Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren
Zulässigkeit der Nachreichung erforderlicher Formulare im Erinnerungsverfahren
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich mit der Erinnerung gegen die Aufhebung bewilligter Prozesskostenhilfe (PKH) ohne Ratenbestimmung.
Am 01.07.2016 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers für diesen PKH unter seiner Beiordnung im Berufungsverfahren
L 8 AL 2289/16. Laut Erklärung über die persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse vom 18.06.2016 verfüge der Kläger über einen monatlichen
Festlohn von 180 € und Arbeitslosengeld II von monatlich 716,23 €; zudem würden monatliche Wohnkosten i.H.v. 440 € (370 €
Miete, 50 € Heizungskosten und 20 € Nebenkosten) anfallen.
Durch Beschluss vom 03.05.2017 bewilligte der Senat dem Kläger PKH unter Beiordnung von Rechtsanwalt R ohne Ratenzahlung.
Nach Rücknahme der Berufung L 8 AL 2289/16 wurde antragsgemäß für die gerichtliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers eine Vergütung von 893,69 € festgesetzt.
Mit Schreiben vom 13.03.2020 hat die zuständige Kostenbeamtin des Senats den Prozessbevollmächtigten des Klägers unter der
von ihm angegebenen Anschrift (Rechtsanwälte H in O) darauf hingewiesen, dass das Gericht die Entscheidung über die Bewilligung
von Prozesskostenhilfe innerhalb von 4 Jahren nach Beendigung des Verfahrens ändern soll, wenn sich die für die Prozesskostenhilfe
maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich verändert haben. Der Kläger habe daher zu erklären,
ob eine Änderung der Verhältnisse eingetreten sei. Zudem hat sie den Kläger aufgefordert, dem Gericht innerhalb von 4 Wochen
die aktuellen persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse mitzuteilen sowie zur Glaubhaftmachung der gemachten Angaben Belege
beizufügen. Nach §
124 Abs.
1 Nr.
2 ZPO solle das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe u.a. dann aufheben, wenn der Kläger innerhalb der Frist die angeforderte
Erklärung nicht abgegeben, nur unzureichende Angaben gemacht oder die erforderlichen Belege nicht vorgelegt habe. Dasselbe
gelte, wenn der Kläger absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen
Verhältnisse gemacht habe.
Hierauf ist ungeachtet weiterer Erinnerungsschreiben vom 23.04.2020 und 04.06.2020 (letzteres zugestellt mit Postzustellungsurkunde
am 12.06.2020) keine Reaktion erfolgt.
Mit Beschluss vom 02.07.2020 (dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 18.07.2020 zugestellt) hat die zuständige Kostenbeamtin
des Senats den Beschluss vom 03.05.2017 über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufgehoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt,
der Kläger habe trotz entsprechender Aufforderungen und Belehrungen vom 13.03.2020, 23.04.2020 und 04.06.2020 keine Erklärung
dazu abgegeben, ob sich die für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe maßgebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
zwischenzeitlich geändert hätten. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines atypischen Falles seien nicht ersichtlich.
Mit seiner am 03.08.2020 beim SG erhobenen Beschwerde trägt der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor, er betreibe bereits seit 2018 seine Kanzlei als Einzelanwalt
unter einer anderen Anschrift. Wegen eines Versehens habe er es leider unterlassen, dies dem Landessozialgericht mitzuteilen.
Hierfür bitte er um Entschuldigung. Die an seinem alten Kanzleiort anhängigen Rechtsanwaltskollegen hätten ihm die Schriftstücke
des Senats erst vor wenigen Tagen vorgelegt, nämlich am 20.07.2020. Auch hierfür könne er sich nur entschuldigen. Das Formular
für die Prozesskostenhilfe werde er bis 01.09.2020 nachreichen.
Mit Schreiben vom 10.08.2020 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse vorgelegt. Hiernach beziehe der Kläger (nach Abzug von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung) eine monatliche
Rente wegen voller Erwerbsminderung i.H.v. 885,21 € Des Weiteren würde der Kläger anteilige Wohnkosten i.H.v. 383 € monatlich
entrichten.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des PKH-Beiheftes Bezug genommen.
II.
Die Erinnerung des Klägers ist zulässig und begründet.
Die Erinnerung ist gemäß §
172 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft, insbesondere nicht gemäß §
172 Abs.
3 Nr.
2 SGG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist die Beschwerde gegen die Ablehnung von PKH ausgeschlossen, wenn das Gericht ausschließlich
die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für diese verneint. Die Aufhebung der Bewilligung wird schon nach dem
Wortlaut des §
172 Abs.
3 Nr.
2 SGG nicht vom Beschwerdeausschluss erfasst. Eine Auslegung, dass sich der Ausschluss der Beschwerde auch auf die Aufhebung der
PKH-Bewilligung erstrecken soll, ist nicht gerechtfertigt. Denn die Ablehnung der PKH wegen fehlender persönlicher bzw. wirtschaftlicher
Voraussetzungen, insbesondere mangelnder Bedürftigkeit, ist nicht vergleichbar mit der hier erfolgten Aufhebung bereits bewilligter
PKH, durch die dem Betroffenen eine Rechtsposition wieder entzogen wird. Ein entsprechender Regelungswille ist den Gesetzesmaterialien
zum SGGArbGGÄndG (BR-Drs. 820/07, S. 29 zu Nr. 29 lit. b, Nr. 2) auch nicht zu entnehmen. Mangels planwidriger Regelungslücke
bezogen auf gleichartige Sachverhalte scheidet auch eine analoge Anwendung aus (s. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.10.2009
- L 11 R 898/09 PKH-B -, in juris Rn 7; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16.06.2008 - L 5 B 163/08 AS -, in juris Rn. 2; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.05.2014 - L 9 AL 123/14 B -, in juris Rn. 2; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 24.04.2013 - L 3 AL 226/12 B PKH -, in juris Rn 5). Die Beschwerde ist zudem form- und fristgerecht eingelegt und damit auch im Übrigen zulässig.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Nach §
124 ZPO Abs.
1 Nr.
2 ZPO soll das Gericht die Bewilligung der PKH aufheben, wenn die Partei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige
Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht oder auf Verlangen des Gerichts eine Erklärung nach
§ 120a Absatz 1 Satz 3, ob eine Veränderung der Verhältnisse eingetreten ist, nicht oder ungenügend abgegeben hat.
Der Senat kann offenlassen, ob die Aufforderung zur Abgabe einer Erklärung über eine Änderung der Verhältnisse gem. §
73a SGG i.V.m. §
120a Abs.
1 S 3
ZPO zutreffend und ordnungsgemäß dem bevollmächtigten Rechtsanwalt unter seiner vormaligen Kanzleianschrift und nicht dem Kläger
oder dessen Betreuer zugestellt wurde. So ist die Frage, ob die Aufforderung, sich über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse zu erklären, nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens an den Kläger oder dessen Prozessbevollmächtigten zu richten
ist, rechtlich umstritten. Nach einer Rechtsauffassung vertritt der Prozessbevollmächtigte den Kläger insoweit auch nach Abschluss
des Hauptsacheverfahrens weiter (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.07.2011 - L 2 AS 1462/11 B -; BGH, Beschluss vom 08.12.2010 - XII ZB 38/09; Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.07.2004 - 5 Ta 11/04 -; jeweils in juris). Nach anderer Rechtsauffassung (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 10.08.2001 - 9 WF 88/01 -, in juris) ist das betreffende Mandat mit Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache erloschen und in dem nach Abschluss
der Instanz sich fortsetzenden Prozesskostenhilfeverfahren die Partei der richtige Adressat.
Denn auch wenn §
124 Abs.
1 Nr.
2 ZPO ein Sanktionscharakter innewohnt (BGH, Beschluss vom 10.10.2012 - Az.: IV ZB 16/12 -, Rn. 15f., 25), hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers hier die im Überprüfungsverfahren unterbliebene Erklärung nach
§
124 Abs.
1 Nr.
2 ZPO zulässigerweise im Beschwerdeverfahren nachgeholt. Dies ist grundsätzlich möglich, weil die Vorschrift auch in ihrer seit
dem 01.01.2014 geltenden Fassung keine Frist für die Abgabe der gebotenen Erklärung vorsieht (vgl. hierzu Landesarbeitsgericht
Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 09. September 2010 - 1 Ta 149/10 -, juris; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.02.2011 - L 13 AL 5384/10 B -, in juris Rn. 3). Hiernach haben sich unter Berücksichtigung einer monatlichen Rente wegen voller Erwerbsminderung i.H.v.
885,21 €, Wohnkosten i.H.v. 383 € und eines Freibetrags nach §
115 Abs.
1 ZPO in Höhe von 501 € für 2020 bzw. 491 € für 2021 die persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers nicht wesentlich geändert (vgl. §
120a Abs.
1 Satz 2
ZPO).
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§
73a SGG i.V.m. §
127 Abs.
4 ZPO).
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, §
177 SGG.