von ihm praktizierte Behandlungstypik, die er als ursächlich für Einsparungen
bei AU-Fällen und Krankenhauseinweisungen ansieht, aufzeigen können. Dafür hat bzw hätte eine Bezugnahme allein auf Unterlagen
allgemeiner Art, wie sie im Verwaltungs- und im vorinstanzlichen Gerichtsverfahren eingereicht worden sind (s zB SG/LSG-Akten
Bl 10 ff, 49, 61 ff, 128 ff, 146 ff, 168 ff, 172 ff), nicht genügen können. Ergänzend wären Ausführungen mit speziellem Bezug
zu seiner Patientenschaft und ihrer Krankheitsstruktur erforderlich gewesen. Dass er dies dargelegt hätte, ist dem Berufungsurteil
nicht zu entnehmen; auch die Begründung seiner Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde enthält solche Ausführungen nicht. Mithin
ist nicht in ausreichendem Umfang schlüssig dargetan, dass der beanstandete Verfahrensmangel (die Nichtvorlage der persönlichen
Statistiken und die insoweit problematischen Ausführungen im LSG-Urteil S 8) ausschlaggebend für das Urteil gewesen sein könnte.
Damit fehlt es an der gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 iVm §
160a Abs
2 Satz 3
SGG erforderlichen Darlegung, dass das Berufungsurteil auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel "beruht".
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG ab. Zu dem nachgereichten Schriftsatz vom 5. Oktober 2004 wird darauf hingewiesen, dass nach Ablauf der Begründungsfrist
zwar eine bereits vorgebrachte, den Zulässigkeitsanforderungen entsprechende Begründung noch ergänzt und verdeutlicht, neue
Rügen aber nicht mehr zulässig nachgeschoben werden können (vgl Beschluss vom 15. September 2004 - B 6 KA 29/04 B - und Hennig in Hennig,
SGG, §
160a RdNr 202 ff). Soweit hiernach das nachgeschobene Vorbringen hat berücksichtigt werden können, ist dies erfolgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 und 4
SGG (in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung).