Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer verrechneten Aufwandspauschale
in Höhe von 300,00 Euro hat.
Die Klägerin betreibt ein nach §
108 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch (
SGB V) zugelassenes Krankenhaus. Im Zeitraum vom 13. März 2015 bis zum 9. April 2015 wurde die bei der Beklagten krankenversicherte
G. („Versicherte“) im Hause der Klägerin stationär behandelt.
Im Anschluss beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) mit der Überprüfung der in diesem Fall
abgerechneten Beatmungsstunden. Der MDK bestätigte die Abrechnung der Klägerin; es ergab sich keine Minderung des Abrechnungsbetrages.
Daraufhin stellte die Klägerin der Beklagten am 30. Juli 2015 eine Aufwandspauschale von 300,00 Euro in Rechnung. Die Beklagte
zahlte den Betrag zunächst vorbehaltlos, verrechnete ihn jedoch am 6. Oktober 2017 mit einem unstreitigen Vergütungsanspruch
aus einem anderen Behandlungsfall.
Die Klägerin hat am 17. Mai 2019 Klage beim Sozialgericht Hamburg erhoben. Sie ist der Auffassung, dass die Verrechnung unzulässig
gewesen sei. Dies ergebe sich aus dem Aufrechnungsverbot aus § 11 Abs. 5 des Hamburger Vertrages über die allgemeinen Bedingungen
der Krankenhausbehandlung („Hamburger Krankenhausvertrag“). Ferner habe die Beklagte die einschlägige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) gekannt, wonach Krankenhäuser nach einer sachlich-rechnerischen Überprüfung der Abrechnung keine Aufwandspauschale verlangen
könnten. Damit habe die Beklagte in Kenntnis einer Nichtschuld gezahlt.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hält das Aufrechnungsverbot des Hamburger Krankenhausvertrags vorliegend
für nicht anwendbar. Ein Rückforderungsausschluss liege nicht vor, da das Urteil des BSG zur sachlich-rechnerischen Überprüfung von Krankenhausrechnungen erst im Jahr 2018 bestätigt worden sei. Die Klägerin habe
nicht bewiesen, dass die zuständige Sachbearbeiterin bewusst eine Zahlung ohne Rechtsgrund angewiesen habe.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 23. November 2020 stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an die
Klägerin 300,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent seit dem 6. Oktober 2017 zu zahlen. Die Berufung hat es zugelassen.
Die Klägerin habe einen Anspruch gegen die Beklagte auf die Zahlung von 300,00 Euro. Nach der neueren Rechtsprechung des BSG habe die Klägerin im Anschluss an die sachlich-rechnerische Überprüfung der Abrechnung zwar keinen Anspruch auf die Zahlung
der Aufwandspauschale. Die Beklagte habe mit der Verrechnung der insoweit ohne Rechtsgrund gezahlten Aufwandspauschale aber
gegen das Aufrechnungsverbot nach § 11 Abs. 5 Hamburger Krankenhausvertrag verstoßen. Dem Rückforderungsanspruch der Klägerin
stehe auch die „Dolo-agit“-Einrede nicht entgegen. Im Einzelnen hat das Sozialgericht dazu ausgeführt:
Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen nicht näher bezeichneten, aber zwischen den Beteiligten unstreitigen Vergütungsanspruch
aus anderen Behandlungsfällen nach §
109 Abs.
4 S. 3
SGB V in Verbindung mit den einschlägigen Vergütungsregelungen und dem Hamburger Krankenhausvertrag. Dieser Vergütungsanspruch
sei durch Zahlung der Beklagten gem. §§ 53, 61 S. 2 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch (SGB X) in Verbindung mit §
362 Abs.
1 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) bis auf einen Betrag von 300,00 Euro erfüllt worden und damit erloschen. Bei dem offenen Betrag handele es sich wirtschaftlich
betrachtet um die von der Beklagten gezahlte Aufwandspauschale gem. §
275 Abs.
1c SGB V, die sie im Wege der Aufrechnung gem. §
387 ff.
BGB von der Klägerin zurückerlangen wolle. Nach der neueren Rechtsprechung des BSG hätten Krankenhäuser nach dem 1. Januar 2015 nicht mehr darauf vertrauen dürfen, dass sie Aufwandspauschalen behalten könnten,
die von den Krankenkassen im Anschluss an sachlich-rechnerische Überprüfungen von Krankenhausabrechnungen gezahlt worden sein.
Bei der vorliegend von der Beklagten beauftragten Überprüfung von Beatmungsstunden handele es sich um eine solche sachlich-rechnerische
Überprüfung der Behandlung der Versicherten. Vor diesem Hintergrund spreche viel dafür, dass der Beklagten jedenfalls im Zeitpunkt
der Aufrechnung ein Erstattungsanspruch hinsichtlich der gezahlten Aufwandspauschale gegen die Klägerin zugestanden habe.
Die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung von 300,00 Euro sei jedoch unwirksam, weil sie gegen das Aufrechnungsverbot
nach § 11 Abs. 5 Hamburger Krankenhausvertrag verstoße. Das Aufrechnungsverbot des Hamburger Krankenhausvertrages sei wirksam.
Es stehe zumindest bei der hier durchgeführten sachlich-rechnerischen Rechnungsprüfung nicht in Konflikt mit höherrangigem
Recht, insbesondere der zum 1. Januar 2015 eingeführten Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV 2015). Die Vertragsparteien des
Hamburger Krankenhausvertrags seien gesetzlich ermächtigt, ein Aufrechnungsverbot zu vereinbaren. §
112 Abs.
2 SGB V lasse Regelungen zur Abrechnung ausdrücklich zu und es sei nicht ersichtlich, warum Regelungen zur Aufrechnung – auch wenn
es Regelungen seien, die Aufrechnungen nicht zuließen – nicht dazu gehören sollten. Der Anwendungsbereich der PrüfvV 2015
und der dortigen Abrechnungsregelungen sei nicht eröffnet. Der sachliche Anwendungsbereich der PrüfvV 2015 sei vielmehr nur
für Wirtschaftlichkeitsprüfung eröffnet. Aus § 17c Abs. 2 S. 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) ergebe sich, dass die PrüfvV 2015 das Ziel habe, die Prüfungen nach §
275 Abs.
1c SGB V in der damals gültigen Fassung (a.F.) näher zu regeln. Dem Urteil des BSG vom 1. Juli 2014 (B 1 KR 29/13 R) folgend, beziehe sich die in §
275 Abs.
1c SGB V a.F. geregelte Prüfung lediglich auf Wirtschaftlichkeitsprüfungen, nicht jedoch auf sachlich-rechnerische Prüfungen, wie
sie hier vorgenommen worden seien. Sei §
275 Abs.
1c SGB V a.F. nicht auf sachlich-rechnerische Prüfungen anzuwenden, dann könne auch die PrüfvV 2015 als nähere Ausgestaltung von §
275 Abs.
1c SGB V a.F. nicht einschlägig sein. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei das Aufrechnungsverbot im vorliegenden Fall anwendbar.
Aus wirtschaftlicher Sicht mache die Klägerin zwar die Gewährung der Aufwandspauschale geltend, die im engeren Sinne kein
Vergütungsanspruch sei. Im Hinblick auf das Aufrechnungsverbot komme es darauf aber nicht an. Bei der Beurteilung der einschlägigen
Rechtsnorm sei vielmehr auf die Rechtsnatur der Hauptforderung abzustellen, nicht auf die der Gegenforderung. Die Klägerin
erhebe Anspruch auf vollständige Zahlung der unstreitigen Vergütungsansprüche, mit denen die Beklagte aufgerechnet habe. Diese
unterfielen unstreitig dem Hamburger Krankenhausvertrag. Die zwischen den Beteiligten unstreitige Vergütungsforderung sei
mithin durch das Aufrechnungsverbot gem. § 11 Abs. 5 S. 1 Hamburger Krankenhausvertrag geschützt. Die Aufrechnung sei auch
nicht ausnahmsweise zulässig, weil der von der Beklagten geltend gemachte Erstattungsanspruch hinsichtlich der Aufwandspauschale
unbestritten oder rechtskräftig festgestellt gewesen wäre. Abzustellen sei dabei auf den Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung.
Es handele sich auch nicht um einen Fall von § 11 Abs. 5 S. 1 2.Alt. i.V.m. § 6 Abs. 5 Hamburger Krankenhausvertrag (Zahlung
aufgrund unzutreffender Angaben des Krankenhauses, Nichtmitgliedschaft des Patienten bei der Krankenkasse oder fehlender Sachleistungsanspruch).
Schließlich habe der MDK auch nicht die Voraussetzungen für eine Rückforderung festgestellt. Der Wortlaut des Hamburger Krankenhausvertrages,
der die Aufrechnung mit anderen Abrechnungsfällen verbiete, lasse nicht den Schluss zu, dass die Aufrechnung mit anderen Forderungen,
bei denen es sich nicht um Abrechnungsfälle, sondern wie vorliegend, um einen Erstattungsanspruch handele, zulässig wäre.
Das Aufrechnungsverbot in § 11 Abs. 5 Satz 1 des Hamburger Krankenhausvertrages sei Ausdruck des kompensatorischen Beschleunigungsgebots.
Dieses Gebot, zügig zu verfahren, beruhe auf dem Regelungskomplex der gesetzlichen Zahlungspflichten, die mit der Vorleistungspflicht
der Krankenhäuser korrespondierten. Aus den gesetzlichen Vorgaben der Vorleistungspflicht der Krankenhäuser erwachse ein gesetzlicher
Beschleunigungsauftrag hinsichtlich der Vergütung. Sinn und Zweck der die Vorleistungen zunächst kompensierenden Abschlagszahlungen
stehe einem Vorgehen der Krankenkassen entgegen, den Krankenhäusern - ohne Rechtfertigung durch ein konkretes Prüfergebnis
- Zahlungen zu verweigern. Wegen der Vorleistungspflicht der Krankenhäuser dürfe nur in Ausnahmefällen mit streitigen Abrechnungsfällen
aufgerechnet werden, nämlich bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 Abs. 5 Satz 2 Hamburger Krankenhausvertrag. Das gelte
erst Recht für anderweitige streitige Erstattungsansprüche.
Die Beklagte könne dem Zahlungsanspruch der Klägerin nicht entgegenhalten, dass es sich um eine unzulässige Rechtsausübung
handele, weil diese die gezahlte Aufwandspauschale sogleich zurückerstatten müsste ( „dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est“ , sog. Dolo-agit-Einwand). Die Dolo-agit-Einwendung könne nur eingreifen, wenn kein schutzwürdiges Interesse der Klägerin
bestehe, die Leistung zumindest für kurze Zeit zu erhalten.Die Krankenhäuser erfüllten durch die Behandlung der Versicherten
deren Ansprüche gegenüber den Krankenkassen und gingen so in Vorleistung. Die Abrechnung der Krankenhäuser mit den Krankenkassen
erfolge auf Grundlage des Sachleistungsprinzips, das für gesetzlich Versicherte gelte. Wie bereits oben dargelegt, hätten
die Krankenkassen als Ausgleich hierzu einen gesetzlichen Beschleunigungsauftrag hinsichtlich der Vergütung der Krankenhäuser.
Zahlungen dürften nicht einfach verweigert werden. Das Aufrechnungsverbot des Hamburger Krankenhausvertrages sei Ausdruck
dieses kompensatorischen Beschleunigungsgebots, so dass strittige oder nicht eindeutig festgestellte Forderungen von der Krankenkasse
nicht verrechnet werden dürften. Das kompensatorische Beschleunigungsgebot stelle ein schutzwürdiges Interesse dar. Würde
der Dolo-agit-Einwand eingreifen, so wäre das vertraglich vereinbarte Aufrechnungsverbot praktisch wirkungslos.
Die Beklagte hat gegen den ihr am 3. Dezember 2020 zugestellten Gerichtsbescheid am 4. Januar 2021 Berufung eingelegt. Zur
Begründung der Berufung bezieht sich der Bevollmächtigte der Beklagten auf einen richterlichen Hinweis des Berichterstatters
am BSG in einem vergleichbaren Fall, aus dem sich nach seiner Ansicht ableiten lasse, dass das hier streitige Aufrechnungsverbot
nach Ansicht des BSG unzulässig sei.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat ihre Klage in Bezug auf den Zinsanspruch für den Tag der Verrechnung am 6. Oktober 2017 zurückgenommen und
beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten
Bezug genommen.
Der Senat hat sich bereits in seiner Entscheidung vom 24. September 2020 (L 1 KR 52/20) zu dem hier streitigen Aufrechnungsverbot geäußert und dieses dort für rechtmäßig erachtet. Gegen diese Entscheidung ist
Revision eingelegt worden, die unter dem Az. B 1 KR 36/20 R beim BSG anhängig ist.
Die Ausführungen in dem von dem Bevollmächtigten der Beklagten in Bezug genommenen Schreiben des Berichterstatters am BSG in dem dortigen (durch Rücknahme der Revision beendeten) Verfahren B 1 KR 17/20 R geben keinen Anlass, von dieser Ansicht abzuweichen.