Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft das Begehren der Klägerin, für Betreuung und Erziehung ihres Sohns Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) für den Zeitraum 01.04.2016 bis 31.12.2016 zu erhalten.
Die Klägerin ist norwegische Staatsangehörige. Sie ist die Mutter des Jungen H. C., geboren am 10.02.2016 in B-Stadt. Seit
21.08.2009 ist die Klägerin mit H. s Vater, J. C., verheiratet. Das Paar hat noch ein weiteres, älteres Kind, nämlich die
am 14.08.2011 geborene Tochter O. C ...
Die Klägerin ist Biologin. Nach eigenen Angaben lebte sie von Juli 2013 an in Deutschland (mit Hauptwohnsitz), vorher in Norwegen;
das Übersiedeln nach Deutschland hatte berufliche Gründe. Allem Anschein nach hatte die Klägerin ihre Tochter O. mit nach
Deutschland genommen; ein Einkommensteuerbescheid 2013 weist sowohl einen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende als auch
Kinderbetreuungskosten als unbeschränkt abziehbare Sonderausgaben aus.
Ab 01.07.2013 war die Klägerin bei der L. (L.) B-Stadt als wissenschaftliche Beschäftigte in Vollzeit tätig (G. B-Stadt);
ihr Arbeitgeber war der Freistaat Bayern. Zunächst schloss man am 17.06.2013 einen Arbeitsvertrag über ein bis 31.12.2015
befristetes Arbeitsverhältnis. Mit einem Arbeitsvertrag vom 23.07.2015 gingen die Klägerin und die L. ein Folgearbeitsverhältnis
vom 01.01. bis 31.12.2016 ein. Ein weiteres Folgearbeitsverhältnis vom 01.01. bis 28.02.2017 wurde mit Arbeitsvertrag vom
14.01.2016 vereinbart. Die Mutterschutzfrist vor der Geburt begann bei der Klägerin am 04.01.2016, die nach der Geburt endete
mit dem 11.04.2016. Die L. gewährte ihr Elternzeit vom 12.04.2016 bis 14.02.2017. Vom 04.01. bis 11.04.2016 bezog die Klägerin
während der Mutterschutzfristen vor und nach der Geburt Mutterschaftsgeld von ihrer Krankenkasse (13 EUR täglich); während
des gleichen Zeitraums erhielt sie von der L. den Arbeitgeberzuschuss nach §
14 des
Mutterschutzgesetzes (
MuSchG).
Ihren Angaben zufolge zog die Klägerin mit H. und O. am 01.04.2016 nach A-Stadt, Norwegen. Eine norwegische Meldebescheinigung
weist aus, dass der Umzug zum 29.03.2016 erfolgte. In A-Stadt, Norwegen, lebt die Klägerin auch heute noch.
Am 29.02.2016 beantragte die Klägerin die Gewährung von Elterngeld für Betreuung und Erziehung von H. während dessen ersten
bis 12. Lebensmonats (10.02.2016 bis 09.02.2017). Sie legte diverse Bezügemitteilungen des Landesamts für Finanzen vor. Dieses
erstellte unter dem Datum 11.04.2016 eine Verdienstbescheinigung gemäß § 9 BEEG für den Zeitraum 01.01. bis 31.12.2015. Darin war folgendes laufendes steuerpflichtiges Bruttoeinkommen (jeweils bei Steuerklasse
3) ausgewiesen:
* Januar 2015:
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4.045,57 EUR
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* Februar 2015:
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4.170,12 EUR
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* März 2015:
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4.415,39 EUR
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* April 2015:
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4.415,39 EUR
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* Mai 2015:
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4.415,39 EUR
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* Juni 2015:
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4.415,39 EUR
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* Juli 2015:
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4.415,39 EUR
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* August 2015:
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4.735,28 EUR
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* September 2015:
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4.735,28 EUR
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* Oktober 2015:
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4.735,28 EUR
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* November 2015:
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4.735,28 EUR
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* Dezember 2015:
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4.735,28 EUR.
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Die Zahlung eines Zuschusses zum Mutterschaftsgeld wurde bescheinigt vom 10.02.2016 bis 29.02.2016 in Höhe von 93,70 EUR täglich
und vom 01.03.2016 bis 11.04.2016 in Höhe von 95,91 EUR täglich.
Im Rahmen des Bewilligungsverfahrens stellte der Beklagte Ermittlungen wegen der Befristung der Arbeitsverträge an. Am 09.05.2016
erhielt die zuständige Bearbeiterin von der L. die Auskunft, auf Wunsch der wissenschaftlichen Mitarbeiter würden gelegentlich
auch mal befristete Verträge abgeschlossen mit dem Wissen, dass diese nicht erfüllt würden. Auf Wunsch der L. formulierte
der Beklagte sodann sein Anliegen als E-Mail; dabei fragte er nach der Gewährung von Elternzeit und nach den Gründen, wieso
das Arbeitsverhältnis noch um die Monate Januar und Februar 2017 verlängert worden war. In den Akten des Beklagten ist vermerkt,
daraufhin habe ein Mitarbeiter der L. angerufen, der gemeint habe, es sei doch wohl deren Sache, wie diese ihre Arbeitsverträge
gestalte. Man gehe allgemein bei wissenschaftlichen Mitarbeitern so vor, um die Chance zu haben, dass diese nach der Elternzeit
zurückkehrten. Bei Mitarbeitern aus dem Ausland klappe die Rückkehr allerdings eher weniger.
Ein daraufhin gefertigter Aktenvermerk des ZBFS - Region Oberbayern vom 23.05.2016 dokumentiert erstmals die Ansicht des Beklagten,
es sei rechtsmissbräuchlich, dass wie hier ein befristetes Arbeitsverhältnis geschlossen werde, wenn die Schwangerschaft bereits
feststehe (am 23.07.2015 sei die Klägerin bereits im dritten Monat schwanger gewesen) und abzusehen sei, dass die Arbeitnehmerin
den Arbeitsvertrag wegen Mutterschutz und Elternzeit nicht erfüllen könne. Ab 01.04.2016 sei ein elterngeldrelevanter Bezug
zur Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gegeben.
Mit Bescheid vom 23.05.2016 bewilligte der Beklagte Elterngeld dem Grunde nach lediglich für den Zeitraum 10.02. bis 31.03.2016.
Dabei kam er zu einem Leistungsbetrag von null. Die Leistungsablehnung für die Zeit ab 01.04.2016 begründete der Beklagte
damit, die am 23.07.2015 und am 14.01.2016 mit der L. abgeschlossenen Arbeitsverträge seien von der Klägerin nicht erfüllt
worden. Bereits ab 04.01.2016 habe sich diese in Mutterschutz befunden. Ab der Aufgabe des Hauptwohnsitzes in B-Stadt bestehe
daher kein elterngeldrechtlich relevanter Bezug mehr zur Bundesrepublik Deutschland. Der Anspruch auf Elterngeld ende somit
mit Ablauf des 31.03.2016.
Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 26.07.2016 Widerspruch ein. Sie reichte eine Bestätigung ihres Vorgesetzten Prof.
Dr. K. H. (G. B-Stadt) vom 06.07.2016 ein. Prof. Dr. H. bescheinigte, die Klägerin sei seit 01.07.2013 bei ihm als Post-Doktorandin
angestellt gewesen. Finanziert worden sei die Anstellung über den "European research council advanced grant". Weiter schrieb
Prof. Dr. H., nach einer Anstellung über drei Jahre habe das Arbeitsverhältnis für zwei weitere Jahre verlängert werden sollen
(Laufzeit insgesamt 5 Jahre). Zeitlich befristete Arbeitsverträge seien üblich für eine akademische Post-Doktorandenstelle
an der L. und auch an anderen Universitäten. Die Arbeitsverhältnisse würden in Abhängigkeit zum Projektfortschritt begrenzt
verlängert werden. Die übliche Anstellungsdauer eines Post-Doktoranden betrage zwei bis fünf Jahre. Die Klägerin könne jederzeit
in sein Labor zurückkommen und ihr wissenschaftliches Projekt fortführen.
Die Klägerin hat in der Widerspruchsbegründung darauf hingewiesen, im Herbst 2015 sei ihr vom Zentrum Bayern Familie und Soziales
(ZBFS) telefonisch dargelegt worden, ihr stehe Elterngeld zu, wenn sie einen gültigen Arbeitsvertrag in Deutschland habe und
sich in einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat aufhalte. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales habe kommuniziert, Staatsangehörige
von EU/EWR-Staaten und der Schweiz hätten in der Regel einen Anspruch auf Elterngeld, wenn sie in Deutschland erwerbstätig
seien oder, falls sie nicht erwerbstätig seien, in Deutschland wohnten. Aufgrund der positiven Rückmeldung des ZBFS im Herbst
2015 habe die L. einen weiteren kurzen Vertrag vom 01.01. bis 28.02.2017 ausgestellt. Da ihr Ehemann kurz vor Weihnachten
2015 eine neue Arbeit in O-Stadt aufgenommen habe, habe sie, die Klägerin, sich entschlossen, die Mutterschutzphase in Norwegen
zu verbringen. Im Anschluss daran wolle sie das wissenschaftliche Projekt abschließen. Während des Mutterschutzes und der
Elternzeit sei sie schon finanziell gar nicht in der Lage gewesen, die Wohnung in B-Stadt zu halten. Zu dem Weggang aus B-Stadt
habe sie sich entschieden, nachdem sie die besagte positive Nachricht vom ZBFS erhalten habe. Ihr dürfe nicht zum Nachteil
gereichen, dass an deutschen Universitäten immer noch Zeitverträge für wissenschaftliche Mitarbeiter ausgestellt würden. Die
Zeitdauer des Arbeitsverhältnisses sei unabhängig von der Schwangerschaft durch den E. festgelegt gewesen. Aufgrund ihres
wissenschaftlichen Interesses habe sie auch während des Mutterschutzes (vor der Geburt) gearbeitet. Auch heute sei sie noch
in die Projekte involviert, leite junge Mitarbeiter per Internet an. Sie plane auch, die Forschung zeitnah weiterzuführen.
In diesem Zusammenhang legte die Klägerin eine von ihr und Prof. Dr. H. am 22.12.2015 unterzeichnete Erklärung bei, wonach
sie, die Klägerin, auf eigenen Wunsch auch über den 03.10.2016 hinaus Arbeitsleistung erbringen wolle. Sie sei sich der Risiken
der Arbeit während der Mutterschutzfrist voll bewusst und arbeite auf eigene Verantwortung weiter.
Der Beklagte erstellte unter dem Datum 06.09.2016 einen juristischen Vermerk. Darin wurde erläutert, nach dem Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft (Wissenschaftszeitvertragsgesetz - WissZeitVG) verlängere sich die Dauer eines befristeten Arbeitsverhältnisses um Zeiten der Inanspruchnahme von Elternzeit und um Zeiten
der Beschäftigungsverbote vor und nach der Geburt, wenn die betroffene Person damit einverstanden sei. Diese Verlängerung
trete aber nicht bei wissenschaftlichen Mitarbeitern ein, die überwiegend aus Drittmitteln finanziert würden; bei diesen bestehe
die Möglichkeit, ein neues befristetes Arbeitsverhältnis zu vereinbaren. Die Klägerin habe in Deutschland keine Beschäftigung.
Denn die weiteren befristeten Verträge seien nur in der Absicht geschlossen worden, unbezahlten Urlaub zum Zweck der Kindererziehung
und letztlich die Zahlung von Familienleistungen zu ermöglichen. Es habe offenkundig nicht die Absicht bestanden, dass die
Tätigkeiten während der Vertragslaufzeiten tatsächlich und echt ausgeübt würden. Hierfür spreche der Vertrag vom 14.01.2016,
dessen Befristung sich am Ende der Elternzeit orientiere. Ohne die Schwangerschaft wäre der Vertrag bis 31.12.2017 befristet
worden. Dass dies letztlich nur bis Ende Februar 2017 geschehen sei, beweise die enge Ausrichtung an der geplanten Elternzeit.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2016 als unbegründet zurück. Als Begründung übernahm
er im Wesentlichen die juristische Stellungnahme vom 06.09.2016.
Dagegen hat die Klägerin am 24.01.2017 Klage beim Sozialgericht Bayreuth erhoben. Sie hat vorgetragen, sie wohne seit 01.04.2016
aus familiären und finanziellen Gründen bei ihren Eltern. Es bestehe sehr wohl ein Beschäftigungsverhältnis in Deutschland
fort. Prof. Dr. H. habe bestätigt, dass die Befristung von Arbeitsverträgen wissenschaftlicher Mitarbeiter üblich sei. Sie
hat auf die gesetzlich vorgesehene Verlängerung der Arbeitsverträge bei Inanspruchnahme von Elternzeit hingewiesen. Die L.
könne und wolle sich den Verlust von begabten Wissenschaftlern nicht leisten. Daher werde den Mitarbeitern auch bei bevorstehender
Mutterschaft und Elternzeit die Perspektive eingeräumt, weiter für die Forschungseinrichtung tätig zu sein. Außerdem habe
sie, die Klägerin, während der Mutterschutzfrist tatsächlich noch Arbeiten für die L. ausgeführt. Die Annahme des Beklagten,
offenkundig habe nicht die Absicht bestanden, die Tätigkeit während der Vertragslaufzeit tatsächlich und echt auszuüben, sei
widerlegt. Bis Ende 2016 habe die Klägerin sogar die Absicht gehabt, die Forschungsarbeiten in der L. wieder aufzunehmen.
Wegen ihrer finanziellen Situation habe sie diesen Plan aber nicht verwirklichen können. Die L. habe bei der ersten Verlängerung
des Arbeitsverhältnisses am 23.07.2015 noch keine Kenntnis von der Schwangerschaft gehabt.
Das Sozialgericht hat von der L. Näheres zur Forschung aus Drittmitteln erfragt. Die L. hat unter anderem mitgeteilt, beim
E. handle es sich um eine Förderung, mit der aktive Wissenschaftler mit einer herausragenden wissenschaftlichen Leistungsbilanz
gefördert würden. Prof. Dr. H. hat unter dem Datum 18.04.2018 bestätigt, die Klägerin habe die Verwaltung am 27.08.2015 über
die Schwangerschaft informiert. Zwischen dem 15.02. und 28.02.2017 habe sie ihren Resturlaub eingebracht. Nach dem 28.02.2017
habe die Klägerin nicht mehr an der L. gearbeitet.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 08.05.2018 als unbegründet abgewiesen. Es hat sich darauf gestützt, im maßgeblichen
Zeitraum habe die Klägerin in Deutschland keine Beschäftigung gehabt. Zu diesem Ergebnis ist es aufgrund einer Gesamtbeurteilung
aller Umstände gekommen. Die weitere Befristung des Arbeitsverhältnisses vom 01.01. bis zum 31.12.2016 sei primär erfolgt,
um der Klägerin den Bezug von Elterngeldleistungen zu ermöglichen. Die Klägerin habe nicht plausibel machen können, warum
nicht, wie ursprünglich geplant, eine Verlängerung für zwei Jahre, sondern nur für ein Jahr stattgefunden habe. Das Sozialgericht
gehe davon aus, dass die Klägerin am 23.07.2015 auch schon mit Prof. Dr. H. über die Schwangerschaft gesprochen habe. Dessen
Bestätigung beziehe sich lediglich auf die Unterrichtung der Verwaltung. Das gelte auch für die zweite Verlängerung des Arbeitsverhältnisses.
Obwohl Drittmittel zur Verfügung gestanden hätten, sei von vornherein nur eine weitere Befristung für zwei Monate erfolgt.
Daraus sei zu schließen, dass die Klägerin vorgehabt habe, ab März 2016 endgültig nach Norwegen zurückzukehren. Eine echte
Tätigkeit der Klägerin habe ab dem 04.01.2016 nicht mehr vorgelegen.
Am 25.07.2018 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, sie selbst habe am 23.07.2015 durchaus
schon von ihrer Schwangerschaft gewusst. Da ein Onkel des Kindes aber am Down-Syndrom leide, habe sie ihrem Arbeitgeber erst
nach einem Ersttrimester-Screening Bescheid geben wollen. Das Screening habe am 14.08.2015 stattgefunden. Im Hinblick auf
Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (im Folgenden: VO 883) hat sie darauf hingewiesen, sie habe auch während der
Elternzeit noch Bezüge von der L. erhalten. Insofern hat die Klägerin eine Bezügemitteilung für den Monat April 2016 über
die Zahlung eines Arbeitgeberzuschusses nach §
14 MuSchG eingereicht sowie eine weitere Bezügemitteilung für November 2016, die eine Sonderzahlung in Höhe von 1.657,35 EUR brutto
ausweist. Auch nach der Kommentarliteratur, so die Klägerin weiter, sei von einer Beschäftigung auszugehen. Hingewiesen hat
sie auch auf den Beschluss Nr. F1 vom 12.06.2009.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 08.05.2018 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 23.05.2016
in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 02.11.2016 zu verurteilen, ihr Elterngeld bis zum 31.12.2016 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für richtig.
Am 19.11.2018 hat der Senat einen Erörterungstermin durchgeführt. Zudem hat er eine weitere Auskunft bei der L. eingeholt.
Prof. Dr. H. hat in diesem Zusammenhang bestätigt (Schreiben vom 10.05.2019), bei der Sonderzahlung habe es sich um reguläres
Weihnachtsgeld gehandelt. Entgeltliche Arbeitsleistungen habe die Klägerin während der Elternzeit nicht erbracht. Wahrscheinlich
habe es hin und wieder Informationsaustausch im Rahmen der Weiterführung der Forschungsprojekte gegeben. Vergütet worden sei
das aber nicht. In diesem Zusammenhang weist der Beklagte darauf hin, die von Prof. Dr. H. bestätigte Zahlung von Weihnachtsgeld
sei seines Erachtens nicht im Stande, gemäß Art. 11 Abs. 2 VO 883 die Fiktion einer Beschäftigung zu bewirken.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Die Akten haben vorgelegen, sind als Streitstoff in das Verfahren eingeführt worden und Gegenstand der Entscheidungsfindung
gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist erfolgreich. Sie ist zulässig und, soweit der Streitgegenstand noch reicht, voll begründet.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage insoweit abgewiesen.
Der Streitgegenstand hat sich im Vergleich zur ersten Instanz geändert. Vor dem Sozialgericht hatte die Klägerin beantragt,
Elterngeld für den ersten bis 12. Lebensmonat von H. zu gewähren. Im Berufungsverfahren hat sie sich, angefangen mit dem Schriftsatz
vom 16.11.2018, dagegen darauf beschränkt, Leistungen bis lediglich 31.12.2016 einzufordern. Darin liegt eine teilweise Klagerücknahme.
Die Klägerin hat zulässiger Weise lediglich eine Verurteilung des Beklagten dem Grunde nach beantragt. Der Senat interpretiert
deren Antrag dahin, dass allein die Berechnung der Leistungshöhe im Sinn von §§ 2 ff. BEEG ausgespart bleiben soll, ansonsten aber möglichst viele Anspruchselemente für den Beklagten durch rechtskräftige Entscheidung
verfestigt werden sollen. Daher geht der Senat davon aus, dass auch die in Art. 68 VO 883 geregelte Leistungsrangfolge zur
gerichtlichen Entscheidung gestellt worden ist.
Im Hinblick auf den so definierten Streitgegenstand ist die Berufung in vollem Umfang begründet. Denn der Klägerin steht ein
Anspruch auf Elterngeld dem Grunde nach auch für den Zeitraum April bis einschließlich Dezember 2016 zu (dazu unten 1.) und
das Elterngeld tritt nicht hinter norwegische Familienleistungen zurück (dazu unten 2.).
1. Der Anspruch dem Grunde nach ist in § 1 BEEG geregelt. Dieser lautet:
(1) 1Anspruch auf Elterngeld hat, wer
1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2. mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
2 ...
(2) 1Anspruch auf Elterngeld hat auch, wer, ohne eine der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 zu erfüllen,
1. nach §
4 des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt oder im Rahmen seines in Deutschland bestehenden öffentlich-rechtlichen
Dienst- oder Amtsverhältnisses vorübergehend ins Ausland abgeordnet, versetzt oder kommandiert ist,
2. Entwicklungshelfer oder Entwicklungshelferin im Sinne des § 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes ist oder als Missionar oder Missionarin der Missionswerke und -gesellschaften, die Mitglieder oder Vereinbarungspartner des
Evangelischen Missionswerkes Hamburg, der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen e. V., des Deutschen katholischen Missionsrates
oder der Arbeitsgemeinschaft pfingstlich-charismatischer Missionen sind, tätig ist oder
3. die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und nur vorübergehend bei einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung tätig
ist, insbesondere nach den Entsenderichtlinien des Bundes beurlaubte Beamte und Beamtinnen, oder wer vorübergehend eine nach
§ 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes oder § 29 des Bundesbeamtengesetzes zugewiesene Tätigkeit im Ausland wahrnimmt.
2Dies gilt auch für mit der nach Satz 1 berechtigten Person in einem Haushalt lebende Ehegatten, Ehegattinnen, Lebenspartner
oder Lebenspartnerinnen.
(3) - (6) ...
(7) Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin ist nur anspruchsberechtigt,
wenn diese Person
1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt,
2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn,
die Aufenthaltserlaubnis wurde
a) nach § 16 oder § 17 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,
b) nach § 18 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden,
c) nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in ihrem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,
d) nach § 104a des Aufenthaltsgesetzes erteilt oder
3. eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und
a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und
b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem
Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt.
(8) 1Ein Anspruch entfällt, wenn die berechtigte Person im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des
Kindes ein zu versteuerndes Einkommen nach §
2 Absatz
5 des
Einkommensteuergesetzes in Höhe von mehr als 250 000 Euro erzielt hat. 2Erfüllt auch eine andere Person die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1
Nummer 2 oder der Absätze 3 oder 4, entfällt abweichend von Satz 1 der Anspruch, wenn die Summe des zu versteuernden Einkommens
beider Personen mehr als 500 000 Euro beträgt.
Bei der Klägerin fehlt es an der Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BEEG. Denn diese hatte ab dem 01.04.2016 keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt mehr in Deutschland. Sie erfüllte auch keinen
der Tatbestände des Absatzes 2.
Allerdings weicht das Erfordernis des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BEEG wegen Art. 7 VO 883 zurück. Diese europarechtliche Vorschrift lautet: Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen
Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen
sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte
oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete
Träger seinen Sitz hat.
Art. 7 VO 883 findet im vorliegenden Fall Anwendung, obwohl Norwegen kein Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) ist. Allerdings
gehört Norwegen zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Das am 02.05.1992 unterzeichnete und für Norwegen am 01.01.1994 in
Kraft getretene Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) hat Norwegen als Mitgliedstaat der Europäischen
Freihandelsassoziation (EFTA) am Binnenmarkt der Europäischen Gemeinschaft beteiligt. Das EWR-Abkommen gewährleistet unter
anderem die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Maßgabe der Art. 28 bis 30 in vergleichbarer Weise wie der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union innerhalb derselben. Innerhalb des EWR findet auch eine Koordinierung des Sozialrechts statt, indem in der EU geltendes Sekundärrecht
für den EWR übernommen wird. Das geschieht dadurch, dass auf der Grundlage von Art. 7 und 29 des EWR-Abkommens in Anhang VI
auf diejenigen Rechtsakte der EU, die auch im EWR gelten sollen, "Bezug genommen" wird.
In der ursprünglichen Fassung von Anhang VI war auf die Verordnung des Rates (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der
sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und
abwandern, sowie auf die entsprechende Durchführungsverordnung Bezug genommen worden. Mit dem Inkrafttreten der VO 883 hat
diese noch nicht unmittelbar auch für den EWR die Verordnung des Rates (EWG) Nr. 1408/71 abgelöst (vgl. Art. 90 Abs. 1 Buchstabe
c VO 883). Vielmehr ist die Einbeziehung der VO 883 in das Regelwerk des EWR erst zum 01.06.2012 erfolgt: Der Gemeinsame EWR-Ausschuss
hat auf der Grundlage von Art. 98 des EWR-Abkommens mit seinem Beschluss Nr. 76/2011 (genauer: Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses
Nr. 76/2011 vom 1. Juli 2011 zur Änderung von Anhang VI (Soziale Sicherheit) und von Protokoll 37 zum EWR-Abkommen - ABl.
L 262/33 vom 6.10.2011) eine entsprechende Anpassung bewirkt.
Damit ist nicht mehr die Vorgängerregelung des Art. 10 der Verordnung des Rates (EWG) Nr. 1408/71 relevant, sondern Art. 7
VO 883 findet auf den Fall der Klägerin Anwendung. Das ist insofern von großer Bedeutung, als Art. 10 der Verordnung des Rates
(EWG) Nr. 1408/71 die Aufhebung der Wohnortklauseln nicht für Familienleistungen vorgesehen hatte (vgl. EuGH, Urteil vom 11.06.1998,
C-275/96 "Kuusijärvi", Rn. 72). Während jene Norm diejenigen Geldleistungen, für die die Aufhebung der Wohnortklauseln galt, noch
enumerativ aufgezählt hatte - ohne Familienleistungen zu erwähnen -, umfasst Art. 7 VO 883 Geldleistungen jeder Art. Nur soweit
die VO 883 Gegenteiliges ausdrücklich vorsieht, sollen Wohnortklauseln zulässig sein. Eine solche Ausnahme existiert zum Beispiel
in Art. 70 Abs. 3 VO 883 für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, nicht aber in Kapitel 8 für Familienleistungen,
zu denen das Elterngeld zählt (vgl. EuGH, Urteil vom 08.05.2014, C-347/12 "Wiering", Rn. 71). Für Familienleistungen enthält die VO 883 als besondere Bestimmungen die Art. 67 bis 69. Diese treffen
gegenüber Art. 7 VO 883 keine speziellen Regelungen, die der allgemeinen Norm vorgehen würden. Insbesondere Art. 67 VO 883
verkörpert keine vorrangig einschlägige Bestimmung. Art. 67 VO 883 stellt vielmehr eine Sonderregelung zu Art. 5 VO 883 (Sachverhaltsgleichstellung)
dar; denn er betrifft nicht den Wohnsitz oder Aufenthalt des Leistungsberechtigten - hier also der Klägerin -, sondern der
Kinder. Art. 67 VO 883 regelt den Fall, dass ein Gastarbeiter in Deutschland lebt, seine Familie samt Kinder sich aber im
Ausland - zumeist im Heimatstaat des Gastarbeiters - aufhält.
Dass das deutsche Elterngeldrecht den Vorrang von Art. 7 VO 883 nicht ausdrücklich rezipiert, tut der unmittelbaren Wirkung
dieser europarechtlichen Bestimmung keinen Abbruch. Denn unmittelbar geltendes europäisches Recht, wie es Art. 7 VO 883 darstellt,
genießt gegenüber dem nationalen Recht Anwendungsvorrang. Eine Öffnungsklausel zugunsten des europäischen Rechts im BEEG ist vor diesem Hintergrund überflüssig.
Die grundlegende Voraussetzung für die Anwendung von Art. 7 VO 883, dass während des Zeitraums 01.04. bis 31.12.2016 für die
Klägerin deutsches Recht galt, ist erfüllt. Denn die Bundesrepublik Deutschland ist nach EU-Recht zuständiger Mitgliedstaat
und unterliegt daher den Koordinierungsregelungen der VO 883. In dieser Frage der Zuständigkeit liegt das zentrale Problem
des Falls.
Über Titel II VO 883 wird das Sozialstatut bestimmt und eine Zuordnung zur Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaats getroffen. Titel
II VO 883 gibt als vor die Klammer gezogenes, allgemeines Normenwerk sektorenübergreifend Antworten auf die Frage nach dem
einschlägigen nationalen Recht und damit nach der mitgliedstaatlichen Zuständigkeit (Kollisionsrecht). Nach Art. 11 Abs. 1
Satz 1 VO 883 gelten die Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Das Kollisionsrecht stellt im Wesentlichen zwei grundlegende
Anknüpfungsprinzipien für die Auffindung des zuständigen Mitgliedstaats zur Verfügung: Das primäre Kriterium ist der Ort der
Beschäftigung beziehungsweise der selbständigen Erwerbstätigkeit (Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 - Beschäftigungslandprinzip).
Eine Auffangfunktion kommt dem Wohnlandprinzip des Art. 11 Abs. 3 Buchstabe e VO 883 zu (vgl. EuGH, Urteil vom 03.05.2001,
C-347/98 "Kommission./. Belgien", Rn. 29); dieses greift nur dann, wenn kein anderer in Art. 11 Abs. 3 VO 883 genannter Anknüpfungstatbestand
einschlägig ist. Eine Dispositionsbefugnis der Mitgliedstaaten bezüglich des anzuwendenden Rechts existiert nicht: Diese dürfen
grundsätzlich zwar das Recht der sozialen Sicherheit nach ihrem Ermessen gestalten (stRspr des EuGH; vgl. nur EuGH, Urteil
vom 18.12.2014, C-523/13 "Larcher", Rn. 48). Sie dürfen aber keine Regelungen erlassen, welche die Zuordnung der Art. 11 ff. VO 883 unterminieren
(vgl. EuGH, Urteil vom 03.05.1990, C-2/89 "Kits van Heijningen", Rn. 21; EuGH, Urteil vom 18.04.2013, C-548/11 "Mulders", Rn. 40 bis 44; zuletzt EuGH, Urteil vom 14.06.2016, C-308/14 "Kommission./. Vereinigtes Königreich", Rn. 69).
Art. 11 VO 883 lautet:
(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften
dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.
(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit
eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-,
Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei
Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.
(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:
a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den
Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;
b) ein Beamter unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, dem die ihn beschäftigende Verwaltungseinheit angehört;
c) eine Person, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemäß Artikel 65 erhält,
unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;
d) eine zum Wehr- oder Zivildienst eines Mitgliedstaats einberufene oder wiedereinberufene Person unterliegt den Rechtsvorschriften
dieses Mitgliedstaats;
e) jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a bis d fällt, unterliegt unbeschadet anders lautender Bestimmungen
dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen,
den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats.
(4) ...
a) Entgegen der Ansicht des Beklagten bestand während des streitgegenständlichen Zeitraums April bis einschließlich Dezember
2016 eine Beschäftigung im Sinn von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 fort, nämlich das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit
der L ... Dies führt letztlich dazu, dass Deutschland als Beschäftigungsstaat für die Klägerin zuständig war und nicht der
Wohnsitzstaat Norwegen.
Kein rechtliches Hindernis verkörpert, dass etwa die Zurücklegung einer Elternzeit, also eine erziehungsspezifische Beurlaubung
unter Fortfall der Bezüge, generell nicht als Beschäftigung angesehen werden könnte. Diesbezüglich hatte der Beklagte nie
Bedenken. Er hat von Anfang an die - letzten Endes richtige - Auffassung vertreten, allein der Umstand einer Elternzeit lasse
die Beschäftigung nicht entfallen. Anders der Senat. Angesichts der EuGH-Entscheidung "Kuusijärvi" ist er zunächst davon ausgegangen,
vor Inkrafttreten der VO 883 habe der EuGH proklamiert, eine Elternzeit, ein Erziehungsurlaub, eine Karenz oder Ähnliches
könne nicht mehr der Beschäftigung zugerechnet werden. Bei der Frage, ob die VO 883 etwas daran geändert haben könnte, hat
er Art. 11 Abs. 2 VO 883 entscheidende Bedeutung beigemessen. So hat der Senat in einem Hinweisschreiben gegenüber der Klägerin
zunächst folgende Meinung vertreten:
"Art. 11 Abs. 2 VO 883 stellt klar, dass eine Beschäftigung im rechtlichen Sinn nur dann besteht, wenn sie auch ausgeübt wird.
Nur unter bestimmten Voraussetzungen, die wiederum in Art. 11 Abs. 2 VO 883 geregelt sind, wird ausnahmsweise das Fortbestehen
der Beschäftigung fingiert. Danach müssten Frau Dr. A. während des gewünschten Elterngeldbezugszeitraums eine Geldleistung
"infolge der Beschäftigung" bezogen haben, damit das Rechtsverhältnis mit der L. rechtlich als fortdauernde Beschäftigung
zu behandeln wäre. Für Frau Dr. A. bedeutet das, dass das deutsche Recht für sie nur solange gegolten hat, wie der Freistaat
Bayern die Bezüge nach der Geburt, konkret den Arbeitgeberzuschuss nach §
14 MuSchG, fortgezahlt hat - später allerdings nicht mehr.Ich möchte unterstreichen, dass seit dem Inkrafttreten von Art. 11 Abs. 2
VO 883 keine rechtliche Möglichkeit mehr besteht, jenseits dieser Vorschrift das Beschäftigungsverhältnis als fortbestehend
zu fingieren. Da es somit nach Ablauf des Mutterschutzes keinen Beschäftigungsstaat mehr gibt, liegt die Zuständigkeit beim
Wohnstaat, also bei Norwegen."
Der Senat hat diese Ansicht im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens verworfen. Denn signifikant ist im EuGH-Fall "Kuusijärvi",
dass die Betroffene schon vor der Geburt arbeitslos war. Die Konstellation einer erziehungsbedingten Beurlaubung ohne Bezüge
lag dort nicht vor. Dagegen lässt sich dem EuGH-Urteil "Dodl und Oberhollenzer" (Urteil vom 07.06.2005, C-543/03) eindeutig entnehmen, dass während einer erziehungsbedingten Beurlaubung ohne Bezüge die Beschäftigung im Sinn von Art. 11
Abs. 3 Buchstabe a VO 883 fortbesteht. Der Sachverhalt war bei "Dodl und Oberhollenzer" folgender: Der deutsche Ehemann arbeitete
in Deutschland, die österreichische Ehefrau in Österreich; sie nahm unbezahlten Urlaub für Kindererziehung in Anspruch (so
genannte Karenz), die Familie lebte in Deutschland. In Streit standen Familienleistungen aus Österreich für die Ehefrau. Der
EuGH hat in der Entscheidung "Dodl und Oberhollenzer" angenommen, dem Ehepaar stünde auch ein Anspruch auf Familienleistungen
nach österreichischem Recht zu. Zu diesem Ergebnis konnte er aber nur kommen, wenn die Beschäftigung der Ehefrau das österreichische
Recht vermittelte; die Annahme eines Leistungsanspruchs nach österreichischem Recht durch den EuGH setzt unabdingbar das Fortbestehen
der Beschäftigung voraus. Es gibt nämlich keinen Anhaltspunkt, dass das österreichische Recht von sich aus - also ohne Befehl
des Europarechts und überobligatorisch - den Anspruch gewährte (dieses stellte allein auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt
in Österreich ab). Es musste also zwangsläufig die Beschäftigung als fortbestehend betrachtet worden sein. Bestätigt wird
diese Auslegung des europäischen Kollisionsrechts durch die neuere EuGH-Entscheidung "Franzen, Giesen, van den Berg" (Urteil
vom 23.04.2015, C-382/13). Der EuGH hat in Rn. 52 des Urteils - allerdings in etwas anderem Zusammenhang - verdeutlicht, er nehme eine Beschäftigung
im Sinn von Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung des Rates (EWG) Nr. 1408/71 (= Vorgängerregelung zu Art. 11 Abs. 3 Buchstabe
a VO 883) so lange an, wie das Arbeitsverhältnis fortbestehe.
Als Konsequenz daraus misst der Senat nunmehr auch Art. 11 Abs. 2 VO 883 einen anderen Regelungsgehalt bei. Vorzugswürdig
erscheint die Ansicht, dass der europäische Gesetzgeber mit der Einführung von Art. 11 Abs. 2 VO 883 das Beschäftigungslandprinzip
nicht derart einschränken wollte, dass während einer Elternzeit, Karenz etc. der Beschäftigungsstaat aus seiner Verantwortung
entlassen werden könnte. Denn das brächte erhebliche Nachteile für die Betroffenen mit sich, indem Ansprüche verlorengingen.
Wäre eine solche Einschränkung des Beschäftigungslandprinzips gewollt gewesen, hätte dies wohl Niederschlag in den Erwägungsgründen
zur VO 883 gefunden; die Erwägungsgründe schweigen jedoch dazu. Vielmehr dürfte es dem europäischen Gesetzgeber mit Art. 11
Abs. 2 VO 883 eher darum gegangen sein, das Beschäftigungslandprinzip zu erweitern. Zusammenfassend darf aus Art. 11 Abs.
2 VO 883 nicht der Schluss gezogen werden, während einer erziehungsbedingten Beurlaubung ohne Bezüge liege keine Beschäftigung
mehr vor.
Unabhängig davon, dass Art. 11 Abs. 2 VO 883 also für Elternzeit, Karenz etc. von vornherein nicht gilt, wären im Fall der
Klägerin die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt. Denn der Senat würde den Bezug einer Geldleistung im Sinn von Art.
11 Abs. 2 VO 883 bejahen (Arbeitgeberzuschuss, Weihnachtsgeld, Entgelt für die zweite Februarhälfte 2017). Für die Fiktionswirkung
des Art. 11 Abs. 2 VO 883 dürfte nicht erforderlich sein, dass die "Geldleistung" stetig gezahlt wird.
b) Bei Anwendung dieser geläuterten Rechtsauffassung vermag der Senat das Ergebnis, zu dem der Beklagte und das Sozialgericht
gekommen sind, nicht zu teilen. Das Vorliegen einer Beschäftigung im Sinn von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 scheitert
nicht aus dem Grund, dass das am 23.07.2015 für den Zeitraum Januar bis einschließlich Dezember 2016 vereinbarte Folgearbeitsverhältnis
als rechtlich irrelevant anzusehen wäre. Vielmehr liegt auch nach dem 31.12.2015 die Ausübung einer Beschäftigung in der Bundesrepublik
Deutschland vor.
Art. 1 Buchstabe a VO 883 definiert "Beschäftigung" wie folgt: "Beschäftigung" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation,
die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder
die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt;
Bei der Rechtsfindung kommt es allein auf eine europarechtliche Perspektive an. Die in Art. 1 Buchstabe a VO 883 enthaltene
Definition darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass innerhalb des europäischen Zuständigkeitsrechts EU-weit eine einheitliche
Auslegung praktiziert werden muss. Denn nur mit einer einheitlichen europarechtlichen Beurteilung kann der zuständige Mitgliedstaat
im Rahmen von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 zuverlässig und eindeutig gefunden werden. Daher ist die Handhabung, maßgebend
auf den Beschäftigungsbegriff des deutschen Rechts abzustellen, methodisch falsch. Es steht gerade nicht zur Disposition der
Mitgliedstaaten, "Beschäftigung" nach Belieben zu interpretieren. Die Begriffsbestimmung des Art. 1 Buchstabe a VO 883, welche
die Handhabung in den Mitgliedstaaten als Maßstab suggeriert, passt auf die Koordinierungsregeln der VO 883 im engeren Sinn
(z.B. Zusammenrechnung von Beschäftigungszeiten), für das Kollisionsrecht des Art. 11 VO 883 führt sie dagegen in die falsche
Richtung.
Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 orientiert sich vielmehr eng am Arbeitnehmerbegriff des europäischen Rechts. Nach der EuGH-Rechtsprechung
kann als Arbeitnehmer nur angesehen werden, wer eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht
bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (vgl. Urteil
vom 23.03.1982, Rs. 53/81 "Levin", Rn. 17; Urteil vom 08.06.1999, C-337/97 "Meeusen", Rn. 13; Urteil vom 06.11.2003, C-413/01 "Ninni-Orasche", Rn. 26). Bei der Prüfung dieser Voraussetzung muss sich das vorlegende Gericht auf objektive Kriterien stützen
und in einer Gesamtbetrachtung alle Umstände würdigen, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und die des fraglichen
Arbeitsverhältnisses betreffen (Urteil vom 06.11.2003, C-413/01 "Ninni-Orasche", Rn. 27).
Der Senat hat keine Zweifel, dass die Klägerin auch während des gesamten Jahres 2016 in diesem Sinn Arbeitnehmerin war und
damit eine Beschäftigung im Sinn von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 vorlag.
Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den 31.12.2015 hinaus dürfte man nur dann ignorieren, wenn sie rechtsmissbräuchlich
gewesen wäre. Der EuGH stellt an die Bejahung eines Rechtsmissbrauchs jedoch hohe Anforderungen (vgl. Urteil vom 23.09.2003,
C-109/01 "Akrich"). Auch der 10. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat die Voraussetzungen für einen Rechtsmissbrauch sehr streng definiert. Im Urteil vom 25.06.2009 - B 10 EG 3/08 R (SozR 4-7837 § 2 Nr 1; BSGE 103, 284-290) hat das BSG ausgeführt, ein Recht auf eine Sozialleistung könne nicht geltend gemacht werden, wenn dies sozial unangemessen geschehe
und wenn es der rechtsethischen Funktion des Rechts widerspreche. Der Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs orientiere sich
am Schutzbereich der Norm, wobei grundsätzlich davon auszugehen sei, dass der Berechtigte den ihm zustehenden Anspruch im
gesetzlichen Rahmen mit legalen Mitteln ausschöpfen könne. Der Schutzbereich der Norm, Sinn und Zweck des Rechts und damit
auch seine rechtsethische Funktion würden in erster Linie durch den Gesetzgeber selbst bestimmt. Bei gesetzlich begründeten
Ansprüchen auf Sozialleistungen bleibe es nicht den rechtsethischen Anschauungen des Rechtsanwenders überlassen festzulegen,
wann ein Missbrauch vorliege. Ein Missbrauchseinwand komme daher in erster Linie dann in Betracht, wenn der Gesetzgeber rechtliche
Gestaltungsmöglichkeiten übersehen habe, die sich erst bei der späteren Anwendung des Gesetzes zeigten, und er diese nach
seiner sonstigen Zielsetzung mit Sicherheit unterbunden hätte. Hingegen könnten Gestaltungsmöglichkeiten, die der Gesetzgeber
den Bürgern "sehenden Auges" überlassen habe, nicht im Nachhinein von den Rechtsanwendern aus Gründen einer angenommenen "rechtsethischen
Funktion des Rechts" begrenzt werden. Nach diesen Maßstäben ist man im vorliegenden Fall von einem Rechtsmissbrauch weit entfernt.
Der Beklagte begeht den Fehler, bei der Beurteilung, ob Deutschland Beschäftigungsstaat ist und ob Rechtsmissbrauch vorliegt,
eine Perspektive einzunehmen, die spezifisch das deutsche Elterngeldrecht als Angelpunkt nimmt. Jedoch handelt es sich, wie
erwähnt, bei der Beschäftigung im Sinn von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 um einen Begriff des Europarechts. Auch der Rechtsmissbrauch
muss aus Sicht des Europarechts interpretiert werden. Es erscheint nicht zulässig, wie der Beklagte die Interpretation auf
dem Weg einer hochsubjektiven Auslegung nationalen Fachrechts vorzunehmen.
Bei der Beurteilung des Rechtsmissbrauchs muss eine Ex-ante-Betrachtung angelegt werden. Maßgebend ist, was die Vertragsparteien
bei Abschluss des Rechtsverhältnisses beabsichtigt haben, nicht aber, wie sich das Arbeitsverhältnis in der Folgezeit tatsächlich
entwickelt hat. So gesehen wäre es im vorliegenden Fall falsch, darauf abzustellen, die Klägerin habe nach dem 04.01.2016
tatsächlich keinen Tag mehr gearbeitet. Vielmehr kommt es darauf an, wie sich die Verhältnisse am 23.07.2015, dem Tag des
Abschlusses des Arbeitsvertrags, dargestellt haben. Noch weniger darf ins Gewicht fallen, dass sich die dritte Verlängerung
des Arbeitsverhältnisses am 14.01.2016 vermutlich stark an der Dauer der Elternzeit orientiert hat.
Vor allem darf der Zeitraum 01.01. bis 31.12.2016 nicht isoliert betrachtet werden. In den Blick muss vielmehr die Gesamttätigkeit
der Klägerin bei der L. genommen werden. Wenn die Klägerin unmittelbar vorher mehrere Jahre bei der L. gearbeitet hat, dann
darf die Arbeitnehmereigenschaft während der einjährigen Verlängerung nicht kurzerhand mit dem Argument abgelehnt werden,
sie habe während dieser Teilphase keine Arbeitsleistung mehr erbracht. Vielmehr liegt bei ihr die ganz normale Biografie einer
Arbeitnehmerin vor mit einer offenbar intensiven Arbeitsphase, aber auch mit Mutterschaft und Elternzeit. Diese Biografie
muss in ihrer Gesamtheit wahrgenommen werden, die Ausklammerung der Arbeitsphase erscheint unangemessen. Und bei Anlegung
dieser Perspektive kann nicht bestritten werden, dass die Klägerin tatsächlich Arbeitsleistung erbrachte.
Niemand dürfte ernsthaft vertreten, die arbeitsvertragliche Regelung eines Arbeitsverhältnisses vom 01.01. bis 31.12.2016
sei nach den Maßstäben des deutschen Zivilrechts nichtig gewesen. Ein Arbeitsverhältnis im Sinn des deutschen Arbeitsrechts
hat bestanden. Dann kann man aber bei bestehendem Arbeitsverhältnis eine Beschäftigung im Sinn von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe
a VO 883 kaum verneinen. Denn im Urteil "Franzen, Giesen, van den Berg" (Urteil vom 23.04.2015, C-382/13) hat der EuGH in Randnummer 52 zum Ausdruck gebracht, dass er in erster Linie das Bestehen des Arbeitsverhältnisses als konstitutiv
für die Beschäftigung in diesem Sinn ansieht (so auch EuGH, Urteil vom 08.05.2014, C-347/12 "Wiering", Rn. 48, im Hinblick auf Beamte).
Die tatsächlichen Umstände waren keineswegs so gelagert, dass man der Klägerin zwangsläufig rechtsmissbräuchliche Motive unterstellen
darf. Zunächst entspricht es schon nicht den rechtlichen Gegebenheiten, wie der Beklagte zu proklamieren, die Klägerin habe
den Arbeitsvertrag nicht erfüllt beziehungsweise nicht erfüllen können. Sie ist ihrem Arbeitgeber nichts schuldig geblieben
und nicht vertragsbrüchig geworden. Mit der Schwangerschaft und der Mutterschaft sind ihre vertraglichen Arbeitspflichten
vielmehr kraft Gesetzes (in Verbindung mit der Gewährung von Elternzeit) ausgesetzt worden. Es bleiben keine Anteile zu Unrecht
nicht erbrachter Arbeitsleistung zurück.
Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass die Planungen und Absichten der Klägerin im Wesentlichen oder sogar allein
auf Elternzeit und Elterngeld zentriert waren. Dafür spricht aber nicht einmal eine Wahrscheinlichkeit, geschweige denn eine
hinreichende Sicherheit. Vielmehr muss man der Klägerin konzedieren, dass ihr die Arbeit als solche überaus am Herzen lag.
Sie nahm es allem Anschein nach auf sich, im Jahr 2013 ihre - intakte - Familie hintanzustellen und zusammen mit ihrer Tochter
nach Deutschland überzusiedeln, um am der L. arbeiten zu können. Dies bedeutete für die Klägerin ohne Zweifel ein erhebliches
Opfer. Dafür, dass O. mit nach Deutschland kam, spricht, dass im Einkommensteuerbescheid 2013 ein Entlastungsbetrag für Alleinerziehende
enthalten ist. Aber auch wenn O. in Norwegen geblieben wäre, wäre das Opfer der Klägerin ganz beträchtlich gewesen: Sie hätte,
bei einer intakten Familie, nicht nur den Ehemann in Norwegen zurücklassen müssen, sondern auch ihr zweijähriges Kind. Aus
alldem schließt der Senat, dass die Klägerin die Arbeit am in B-Stadt als sehr große Chance begriffen hat. Es muss daher davon
ausgegangen werden, dass die Arbeit als solche stets wichtiges Motiv bei allen Entscheidungen war. Damit harmoniert, dass
es sich bei der Klägerin augenscheinlich um eine sehr qualifizierte Wissenschaftlerin handelte; andernfalls wären laut Aussage
des Prof. Dr. H. für ihr Forschungsprojekt keine Drittmittel zur Verfügung gestellt worden. Der Senat glaubt der Klägerin,
dass sie ihr Projekt irgendwann weiter betreiben und zu Ende bringen wollte. Prof. Dr. H. hat bestätigt, dass sie jederzeit
die Möglichkeit dazu gehabt hat und immer noch hat. Ein einseitiges Schielen der Klägerin auf den sozialen Vorteil des Elterngelds
hält der Senat nach alldem für unrealistisch.
Auch vor dem Hintergrund der schieren Chronologie erscheint es lebensfremd anzunehmen, die Vereinbarung vom 23.07.2015 sei
getroffen worden, gerade um die Klägerin in den Genuss von Elterngeld kommen zu lassen. Nicht einmal drei Wochen vorher hatte
die Klägerin überhaupt erst erfahren, dass sie schwanger war. Übertrieben dürfte die Mutmaßung sein, die Klägerin habe damals
bereits ganz konkrete Pläne in Bezug auf Elternzeit und Elterngeldbezug gehabt. Daher liegt es auch eher fern anzunehmen,
das Elterngeld sei bei der Vertragsverlängerung am 23.07.2015 dominierendes Motiv gewesen. Die sinngemäße Einlassung der Klägerin,
sie habe erst im Herbst 2015 aufgrund der Auskunft des ZBFS das Benefizium des Elterngelds konkret eingeplant, hält der Senat
für glaubhaft. Dann aber kann man ihr nicht unterstellen, sie habe schon am 23.07.2015 mit der ersten Verlängerung des Arbeitsverhältnisses
primär dieses Ziel verfolgt. Maßgeblich zum Tragen gekommen ist das Bemühen um Elterngeld erst bei der zweiten Verlängerung
im Januar 2016; das hat die Klägerin aber auch offen zugegeben und deshalb konsequent auf Leistungen für die Monate Januar
und Februar 2017 verzichtet. Ein kollusives Zusammenwirken der L. und der Klägerin "zum Schaden" des Elterngeldträgers hält
der Senat für ausgeschlossen. Bei Abschluss des Arbeitsvertrags vom 23.07.2015 wusste die L. noch nichts von der Schwangerschaft;
dass Prof. Dr. H. bereits voll informiert gewesen sei könnte, ist Spekulation. Der Senat glaubt der Klägerin auch, dass sie
die Schwangerschaft nicht deshalb mit Verzögerung angezeigt hat, um sich eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu erschleichen,
sondern weil sie tatsächlich das Ersttrimester-Screening abwarten wollte; sie hat nachgewiesen, dass H. Onkel väterlicherseits
an einem Down-Syndrom leidet.
Unabhängig davon, dass die tatsächlichen Umstände kein gezieltes Hinwirken der Klägerin auf Elterngeld offenbaren, darf generell
ein solches Hinwirken nicht in dem Maß negativ bewertet werden, wie es der Beklagte und das Sozialgericht getan haben. Denn
eine solche Haltung erzeugt nicht hinnehmbare Wertungswidersprüche mit dem andernorts festzustellenden Bemühen des Gesetzgebers,
über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz die von befristeten Arbeitsverhältnissen betroffenen Wissenschaftler zu schützen.
Bei einem von vornherein länger befristeten Arbeitsverhältnis würde der Beklagte sicherlich nicht in Erwägung ziehen, für
die Mutterschaft und die Beurlaubung ohne Entgelt die Arbeitnehmer- oder Beschäftigteneigenschaft in Frage zu stellen. Die
Klägerin wird nur deswegen "Opfer" solcher Überlegungen, weil sie das Pech hatte, dass ihr erstes Arbeitsverhältnis zum 31.12.2015
endete, wenige Tage vor Beginn des gesetzlichen Mutterschutzes. Die Vorgehensweise des Beklagten fügt der Klägerin gerade
die Art von Nachteil zu, die das Wissenschaftszeitvertragsgesetz - wenn auch bei anderen, jedoch vergleichbaren Personengruppen - verhindern will. § 2 WissZeitVG lautet:
(1) 1Die Befristung von Arbeitsverträgen des in § 1 Absatz 1 Satz 1 genannten Personals, das nicht promoviert ist, ist bis
zu einer Dauer von sechs Jahren zulässig, wenn die befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder
künstlerischen Qualifizierung erfolgt. 2Nach abgeschlossener Promotion ist eine Befristung bis zu einer Dauer von sechs Jahren,
im Bereich der Medizin bis zu einer Dauer von neun Jahren, zulässig, wenn die befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen
wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolgt; die zulässige Befristungsdauer verlängert sich in dem Umfang,
in dem Zeiten einer befristeten Beschäftigung nach Satz 1 und Promotionszeiten ohne Beschäftigung nach Satz 1 zusammen weniger
als sechs Jahre betragen haben. 3Die vereinbarte Befristungsdauer ist jeweils so zu bemessen, dass sie der angestrebten Qualifizierung
angemessen ist. 4Die nach den Sätzen 1 und 2 insgesamt zulässige Befristungsdauer verlängert sich bei Betreuung eines oder
mehrerer Kinder unter 18 Jahren um zwei Jahre je Kind. 5Satz 4 gilt auch, wenn hinsichtlich des Kindes die Voraussetzungen
des § 15 Absatz 1 Satz 1 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes vorliegen. 6Die nach den Sätzen 1 und 2 insgesamt zulässige Befristungsdauer verlängert sich bei Vorliegen einer Behinderung
nach §
2 Absatz
1 des
Neunten Buches Sozialgesetzbuch oder einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung um zwei Jahre. 7Innerhalb der jeweils zulässigen Befristungsdauer sind
auch Verlängerungen eines befristeten Arbeitsvertrages möglich.
(2) Die Befristung von Arbeitsverträgen des in § 1 Abs. 1 Satz 1 genannten Personals ist auch zulässig, wenn die Beschäftigung
überwiegend aus Mitteln Dritter finanziert wird, die Finanzierung für eine bestimmte Aufgabe und Zeitdauer bewilligt ist und
die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter überwiegend der Zweckbestimmung dieser Mittel entsprechend beschäftigt wird; die vereinbarte
Befristungsdauer soll dem bewilligten Projektzeitraum entsprechen .
(3) ...
(4) ...
(5) 1Die jeweilige Dauer eines befristeten Arbeitsvertrages nach Absatz 1 verlängert sich im Einverständnis mit der Mitarbeiterin
oder dem Mitarbeiter um
1. Zeiten einer Beurlaubung oder einer Ermäßigung der Arbeitszeit um mindestens ein Fünftel der regelmäßigen Arbeitszeit,
die für die Betreuung oder Pflege eines oder mehrerer Kinder unter 18 Jahren, auch wenn hinsichtlich des Kindes die Voraussetzungen
des § 15 Absatz 1 Satz 1 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes vorliegen, oder pflegebedürftiger sonstiger Angehöriger gewährt worden sind,
2. Zeiten einer Beurlaubung für eine wissenschaftliche oder künstlerische Tätigkeit oder eine außerhalb des Hochschulbereichs
oder im Ausland durchgeführte wissenschaftliche, künstlerische oder berufliche Aus-, Fort- oder Weiterbildung,
3. Zeiten einer Inanspruchnahme von Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz und Zeiten eines Beschäftigungsverbots nach den §§
3 bis
6,
10 Absatz
3, §
13 Absatz
1 Nummer
3 und §
16 des
Mutterschutzgesetzes in dem Umfang, in dem eine Erwerbstätigkeit nicht erfolgt ist,
4. Zeiten des Grundwehr- und Zivildienstes,
5. Zeiten einer Freistellung im Umfang von mindestens einem Fünftel der regelmäßigen Arbeitszeit zur Wahrnehmung von Aufgaben
in einer Personal- oder Schwerbehindertenvertretung, von Aufgaben eines oder einer Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten
oder zur Ausübung eines mit dem Arbeitsverhältnis zu vereinbarenden Mandats und
6. Zeiten einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, in denen ein gesetzlicher oder tarifvertraglicher Anspruch auf Entgeltfortzahlung
nicht besteht.
2In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1, 2 und 5 soll die Verlängerung die Dauer von jeweils zwei Jahren nicht überschreiten.
3Zeiten nach Satz 1 Nummer 1 bis 6 werden in dem Umfang, in dem sie zu einer Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrages
führen können, nicht auf die nach Absatz 1 zulässige Befristungsdauer angerechnet.
Der Senat verkennt nicht, dass die Befristung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin mit der L. aufgrund von § 2 Abs. 2 WissZeitVG zulässig ist. Für diese Arbeitsverhältnisse gilt § 2 Abs. 5 WissZeitVG, wie der Beklagte im juristischen Vermerk vom 06.09.2016 zutreffend festgestellt hat, aber gerade nicht. Unmittelbare Rechtfertigung
erfährt die Klägerin durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz also nicht. Allerdings lässt sich § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 WissZeitVG eine allgemeine gesetzgeberische Wertung entnehmen, die es ausschließt, bei der Klägerin rechtsmissbräuchliches Verhalten
zu bejahen. Denn nach § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 WissZeitVG soll eine Elternzeit zur Verlängerung des befristeten Arbeitsverhältnisses führen. Ganz offenkundig sieht der Gesetzgeber
generell die Notwendigkeit, wissenschaftlichen Mitarbeitern gerade in ihrer Eigenschaft als Eltern zu helfen. Dieser Wertung
steht die Haltung des Beklagten und des Sozialgerichts diametral entgegen, der Klägerin nicht einmal das Recht zuzugestehen,
ein Anschlussarbeitsverhältnis zu begründen, nur weil dieses weitgehend durch Beschäftigungsverbote und Elternzeit ausgefüllt
ist. Seitens des Beklagten und des Sozialgerichts wird es für inakzeptabel gehalten, dass die L. der Klägerin möglicherweise
- wirklich erwiesen ist es nicht - mit der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses um ein Jahr einen den gesetzlichen Regelungen
vergleichbaren Nachteilsausgleich gewährt hat. Die Wertung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes steht einer derart restriktiven Betrachtung entgegen. Man darf es nicht als "anrüchig" betrachten, wenn die wissenschaftliche
Einrichtung ihren wissenschaftlichen Mitarbeitern in gewisser Weise Nachteile der Elternschaft ersparen möchte; entsprechende
Schutzgedanken sind mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz sogar in Gesetzesform gegossen worden. Ohne die Schwangerschaft wäre die Klägerin ohne jeden Zweifel über den 31.12.2015
hinaus für zwei weitere Jahre beschäftigt worden. Hätte die L. von jeder Weiterbeschäftigung gerade wegen der Schwangerschaft
abgesehen, hätte darin eine bedenkliche Benachteiligung der Klägerin just aufgrund der Mutterschaft gelegen.
c) Die weiteren Voraussetzungen dem Grunde nach hat die Klägerin zweifellos erfüllt. Sie lebte im Zeitraum April bis einschließlich
Dezember 2016 mit H. in einem Haushalt, betreute und erzog ihn selbst und übte während des Bezugszeitraums keine Erwerbstätigkeit
aus. Der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 8 BEEG ist nicht erfüllt, weil das zu versteuernde Einkommen beider Elternteile zusammen im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum
vor der Geburt unter 500.000 EUR blieb. Ein ordnungsgemäßer Antrag lag vor.
2. Der somit dem Grunde nach gegebene Anspruch der Klägerin auf Elterngeld für den Zeitraum April bis einschließlich Dezember
2016 tritt nicht hinter einen Anspruch auf Familienleistungen nach norwegischem Recht zurück. Denn während des genannten Zeitraums
(bis einschließlich 31.12.2016) ist für H. lediglich norwegisches Kindergeld gezahlt worden. Unabhängig davon, dass zwischen
dem deutschen Elterngeld und dem norwegischen Kindergeld schon die Gleichartigkeit beziehungsweise Ähnlichkeit fehlen dürfte,
die für eine Anrechnung erforderlich ist, ist das deutsche Elterngeld nach Art. 68 Abs. 1 Buchstabe a VO 883 vorrangig. Denn
dieses muss aufgrund einer Beschäftigung der Klägerin gezahlt werden (auch wenn das deutsche Elterngeldrecht eine Beschäftigung
nicht als Leistungsvoraussetzung vorsieht), während das norwegische Kindergeld nur aufgrund des Wohnsitzes in Norwegen geleistet
wird.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere sieht der Senat keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Vor dem Hintergrund, dass nach der europarechtlichen Rechtslage vor Einführung von Art. 11 Abs. 2 VO 883 die Elternzeit sehr
wohl als Beschäftigung im Sinn von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883 beurteilt worden wäre, kann kein nennenswerter Zweifel
bestehen, dass im neuen Recht Art. 11 Abs. 2 VO 883 dies nicht davon abhängig machen will, dass während der Elternzeit tatsächlich
Bezüge, welcher Art auch immer, zufließen. Dass vielmehr Art. 11 Abs. 2 VO 883 die Rechtsposition der Eltern gegenüber dem
alten Recht nicht hat verschlechtern wollen, liegt derart auf der Hand, dass nicht von einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage
gesprochen werden kann. Der Beklagte hat dies ja auch immer so vertreten. Zudem wirkt sich diese Rechtsfrage im vorliegenden
Fall nicht auf das Ergebnis aus. Sollte nämlich Art. 11 Abs. 2 VO 883 entgegen aller Erwartung doch einschlägig sein, würde
die Klägerin, wie oben ausgeführt, dessen Voraussetzungen für die Fingierung einer Beschäftigung (Bezug von Entgelt, Leistungen)
erfüllen.