Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung für eine stationäre Behandlung mit einer regionalen Chemotherapie in
Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung
Gründe:
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig die Kostentragung für eine stationäre Behandlung mit einer regionalen Chemotherapie
im M. Klinikum in B ...
Bei der Antragstellerin wurde ein Mammakarzinom links diagnostiziert. Mit Schreiben der M. Klinikum GmbH & Co KG vom 21. Juli
2010 beantragte die Antragstellerin die Kostenübernahme einer regionalen Chemotherapie in sechs Zyklen. Bei der regionalen
Chemotherapie handelt es sich um eine auf die betroffene Körperregion beschränkte Chemotherapie. Dabei wird das Zytostatikum
mit einer Infusion direkt in das die Tumorregion versorgende Gefäß eingebracht. Eine Bewertung dieser Behandlungsmethode durch
den Gemeinsamen Bundesausschuss nach §
137c Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) liegt nicht vor. Das M. Klinikum gehört nicht zu den Krankenhäusern, die einen Versorgungsvertrag mit den Landesverbänden
der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen abgeschlossen haben (§
108 Nr. 3
SGB V). Auch erfolgte keine Aufnahme in den Krankenhausbedarfsplan des Freistaates Bayern (§
108 Nr. 2
SGB V).
Mit Schreiben vom 30. Juli 2010 lehnte die Antragsgegnerin den Kostenübernahmeantrag ab. Die Antragsgegnerin führte zur Begründung
aus, das M. Klinikum sei kein zugelassenes Krankenhaus und nannte als alternative Behandlungsorte die Klinik Bad T. in O.,
die V.-Klinik in B. und die onkologischen Fachabteilungen der Kliniken T., R. und der LMU M ... Dagegen erhob die Antragstellerin
Widerspruch und machte geltend, mit der regionalen Chemotherapie im Vorfeld einer anschließenden operativen Entfernung des
Resttumors werde ihre Arbeitskraft viel früher wiederhergestellt als nach dem üblichen Vorgehen (Operation mit anschließender
Chemo-/Strahlentherapie). Die gesundheitlichen Belastungen für den Körper seien wesentlich geringer. Auch entfielen Schädigungen
durch eine Bestrahlung von Lunge und Rippen. Mit Widerspruchsbescheid vom 8. September 2010 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch
zurück. Die Antragsgegnerin verwies auf die Vorschrift des §
108 SGB V. Danach dürften die Krankenkassen Krankenhausbehandlungen ausschließlich durch zugelassene Krankenhäuser erbringen. Das M.
Klinikum zähle nicht zu den in §
108 SGB V genannten Krankenhäusern. Da eine ausreichende Versorgung durch Vertragskliniken sicher gestellt sei, müsse eine Kostenübernahme
für die geplante Behandlung im M. Klinikum ausscheiden.
Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 2. Dezember 2010 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht einen Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und beantragt, die Antragsgegnerin zur Kostenübernahme für die regionale Chemotherapie
zu verpflichten. Die Antragstellerin habe bereits einen Behandlungszyklus hinter sich, der zu einem deutlichen Schrumpfen
des Tumors geführt habe. Die Nebenwirkungen der begehrten Behandlung seien geringer und insgesamt verträglicher als bei einer
systemischen, allumfassenden Chemotherapie. Mit Beschluss vom 22. Dezember 2010 hat das Sozialgericht den Antrag abgewiesen.
Das Sozialgericht hat das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs der Antragstellerin verneint. Das Sozialgericht hat offen gelassen,
ob und in welchem Umfang der Antrag der Antragstellerin auch einen Kostenerstattungsanspruch hinsichtlich des nach deren Angaben
bereits erfolgten ersten Zyklus enthalte. Jedenfalls hat das Sozialgericht die Voraussetzungen des §
13 Abs.
3 SGB V für einen Kostenerstattungsanspruch sowie einen Anspruch auf Sachleistung verneint. Bei der regionalen Chemotherapie handele
es sich um eine bisher wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode und damit um keine zugelassene Behandlungsmethode
im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung. Auch lägen die vom Bundesverfassungsgericht formulierten Voraussetzungen für
eine ausnahmsweise Leistungsgewährung nicht vor. Für die Antragstellerin bestünden alternative, allgemein anerkannte, medizinischen
Standards entsprechende Behandlungsmethoden.
Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt und vorgetragen, der Vorwurf, es handele sich um eine bisher wissenschaftlich
nicht anerkannte Behandlungsmethode, sei unhaltbar. Auch stünden keine weiteren wohnortnahen Kliniken zur Verfügung. Die regionale
Chemotherapie sei die schonendste Therapie, die irgend möglich sei. Zudem sei sie erfolgreich, wie bereits der erste Behandlungszyklus
gezeigt habe. Der Tumor sei erheblich zurückgegangen. Die Nebenwirkungen seien wesentlich geringer und insgesamt verträglicher.
Es komme zu weit weniger Haarausfall und sonstigen Begleiterscheinungen. Zwischen den Behandlungszyklen bestehe Arbeitsfähigkeit.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München in der Sache S 29 KR 1134/10 ER dahingehend aufzuheben, dass die Beschwerdegegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet wird, der Antragstellerin
die Kostenübernahme für die regionale Chemotherapie mit sofortiger Wirkung zu gewähren.
Das Gericht hat die Akten des Sozialgerichts im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 29 KR 1134/10 ER) sowie die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin zum Verfahren beigezogen.
II. Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die
Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt
oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen
Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
nötig erscheint (§
86b Abs.
2 Satz 2
SGG). Eine solche Regelungsanordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus, Anordnungsanspruch
und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung).
Es fehlt bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Dieser ist auch sonst nicht ersichtlich. Nach §
108 SGB V darf die Antragsgegnerin Krankenhausbehandlungen nur in einem zugelassenen Krankenhaus erbringen. Bei dem M. Klinikum handelt
es sich weder um eine anerkannte Hochschulklinik (§
108 Nr. 1
SGB V) noch um ein Plankrankenhaus nach §
108 Nr. 2
SGB V oder um ein Krankenhaus, das einen Versorgungsvertrag mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen
abgeschlossen hat (§
108 Nr. 3
SGB V). Es kann dahin gestellt bleiben, ob die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung
für so genannte neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung (BVerfG,
Beschluss des ersten Senats vom 6. Dezember 2005, 1 BvR 347/98) auf Behandlungen in einem nicht zugelassenen Krankenhaus zu übertragen wäre. Jedenfalls hat die Antragstellerin zu den vom
Bundesverfassungsgericht aufgestellten Voraussetzungen für eine besondere, über die gesetzliche Verpflichtung hinaus bestehende
Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nichts glaubhaft gemacht.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es mit Art.
2 Abs.
1 GG in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar ist, den Einzelnen unter den Voraussetzungen
des §
5 SGB V einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterwerfen und für seine an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
ausgerichteten Beiträge die notwendige Krankheitsbehandlung gesetzlich zuzusagen, ihn andererseits aber, wenn er an einer
lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die medizinische Behandlungsmethoden nach allgemein
anerkanntem Standard nicht vorliegen, von der Leistung einer bestimmten Behandlungsmethode durch die Krankenkasse auszuschließen
und ihn auf eine Finanzierung der Behandlung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu verweisen. Voraussetzung ist,
dass die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht
auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen (vgl. BVerfG, Beschluss
des ersten Senats vom 6. Dezember 2005, 1 BvR 347/98, Rz. 65 - zitiert nach juris).
Die Antragstellerin leidet an einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Sie hat jedoch nicht vorgetragen, dass zu der begehrten
regionalen Chemotherapie im M. Klinikum keine alternative Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus zur Verfügung steht.
Die Antragstellerin hat lediglich geltend gemacht, die Nebenwirkungen der begehrten Behandlung seien geringer und insgesamt
verträglicher als bei den von der gesetzlichen Krankenversicherung finanzierten Therapien. Dass aufgrund von nicht akzeptablen
Nebenwirkungen die innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stehenden Methoden ausgeschlossen
sein könnten, ergibt sich daraus nicht. Es ist auch sonst nicht ersichtlich, aus welchen Gründen eine anerkannte Behandlung
des bei der Antragstellerin diagnostizierten Mammakarzinoms in einer der von der Antragsgegnerin benannten Kliniken nicht
möglich sein sollte.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§
183 Satz 1,
193 Abs.
1 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.