Vergütung von Krankenhausleistungen nach dem DRG-System; Ausschluss einer Fallzusammenführung wegen einer möglichen Entlassung
statt der tatsächlichen Verlegung und Rückverlegung des Versicherten
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt weitere Kosten einer Krankenhausbehandlung. Im Streit ist insbesondere, ob zwei stationäre Krankenhausbehandlungen
im Wege der Fallzusammenführung mit nur einer Fallpauschale abzurechnen sind.
Die Klägerin ist Trägerin eines nach §
108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) zugelassenes Krankenhauses. Am 4. Januar 2009 wurde die 1934 geborene Versicherte der Beklagten notfallmäßig in der Klinik
für Chirurgie dieses Krankenhauses wegen einer pathologischen Fraktur des Oberschenkelknochens aufgenommen und noch am selben
Tag operativ versorgt. Die histologische Untersuchung des intraoperativen Gewebes bestätigte eine Knochenmetastase eines mäßig
differenzierten Karzinoms. Am 13. Januar 2009 erfolgte eine Verlegung der Versicherten in die Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe
desselben Krankenhauses. Dort wurde ein Mammakarzinom der linken Brustdrüse diagnostiziert. Bekannt war bereits ein Zustand
nach operativer Entfernung der kontralateralen Brustdrüse bei Mammakarzinom rechts. Zur weiteren postoperativen Mobilisierung
wurde die Klägerin am 3. Februar 2009 in das St. krankenhaus B, Klinik für Innere Medizin (Geriatrie) verlegt. Die Rückverlegung
erfolgte am 17. Februar 2009. Am 18. Februar 2009 erfolgte die diagnostische Teilentfernung und am 24. Februar 2009 die komplikationslose
Entfernung der linken Brustdrüse sowie der Lymphknoten. Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos. Die Entlassung
erfolgte am 7. März 2009.
Die Klägerin rechnete für den Aufenthalt die DRG I08E (andere Eingriffe am Hüftgelenk und Femur mit Mehrfacheingriff, komplexer
Prozedur oder Diagnose oder äußerst schweren CC oder mit Osteotomie oder Muskel/Gelenkplastik) mit einer Verweildauer von
48 Behandlungstagen einen Gesamtbetrag in Höhe von 11.489,43 € ab. Dieser Betrag wurde zunächst vollständig von der Beklagten
bezahlt. Nach Einschaltung des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) teilte dieser
am 25. Januar 2010 mit, dass für die Zeit vom 22. Januar 2009 bis zum 3. Februar 2009 eine vollstationäre Behandlung medizinisch
nicht begründet gewesen sei. Es sei nicht plausibel, warum die Diagnostik des Karzinoms so lange gedauert habe. Am 12. März
2010 verrechnete die Beklagte einen Differenzbetrag in Höhe von 2.563,38 € mit einer weiteren unstreitigen Forderung der Klägerin.
Die Klägerin erhob am 5. Mai 2011 Klage. Sie führte aus, dass die Überschreitung der oberen Grenzverweildauer auf die parallele
Behandlung von zwei Krankheitsbildern und der Zusammenführung beider Fälle nach Wiederaufnahme nach § 2 der Vereinbarung zum
Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2009 (FPV 2009) zurückzuführen sei. Die Diagnostik habe auch nicht zügiger
erfolgen können.
Das Sozialgericht hat über die vollstationäre Behandlungsdürftigkeit der Versicherten Beweis erhoben durch Einholung eines
medizinischen Sachverständigengutachtens. Zum Sachverständigen hat das Gericht den Arzt und Vorsitzenden der D AG, M E, ernannt.
Dieser hat in seinem Gutachten vom 5. März 2013 und in seinem Folgegutachten vom 25. Juni 2013 im Wesentlichen ausgeführt,
dass eine Behandlungsbedürftigkeit der Versicherten lediglich in der Zeit vom 4. Januar 2009 bis zum 22. Januar 2009 sowie
vom 17. Februar 2009 bis zum 7. März 2009 bestanden habe. Der Behandlungsfall solle wegen der "potentiell mögliche(n) Entlassung"
am 22. Januar 2009 über zwei DRG vergütet werden. Die stationäre Behandlung der Versicherten vom 4. Januar 2009 bis zum 22.
Januar 2009 müsse durch die DRG I08E und vom 17. Februar 2009 bis zum 7. März 2009 durch die DRG J23Z abgerechnet werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten und auf das Folgegutachten verwiesen.
Die Klägerin stornierte daraufhin ihre Rechnung vom 10.März 2009 und stellte der Beklagten mit Rechnungen vom 16. April 2013
für die Behandlung der Versicherten vom 4. Januar 2009 bis zum 22. Januar 2009 unter Zugrundelegung der DRG I08E 5.218,66
€ und für die Behandlung der Versicherten vom 17. Februar 2009 bis zum 7. März 2009 unter Zugrundelegung der DRG J23Z 5.030,36
€, also insgesamt 10.249,02 €, in Rechnung.
Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 26. September 2013 antragsgemäß verurteilt, den insoweit noch offenen Betrag
in Höhe von 1.322,97 € (10.249,02 € - 8.926,05 € [Betrag nach Aufrechnung]) nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit dem 16. April 2013 zu zahlen. Im Übrigen hat die Klägerin ihre Klage zurückgenommen. Zur Begründung
hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin für die Behandlung der Versicherten der Beklagten einen
Anspruch auf Abrechnung des Behandlungsfalls mit den Fallpauschalen zweier DRG habe. Das Gericht stütze sich insoweit auf
das Gerichtsgutachten. Die Behandlungen seien auch nicht nach dem Fallpauschalensystem zusammenzuführen, weil im chirurgischen
Konzil die Entlassung, nicht aber die Verlegung für möglich gehalten worden sei. Zwar lasse sich nicht eindeutig klären, wieso
die Versicherte nicht am 22. Januar 2009 entlassen, sondern erst am 3. Februar 2009 in die Geriatrie verlegt worden sei. Es
befinde sich aber in den ärztlichen Anordnungen der Eintrag, dass ein Gespräch mit der Patientin zwecks einer orthopädischen
Reha und eine Rücksprache mit der interdisziplinären Tumorkonferenz erfolgen sollen. Die Versicherte hätte daher in die ambulante
Reha oder Kurzzeitpflege entlassen werden können.
Gegen das ihr am 18. Oktober 2013 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 12. November 2013. Sie trägt
vor, dass die Tatbestandsvoraussetzungen einer Fallzusammenführung nach § 3 Abs. 3 FPV 2009 erfüllt seien. Im vorliegenden
Fall sei eine Fallzusammenführung ursprünglich erfolgt und dies auch zu Recht, so dass die Verweildauer um die nicht medizinisch
notwendigen Tage der "Krankenhausbehandlung" zu kürzen seien. Es sei nicht verständlich, bei der Frage der Fallzusammenführung
und damit der Anwendung der entsprechenden FPV einen hypothetischen Verlauf der Behandlung zugrunde zu legen, wenn tatsächlich
sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der Fallzusammenführung erfüllt seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 26. September 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, dass das Sozialgericht zutreffend zu dem Ergebnis gekommen sei, dass der erste Aufenthalt der Versicherten
vom 4. Januar 2009 bis zum 22. Januar 2009 mit der DRG I08E und der Aufenthalt der Versicherten vom 17. Februar 2009 bis zum
7. März 2009 mit der DRG J23Z abzurechnen gewesen seien. Das Sozialgericht sei zu Recht "von einem entsprechend der gesetzlichen
Regelungen korrigierten Lebenssachverhalt" ausgegangen. Abzustellen sei insoweit auf eine "potentiell mögliche Entlassung
der Versicherten am 22. Januar 2009." Die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen seien nachvollziehbar und zutreffend.
Eine tatsächlich medizinisch nicht erforderliche Krankenhausbehandlung, die nicht vergütet werde, dürfe bei der Fallzusammenführung
nicht berücksichtigt werden. Die Voraussetzungen einer Fallzusammenführung nach § 3 Abs. 3 FPV 2009 lägen deshalb nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen
haben und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, weitere 1.322,97 € nebst Zinsen
an die Klägerin zu zahlen.
Die zutreffend als allgemeine Leistungsklage (§
54 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) erhobene Klage ist nicht begründet. Dem von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsanspruch steht die Aufrechnung
der Beklagten mit einem späteren unstreitigen Vergütungsanspruch entgegen. Der Beklagten stand in Höhe der Klageforderung
ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu, denn in dieser Höhe hat sie die stationäre Behandlung der Versicherten
ohne Rechtsgrund vergütet. Die Klägerin hatte insoweit keinen weiteren Entgeltanspruch.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist §
109 Abs.
4 Satz 3
SGB V, § 17b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und § 7 Abs. 1 S. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in Verbindung mit der hier maßgeblichen FPV 2009. Eine Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht unabhängig
von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch die Versicherten. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 KHEntgG
werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber dem Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nummern
1 - 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Vorliegend geht es um die Abrechnung von Fallpauschalen nach dem auf
Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 9 KHEntgG), der FPV 2009. Im Streit ist
hier allein die Frage der Fallzusammenführung nach § 3 Abs. 3 FPV 2009.
Dessen Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin durfte deshalb nur einen Behandlungsfall mit einer Gesamtvergütung von
8.926,05 € abrechnen, die die Beklagte auch gezahlt hat. Die Verweildauer der Versicherten bei der Klägerin war um die nicht
medizinisch notwendigen Tage der Krankenhausbehandlung zu kürzen.
Wird ein Patient oder eine Patientin aus einem Krankenhaus in ein anderes Krankenhaus verlegt und von diesen innerhalb von
30 Kalendertagen ab dem Entlassungsdatum eines ersten Krankenhausaufenthalts in dieses Krankenhaus zurückverlegt (Rückverlegung),
hat das wiederaufnehmende Krankenhaus nach § 3 Abs. 3 FPV 2009 die Falldaten des ersten Krankenhausaufenthalts und aller weiteren,
innerhalb dieser Frist in dieses Krankenhaus aufgenommenen Fälle zusammenzufassen und eine Neueinstufung nach den Vorgaben
des § 2 Abs. 4 Satz 1 - 6 in eine Fallpauschale durchzuführen sowie Abs. 2 Satz 1 anzuwenden. Ein solcher Sachverhalt liegt
hier vor. Die Versicherte der Beklagten wurde am 3. Februar 2009 aus dem Klinikum der Klägerin in ein anderes Krankenhaus,
einer Fachklinik für Geriatrie, verlegt und am 17. Februar 2009, also innerhalb von 30 Kalendertagen ab dem Entlassungsdatum
des ersten Krankenhausaufenthalts, in das Klinikum der Klägerin, also das selbe Krankenhaus, zurückverlegt.
Dabei ist die Verweildauer der Versicherten der Beklagten in dem Klinikum der Klägerin um die Tage zu kürzen, in denen keine
medizinische Behandlungsbedürftigkeit bestand. Das Krankenhaus hat bei der Vergütung von Krankenhausbehandlungen durch Fallpauschalen
einen Vergütungsanspruch gegen eine Krankenkasse nur für eine "erforderliche" Krankenhausbehandlung. Die Vergütung stellt
die Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht zugelassener Krankenhäuser dar, die Krankenhausbehandlung (§
39 SGB V) der Versicherten im Rahmen des jeweiligen Versorgungsvertrages (§
109 SGB V) zu leisten. Die Leistung des Krankenhauses dient der Erfüllung des Sachleistungsanspruchs des Versicherten (§
2 Abs.
2 Satz 1
SGB V) gegen die Krankenkasse. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht dabei unabhängig von einer Kostenzusage -
unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus
durchgeführt wird und im Sinne von §
39 Abs.
1 S. 2
SGB V erforderlich ist (Urteil des BSG vom 28. November 2013 - B 3 KR 33/12 R -, zitiert nach juris). Im vorliegenden Fall ist zwischen den Beteiligten nicht mehr im Streit, dass die Versicherte der
Beklagten im Zeitraum vom 22. Januar 2009 bis zum 3. Februar 2009 nicht krankenhausbehandlungsbedürftig war.
Soweit die Klägerin nunmehr der Vergütung der Krankenhausbehandlung der Versicherten der Beklagten dem erstinstanzlichen Sachverständigengutachten
folgend eine "potentiell mögliche Entlassung" der Versicherten am 22. Januar 2009, nach ihrem Sprachgebrauch einen "den gesetzlichen
Regelungen korrigierten Lebenssachverhalt", zugrunde legen will, kommt dies nicht in Betracht.
Bei verständiger und sinngemäßer Auslegung des Vorbringens der Klägerin kann es ihr nicht um die Beurteilung eines erdachten
Sachverhaltes durch das Gericht gehen. Aufgabe des Richters ist es, geschehene, nicht erdachte Sachverhalte rechtlich zu beurteilen
(Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage 1991, S. 304). Im Kern begehrt die Klägerin vielmehr eine einschränkende
Auslegung des § 3 Abs. 3 S. 1 FPV 2009, weil aus ihrer, nunmehr geläuterten Sicht, die Versicherte am 22. Januar 2009 hätte
entlassen werden müssen.
§ 3 Abs. 3 S. 1 FPV 2009 ist einer Auslegung nicht zugänglich. Vergütungsregelungen sind grundsätzlich streng nach ihrem Wortlaut
auszulegen, um Fehlinterpretationen und Missverständnisse zu vermeiden. Nur so sind sie für die routinemäßige Anwendung im
Massengeschäft der Abrechnung der zahlreichen Behandlungsfälle handhabbar. Das auf DRG basierte Vergütungssystem ist vom Gesetzgeber
als jährlich weiter zu entwickelndes (§ 17b Abs. 2 S. 1 KHG) und damit als "lernendes" System angelegt. Bei zutage tretenden Unrichtigkeiten, Unbilligkeiten oder Fehlsteuerungen sind
daher in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese Mängel mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (Urteil des BSG vom 28. November 2013 - B 3 KR 33/12 R -, zitiert nach juris). Die Regelung des § 3 FPV 2009 ist, wie die Regelung des § 2 Abs. 2 S. 1 FPV 2009, so angelegt, dass
über die Fallzusammenführung anhand von DRG-Nummern und konkreten Fristen entschieden wird. Nur so können die Entscheidungen
im Massengeschäft der Abrechnung durch die EDV getroffen werden. Beurteilungsspielräume der Betroffenen und somit Streit zwischen
Krankenkassen und Krankenhäusern sollen auf diese Weise vermieden werden. Dieses Ziel würde konterkariert, wenn jeweils im
Einzelfall geprüft werden müsste, ob es sich bei einer innerhalb der 30-Tage-Frist liegenden Rückverlegung tatsächlich um
eine Rückverlegung im eigentlichen Sinne handelt (BSG; aaO.), weil geprüft werden müsste, ob tatsächlich die medizinische Notwendigkeit einer Verlegung der Versicherten in ein
anderes Krankenhaus bestand oder ob die Versicherte hätte entlassen werden können. Tatsächlich ist die Versicherte der Beklagten
am 22. Januar 2009 in ein anderes Krankenhaus verlegt worden.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG)zugelassen.