Aufnahme als Mitglied in die Krankenversicherung der Rentner
Verfassungskonformität der Zugangsvoraussetzungen
Typisierende und pauschalierende Regelungen
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Aufnahme als Mitglied in die Krankenversicherung der Rentner (KVdR). Die Klägerin
war zuletzt als Arbeitnehmerin bei der Beklagten pflichtversichert, das Beschäftigungsverhältnis endete nach den Angaben der
Klägerin im Rahmen ihrer Einkommenserklärung zum 31.10.2011. Am 13.09.2011 stellte die Klägerin einen Rentenantrag. Die Beklagte
erhielt hiervon eine entsprechende Mitteilung des Rentenversicherungsträgers. Mit Bescheid vom 21.09.2011 lehnte die Beklagte
die Aufnahme der Klägerin in die KVdR ab, da die dafür erforderliche Vorversicherungszeit nicht erfüllt sei. Dem Bescheid
war ein entsprechender Prüfungsbogen beigefügt, wonach bei Zugrundelegung einer Gesamt-Rahmenfrist vom 10.08.1964 bis zum
13.09.2011 die 2. Hälfte der Rahmenfrist am 20.02.1988 beginne und 8.593 Tage umfasse. Hieraus ergebe sich eine erforderliche
Vorversicherungszeit von 7.734 Tagen (90 % der 2. Hälfte der Rahmenfrist). Die Klägerin sei jedoch in der 2. Hälfte ihres
Berufslebens nur an 7.528 Tagen gesetzlich krankenversichert gewesen, die erforderliche Vorversicherungszeit sei nicht erreicht.
Eine Versicherung der Klägerin in der KVdR sei daher nicht möglich. Mit Bescheid der beigeladenen Deutschen Rentenversicherung
Bund vom 13.10.2011 wurde der Klägerin eine Altersrente bewilligt ab 01.11.2011. Die Klägerin legte Widerspruch gegen den
Bescheid der Beklagten vom 21.09.2011 ein. Sie sei seit dem 10.08.1964 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Lediglich
in der Zeit vom 01.01.1989 bis 30.11.1991 sei sie bei ihrem Ehemann in dessen privater Krankenversicherung mitversichert gewesen.
Insgesamt sei sie in den zu berücksichtigenden ca. 47 Jahren lediglich ca. 3 Jahre nicht gesetzlich krankenversichert gewesen.
Dies könne nicht dazu führen, dass sie nun nicht in die KVdR aufgenommen werde. Es liege insoweit ein "Härtefall" vor, für
den eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung zulässig sein müsse. Bei Rentenantragstellung sei die Problematik besprochen
worden mit dem Ergebnis, dass auch eine spätere Rentenantragstellung nicht den gewünschten Erfolg bringen würde. Soweit es
hier "Toleranzräume" gebe, die im Rahmen der Rentenantragstellung nicht angesprochen worden seien und eine spätere Antragstellung
möglicherweise Erfolg versprechend gewesen wäre, mache sie insoweit einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch geltend.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.02.2012 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Sie hat vorgetragen, dass sie ab dem 10.08.1964 versicherungspflichtig
beschäftigt gewesen sei, lediglich im Zeitraum 01.01.1989 bis 30.11.1991 sei sie wegen Kindererziehung nicht berufstätig und
in der privaten Krankenversicherung ihres Ehemannes familienversichert gewesen. Ab dem 01.12.1991 sei sie bis zu ihrer Rente
wieder versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Soweit mit der gesetzlichen Regelung zur KVdR ein "Ausufern" der Aufnahme
von Personen in die gesetzliche Krankenversicherung, die während eines Großteils ihres Erwerbs- und Berufslebens privat krankenversichert
gewesen seien, verhindert werden sollte, könne dies auf die Klägerin nicht angewandt werden, da sie insgesamt über einen Zeitraum
von 47 Jahren und 1 Monat bis auf einen Zeitraum von 2 Jahren und 11 Monaten stets gesetzlich krankenversichert gewesen sei.
Soweit hier nach der gesetzlichen Regelung nur darauf abgestellt werde, ob während mindestens 9/10 der 2. Hälfte der Rahmenfrist
eine Mitgliedschaft oder Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung bestanden hat, würde eine verfassungswidrige
Ungleichbehandlung gegenüber den Personen vorliegen, die in der 1. Hälfte der Rahmenfrist nicht und in der 2. Hälfte ausschließlich,
im Ergebnis aber einen geringeren Zeitraum als die Klägerin in der gesetzlichen Krankenkasse versichert gewesen waren. Mit
Urteil vom 21.10.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Gemäß §
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V seien versicherungspflichtig Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung
erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des
Rentenantrags mindestens 9/10 der 2. Hälfte des Zeitraums Mitglied der Gesetzlichen Krankenversicherung oder nach §
10 SGB V familienversichert waren. Die der Berechnung zu Grunde liegende Rahmenfrist habe damit nach der klaren gesetzlichen Regelung
mit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch die Klägerin begonnen, die diese zum 10.08.1964 angegeben hat, und
habe mit der Stellung des Rentenantrags am 13.09.2011 geendet. Insbesondere ende die Rahmenfrist auch dann mit der Rentenantragstellung,
wenn wie hier zwischen Rentenantragstellung und Rentenbeginn weitere Versicherungszeiten, z.B. hier wegen abhängiger Beschäftigung
zurückgelegt werden. Zutreffend habe die Beklagte ihrer Berechnung eine entsprechende Rahmenfrist zugrunde gelegt und hieraus
eine erforderliche Vorversicherungszeit von 7.734 Tagen (90 % der 2. Hälfte der Rahmenfrist) errechnet. Diese Vorversicherungszeit
habe die Klägerin nach der unbestrittenen Berechnung der Beklagten nicht erreicht, soweit sie in der 2. Hälfte der Rahmenfrist
lediglich an 7.218 Tagen Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung oder nach §
10 SGB V versichert war. Auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelung würden nicht bestehen.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie hat im Wesentlichen auf das Vorbringen in ihrer Klagebegründung verwiesen.
Ergänzend hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie zumindest über 9/10 ihres gesamten Erwerbslebens Mitglied in der gesetzlichen
KV pflichtversichert war.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21.10.2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 08.02.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin ab 01.11.2011 als Mitglied der Krankenversicherung
der Rentner aufzunehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat auf die aus ihrer Sicht zutreffenden Entscheidungsgründe des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 21.10.2013
verwiesen.
Die beigeladene Deutsche Rentenversicherung hat keine Anträge gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf den Inhalt der Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§
143,
144,151
SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 08.02.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufnahme
in der KVdR gemäß §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V.
1. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs 1 Satz 1 zulässig, da die Aufhebung der
angefochtenen Bescheide und die Aufnahme durch die Beklagte Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur KVdR ist (vgl. auch Keller
in; Meyer/Ladewig/ Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl., §
54 Rn. 20 ff.).
a) Gemäß §
5 Abs.
1 Nr
11 SGB V sind versicherungspflichtig Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung
erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des
Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach §
10 SGB V versichert waren. Diese Zugangsvoraussetzungen zur KVdR auf der Grundlage des §
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V sind mit Art.
3 Abs.
1 GG vereinbar (BSG v. 04.06.2009 - B 12 KR 26/07 R - BSGE 103, 235). Anrechenbar sind alle Zeiten der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung. Zeiten in der privaten Krankenversicherung
sind keine anrechenbaren Vorversicherungszeiten (vgl. Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V §
5 Rn. 78). Die Klägerin hat nach den insoweit zutreffenden und unstreitigen Berechnungen der Beklagten die erforderliche 9/10-Belegung
mit Zeiten in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erfüllt. Die Gesamtrahmenfrist erstreckte sich auf den Zeitraum vom
10.08.1964 bis zum 13.09.2011 (Tag der Rentenantragstellung, vgl. hierzu den Rentenbescheid vom 13.10.2011 Blatt 4 Beklagtenakte).
Die zweite Hälfte der Rahmenfrist beginnt am 20.02.1988 und reicht bis zur Rentenantragstellung; sie umfasst 8.593 Tage. Hiervon
müssten 9/10, also 7.734 Tage der gesetzlichen Krankenversicherung belegt sein. Die Klägerin ist jedoch in der 2. Hälfte ihres
Berufslebens nur an 7.528 Tagen gesetzlich krankenversichert gewesen. Dieser Sachverhalt steht fest auf Grund des Berechnungsblattes
der Beklagten (vgl. Blatt 3 Beklagtenakte). Gegen die Berechnung bestehen von Amts wegen keine Bedenken. Auch von der Klägerin
wird die Berechnung nicht in Frage gestellt. Damit ist festzustellen, dass das Erfordernis der 9/10-Belegung nicht erfüllt
ist.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin kann der Zeitraum 01.01.1989 bis 30.11.1991, in dem die Klägerin wegen Kindererziehung
nicht berufstätig gewesen ist und bei ihrem Ehemann in der privaten Krankenversicherung familienversichert war nicht als Vorversicherungszeit
gemäß §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V anerkannt bzw. gleichgestellt werden. Dass eine dem jetzigen §
192 Abs.
1 Nr.
2 SGB V entsprechende Vorschrift (fortbestehende Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger bei Inanspruchnahme von Elternzeit oder
Bezug von Erziehungsgeld oder Elterngeld) zu der Zeit, in der die Klägerin wegen ihrer Kinder nicht berufstätig war, gefehlt
hat, wäre allenfalls ein verfassungsrechtliches Problem, wenn damals eine freiwillige Krankenversicherung nicht möglich gewesen
wäre. Dafür ist aber hier nichts ersichtlich: Nach §
9 SGB V in der ab 1. Januar 1989 geltenden Fassung konnten der Versicherung nach Abs. 1 Nr. 1 Personen beitreten, die als Mitglieder
aus der Versicherungspflicht ausgeschieden sind und in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 12 Monate oder
unmittelbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens sechs Monate versichert waren. Diese Voraussetzungen lagen bei der
Klägerin vor (vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg Beschl. vom 22.3.2011 - L 1 KR 353/09). Dass die Klägerin sich nicht freiwillig gesetzlich versichert hat, weil die Absicherung während der Kindererziehung über
ihren Ehemann in der privaten Krankenversicherung günstiger war, kann nicht dazu führen, dass sie jetzt einer Gruppe gleichgestellt
wird, die sich in der Vergangenheit freiwillig weiterversichert hatte.
c) Eine Berücksichtigung des Zeitraums 01.01.1989 bis 30.11.1991 ist auch nach der gesetzgeberischen Intention der Regelung
des §
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V nicht geboten. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber grundsätzlich berechtigt, typisierende und pauschalierende
Regelungen (zB auch Stichtagsregelungen) zu treffen, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen
Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen (BVerfG, B. v. 22.05.2001 -1 BvL 4/96 - BVerfG 103, 392, 402 mit weiteren Nachweisen). Die mit der Versicherung in der KVdR einhergehenden beitragsrechtlichen
Vorteile sollen nur solchen Rentnern zukommen, die in "jungen Jahren" in besonders enger Weise der gesetzlichen Krankenversicherung
verbunden waren. Die Klägerin wird hierdurch nicht in verfassungswidriger Weise belastet. Hinsichtlich des Erfordernisses
der sog. Halbbelegung hat das BVerfG unter dem Gesichtspunkt des Art. 14 keine verfassungsrechtlichen Bedenken gesehen (vgl.
hierzu BVerfG, 25.03.1986, 1 BvL 5/80, SozR 2200 § 165 Nr 87 sowie 16.07.1985, 1 BvL 5/80,SozR 2200 § 165 Nr 81). Das BVerfG hat in seiner Rechtsprechung ausgeführt, für die verfassungsrechtliche Bewertung sei von
Gewicht, dass Personengruppen wie die Klägerin beim Ausschluss von der KVdR nicht ohne Krankenversicherungsschutz seien, sondern
den Versicherungsschutz im Rahmen des freiwilligen Beitrittsrechts fortführen könnten. Es ist auch zu berücksichtigen, dass
das Ziel des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes, mit welchem die Halbbelegung als Voraussetzung für die beitragsfreie
Krankenversicherung der Rentner eingeführt worden ist, vor allem darin besteht, den ständig steigenden Ausgaben im Bereich
der gesetzlichen Krankenversicherung zu begegnen (vgl. BT-Drucks. 8/166, S. 22). Im Rahmen dieser Zielsetzung liegt auch die
Einschränkung der vordem für alle Rentner beitragsfreien Krankenversicherung. Sie geht von dem Grundsatz aus, dass nur Personen,
die eine angemessene Zeit in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert und damit am Solidarausgleich für die Krankenversicherung
der Rentner ausreichend beteiligt waren, in dieser versichert werden sollten (vgl. dazu BT-Drucks. 8/166, S. 24, zu Art. 1
§ 1 Nr. 1). Diese Zielsetzung ist grundsätzlich als verfassungsgemäß zu billigen.
d) Die von der Klägerin ebenfalls angesprochene Betrachtung des ganzen Erwerbslebens findet im Gesetz keine Stütze.
e) Die Nichterfüllung der Zugangsvoraussetzungen für die KVdR führt auch nicht zum Verlust des Krankenversicherungsschutzes
insgesamt. Die Klägerin hat die Möglichkeit der freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung, welche eine gleichwertige Absicherung
im Krankheitsfall beinhaltet. Hinzu kommt, dass bezüglich der beitragsrechtlichen Vorteile der KVdR in den letzten Jahren
eine zunehmende Angleichung an die freiwillige Krankenversicherung erfolgte (vgl LSG Berlin - Brandenburg, 22.03.2011, L 1 KR 353/09, [...] unter Verweis auf BSG, 18.07.2007, B 12 R 21/06 R, SozR 4-2500 § 241a Nr 1 sowie 10.05.2006, B 12 KR 7/05 R, [...]). Aus oben genannten Gründen war die Berufung zurückzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung erfolgt nach §
193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.
3. Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§
160 Abs.
2 SGG).