Anspruch auf häusliche Krankenpflege gegen die gesetzliche Krankenversicherung für das Katheterisieren während einer Tätigkeit
in einer Werkstatt für behinderte Menschen
Tatbestand
Die beklagte Krankenkasse wendet sich mit ihrer Berufung gegen die Verpflichtung, den Kläger von den Kosten für im ersten
Halbjahr 2010 erbrachte Leistungen zur Katheterisierung während der Tätigkeit des Klägers in einer Werkstatt für Behinderte
freizustellen.
Der 1987 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten. Er leidet an einem Down-Syndrom sowie an einer hohen Querschnittslähmung
und einer Blasenentleerungsstörung. Die bei der Beklagten errichtete Pflegekasse zahlt dem Kläger Kombinationsleistungen nach
der Pflegestufe III. Seit September 2009 war der Kläger in einer (anerkannten) Werkstatt für behinderte Menschen, deren Trägerin
die beigeladene gemeinnützige GmbH ist, zunächst im Eingangsbereich, ab Dezember 2009 im Berufsbildungsbereich und ab Dezember
2011 im Arbeitsbereich tätig. Die Beigeladene betreibt nach ihren Angaben im Landkreis W. insgesamt zwölf Einrichtungen, u.a.
sechs Werkstätten für behinderte Menschen mit kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen.
Arzt für Allgemeinmedizin Dr. B. verordnete mit der Folgeverordnung vom 14. Dezember 2009 häusliche Krankenpflege für die
Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2010 für das zweimal tägliche/zehnmal wöchentliche Katheterisieren der Harnblase sowie mit
der weiteren Folgeverordnung vom 11. Januar 2010 häusliche Krankenpflege für denselben Zeitraum für das dreimal tägliche Katheterisieren
der Harnblase für die zusätzlichen Termine in der Werkstatt-Freizeit (21. Januar, 8., 10. und 24. Februar sowie 8., 10. und
24. März 2010). Der Kläger legte diese Verordnungen der Beklagten vor und beantragte häusliche Krankenpflege. Die Beklagte
lehnte häusliche Krankenpflege für das zweimal tägliche Katheterisieren der Harnblase ab, weil ein besonders hoher Pflegeaufwand
hierfür nicht unterstellt werden könne und es deshalb nach § 10 Werkstättenverordnung bei der Leistungspflicht der Werkstätte für behinderte Menschen verbleibe (Bescheid vom 13. Januar 2010). Sie äußerte unter
dem 1. Februar 2010 gegenüber der Betreuerin des Klägers, dass sich diese Ablehnung auf die sieben zusätzlichen Termine der
Werkstattfreizeit beziehe. Den Widerspruch des Klägers wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten zurück (Widerspruchsbescheid
vom 17. März 2010). Zur Begründung verwies er auf § 10 Werkstättenverordnung. Es sei Aufgabe der Werkstätte, die notwendige Einmalkatheterisierung sicherzustellen. Unter Berücksichtigung der Definition
des Gemeinsamen Bundesausschusses (in § 1 Abs. 7 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von
häuslicher Krankenpflege - Häusliche Krankenpflege-Richtlinie -) zu einem besonders hohen Pflegebedarf bei Versicherten in
vollstationären Pflegeeinrichtungen könne beim Kläger nicht von einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Pflege ausgegangen
werden. Ein solcher liege z.B. vor, wenn die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegekraft zur individuellen Kontrolle
und Einsatzbereitschaft oder ein vergleichbarer intensiver Einsatz einer Pflegekraft erforderlich sei, weil die behandlungspflegerischen
Maßnahmen in ihrer Intensität oder Häufigkeit unvorhersehbar am Tag oder in der Nacht erfolgen müssten oder die Bedienung
und Überwachung eines Beatmungsgerätes am Tag oder in der Nacht erforderlich sei. Ein besonderer Aufwand bei der zweimal pro
Tag als notwendige häusliche Krankenpflege durchzuführenden Einmalkatheterisierung könne nicht erkannt werden.
Im ersten Halbjahr 2010 führte die Sozialstation St. Verena der Beigeladenen die Katheterisierung durch. Für die Zeit von
Januar bis Juni 2010 berechnete diese Sozialstation insgesamt einen Betrag von € 3.324,22, darin sind enthalten für den Monat
Juni 2010 Fahrtkosten in Höhe von € 135,30. Diese Kosten zahlte zunächst darlehnsweise die Beigeladene.
Der Kläger erhob am 14. April 2010 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) und begehrte, ihn von den Kosten für die im ersten Halbjahr 2010 erbrachten Leistungen zur Katheterisierung der Sozialstation
freizustellen. Zur Begründung der Klage machte er geltend, aus dem medizinisch notwendigen Katheterisieren, das durch Dritte
erfolgen müsse, ergebe sich der besonders hohe Pflegebedarf. Die Werkstatt für behinderte Menschen verfüge nicht über das
für das Katheterisieren notwendige Personal. Sollte für die Werkstatt für behinderte Menschen eine Vorhaltepflicht für derartige
Leistungen bestehen, erfülle sie diese aber nicht, könne die Beklagte gegenüber der Werkstatt für behinderte Menschen Regress
für erbrachte Leistungen nehmen. Mit der Neufassung des §
37 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) mit Wirkung zum 1. April 2007 sei die bis dahin nur von der Rechtsprechung auf außerhäusliche Erbringungsorte ausgedehnte
häusliche Krankenpflege gesetzlich festgeschrieben worden. Der Kläger legte die jeweils monatlich gestellten Rechnungen der
Sozialstation für die Zeit vom 11. Januar 2010 bis 28. Februar 2011 vor.
Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf ihre Bescheide sowie auf das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 12. November
2009 (S 13 KR 467/07) entgegen. Sie erklärte sich bereit, eine rechtskräftige Entscheidung über den Anspruch für das erste Halbjahr 2010 auch
für die anschließenden Zeiträume für oder gegen sich gelten zu lassen.
Das SG befragte in seiner mündlichen Verhandlung am 28. Juli 2011 den Leiter der Werkstatt für behinderte Menschen informatorisch
und hob mit Urteil vom 28. Juli 2011 den Bescheid der Beklagten vom 13. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 17. März 2010 auf und verpflichtete die Beklagte, den Kläger von den Kosten für die im ersten Halbjahr 2010 erbrachten
Leistungen zur Einmalkatheterisierung der Sozialstation freizustellen. Unstreitig sei, dass der Kläger wegen seines Down-Syndroms
und der hohen Querschnittslähmung Hilfe durch geeignete Pflegekräfte für die im Intimbereich ansetzende Einmalkatheterisierung
benötige, solange er sich in der Werkstatt für behinderte Menschen aufhalte, sowie dass die Einmalkatheterisierung im Prinzip
eine Maßnahme der häuslichen Krankenpflege darstelle, weil durch diese Maßnahme ansonsten unvermeidbare Krankenhausbehandlung
vermieden werden könne. Der Argumentation der Beklagten könne es (das SG) sich nicht anschließen. Die Intensität der zu erbringenden Pflege im Sinne der Häusliche Krankenpflege-Richtlinie sei so
hoch, dass nur durch den Einsatz einer Pflegefachkraft das Ziel der ärztlichen Behandlung gesichert werden könne. Denn die
begleitenden Dienste zur medizinischen Betreuung der behinderten Menschen, die in der Werkstatt für behinderte Menschen zur
Verfügung stünden, wären mit der Einmalkatheterisierung schon im Hinblick auf die zu wahrende Intimsphäre des behinderten
Klägers überfordert. Es sei auch nicht zu erkennen, dass die Werkstatt aufgrund von § 10 Werkstättenverordnung verpflichtet wäre, speziell für den Kläger, der in einem Bereich von 50 behinderten Mitarbeitern untergebracht und der einzige
sei, der die Hilfe einer besonderen Pflegekraft benötige, eine Pflegefachkraft vorzuhalten. Dies wäre für die Werkstätte oder
deren Träger absolut unwirtschaftlich. Auch stelle § 10 Abs. 2 Werkstättenverordnung auf eine gewisse Anzahl behinderter Menschen, zusätzlich auf Art und Schwere der Behinderung, ab. Art und Schwere der Behinderung
der im Berufsbildungsbereich und anschließend auch im Arbeitsbereich, in welchen der Kläger übernommen werden könnte, untergebrachten
behinderten Menschen verlange jedoch offensichtlich nicht, dass eine spezielle Pflegefachkraft zur Verfügung gestellt werde,
wenn insgesamt nur eine oder zwei Personen überhaupt in einer solchen Art behindert seien, dass sie Hilfeleistungen durch
entsprechende Fachkräfte benötigten.
Gegen das ihr am 15. August 2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. September 2011 Berufung eingelegt. Sie verweist
erneut auf das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 12. November 2009 und führt weiter aus, eine einheitliche Rechtsprechung,
wie der Begriff des besonders hohen Pflegebedarf auszulegen sei, existiere nach ihrem Erkenntnisstand nicht. Auch die Häusliche
Krankenpflege-Richtlinie beinhalte keine klare Definition. Für eine nähere Begriffsbestimmung erscheine eine Orientierung
an der Definition eines besonders hohen Bedarfs an medizinischer Behandlungspflege in zugelassenen vollstationären Pflegeeinrichtungen
im Sinne des §
43 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI) zielführend. Gemessen an den in §
1 Abs.
7 Häusliche Krankenpflege-Richtlinie beschriebenen zeitaufwändigen und u.a. vitale Funktionen betreffenden Maßnahmen sei die
Intensität einer nur punktuell vorzunehmenden Einmalkatheterisierung in keinster Weise vergleichbar. Auch die Historie spreche
für eine Vorhaltepflicht der Werkstatt. Bis zu der am 1. April 2007 in Kraft getretenen Neufassung des §
37 SGB V sei die Versorgung behinderter Menschen in der Regel durch Personal der Werkstatt oder unter Beteiligung der so genannten
begleitenden Dienste vollumfänglich sichergestellt worden. Im Zuge der Gesetzesänderung häuften sich Anfragen, wonach das
benötigte Personal in der Werkstatt plötzlich nicht (mehr) vorgehalten werde. Nach den Angaben des (in der mündlichen Verhandlung
beim SG anwesenden) Leiters der Werkstatt würden im Berufsbildungs- und Arbeitsbereich die Mitarbeiter im Zusammenhang mit Einnässen,
Einkoten und Verabreichen der Nahrung tätig. Es erschließe sich nicht, weshalb diese problemlos durchzuführenden Hilfsmaßnahmen
nach Auffassung des SG die Intimsphäre offenbar weniger berührten als eine Einmalkatheterisierung. Im Einzelfall könne auch ein externer Pflegedienst
beauftragt und finanziert werden. Die Einmalkatheterisierung zähle zur medizinischen Betreuung nach § 10 Abs. 1 Werkstättenverordnung. Werde für den besonders hohen Pflegebedarf im Sinne des §
37 Abs.
2 SGB V in Verbindung mit § 10 Werkstättenverordnung keine ausreichend hohe Schwelle gesetzt, stehe eine ganz erhebliche und vom Gesetzgeber wohl kaum beabsichtigte Leistungsausweitung
in den Werkstätten für behinderte Menschen zulasten der Krankenkassen zu befürchten. Nach der von der Beigeladenen im Berufungsverfahren
vorgelegten Aufstellung halte diese eine umfangreiche Anzahl von unterschiedlich qualifiziertem Personal vor, auch Fachpersonal
für die medizinische pflegerische Versorgung. Zudem bestehe ein Vertrag mit zwei ortsansässigen Arbeitsmedizinern. Die Beklagte
hat auf Anfrage des Senats ferner vorgetragen, sie habe mit Bescheid vom 13. Januar 2010 zunächst die Übernahme der Kosten
der zweimal täglichen Katheterisierung und mit dem ergänzenden Bescheid vom 1. Februar 2010 auch die Übernahme der Kosten
für die sieben zusätzlichen Einmalkatheterisierungen abgelehnt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28. Juli 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Einmalkatheterisierung erfordere eine hohe Sorgfalt und entsprechende
Kenntnisse. Die hohe Intensität der Pflege ergebe sich daraus, dass die Einmalkatheterisierung mit einem Eindringen in seinen
(des Klägers) Körper verbunden sei. Die Einmalkatheterisierung sei zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung notwendig.
Die Auffassung der Beklagten, sich an §
43 SGB XI zu orientieren, sei unzutreffend, weil diese Vorschrift sich auf die Behandlungspflege von Versicherten in Pflegeheimen beziehe.
Der Kläger hat das Attest des Dr. B. vom 9. Dezember 2011 vorgelegt, wonach aufgrund der Grunderkrankung mindestens zweimal
täglich am Arbeitsplatz eine Einmalkatheterisierung der Harnblase vorzunehmen sei, was nur durch geeignetes Fachpersonal erfolgen
könne.
Mit Beschluss vom 30. November 2011 hat der Senat die Trägerin der Werkstatt für behinderte Menschen beigeladen. Sie beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat eine Personalaufstellung (Stand 30. Juni 2010) vorgelegt. Danach hat sie unter anderem über zwei Krankenschwestern
sowie acht Hilfskräfte in Betreuung und Pflege, hiervon drei Personen für Arztbesuche und Therapietermine, verfügt. Hierzu
hat sie vorgetragen, die beiden Krankenschwestern hätten beim Kläger nicht die Katheterisierung durchführen können. Die eine
sei in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig, die 32 km von der entfernt sei, in der der Kläger gearbeitet habe. Die
andere Krankenschwester habe zwar nur in einer drei km entfernten Einrichtung gearbeitet, sei aber nur vormittags stundenweise
mit maximal zwölf Stunden wöchentlich beschäftigt und mit der ihr zugewiesenen Tätigkeit ausgelastet gewesen. Die in der Betreuung
und Pflege schwer behinderter Menschen eingesetzten Hilfskräfte könnten und dürften aufgrund ihrer fehlenden Qualifikation
keine pflegerische Tätigkeit übernehmen und insbesondere keine Pflegefachkräfte ersetzen. Die Sozialstation, die die Katheterisierung
beim Kläger ausgeführt habe, habe ausschließlich dreijährig examinierte Pflegefachkräfte eingesetzt. Ferner habe die Werkstatt
die Katheterisierung nicht vornehmen können, weil ihr für diese Leistung aufgrund der mit dem örtlichen Träger der Sozialhilfe
geschlossenen (vorgelegten) Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) keine Entgelte zu zahlen gewesen wären. Schließlich habe beim Kläger auch ein besonders hoher Pflegebedarf im Sinne des
§ 1 Abs. 7 Häusliche Krankenpflege-Richtlinie bestanden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) entschieden hat, ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch statthaft. Der Beschwerdewert des §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG von € 750,00 ist überschritten. Denn die Beklagte wendet sich gegen die Verpflichtung, den Kläger von Kosten in Höhe von
€ 3.324,22 freizustellen.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verpflichtet, den Kläger von den Kosten für die im ersten Halbjahr 2010 erbrachten Leistungen zur
Katheterisierung der Sozialstation St. Verena in Höhe von € 3.324,22 freizustellen.
1.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 13. Januar 2010 in der Fassung des Bescheids vom 1. Februar
2010, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. März 2010. Mit den beiden Bescheiden vom 13. Januar und 1. Februar
2010 lehnte die Beklagte die vom Kläger beantragte häusliche Krankenpflege aufgrund der beiden Verordnungen des Dr. B. vom
14. Dezember 2009 und 11. Januar 2010 ab. Da das SG ausdrücklich lediglich den Bescheid der Beklagten vom 13. Januar 2010 aufgehoben hat, hat der Senat den Urteilstenor des
Urteils des SG neu gefasst.
Zu entscheiden ist allein über die Freistellung der Kosten im ersten Halbjahr 2010. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit
auf diesen Zeitraum beschränkt. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung des SG erklärt, eine rechtskräftige Entscheidung über den streitigen Anspruch für das erste Halbjahr 2010 auch für die anschließenden
Zeiträume für oder gegen sich gelten zu lassen. Demgemäß hat der Kläger beim SG nur die Freistellung von den Kosten des ersten Halbjahr 2010 begehrt.
2.
Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers, von den von der Beigeladenen vorläufig für ihn gezahlten Kosten in Höhe von
€ 3.324,22 freigestellt zu werden, ist §
37 Abs.
4 SGB V in Verbindung mit §
13 Abs.
3 Satz 1
SGB V. Kann die Krankenkasse keine Kraft für die häusliche Krankenpflege stellen oder besteht Grund, davon abzusehen, sind nach
§
37 Abs.
4 SGB V den Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten. Konnte die Krankenkasse eine
unaufschiebbare Leistungen nicht rechtzeitig erbringen (Alternative 1) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und
sind dadurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden (Alternative 2), sind nach §
13 Abs.
3 Satz 1
SGB V diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese auf die Erstattung
vom Versicherten bereits gezahlter Kosten zugeschnittenen Bestimmungen sind bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen entsprechend
anzuwenden, wenn die Verpflichtung bereits entstanden ist, der Versicherte aber noch nicht gezahlt hat. Statt einer Erstattung
kann er dann die Bezahlung seiner Schuld durch den Versicherungsträger verlangen (ständige Rechtsprechung z.B. Bundessozialgericht
- BSG -, Urteile vom 10. Februar 2000 - B 3 KR 26/99 R - und 17. Juni 2010 - B 3 KR 7/09 R -, beide in [...]). Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung reicht dieser Anspruch jedoch nicht weiter als ein entsprechender
Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher im Regelfall voraus, dass die selbstbeschaffte
Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung (§
2 Abs.
2 Satz 1
SGB V) zu erbringen haben (z.B. BSG, Urteile vom 24. September 1996 - 1 RK 33/95 -, vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 8/06 R - und 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R - m.w.N., alle in [...]).
Der Kläger hatte einen Sachleistungsanspruch auf häusliche Krankenpflege wegen des notwendigen Einmalkatheterisierens. Versicherte
haben nach §
27 Abs.
1 Satz 1
SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu
verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. nach §
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
4 SGB V häusliche Krankenpflege. Nach §
37 Abs.
1 Satz 1
SGB V - in der seit 1. April 2007 geltenden Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV-WSG) vom 26. März 2007 (BGBl. I, S. 378) - erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen,
Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen neben der ärztlichen
Behandlung häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar
ist, oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird. Nach §
37 Abs.
2 SGB V - in der seit 1. April 2007 geltenden Fassung des GKV-WSG - erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen,
Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege
Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist; der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene
krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit
nach den §§
14 und
15 SGB XI zu berücksichtigen ist (Satz 1). § 10 Werkstättenverordnung bleibt unberührt (Satz 2).
a)
Beim Kläger ist wegen der hohen Querschnittslähmung und der Blasenentleerungsstörung ein Katheterisieren erforderlich. Dies
erfolgte durch Einführen eines Katheters in die Harnröhre. Die Katheterisierung dient jedenfalls dem Ziel, die ärztliche Behandlung
zu sichern. Sie ist eine Maßnahme der Behandlungspflege und eine verordnungsfähige Leistung der Behandlungspflege (Nr. 23
des Verzeichnisses verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege, Anlage der Häusliche Krankenpflege-Richtlinie).
Das Katheterisieren als häusliche Krankenpflege kann grundsätzlich auch in einer Werkstatt für behinderte Menschen erbracht
werden. Eine Werkstatt für behinderte Menschen ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut des §
37 SGB V - in der seit 1. April 2007 geltenden Fassung des GKV-WSG - ein Ort, an dem häusliche Krankenpflege erbracht werden kann.
b)
Beim Kläger bestand auch ein besonders hoher Pflegebedarf.
Den besonders hohen Pflegebedarf hat der Gemeinsame Bundesausschuss in der aufgrund §
92 Abs.
1 Satz 2 Nr.
6, Abs.
7 SGB V beschlossenen Häusliche Krankenpflege-Richtlinie konkretisiert. Nach §
1 Abs.
6 Satz 1 Häusliche Krankenpflege-Richtlinie kann für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen, in denen nach den gesetzlichen
Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtungen besteht (z. B. Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen,
Hospizen, Pflegeheimen), häusliche Krankenpflege nicht verordnet werden. Abweichend von Absatz 6 kann nach § 1 Abs. 7 Satz
1 Häusliche Krankenpflege-Richtlinie häusliche Krankenpflege in Werkstätten für behinderte Menschen verordnet werden, wenn
die Intensität oder Häufigkeit der in der Werkstatt zu erbringenden Pflege so hoch ist, dass nur durch den Einsatz einer Pflegefachkraft
Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vermieden oder das Ziel der ärztlichen Behandlung gesichert werden kann und die Werkstatt
für behinderte Menschen nicht auf Grund des § 10 Werkstättenverordnung verpflichtet ist, die Leistung selbst zu erbringen. Nach § 10 Werkstättenverordnung - erlassen aufgrund des § 55 Abs. 3 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 1979 (BGBl. I, S. 1649), nunmehr §
144 Abs.
1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX) - muss die Werkstatt zur pädagogischen, sozialen und medizinischen Betreuung der behinderten Menschen über begleitende Dienste
verfügen, die den Bedürfnissen der behinderten Menschen gerecht werden. Eine erforderliche psychologische Betreuung ist sicherzustellen.
§ 9 Abs. 1 Werkstättenverordnung gilt entsprechend (Abs. 1). Für je 120 behinderte Menschen sollen in der Regel ein Sozialpädagoge oder ein Sozialarbeiter zur Verfügung stehen, darüber
hinaus im Einvernehmen mit den zuständigen Rehabilitationsträgern pflegerische, therapeutische und nach Art und Schwere der
Behinderung sonst erforderliche Fachkräfte (Abs. 2). Die besondere ärztliche Betreuung der behinderten Menschen in der Werkstatt
und die medizinische Beratung des Fachpersonals der Werkstatt durch einen Arzt, der möglichst auch die an einen Betriebsarzt
zu stellenden Anforderungen erfüllen soll, müssen vertraglich sichergestellt sein (Abs. 3). Die Verpflichtung der Krankenkassen,
häusliche Krankenpflege zu ihren Lasten in einer Werkstatt für behinderte Menschen zu erbringen, besteht mithin nur dann,
wenn ein Pflegebedarf vorliegt, den die Werkstatt für behinderte Menschen mit ihrem Personal nicht ausreichend sicherstellen
kann und auch eine entsprechende Vorhaltepflicht der Werkstatt für behinderte Menschen nicht besteht. Eine Werkstatt für behinderte
Menschen muss nur den üblichen Pflegebedarf selbst abdecken (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Mai
2012 - L 5 KR 1905/10 - in [...]; Padé in: jurisPK-
SGB V, 2. Aufl. 2012, §
37 SGB V Rn. 34; Bundestags-Drucksache 16/4247 S. 33/34). In anderen Fällen bleiben die Krankenkassen mit der Gewährung von Leistungen
der häuslichen Krankenpflege, soweit - wie vorliegend - die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen gegeben sind, zuständig.
Das Katheterisieren des Klägers im ersten Halbjahr 2010, das vorliegend allein streitig ist, war ein solcher besonders hoher
Pflegebedarf. Dies ergibt sich für den Senat schon aus der Art der Durchführung. Zum Entleeren der Blase musste ein Katheter
in die Harnröhre eingeführt werden. Diese Tätigkeit kann auch von einer entsprechend ausgebildeten Fachkraft (wie z.B. einer
ausgebildeten Krankenschwester), die die Sozialstation auch einsetzte, ausgeübt werden. Den notwendigen Einsatz einer entsprechend
ausgebildeten Fachkraft hat die Beklagte auch zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt.
Über eine solche Fachkraft verfügte die von der Beigeladenen getragene Werkstatt für behinderte Menschen, in der der Kläger
tätig war, im streitigen Zeitraum nicht. Zwar sind bei der Beigeladenen zwei Krankenschwestern beschäftigt, wie sich aus der
von ihr im Berufungsverfahren vorgelegten Personalaufstellung ergibt. Von ihrer Ausbildung her ist eine Krankenschwester in
der Lage, eine Katheterisierung durchzuführen. Diese beiden Krankenschwestern konnten allerdings die Katheterisierung beim
Kläger nicht durchführen, weil sie nicht in der Werkstatt für behinderte Menschen, in welcher der Kläger untergebracht war,
tätig waren, sondern in anderen Werkstätten für behinderte Menschen der Beigeladenen und zu den ihnen übertragenen Aufgaben
nicht zusätzlich die Versorgung des Klägers übernehmen konnten. Wie die Beigeladene unwidersprochen dargelegt hat, war die
eine der beiden Krankenschwestern in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig, die 32 km von der entfernt ist, in der
der Kläger untergebracht war. Diese Krankenschwester hätte damit arbeitstäglich diese Strecke zurücklegen müssen, was bereits
einen erheblichen Zeitaufwand zur Folge gehabt hätte und die Erfüllung der Aufgaben, die ihr in der anderen Werkstatt für
behinderte Menschen übertragen waren, zumindest beeinträchtigt hätte. Die andere Krankenschwester war im streitigen Zeitraum
nur teilzeitbeschäftigt und mit ihren ihr übertragenen Aufgaben ausgelastet.
Der Senat vermag keine Rechtsgrundlage zu erkennen, die die Beigeladene verpflichtete, in allen von ihr getragenen Werkstätten
für behinderte Menschen für alle theoretisch in Betracht kommenden Erkrankungen und Behinderungen, die bei einer in die Werkstatt
für behinderte Menschen aufgenommen Person vorliegen können, entsprechendes Fachpersonal vorzuhalten, also z.B. für jede der
von ihr betriebenen Werkstatt für behinderte Menschen eine ausgebildete Krankenschwester. Zwar umfassen nach §
33 Abs.
6 SGB IX die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auch medizinische Hilfen, soweit sie im Einzelfall erforderlich sind, um die
im §
33 Abs.
1 SGB IX genannten Ziele zu erreichen oder zu sichern und Krankheitsfolgen zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung
zu verhüten. Dies geht jedoch nicht so weit, dass nunmehr der Rehabilitationsträger sämtliche medizinischen Hilfen erbringen
muss. Dies lässt sich auch aus § 10 Abs. 1 Werkstättenverordnung nicht ableiten.
Ebenso wenig ist es notwendig, dass ein Versicherter mit einem besonderen Versorgungsbedarf nur in einer solchen Werkstatt
für behinderte Menschen aufgenommen wird, in der dem Versorgungsbedarf Rechnung getragen werden kann. In diesem Fall blieben
andere Gesichtspunkte, wie etwa eine ortsnahe Unterbringung des Versicherten, außer Betracht.
Soweit die Beklagte meint, die Auslegung des Begriffs des besonders hohen Pflegebedarfs müsse sich an §
43 Abs.
3 Satz 1
SGB XI orientieren, folgt der Senat dem nicht. Nach dieser Vorschrift können die Pflegekassen in besonderen Ausnahmefällen zur Vermeidung
von Härten die pflegebedingten Aufwendungen, die Aufwendungen der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für Leistungen der
medizinischen Behandlungspflege pauschal in Höhe des nach Absatz 2 Satz 2 Nr. 4 geltenden Betrages (im Jahr 2010 € 1.825,00,
seit 1. Januar 2012 € 1.918,00) übernehmen, wenn ein außergewöhnlich hoher und intensiver Pflegeaufwand erforderlich ist,
der das übliche Maß der Pflegestufe III weit übersteigt, beispielsweise bei Apallikern, schwerer Demenz oder im Endstadium
von Krebserkrankungen. Die Vorschrift ist schon anders formuliert. Denn sie verlangt einen außergewöhnlich hohen und intensiven
Pflegeaufwand und nicht wie §
37 SGB V und §
1 Abs.
7 Häusliche Krankenpflege-Richtlinie einen besonders hohen Pflegeaufwand. Zudem setzt sie bereits einen erheblichen Pflegeaufwand
voraus, weil sie auf einen das übliche Maß der Pflegestufe III übersteigenden Pflegeaufwand abstellt.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision hat der Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.