Bewertung des GdB in Schwerbehindertensachen nach dem SGB IX mit dem Schwerpunkt der psychischen Leiden
1. In Abgrenzung zu der Parkinson-Krankheit, die andauernde Störungen bedingt, handelt es bei den Dystonien um Anfälle,
die plötzlich, dann heftig, aber zugleich auch nur sehr selten auftreten.
2. Insoweit ist ausgehend von gutachterlichen Festststellungen im Einzelfall zur Bewertung auf das Ausmaß wie bei epileptischen
Anfällen nach B 3.1.2 VersMedV abzustellen, wonach epileptische Anfälle, die sehr selten auftreten, ebenfalls mit einem GdB von 40 zu bewerten sind. Dem
entspricht die Bewertung einer Dystonien als geringe Störung (oberer Bereich) mit einem GdB von ebenfalls 40.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten noch über die Bemessung des Grades der Behinderung (GdB) der Klägerin; ursprünglich war auch die
Zuerkennung der Nachteilsausgleiche G und B im Streit.
Die im Jahre 1958 geborene Klägerin leidet an einer so genannten multifokalen Dystonie mit Meige-Syndrom und einer Dystonie
der langen Rückenstrecker, an einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, an einer anhaltenden
depressiven Störung und an Bandscheibenschäden sowie weiteren Wirbelsäulenleiden.
Mit Bescheid vom 19. Dezember 2008 stellte der Beklagte bei der Klägerin einen GdB von 20 fest. Im anschließenden Widerspruchsverfahren
führte der Beklagte weitere medizinische Ermittlungen durch und erkannte schließlich durch Widerspruchsbescheid einen Grad
der Behinderung von 40 zu. Im Übrigen wies er den Widerspruch zurück.
Mit ihrer zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Ziel weiterverfolgt, die Zuerkennung eines höheren
Grades der Behinderung und der Nachteilsausgleiche G und B zu erreichen. Aufgrund richterlicher Beweisanordnung hat am 26.
Februar 2012 der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet und sich
am 04. September und am 14. November 2012 aufgrund richterlicher Anforderung ergänzend geäußert. Darin ist er zu der Einschätzung
gelangt, die multifokale Dystonie und die Dystonie der langen Rückenstrecker seien mit einem GdB von 80, die chronische Schmerzstörung
und die depressive Störung seien jeweils mit einem GdB von 30 und die Wirbelsäulenleiden mit einem GdB von 10 zu bewerten.
Insgesamt ergebe sich ein GdB von 90, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Nachteilsausgleiche seien erfüllt.
Mit Gerichtsbescheid vom 11. Februar 2013 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide geändert und den Beklagten verpflichtet,
zugunsten der Klägerin ab dem 28. Oktober 2009 einen GdB von 90 sowie das Vorliegen der beantragten Nachteilsausgleiche festzustellen.
Das Sozialgericht ist dabei im Wesentlichen der Einschätzung des Sachverständigen gefolgt.
Gegen diesen ihm am 13. Februar 2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 21. Februar 2013 Berufung zum Landessozialgericht
eingelegt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 28. November 2013 hat der Beklagte die Berufung hinsichtlich des GdB teilweise
und hinsichtlich der Nachteilsausgleiche vollständig zurück genommen. Er macht geltend, die Einschätzungen des Sachverständigen
Dr. B seien im Hinblick auf die Höhe des GdB nicht überzeugend.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 11. Februar 2013 zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit ein GdB von
mehr als 50 zugesprochen worden ist.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung in vollem Umfang für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten
Schriftsätze sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und
Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat hatte nur noch über die Höhe des GdB zu entscheiden, nämlich soweit das Sozialgericht einen Wert von mehr als 50
zugesprochen hatte, weil der Beklagte die Berufung im Übrigen zurückgenommen hat.
Im jetzt noch aufrecht erhaltenen Umfang ist die Berufung des Beklagten zulässig, insbesondere statthaft gemäß §§
143,
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), und begründet. Die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts war entsprechend teilweise aufzuheben, denn der Klägerin
steht kein höherer GdB als der Wert von 50 zu.
Zur Überzeugung des Senats nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, §
128 Absatz
1 Satz 1
SGG, steht fest, dass die Klägerin durch drei Komplexe von Funktionsbeeinträchtigungen behindert wird, nämlich vorrangig durch
die Dystonien, sodann durch ein psychisches Leiden und schließlich durch ein Wirbelsäulenleiden. Allerdings kann der Senat
hinsichtlich der Höhe des einzelnen GdB im Hinblick auf die festgestellten Dystonien der Klägerin der Einschätzung des Sachverständigen
Dr. B nicht folgen. Die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) enthält hinsichtlich der Bewertung von Dystonien keine Hinweise; allerdings kann, wie auch der Sachverständige zutreffend
ausgeführt hat, eine Bewertung in Anlehnung an die Bewertung des Parkinson-Syndroms vorgenommen werden. Nach B 3.1.2 VersMedV sind im Bereich des Parkinson-Syndroms geringe Störungen mit 30 bis 40, deutliche Störungen mit 50 bis 70 und erst schwere
Störungen mit 80 bis 100 zu bewerten.
Zur Überzeugung des Senats hat sich bislang zugunsten der Klägerin nicht erweisen lassen, dass bei ihr eine mehr als geringe
Störung gegeben ist. Zwar ist die Bewertung insoweit zu modifizieren, als bei der Parkinson-Krankheit im Allgemeinen andauernde
Störungen zu bewerten sind, währen bei den Dystonien, unter denen die Klägerin leidet, die Anfälle plötzlich, dann heftig,
aber zugleich auch nur sehr selten auftreten. Auch nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. B ist die Klägerin über
längere Zeiträume vollständig anfallsfrei. Der Senat zieht hier zugleich die Bewertung von epileptischen Anfällen nach B 3.1.2
VersMedV heran, wonach epileptische Anfälle, die sehr selten auftreten, ebenfalls mit einem GdB von 40 zu bewerten sind. Dem entspricht
im Falle der Klägerin eine Bewertung der Dystonien als geringe Störung (oberer Bereich) mit einem GdB ebenfalls von 40.
Dieser im Falle der Klägerin führende Einzel-GdB von 40 ist zum einen Zehnergrad auf den Wert von 50 zu erhöhen gemäß A 3.
VersMedV, weil das psychische Leiden der Klägerin, das für sich genommen mit einem Wert von 30 zu bewerten ist, das führende Leiden
der Klägerin verstärkt. Das Wirbelsäulenleiden, das für sich genommen den Einzel-GdB von 10 nicht übersteigt, führt hingegen
nicht zu einer weiteren Erhöhung des GdB, für den es bei dem Wert von 50 zu verbleiben hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß §
160 Absatz
2 SGG nicht vorliegen.