Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft und Heizung; keine Übernahme der Unterkunftskosten bei bestehendem
Wohnungsrecht
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über die Übernahme von Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 250 € monatlich
für den Zeitraum 1. Juli 2007 bis 31. Januar 2008.
Die 1953 geborenen Kläger sind verheiratet und beziehen seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch
Zweites Buch (SGB II) vom Beklagten. Mit Bescheid vom 13. Juni 2007 wurden ihnen Leistungen für die Zeit vom 1. Juni bis 30.
November 2007 bewilligt. Nachdem die Kläger einen Wohnungswechsel zum 1. Juli 2007 mitteilten, "stornierte" der Beklagte die
Leistungen ab August und forderte die Vorlage einer Mietbescheinigung, des Mietvertrags und eines Nachweises über die Nebenkosten.
Aus den eingereichten Unterlagen war zu entnehmen, dass die Kläger von ihrem Sohn eine Wohnung zu einer Kaltmiete von 500
€ ab 1. Juli 2007 gemietet hatten. Eigentümerin des Hauses war zuvor die am 17. Mai 2007 verstorbene Mutter der Klägerin gewesen.
Nach Anforderungen von Unterlagen zum Erbfall legte die Klägerin eine Kopie des Testaments vor, wonach ihr Sohn zum Alleinerben
eingesetzt worden war. Ferner teilte sie mit, dass sie bereits 1989 auf ihren Pflichtteil zugunsten ihres Sohnes verzichtet
habe. Das Gesamttestament werde sie ohne richterliche Anordnung nicht vorlegen.
Mit Bescheid vom 27. Juli 2007 entzog der Beklagte den Klägern ab 1. August 2007 die Leistungen mit der Begründung, die Unterlagen
seien nicht vollständig vorgelegt worden. Am 1. August 2007 erhielt der Beklagte über das Notariat das vollständige Testament,
woraus sich ergibt, dass der Klägerin ein lebenslanges, unentgeltliches Wohnrecht an dem seit 1. Juli 2007 bewohnten Haus
im Wege des Vermächtnisses eingeräumt wird.
Die Kläger legten gegen den Bescheid Widerspruch ein und beantragten am 13. August 2007 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Mit Bescheid vom 16. August 2007 bewilligte der Beklagte Leistungen vom 1. August
2007 bis 31. Januar 2008 in Höhe der Regelleistung unter Anrechnung des Einkommens, Kosten für Unterkunft und Heizung wurden
nicht übernommen. Mit Beschluss vom 17. September 2007 (S 4 AS 3205/07 ER) lehnte das SG den Antrag ab. Die nur noch geltend gemachten Unterkunftskosten seien nicht zu übernehmen, aufgrund des lebenslangen Wohnrechts
seien die Kläger keiner Mietzinsforderung ausgesetzt. Im Beschwerdeverfahren bewilligte der Beklagte mit Änderungsbescheid
vom 13. November 2007 zusätzlich ab 1. August 2007 die verbrauchsabhängigen Nebenkosten in Höhe von 142,67 €. Mit weiterem
Änderungsbescheid vom gleichen Tag wurden auch für Juli 2007 bei den Kosten der Unterkunft nur die verbrauchsabhängigen Nebenkosten
berücksichtigt. Die Kläger erklärten das Beschwerdeverfahren für erledigt (L 7 AS 4780/07 ER-B).
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2009 wies der Beklagte die Widersprüche gegen den Bescheid vom 27. Juli 2007, die
Stornierungsmitteilung vom 13. Juli 2007, den Bewilligungsbescheid vom 16. August 2007 sowie die Änderungsbescheide vom 13.
November 2007 zurück.
Mit ihrer am 29. Februar 2009 zum SG erhobenen Klage machen die Kläger geltend, dass sie gegenüber dem Eigentümer zur Mietzinszahlung verpflichtet seien, eine
vertragliche Abrede sei im Zusammenhang mit einem Wohnrecht zulässig. Geltend gemacht wird die Hälfte der Kaltmiete für den
Zeitraum 1. Juli 2007 bis 31. Januar 2008.
Mit Urteil vom 28. Juni 2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Das SG entscheide nur über den Änderungsbescheid vom 13. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Januar 2008.
Die Bescheide seien ausschließlich hinsichtlich der Kosten der Unterkunft angefochten. Nachdem der Beklagte die Nebenkosten
gewährt habe, sei nur noch streitig, ob die hälftige Kaltmiete in Höhe von 250 € zu übernehmen sei. Gemäß § 22 Abs. 1 Satz
1 SGB II würden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen
seien. Nur solche Kosten seien zu übernehmen, die tatsächlich entstanden seien und für deren Deckung ein Bedarf bestehe. Nur
wenn der Hilfebedürftige einer konkreten Zahlungsverpflichtung ausgesetzt sei, drohe bei Nichtzahlung der Miete die Kündigung
und Räumung der Unterkunft. Die Kläger seien keiner konkreten Mietzahlungsverpflichtung ausgesetzt, sodass Wohnungslosigkeit
nicht zu befürchten sei. Zugunsten der Klägerin sei ein lebenslanges Wohnungsrecht nach §
1093 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) an dem von ihr und dem Kläger bewohnten Haus eingeräumt. Das Wohnungsrecht gewähre einen aus einem dinglichen Recht fließenden
Anspruch auf Duldung des Wohnens gegen den Eigentümer und verleihe dem Berechtigten eine stärkere Stellung als ein Mietrecht.
Nach §
1093 Abs.
2 BGB sei der Berechtigte befugt, seine Familie in die Wohnung aufzunehmen. Von dieser Möglichkeit habe die Klägerin Gebrauch gemacht,
indem sie gemeinsam mit dem Ehemann in das Haus eingezogen sei. Durch die (gestattete) Aufnahme einer weiteren Person entfalle
nicht die Unentgeltlichkeit des Wohnungsrechts an dem Haus, so dass der Sohn nicht berechtigt sei, Miete zu verlangen, auch
nicht eine anteilige Miete für den Kläger.
Gegen das seinem Bevollmächtigten am 31. August 2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 7. September 2010 eingelegte Berufung
des Klägers, für die er die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Zur Begründung tragen die Kläger vor, das Wohnrecht
sei konkret personenbezogen auf die Klägerin. Der Eigentümer habe nicht zu dulden, dass andere Bewohner unentgeltlich in seinem
Eigentum wohnten und dies zusätzlich abnutzten. Zwar habe der Kläger einen Anspruch auf Duldung seiner Anwesenheit, dies beziehe
sich aber nicht auf die Unentgeltlichkeit des Wohnens. Der Sohn könne für die zu duldenden weiteren Mitbewohner Miete verlangen.
Hintergrund sei, dass der Sohn die Erhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen für das Haus tragen müsse, das er als Erbe zugesprochen
bekommen habe. Er sei Student in England, nennenswertes eigenes Einkommen habe er nicht. Hierdurch entstehe die nachvollziehbare
Situation, dass er von anderen Personen, die in seinem Eigentum lebten, Miete verlange, hieran sei nichts moralisch Verwerfliches.
Dem Kläger stehe auch frei, eigenen Wohnraum anzumieten. Die getroffene Regelung sei daher sogar vorteilig für den Beklagten,
denn sie sei günstiger, als eine Wohnung zu den jeweils gültigen Mietobergrenzen zu finanzieren.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakten
des Beklagten Bezug genommen.
II. Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach §
73a Abs.
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) in Verbindung mit §
114 Zivilprozessordnung (
ZPO) erhält PKH, wer nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum
Teil oder in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht
mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des §
114 ZPO verlangt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit; dabei sind freilich keine überspannten Anforderungen zu stellen (vgl. Bundesverfassungsgericht
[BVerfG] NJW 1997, 2102, 2103).
Unter Beachtung der oben genannten Grundsätze bietet die Rechtsverfolgung der Kläger keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen
erbracht, wenn diese angemessen sind. Erforderlich ist, dass der Hilfebedürftige einer konkreten Zahlungsverpflichtung ausgesetzt
ist (vgl. Bundessozialgericht [BSG] SozR 4-4200 § 22 Nr. 21; BSG, Urteil vom 20. August 2008 - B 14 AS 34/08 R - FEVS 61, 243). Dies ist hier nicht der Fall.
Zwar liegt hier ein schriftlicher Mietvertrag zwischen den Klägern und deren Sohn vor, und zwar nicht nur zwischen dem Kläger
und seinem Sohn über 250 €, sondern zwischen beiden Klägern und dem Sohn über eine Kaltmiete von 500 €. Es ist grundsätzlich
auch nicht ausgeschlossen, dass bei Vorliegen eines Wohnungsrechtes über dieselben Räume zwischen den Parteien ein Mietverhältnis
besteht (vgl. Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 13. November 1998 - V ZR 29/98 - MDR 99, 218). Allerdings verstößt hier der Mietvertrag gegen die guten Sitten und ist damit nach §
138 BGB nichtig.
Rechtsgeschäfte, die nach Inhalt, Zweck und Beweggrund in erster Linie darauf angelegt sind, Vermögensverhältnisse zum Schaden
der Sozialhilfeträger bzw. Träger der Leistungen nach dem SGB II und damit auf Kosten der Allgemeinheit zu regeln, verstoßen
gegen die guten Sitten i.S.v. §
138 BGB, wenn nicht besondere Rechtfertigungsgründe vorliegen (vgl. BGHZ 86, 82, 86 ff.; Sock in Staudinger,
BGB, §
138 Rdnr. 359 ff. m.w.N.). Grundsätzlich sind die Leistungen nach dem SGB II subsidiärer Natur und greifen erst dann nachrangig
ein, wenn keine privaten Unterhaltsquellen zur Verfügung stehen (§§ 3 Abs. 3, 9 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Die Kläger können ihren
Unterkunftsbedarf indes durch das der Klägerin eingeräumte Wohnungsrecht decken. Dieses dingliche Recht verleiht der Klägerin
die Befugnis zum Wohnen in dem auf dem belasteten Grundstück befindlichen Gebäude unter Ausschluss des Eigentümers (§
1093 Abs.
1 BGB). Der Eigentümer hat die Pflicht, die Ausübung des Wohnungsrechts zu dulden, ohne dass er hierfür eine gesonderte Entschädigung
verlangen kann (vgl. BGHZ 46, 253, 259), den Berechtigten treffen nur die Pflichten des Nießbrauchers (vgl. Mayer in Staudinger,
BGB, §
1093 Rdnr. 36 ff.). Die Klägerin kann als Wohnungsberechtigte kraft Gesetzes (§
1093 Abs.
2 BGB) ihren Ehemann als Angehörigen ebenfalls in der Wohnung wohnen lassen. Auch wenn der Kläger insoweit kein originäres Recht
zum Wohnen hat, wird die Duldungspflicht des Eigentümers entsprechend erweitert (vgl. Mayer in Staudinger,
BGB, §
1093 Rdnr. 40).
Da die Kläger bereits bei Abschluss des Mietvertrags im Leistungsbezug standen, war ihnen bewusst, dass sie die Mietkosten
nicht selbst würden tragen können. Sie wollten vielmehr erreichen, dass ihr Sohn durch die vom Beklagten zu tragenden Mietkosten
weitere Einkünfte erhielt. Damit haben sie eine Vereinbarung geschlossen, die eine weitere Unterstützungsbedürftigkeit zu
Lasten des Beklagten herbeiführen sollte. Für eine Schädigungsabsicht zu Lasten des Beklagten spricht insoweit auch, dass
die Kläger das bestehende Wohnungsrecht verschwiegen haben und bewusst nur den Teil des Testaments der Mutter vorgelegt haben,
der hierzu nichts ergab. Eine besondere Rechtfertigung, um den sittlichen Makel auszugleichen, der in der Herbeiführung weiterer
Hilfebedürftigkeit durch den Abschluss des Mietvertrags liegt, ist nicht ersichtlich. Eine solche kann insbesondere nicht
darin gesehen werden, dass die Kläger zu Lasten des SGB II-Trägers ihrem Sohn eine zusätzliche Einnahmequelle erschließen
wollten.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).