Gleichwohlgewährung - sozialrechtlicher Herstellungsanspruch - Gründungszuschuss - vorläufige Leistungsgewährung
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines Gründungszuschusses an den Kläger im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens.
Der Kläger wurde im Jahre 1967 geboren und übte seit März 2000 eine Beschäftigung bei der Firma C bzw. zuletzt bei M als Fachverkäufer
für Tonträger aus.
Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheiden vom 1. September 2011 und vom 9. November 2011 auf seinen Antrag vom 24. Juni
2011 Arbeitslosengeld ab dem 28. Juli 2011 mit einer Anspruchsdauer von 360 Tagen. Nach einer Unterbrechung wegen Ortsabwesenheit
vom 19. Januar 2012 bis zum 20. Februar 2012 gewährte die Beklagte Arbeitslosengeld zuletzt vom 21. Februar 2012 bis zum 29.
August 2012 (Bescheid vom 29. August 2012 – nach Abmeldung ab 19. Januar 2012 und erneuter Antragstellung am 21. Februar 2012).
Dieser Gewährung lag zugrunde, dass der Kläger von dem früheren Inhaber der Firma M gekündigt worden war. Hiergegen wehrte
sich der Kläger erfolgreich und im arbeitsgerichtlichen Verfahren wurde festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auf die Ehefrau
des Inhabers durch Betriebsübergang nach §
613a des
Bürgerlichen Gesetzbuches (
BGB) übergegangen sei.
Der Kläger klagte in einem weiteren arbeitsgerichtlichen Verfahren erfolgreich den ausstehenden Lohn für April bis Dezember
2011, soweit der Lohnanspruch nicht auf die Beklagte übergegangen war, ein (Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 15. Februar
2013).
Im Rahmen eines weiteren arbeitsgerichtlichen Verfahrens aufgrund der Kündigung des Arbeitsverhältnisses nunmehr durch die
Ehefrau seines früheren Arbeitgebers schloss der Kläger einen Vergleich, wonach das Ende des Arbeitsverhältnisses der 30.
April 2012 sei.
Am 11. September 2012 beantragte der Kläger die Gewährung eines Gründungszuschusses für die Aufnahme einer Tätigkeit als Einzelhändler
im Bereich von Tonträgern in B.
Der Kläger nahm die selbständige Tätigkeit als Einzelhändler für Musik am 1. Oktober 2012 auf und meldete das Gewerbe zu diesem
Tag am 27. September 2012 beim Bezirksamt B an.
Mit Bescheid vom 17. Dezember 2012 lehnte die Beklagte den Antrag ab und führte zur Begründung aus, dass zum Zeitpunkt des
Beginns der selbständigen Tätigkeit nicht mehr 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehen würden, da der Anspruch
bereits mit Ablauf des 29. August 2012 vollständig ausgeschöpft sei. Die Voraussetzungen von §
93 des
Dritten Buches -Sozialgesetzbuch (
SGB III) würden daher nicht vorliegen.
Am 10. September 2013 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides und führte zur Begründung aus, dass er mit der
Zurückweisung der Berufung durch Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 4. September 2013 den Verzugslohn
für die Zeit vom 1. April bis zum 31. Dezember 2011 erfolgreich eingeklagt habe.
Mit Bescheid vom 23. September 2013 wies die Beklagte den Antrag zurück und führte aus, dass aufgrund des fehlenden Zuflusses
von Lohn, soweit der Entgeltanspruch auf sie übergegangen sei, eine Gutschrift des Arbeitslosengeldanspruchs nicht erfolgen
könne.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 4. Oktober 2013 Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte zur Begründung aus, dass
der Kläger nicht vorgebracht habe, was für die Unrichtigkeit der Entscheidung sprechen könne. Es würden sich keine neuen Erkenntnisse
ergeben und daher sei die sachliche Prüfung des Bescheides abzulehnen. Die Rechtsbehelfsstelle müsse sich auch auf die Bindungswirkung
berufen.
Mit der am 11. November 2013 vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Zur
Begründung hat er ausgeführt, dass er nach Abschluss der arbeitsgerichtlichen Verfahren am 4. September 2013 in der Zeit bis
zum 27. September 2012 Arbeitsentgelt beanspruchen konnte und daher zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Gewährung
eines Gründungszuschusses gegeben seien.
Nachdem die Arbeitgeberin die auf die Beklagte übergegangenen Entgeltansprüche des Klägers nicht beglichen hatte, hat die
Beklagte beim Arbeitsgericht Klage auf entsprechende Zahlung erhoben. Mit Urteil vom 10. November 2014 hat das Arbeitsgericht
Berlin die Arbeitgeberin verurteilt, die geforderten Beträge von 2.557,64 Euro (für die Zeit vom 28. Juli 2011 bis 18. Januar
2012) und 2.795,64 Euro (für die Zeit vom 21. Februar 2012 bis 29. August 2012) an die Beklagte zu zahlen.
Ein Zahlungseingang erfolgte bisher nicht.
Mit Urteil vom 26. Januar 2018 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 23. September 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 31. Oktober 2013 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Dezember 2012 verurteilt, dem Kläger
ab dem 1. Oktober 2012 einen Gründungszuschuss zu gewähren. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass bei dem Kläger zwar zum
Beginn seiner Selbständigkeit am 1. Oktober 2012, bzw. beim Ausscheiden aus dem Leistungsbezug, keine ausreichenden Resttage
mehr vorhanden gewesen seien. Die Beklagte sei aber verpflichtet gewesen nach §
328 Abs.
1 Nr.
3 SGB III vorläufig Leistungen zu gewähren. Zum Zeitpunkt der Antragstellung sei rechtskräftig durch Urteil des Landesarbeitsgerichts
festgestellt gewesen, dass das Arbeitsverhältnis fortbestanden habe. Der Kläger habe die Verzugslohnklage am 26. Januar 2012
unter Berücksichtigung des Anspruchsübergangs nach §
157 Abs.
3 SGB III erhoben. Es hätten keine Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers bestanden. Hieraus habe sich mit hoher Wahrscheinlichkeit
ein Arbeitslosengeld-Restanspruch mit ausreichenden Resttagen ergeben, der die Gewährung eines Gründungszuschusses ermöglicht
hätte. Es könne nicht zu Lasten des Klägers gehen, dass die Beklagte die Beitreibung der offenen Forderung nur sehr zögerlich
betrieben habe.
Gegen das ihr am 16. Februar 2018 zugestellte Urteil legt die Beklagte am 7. März 2018 Berufung ein. Zur Begründung führt
sie aus, dass die Voraussetzungen für die Gewährung eines Gründungszuschusses nicht vorliegen würden, da kein Anspruch auf
Arbeitslosengeld von mindestens 150 Tagen im Zeitpunkt der Antragstellung bestanden habe. Auch das im Rahmen der Gleichwohlgewährung
gewährte Arbeitslosengeld führe zu einer Minderung der Anspruchsdauer. Zwar sei eine solche Minderung unbillig, wenn sie einen
Ersatz für ihre Aufwendungen erhalte. Indes bleibe eine Minderung bestehen, wenn die Beklagte den auf sie übergegangenen Anspruch
nicht betreibe (vgl. BSG, Urteile vom 24. Juli 1986 – 7 RAr 4/85, vom 11. Juni 1987 – RAr 18/86, vom 14. Juni 1988 – 11/7 RAr 57/87 und vom 29. November 1988 – 11/7 RAr 79/87). Hieraus ergebe sich nämlich keine Pflicht von ihr gegenüber dem Kläger, die auf sie übergegangenen Ansprüche geltend zu
machen.
Es liege insoweit auch kein schuldhaftes Unterlassen von ihr, der Beklagten, vor und eine Gutschrift könne nicht im Wege des
sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verlangt werden.
Weiterhin stehe die Gewährung eines Gründungzuschusses in ihrem Ermessen und eine Verurteilung scheitere bereits daran, dass
eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vorliege. Darüber hinaus sei der Zweck eines Gründungszuschusses die finanzielle
Absicherung der ersten Zeit der Selbständigkeit. Dieser Zweck habe nach dem Verstreichen der ersten sechs Monate im Zeitpunkt
des Überprüfungsantrages nicht mehr gesichert werden können.
Darüber hinaus komme auch eine vorläufige Leistungspflicht nicht in Betracht, da die Voraussetzungen für die begehrte Geldleistung
gerade nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorgelegen hätten. Die Gewährung sei endgültig und rechtmäßig gewesen. Erst
bei einem möglichen Ersatz hätte eine Änderung in Betracht kommen können.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Januar 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger führt zur Begründung aus, dass eine vorläufige Leistungspflicht gegeben sei, insbesondere die Wahrscheinlichkeit
des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen. Hierbei sei entscheidend, ob die Beklagte mit der Durchsetzung ihrer Ansprüche
erfolgreich gewesen wäre. Eine solche Wahrscheinlichkeit liege vor, insbesondere da er seine Ansprüche gegen seine Arbeitgeberin
habe durchsetzen können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst
Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den des Verwaltungsvorganges der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist begründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens sind das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Januar 2018 und der Überprüfungsbescheid
vom 23. September 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2013. Der Kläger macht zutreffend mit der
kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß §
54 Abs.
4 SGG einen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 17. Dezember 2012 und Gewährung eines Gründungszuschusses ab dem 1. Oktober
2012 geltend.
Unzutreffend hat das Sozialgericht in seinem Urteil die Beklagte unter Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 23. September
2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2013 verurteilt, den Bescheid vom 17. Dezember 2012 aufzuheben
und dem Kläger einen Gründungszuschuss ab dem 1. Oktober 2012 zu gewähren. Ein solcher Anspruch steht dem Kläger nicht zu
und der ablehnende Überprüfungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und beschwert den Kläger
nicht in seinen Rechten nach §
54 Abs.
2 SGG.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches - Sozialgesetzbuch (SGB X) ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem
Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht
worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung eines solchen Anspruchs ist der Zeitpunkt
des Erlasses des zu überprüfenden Bescheides – hier Bescheid vom 17. Dezember 2012 (zur Maßgeblichkeit der Sach- und Rechtslage
zu diesem Zeitpunkt vgl. nur Schütze, in: Schütze, 9. Auflage 2020, § 44, Rn.10).
Der Kläger hatte zu diesem Zeitpunkt weder einen Anspruch auf Gewährung eines Gründungszuschusses nach §
93 SGB III noch auf Gewährung von vorläufigen Leistungen nach §
328 Abs.
1 SGB III.
Nach §
93 Abs.
1 SGB III können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit
beenden, zur Sicherung des Lebensunterhaltes und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss
erhalten. Ein Gründungszuschuss „kann“ nach §
93 Abs.
2 Satz 1
SGB III geleistet werden, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer
1. bis zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, dessen Dauer bei Aufnahme der selbständigen
Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt und nicht allein auf § 147 Abs. 3 beruht,
2. der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und
3. ihre oder seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt.
Diese Voraussetzungen lagen im maßgeblichen Zeitpunkt nicht vor, da der Kläger bei Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit
zum 1. Oktober 2012 keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld von noch mindestens 150 Tage gegen die Beklagte hatte. Der Kläger
bezog bis zur Ausschöpfung seines Anspruchs am 29. August 2012 von der Beklagten Arbeitslosengeld.
Ein Entfallen der Minderung des Arbeitslosengeldanspruchs nach §
148 Abs.
1 Nr.
1 SGB III aufgrund des Übergangs von Ansprüchen auf die Beklagte im Rahmen der Gleichwohlgewährung nach §
157 SGB III liegt unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht vor. Im konkreten Einzelfall erfolgte durch die Beklagte
eine Gleichwohlgewährung unter Beachtung der Verfügung in den zugrunde liegenden Bewilligungsbescheiden. Auch wenn die Beklagte
den Anschein einer vorläufigen Entscheidung gesetzt haben könnte, erfolgte die Gleichwohlgewährung rechtmäßig und endgültig
(vgl. BSG, Urteil vom 25. Oktober 1989 – 7 RAr 108/88 –, Rn. 23, juris und Valgolio, in: Hauck/Noftz,
SGB III, Stand: Januar 2021, §
157 Rn. 83 ,108).
Zwar entfällt eine Minderung nachträglich, wenn die Beklagte für das gewährte Arbeitslosengeld Ersatz erlangt (BSG, Urteil vom 24. Juli 1986 – 7 RAr 4/85 und vom 9. August 1990 – 7 RAr 104/88). Diese Rechtsfolge ist im Anschluss an die Rechtsprechung ab dem 1. August 2016 ausdrücklich in Absatz
3 der Regelung in §
148 SGB III vorgesehen. Indes ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 24. Juli 1986 – 7 RAr 4/85 –, Rn. 22 juris (Problem noch offengelassen), vom 11. Juni 1987 – 7 RAr 16/86 –, Rn. 24 juris, vom 14. Juni 1988 – 11/7 RAr 57/87 –, Rn. 16 juris und vom 29. November 1988 – 11/7 RAr 79/87 –, Rn. 17 juris und so auch Valgolio, Hauck/Noftz,
SGB III, Stand: Juli 2020, §
148 Rn. 40) die durch Erfüllung eingetretene Minderung nicht rückgängig zu machen, wenn die Beklagte keinen Ersatz erhält, selbst
wenn sie die übergegangenen Ansprüche nicht betreibt, obwohl es ihr möglich ist. Für den Kläger verbleibt es in diesen Fällen
dabei, Schadensersatzansprüche gegen seinen Arbeitgeber wegen des Leistungsausfalls geltend zu machen (vgl. Valgolio, Hauck/Noftz,
SGB III, Stand: Juli 2020, §
148 Rn. 40).
Der Senat folgt der Kritik an dieser Rechtsprechung nicht (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 3. September 2009 – L 12 AL 46/07 –, Rn. 24 juris, LSG Hessen, Urteil vom 2. September 2011 – L 9 AL 107/09 –, Rn. 37 juris und dagegen: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25. November 2010 – L 2 AL 79/08 –, Rn. 27 juris). Hiernach soll eine Förderungs- und Betreuungspflicht der Beklagten gegenüber dem Arbeitslosen bestehen.
Bei einer Verletzung dieser Pflicht soll der Arbeitslose im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen
sein, als sei der Erstattungsanspruch erfüllt worden. Sonst würde dem Arbeitslosen zugemutet werden, eine Pflichtverletzung
der Beklagten auszugleichen.
Nach der Überzeugung des Senats besteht in Übereinstimmung mit der oben erwähnten Rechtsprechung des BSG (vgl. auch Valgolio, Hauck/Noftz,
SGB III, Stand: Januar 2021, §
148 Rn. 41 und §
157 Rn. 110 ff.) gerade keine Pflicht der Beklagten, die übergegangenen Vergütungsansprüche einzutreiben. Durch die Gleichwohlgewährung
erfolgt eine optimale Gestaltung der Leistungsansprüche des Arbeitslosen. Die Rückabwicklung des Leistungsfalls im Falle einer
erfolgten Gutschrift stellt eine hieran orientierte interessengerechte Lösung dar. Die Beklagte trifft gerade keine weitere
Pflicht aus dem bestehenden Sozialversicherungsverhältnis gegenüber dem Kläger zur zeitnahen Geltendmachung von Forderungen
gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber. Der Anspruchsübergang erfolgt im Interesse der Beklagten und nicht zur Wahrung der Interessen
des Arbeitslosen.
Wenn der Gesetzgeber die Beklagte über die Leistungserbringung aufgrund der Versicherungspflicht hinaus verpflichten wollte,
hätte er eine entsprechende Regelung schaffen müssen. Bei der Geltendmachung der Ansprüche handelt es sich um eine vielschichtige
Materie, wobei die Interessen des Klägers und der Beklagten nicht identisch sein müssen. Das Interesse der Beklagten kann
auch sein, durch die fehlenden Beitreibungsmaßnahmen eine Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers mit der Vernichtung von Arbeitsplätzen
zu verhindern. Darüber hinaus stehen der Kläger und die Beklagte bei der Beitreibung der Arbeitsentgelte in einem Konkurrenzverhältnis
zueinander, da der Kläger ein Interesse daran hat, dass die Beklagte ihm nicht zuvorkommt. Weiterhin hat der Kläger es in
der Hand, seinen Anspruch vollständig gegenüber dem Arbeitgeber geltend zu machen, bevor er seinen Anspruch aus der Arbeitslosenversicherung
in Anspruch nimmt.
Über die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kann ebenfalls keine Verlängerung der eigentlich zustehenden
Bezugsdauer erreicht werden. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheitert schon daran, dass keine Pflichtverletzung
der Beklagten erkennbar ist. Die Beklagte war hier - wie oben dargestellt - nicht zur Geltendmachung der auf sie übergegangenen
Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25. November 2010 – L 2 AL 79/08 –, Rn. 30 juris).
Dem Kläger stand im maßgeblichen Zeitpunkt auch kein Anspruch auf eine vorläufige Gewährung nach §
328 Abs.
1 Nr.
3 SGB III zu. Hiernach kann über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden, wenn zur Feststellung der Voraussetzungen
des Anspruchs einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist,
die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer
die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat. Diese Voraussetzungen
liegen nicht vor, da die Voraussetzungen für einen Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht vorliegen. Von einer
hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen ist regelmäßig dann auszugehen, wenn nach dem
derzeitigen Stand der Sachverhaltskenntnis nach objektiver Betrachtung ein deutliches Übergewicht für das Bestehen des Anspruchs
spricht (vgl. Schubert, in: jurisPK-
SGB III, Stand: 21. Januar 2019, §
328 Rn. 72).
Im Zeitpunkt der Behördenentscheidung am 17. Dezember 2012 war der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld erschöpft. Voraussetzung
für einen denkbaren Anspruch wäre daher die Zahlung der Arbeitgeberin an die Beklagte aufgrund der übergegangenen Lohnansprüche.
Für eine solche Zahlung sprach zum damaligen Zeitpunkt kein deutliches Übergewicht. Die ehemalige Arbeitgeberin wehrte sich
im arbeitsgerichtlichen Verfahren gegenüber dem Kläger bis in die Berufungsinstanz gegen die geltend gemachten Ansprüche.
Allein daraus, dass nach der Einschätzung des Sozialgerichts zum damaligen Zeitpunkt keine Zweifel an der Zahlungsfähigkeit
der ehemaligen Arbeitgeberin bestanden, folgt noch kein deutliches Übergewicht für eine Prognose im Hinblick auf die tatsächliche
Zahlung an die Beklagte.
Unter Beachtung der oben dargestellten fehlenden Pflicht der Beklagten, entsprechende Forderungen zeitnah beizutreiben, können
aus dem Verhalten der Beklagten im weiteren Verfahren und der vorgetragenen zögerlichen Vollstreckung der Forderung keine
Schlussfolgerung für die Bewertung der Wahrscheinlichkeit im maßgeblichen Zeitpunkt getroffen werden. Eine solche Einschätzung
würde im Ergebnis gerade doch eine Pflicht der Beklagten begründen, die Forderungen zeitnah zu betreiben, da eine vorläufige
Leistungspflicht sonst angenommen werden könnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des §
160 SGG nicht vorliegen.