Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Bewilligung eines Mehrbedarfs im Zusammenhang mit dem Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
(Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab Dezember 2009.
Der Beklagte erbringt seit September 2008 an den Kläger und seine mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebende Ehefrau Leistungen
nach dem SGB II. Für die Zeit ab Dezember 2009 erfolgte dies auf der Grundlage der Bescheide vom 07.10.2009 (idF der Bescheide
10.02.2010 und 23.03.2010 - Zeitraum 01.10.2009 bis 31.03.2010), 23.03.2010 (idF des Bescheides vom 11.10.2010 - Zeitraum
01.04.2010 bis 30.09.2010) und 11.10.2010 (Zeitraum 01.10.2010 bis 31.03.2011).
Am 24.11.2010 beantragte der Kläger beim Beklagten rückwirkend für mindestens ein Jahr die Bewilligung eines monatlichen Mehrbedarfes
von 100.- EUR. In außergewöhnlichen Lebenslagen sei es möglich, aus verschiedenen Fördermitteln zusätzliche Gelder zu bekommen.
Er erfülle diese Voraussetzungen. Die Einzelheiten seien den Sachbearbeitern bereits eingehend bekannt. Die Kosten, die er
aufzubringen habe, insbesondere Fotokopien, Telefongeld, Briefporto, andere Informationsrecherchen sowie Transportkosten,
überstiegen den Regelsatz bei weitem.
Mit Bescheid vom 01.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.01.2011 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) sei die Berücksichtigung eines Sonderbedarfs, der nicht durch
die Regelleistung abgedeckt sei, an enge Tatbestandsvoraussetzungen zu knüpfen, die im Falle des Klägers nicht erfüllt seien.
Die geltend gemachten Kosten der Nachrichtenübermittlung seien durch die Regelleistung abgedeckt, und für Aufwendungen im
Zusammenhang mit Vermittlungsbemühungen könne der Kläger Leistungen aus dem Vermittlungsbudget beantragen. Darüber hinaus
sei weder nachvollziehbar noch belegt, dass der Kläger einen überdurchschnittlichen Bedarf an Schreibwaren, Telefongeld oder
Transportkosten habe.
Mit der hiergegen zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, der Beklagte habe ihm monatlich 100.- EUR auch rückwirkend für die Dauer
von zwölf Monaten zu bezahlen. Er sei in Sachsen zu Unrecht in einer psychiatrischen Klinik untergebracht gewesen, weil er
einer Familie geholfen und ein Gericht ihn in diesem Zusammenhang verurteilt habe. Das von ihm betriebene Rehabilitierungsverfahren
sei kostenaufwändig und könne allein durch die Regelleistung nicht finanziert werden.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 21.03.2011 die Klage abgewiesen. Weder nach der Rechtsprechung des BVerfG noch nach der Neuregelung
des § 21 Abs 6 SGB II habe der Kläger Anspruch auf die Bewilligung eines unabweisbaren, laufenden besonderen Bedarfes. Zudem
strebe der Kläger nach seinem Vortrag ein strafrechtliches Rehabilitierungsverfahrens an, und die Aufwendungen hierfür seien
nicht als Leistungen zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhaltes anzusehen, so dass eine Finanzierung durch Leistungen
nach dem SGB II nicht vorgesehen sei. Zudem habe der Kläger im Falle von Bedürftigkeit anderweitige Möglichkeiten (z.B. Beratungshilfe,
Prozesskostenhilfe oder die Bestellung eines Verteidigers im Rahmen eines strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahrens), die
Kosten eines Rehabilitierungsverfahrens aufzubringen.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Ergänzend hat er vorgebracht,
zusätzliche Leistungen nach den §§ 67ff SGB XII könne er als Leistungsempfänger nach dem SGB II auch dann beziehen, wenn er
keine Sozialhilfe erhalte.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 21.03.2011 sowie den Bescheid des Beklagten vom 01.12.2010 idG des Widerspruchsbescheides
vom 12.01.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen monatlichen Mehrbedarf von mindestens 100.- monatlich für
die Zeit ab dem 01.12.2009 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 01.12.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.01.2011, mit dem
der Beklagte den Antrag des Klägers, für die Zeit ab Dezember 2009 einen monatlichen Betrag von 100.- EUR nachzuzahlen und
laufend zu erbringen, abgelehnt hat. Insoweit erweist sich dieser Bescheid als eine Entscheidung über den Antrag, die Bescheide
vom 07.10.2009 (idF des Bescheide 10.02.2010 und 23.03.2010 - Zeitraum 01.10.2009 bis 31.03.2010) und 23.03.2010 (idF des
Bescheides vom 11.10.2010 - Zeitraum 01.04.2010 bis 30.09.2010) betreffend die bereits abgelaufenen Bewilligungszeiträume
sowie den bestandskräftigen Bescheid vom 11.10.2010 in Bezug auf den noch laufenden Bewilligungszeitraum (Zeitraum 01.10.2010
bis 31.03.2011) nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurückzunehmen und für diese Zeiträume höhere laufende Leistungen zu erbringen.
Die Berufung ist in der Sache unbegründet, denn der Bescheid des Beklagten vom 01.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 12.01.2011 ist rechtmäßig. Der Kläger hat im Zeitraum vom 01.12.2009 bis 31.03.2011 keinen Anspruch auf die Deckung des
von ihm geltend gemachten Mehrbedarfs, der ihm im Zusammenhang mit seinem strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren und der
bestehenden Führungsaufsicht entsteht. Die Bewilligungsbescheide vom 07.10.2009, 23.03.2010 und 11.10.2010 sowie die in diesem
Zusammenhang ergangenen Änderungsbescheide entsprachen der geltenden Sach- und Rechtslage. Der Kläger wird durch die ablehnende
Entscheidung des Beklagten vom 01.12.2010 daher nicht in seinen Rechten verletzt.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt
ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder
Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für
die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB X).
Gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II diejenigen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze
nach § 7a noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sowie hilfebedürftig sind und die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger, so dass er dem Grunde nach laufende
Leistungen nach dem SGB II zu beanspruchen hat. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Alg II, das den Regelbedarf, Mehrbedarfe
und den Bedarf für Unterkunft und Heizung umfasst (§ 20 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB II idF des Gesetzes vom 24.03.2011 BGBI. I
S 453 mW zum 01.01.2011). Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 6, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt
sind (§ 23 Abs 1 SGB II). Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer,
laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht (§ 23 Abs 6 Satz 1 SGB II bzw. § 21 Abs 6 Satz 1 idF des Gesetzes
vom 27.05.2010 BGBl. I S 671 mW zu 03.06.2010). Diese Voraussetzungen erfüllt der vom Kläger geltend gemachte Bedarf nicht,
denn die Kosten, die ihm im Zusammenhang mit dem Betreiben seines strafrechtlichen Rehabilitationsverfahrens entstehen, sind
nicht als unabweisbarer Bedarf im Sinne dieser Regelung anzusehen. Unabweisbarkeit in diesem Sinne liegt nur dann vor, wenn
es sich um einen unaufschiebbaren Bedarf handelt, dessen Deckung erforderlich ist, um im konkreten Einzelfall das menschenwürdige,
sozio- kulturelle Existenzminimum sicherzustellen (Münder in LPK- SGB II, 4. Aufl. § 21 Rn. 38). Dieser entsteht jedoch erst,
wenn der Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen - einschließlich der
Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen - das menschenwürdige Existenzminimum
nicht mehr gewährleistet (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - Juris Rn. 208 = BGBl I 2010, 193ff). Zudem muss es sich um einen dauerhaften Bedarf handeln, dessen Deckung allein durch
die Gewährung von Darlehen unzweckmäßig erscheinen muss (vgl. BVerfG aaO. Rn.207). Unter Beachtung dieser rechtlichen Maßstäbe
bestehen vorliegend bereits erhebliche Zweifel, ob der vom Kläger geltend gemachte Bedarf als dauerhaft idS anzusehen ist,
nachdem dieser Bedarf lediglich vorübergehend, nämlich bis einem Abschluss des Rehabilitierungsverfahrens, bestehen dürfte.
Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, dass es sich bei dem Anliegen des Klägers um ein Bedürfnis handelt, das dem Bereich
der sozio-kulturellen Existenzsicherung zuzuordnen wäre. Das vom Kläger verfolgte Ziel, strafrechtlich nicht mehr als stigmatisiert
zu gelten, erscheint zwar menschlich nachvollziehbar; gleichwohl gefährdet die strafrechtliche Aufarbeitung seines Vorlebens
und die damit in Zusammenhang stehenden behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen den Kläger weder in seinem menschenwürdigen
Existenzminimum, noch ist er dadurch gehindert, Beziehungen zu seiner Umwelt zu pflegen oder am kulturellen Leben teilzunehmen.
Zuletzt steht einer Unabweisbarkeit des Bedarfes auch der Umstand entgegen, dass der Kläger - worauf bereits das SG zu Recht und mit zutreffender Begründung verwiesen hat - Hilfe von Dritter Seite in Anspruch nehmen kann, um die von ihm
angestrebte Rehabilitierung zu betreiben. In diesem Zusammenhang ist unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheides
vom 21.03.2011 von einer weitergehenden Begründung abzusehen
Aus den genannten Gründen hatte der Kläger auch in der Zeit vom 09.02.2010 an, dem Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG,
das die Notwendigkeit formuliert hatte, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die die Möglichkeit eröffnet, einen unabweisbaren
Bedarf im oben genannten Sinne decken zu können, bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber mit Wirkung zum 03.06.2010 (§ 21
Abs 6 Satz 1 SGB II) keinen Anspruch auf die Deckung des geltend gemachten Bedarfes. Soweit der Kläger für die Zeit vor der
Entscheidung des BVerfG diesen Bedarf geltend macht und auf die §§ 67ff SGB XII Bezug nimmt, rechtfertigt dies ebenfalls keine
andere Betrachtungsweise, denn auch insoweit hatte das Bundessozialgericht (BSG) im Zusammenhang mit der Entwicklung dieses
Rechtsanspruches darauf abgestellt, dass es sich um einen unabweisbaren laufenden Bedarf zur Sicherung sozio-kulturellen Existenzminimums
handeln müsse (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 - Juris Rn.21 bis 26 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 1), der ohnehin nicht gegen den Beklagten sondern gegen den örtlich zuständigen
Sozialhilfeträger bestehen würde. Von der (notwendigen) Beiladung dieses Trägers konnte allerdings abgesehen werden, denn
es gab keinen Anhaltspunkt dafür, dass bei der Ablehnung des gegen den Beklagten geltend gemachten Anspruchs der Sozialhilfeträger
als leistungspflichtig in Betracht kommen könnte. Eine Beiladung ist zwar nicht erst erforderlich, wenn für das erkennende
Gericht feststeht, dass der Beklagte selbst keine Leistungen zu erbringen hat, sondern bereits dann, wenn die ernsthafte Möglichkeit
besteht, dass an Stelle des Beklagten ein anderer Leistungsträger die Leistungen zu erbringen hat. Dies ergibt sich sowohl
aus dem Wortlaut der Norm ("in Betracht kommt") als auch aus dem Sinn der Regelung. Die Frage der Notwendigkeit der Beiladung
eines anderen Leistungsträgers kann nicht von der umfassenden Prüfung der Begründetheit der Klage abhängig gemacht und auf
diese Weise durch das entscheidende Gericht für das Rechtsmittelgericht präjudiziert werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006
mwN - aaO. Rn.11). Vorliegend bestand jedoch offenkundig kein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten und die erstmals im
Berufungsverfahren vorgetragenen Auffassung, die geltend gemachten Leistungen seien auf die §§ 67ff SGB XII zu stützen, hätte
lediglich Einfluss auf die Zuständigkeit für die Leistungserbringung, nicht jedoch auf die fehlende materielle Berechtigung.
Nachdem sich für die Zeit ab dem 09.02.2010 der geltend gemachte Anspruch allein gegen den Beklagten richten konnte und dementsprechend
umfassend zu prüfen war, konnte eine Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers - unter Beachtung der selben rechtlichen Maßstäbe
- für die Zeit vor dem 09.02.2010 daher nicht mehr ernsthaft in Betracht kommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt aus dem Unterliegen des Klägers.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Absatz
2 Nr.1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.