Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.
Bei dem 1929 geborenen und bei der Beklagten Versicherten bestand im April 2009 eine blasenbildende Autoimmundermatose, welche
als Schleimhautpemphigoid identifiziert wurde. Vom 16. April bis 12. Mai 2009 befand sich der Versicherte deshalb in der Dermatologie
im Klinikum B., wo eine Therapie zunächst mit einer Hochdosis-Steroidtherapie, anschließend bei Nichtansprechen mit D., dann
mit I., anschließend dann erneut mit D. eingeleitet wurde. Im Entlassungsbericht heißt es, hierunter sei eine rasche Besserung
des Hautbefundes eingetreten, unter Weiterführung der D.-Therapie solle regelmäßig eine Haut- und Blutbildkontrolle durch
den Hautarzt erfolgen. Bereits eine Woche nach der Entlassung aus dem Klinikum B. wurde der Versicherte jedoch bei erneuter
Blasenbildung unter der fortgeführten Therapie mit D. und U. in das Krankenhaus der Klägerin eingewiesen, wo er in der Zeit
vom 20. Mai 2009 bis zum 18. Juni 2009 vollstationär behandelt wurde.
Die von der Klägerin per Datenträgeraustausch übermittelte Rechnung in Höhe von 12.315,08 € beglich die Beklagte zunächst,
verrechnete jedoch 6.706,80 € am 28. November 2012 nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) mit
einer anderen Forderung, weil sie das Zusatzentgelt (ZE) für das Medikament R. im Off-Label-Use nicht übernehmen könne. Nach
Ausführungen des MDK sei R. weder zur unspezifischen Immunmodulation noch zur Behandlung eines Pemphigoids mit Autoantiköperbildung
zugelassen. Die Behandlung mit R. habe nach 3 Applikationen wegen Nebenwirkungen abgebrochen werden müssen. Ein Anspruch nach
den Off-Label-Use Grundsätzen bestehe nicht, weil dazu keine Phase III-Studien vorlägen und der Gemeinsame Bundesausschuss
(GBA) in der Arzneimittel-Richtlinie auch dazu keine indikationsbezogene Anwendung erlaubt habe. Eine grundrechtsorientierte
Auslegung scheitere hier bereits daran, dass sich der Versicherte in keiner notstandsähnlichen Situation befunden habe, weil
er an keiner regelmäßig tödlich verlaufenden oder wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankung gelitten habe.
Hierauf nahm die Klägerin dahingehend Stellung, dass es sich bei dem Schleimhautpemphigoid um eine sehr seltene Erkrankung
handele, über deren Behandlung keine kontrollierten prospektiven Therapiestudien zur Verfügung stünden. In der Literatur fänden
sich Publikationen auf dem Niveau von Fallserien, welche für leichte bis mittelschwere Erkrankungen eine Effektivität für
die Anwendung einer Kombinationstherapie aus Steroiden und D. beschrieben, wobei längerfristig zusätzlich Immunsuppressiva
(A. oder M.) zum Einsatz kämen. In schweren bzw. therapierefraktären Fällen sei die erfolgreiche Anwendung von C. beschrieben.
Darüber hinaus lägen erste Fallserien vor, in denen eine hohe Effektivität von R. in der Behandlung des Schleimhautpemhigoids
beschrieben werde (mittel- langfristige Abheilung der Läsionen in ca. 80 % der Fälle). Grund für die Anwendung des streitigen
Medikaments sei die Notwendigkeit einer zügigen Remission gewesen, welche durch konventionelle Immunsuppressiva nicht erreichbar
gewesen wäre. Von der Behandlung mit dem Medikament C. sei wegen der sichereren Nebenwirkungen gerade bei älteren Patienten
abgesehen worden. Nach Abbruch der Behandlung mit R. aufgrund einer immunallergischen Reaktion sei im weiteren Verlauf eine
Kombinationstherapie aus Steroiden und D. durch eine zusätzliche Gabe von M. ergänzt worden.
Das Sozialgericht hat auf die Klage hin ein Gutachten des Dermatologen Prof. Dr. B1 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass
es bei dem Versicherten im April 2009 unter einer systemischen Therapie mit D. und C1 zu einer akuten Verschlechterung des
Hautzustandes gekommen sei, weshalb eine stationäre Behandlung im Krankenhaus B. notwendig geworden sei. Dort sei das Glukokortikosteroid
Methylprednisolon (U.) systematisch in einer Dosierung von 100 mg täglich in Kombination mit einem hochpotenten Glukokortikoid
(D1) eingesetzt worden, ohne dass es zu einer substanziellen Verbesserung des Hautzustandes geführt hätte. Daher sei versucht
worden, D. durch das Immunsuppressivum A. (I.) zu ersetzen. Unter dieser Therapie habe sich der Hautzustand des Versicherten
weiter verschlechtert. Erst die erneute Umsetzung auf D. habe zu einer Verbesserung des Hautzustandes geführt, so dass der
Patient dann habe entlassen werden können. Bei der erneut erforderlichen Aufnahme in der Klinik der Klägerin hätten sich über
die gesamte Hautoberfläche verteilte Läsionen im Sinne eines Schleimhautpemphigoids gezeigt. Diese Erkrankung sei als Mitglied
des bullösen Pemphigoids zu klassifizieren, welches relativ selten sei (10 neue Fälle pro eine Million Menschen pro Jahr);
das Schleimhautpemphigoid sei 10-mal seltener. Sowohl der Schweregrad als auch der individuelle Verlauf über Jahre hinweg
sei außerordentlich variabel, wobei das Schleimhautpemphigoid tendenziell progredient verlaufe. Zwar führe die Erkrankung
nicht zum Tod, aber es komme häufig zu Komplikationen, speziell in Form von Infektionen und Sepsis. Es existiere eine Therapieleitlinie
der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlich-Medizinischer Fachgesellschaften zu Diagnostik und Therapie von Pemphigus vulgaris
und bullösem Pemphigoid, jedoch nicht für das Schleimhautpemphigoid. In der Leitlinie „hochdosierte intravenöse Immunglobuline
in der Dermatologie“ werde einmalig das benigne Schleimhautpemphigoid erwähnt, bei dem eine gute Evidenz für die Wirksamkeit
dieser Therapie vorliege. Bei den in einschlägigeren Übersichtsarbeiten empfohlenen Medikamenten handele es sich ausschließlich
um formal nicht für diese Indikation zugelassene Immunsuppressiva. R. sei ein monoklonaler Antikörper gegen das Molekül CD20.
Diese Struktur fände sich auf B-Lymphozyten, welche u.a. bei Leukämie und rheumatischer Arthritis eine wichtige Rolle spiele,
für die R. inzwischen zugelassen sei. Seit 2007 fänden sich in der Literatur zunehmend Berichte über den erfolgreichen Einsatz
von R. beim Schleimhautpemphigoid. Es lägen keine Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III vor, weil
eine Erweiterung der Zulassung auf das Schleimhautpemphigoid wegen der geringen Fallzahl nicht beantragt sei. Außerhalb eines
Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse seien veröffentlicht und ließen über die Qualität und Wirksamkeit von R. bei Schleimhautpemphigoid
insofern zuverlässige und nachprüfbare Aussagen zu, als es sich um eine wachsende Zahl von Fallberichten handele, aufgrund
derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten
Nutzen bei vertretbaren Risiken bestehe. Es handele sich bei der bei dem Versicherten bestehenden blasenbildenden Autoimmundermatose
um eine sehr seltene, einer systematischen Erforschung von darauf bezogenen Therapiemöglichkeiten nicht zugängliche, d.h.
nicht systematisch erforschbare und systematisch behandelbare Krankheit. Die bei Behandlungsbeginn am 29. Mai 2009 verfügbaren
wissenschaftlichen Erkenntnisse rechtfertigten im Allgemeinen und im Hinblick auf den Versicherten die Annahme, dass der voraussichtliche
Nutzen der Maßnahme die möglichen Risiken überwiegen würden.
Mit Urteil vom 14. Januar 2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, R. sei für die Behandlung
der bei dem Versicherten vorliegenden Erkrankung nicht zugelassen. Die Voraussetzungen für einen OFF-Label-Use hätten bei
dem Versicherten nicht vorgelegen.
Eine Leistungspflicht der Beklagten im Rahmen des Off-Label-Use komme grundsätzlich nur in Betracht bei einer schwerwiegenden
(lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung, für die im Behandlungszeitpunkt
keine andere anerkannte Therapie verfügbar sei, wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem
Arzneimittel ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könne. Eine Kostenübernahme für das strittige ZE
82.14 komme im vorliegenden Fall bereits deshalb nach den o.a. Grundsätzen nicht in Betracht, weil nach dem Sachverständigengutachten
Behandlungsalternativen in Form verschiedener Immunsuppressiva verfügbar gewesen seien. Der Gutachter habe nicht dargelegt,
dass diese Behandlungsmöglichkeiten, insbesondere in der Kombination mit Steroiden und D. ausgeschöpft gewesen seien. Zwar
habe er darauf hingewiesen, dass der Patient, der zunächst bis zum 12. Mai 2009 in der Dermatologie B. habe behandelt werden
müssen, bereits 8 Tage später erneut gezwungen gewesen sei sich in der Klinik der Klägerin behandeln zu lassen, weil sich
bei ihm über die gesamte Hautoberfläche verteilte Läsionen gezeigt hätten. Dass sich daraus aber eine therapierefraktäre Situation
ergeben habe, habe der Sachverständige zur Überzeugung des Gerichts nicht substantiiert dargelegt.
Dem Rechtssatz des Sozialgerichts Dresden (Urteil vom 24.10.2012, S 18 KR 377/11: Juris), wonach in Fällen, in denen der Einsatz von Arzneimitteln ohnehin nur außerhalb deren arzneimittelrechtlicher Zulassung
in Betracht kommt, die Auswahl der Behandlung in der Verantwortung des Arztes liege, ohne dass insoweit eine Rangfolge rechtlich
vorgegeben werde, sei nicht zu folgen. Denn es sei unerheblich, dass die eine Behandlungsalternative darstellenden Medikamente
für die Erkrankung des Klägers formal nicht zugelassen seien. Des Weiteren sei im Gerichtsgutachten nicht schlüssig dargelegt,
dass außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden seien, die über Qualität und Wirksamkeit
des Arzneimittels für die betreffende neue Indikation zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen und aufgrund
derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen bestehe. Die Berichte auf dem Niveau von
ersten Fallserien, in denen eine hohe Effektivität von R. in der Behandlung des Schleimhautpemphigoid beschrieben werde, genügten
diesen Anforderungen nicht.
Ein Leistungsanspruch der Klägerin lasse sich auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen
oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung begründen. Eine für die Bejahung des Leistungsanspruchs unter diesem Gesichtspunkt
erforderliche notstandsähnliche Situation liege nur dann vor, wenn ohne die streitige Behandlung sich ein tödlicher Krankheitsverlauf
innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen werde oder ein nicht kompensierbarer
Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion akut drohe. Gerechtfertigt sei eine verfassungskonforme
Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen
Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliege, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf
typisch ist. Das bedeute, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen müsse, dass sich der voraussichtlich
tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen
werde. Ähnliches gelte für den gegebenenfalls gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen
Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion. Eine solche notstandsähnliche Situation sei im vorliegenden Fall des
Versicherten nicht gegeben gewesen. Allein die Gefahr einer Komplikation in Form einer Sepsis oder einer Infektion stelle
keine akut lebensbedrohliche Erkrankung dar. Auch ein Seltenheitsfall liege nicht vor, denn der Gutachter habe nicht substantiiert
dargelegt, inwieweit eine systematische Erforschbarkeit der Erkrankung ausgeschlossen sei. Gegen das Vorliegen eines Seltenheitsfalls
im Sinne der Rechtsprechung des BSG spreche, dass es sich bei dem Schleimhautpemphigoid um ein Mitglied des bullösen Pemphigoids handelt, dessen Ähnlichkeit
eine wissenschaftliche Erforschung der Erkrankung des Versicherten als möglich erscheinen lasse.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat gegen das der Klägerin am 2. Februar 2016 zugestellte Urteil am 11. Februar 2016
Berufung eingelegt, mit welcher er vorträgt, das Sozialgericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, indem es,
ohne dem Antrag, Prof. Dr. B1 nochmals zu seinem Gutachten zu befragen, zu folgen, von dessen Gutachten abgewichen sei und
eigene Auffassungen an die Stelle medizinischen Sachverstandes gesetzt habe. Der Gutachter habe alle Fragen zutreffend und
sachverständig beantwortet; bei Fragen oder Zweifeln hätte ihm Gelegenheit gegeben werden müssen, sein Gutachten weiter zu
erläutern. So aber sei das Gericht zu einer fehlerhaften Beweiswürdigung gekommen.
Der Senat hat zwei ergänzende Stellungnahme des Dr. B1 eingeholt, welcher darin ausgeführt hat, das Schleimhautpemphigoid
sei pathogenetisch als blasenbildende Autoimmunkrankheit einzuordnen und sei als Mitglied des bullösen Pemphigoids klassifiziert.
Schon das klassische bullöse Pemphigoid als „häufigste“, besser gesagt als am wenigsten seltene blasenbildende Autoimmunkrankheit
sei mit ca. 10 neuen Fällen im Jahr pro 1 Mio. Menschen relativ selten, das Schleimhautpemphigoid sei noch 10mal seltener,
mit einer Neuerkrankung pro 1 Mio Menschen pro Jahr. Grob geschätzt fänden sich unter 1 Mio. Menschen ca. 100 Patienten, bei
einer häufigen Hautkrankheit wie der Schuppenflechte seien es dagegen 20.000 Patienten. Der Schweregrad blasenbildender Autoimmunkrankheiten
sei außerordentlich variabel. Speziell für das Schleimhautpemphigoid gelte, dass es tendenziell progredient verlaufe, also
mit der Zeit immer schwerere Symptome verursache und immer größere Areale der Haut befalle. Das Schleimhautpemphigoid als
solches führe nicht zum Tod, allerdings komme es häufig zu Komplikationen speziell in Form von Infektionen und Sepsis, zum
einen aufgrund der starken Reduzierung der Barrierefunktion der Haut durch Blasenbildung und anschließende Erosionen, zum
anderen aufgrund der erforderlichen Therapien. In dem zu beurteilenden Einzelfall belegten die Fotos einen besonders schweren
Schub des Schleimhautpemphigoids mit Befall großer Teile der Hautoberfläche. Es existierten in Deutschland keine Therapieleitlinien
für das Schleimhautpemphigoid. In der Leitlinie "hochdosierte intravenöse Immunglobuline in der Dermatologie" werde einmalig
das benigne Schleimhautpemphigoid erwähnt, bei dem eine gute Evidenz für die Wirksamkeit dieser Therapie vorliege. In einer
aktuellen Übersichtsarbeit seien lediglich zwei kleine kontrollierte Therapiestudien dokumentiert. Die in einschlägigen Übersichtsarbeiten
empfohlenen Medikamente seien ausschließlich Immunsuppressiva. Keines dieser Medikamente sei für diese Indikation formal zugelassen,
ihr Einsatz sei jedoch allgemein anerkannt. Medikamente würden nur ausnahmsweise für seltene Erkrankungen zugelassen, daher
würden die meisten Therapien "Off Label" durchgeführt. R. sei ein monoklonaler Antikörper gegen das Molekül CD20 und spiele
u.a. bei Leukämie und rheumatoider Arthritis eine wichtige Rolle. Für diese Erkrankungen sei das Medikament inzwischen zugelassen,
es würden aber auch Therapieversuche bei anderen Antikörper-vermittelten Erkrankungen durchgeführt, so auch bei blasenbildenden
Autoimmunkrankheiten. Seit 2007 fänden sich in der wissenschaftlichen Literatur zunehmend Berichte über den erfolgreichen
Einsatz von R. beim Schleimhautpemphigoid. Die Therapie dieser Erkrankung erfolge grundsätzlich durch den Off Label Einsatz
immunsuppressiver Medikamente, da es kein einziges Medikament gebe, das speziell für diese Indikation zugelassen sei. Allgemein
anerkannt sei, dass zunächst klassische Immunsuppressiva wie Glukokortikosteroide oder Aziathioprin eingesetzt würden, bei
Kontraindikationen, Unverträglichkeiten oder Nichtansprechen würden dann Biologics wie R. erwogen. Bei dem Schleimhautpemphigoid
mit Autoantikörpern gegen Laminin 5 drohe der nicht umkehrbare und nicht kompensierbare Verlust von Körperfunktionen. Dies
gelte insbesondere für das Sehen. Die Augen seien in 65 % der Fälle betroffen. Durch narbige Abheilung der sich in den akuten
Schüben der Krankheit ausbildenden Läsionen im Bereich der Bindehaut der Augen resultiere Blindheit. Insbesondere die Augenbeteiligung
des Schleimhautpemphigoids spreche generell schlecht auf Therapien an, zudem sei eine konjunktivale Fibrose irreversibel,
so dass im Gegensatz zu anderen bullösen Autoimmunkrankheiten bei verzögerter oder ineffektiver Therapie permanenter Schaden
resultiere. Darüber hinaus handele es sich insofern um eine einer lebensgefährlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden
Erkrankung wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung, als die durch die Blasenbildung resultierenden Substanzdefekte Eintrittspforten
für bakterielle Infektionen darstellten. Diese verliefen unter der obligat immunsuppressiven Therapie extrem schnell und schwer
und führten nicht selten aufgrund der resultierenden Sepsis zum Tod. Behandlungsalternativen zu R. seien bei einem schweren
Fall wie dem vorliegenden ein hochdosiertes systemisches Glukokortikosteroid in Kombination mit C. oder Mycophenolal Motefil
oder D.. Bei allen Optionen handele es sich formal um einen Off-label-Einsatz und bei allen Optionen sei die Evidenzlage schlecht.
Im vorliegenden Fall konnten die Therapieoptionen im Zeitpunkt der Entscheidung für R. bis auf das Mycophenolal Motefil als
ausgeschöpft angesehen werden, da sich in der Zeit vom 16. April bis 20. Mai 2009 ein insgesamt dramatisch progredienter Verlauf
gezeigt habe, obwohl die genannten Therapeutika gemäß den Empfehlungen bereits hoch dosiert eingesetzt worden seien. Der Zustand
des Patienten zum Zeitpunkt der Entscheidung für R. sei als therapierefraktär anzusehen. Da R. spezifisch CD20+ Zellen angreife,
also B-Leukozyten zerstöre, greife dieses Medikament direkt in den zentralen Pathomechanismus aller blasenbildenden Autoimmunkrankheiten
ein, da es diese Zellen seien, welche für die Blasenbildung verantwortliche Antikörper bildeten und freisetzten. Diese Erkenntnis
sei zwar im Jahr 2009 noch relativ neu, jedoch bereits gesichert gewesen. Einschlägige Übersichtsartikel in weltweit führenden
Fachzeitschriften hätten bereits damals vorgeschlagen, R. bei therapierefraktären Formen blasenbildender Autoimmunkrankheiten
einzusetzen. Für die Indikation Schleimhautpemphigoid gebe es bis heute kaum kontrollierte Studien und keine Therapieleitlinie,
die Therapieentscheidung werde jeweils vom behandelnden Arzt getroffen, der sich dabei auf seine Erfahrung stütze und einschlägige
Fachliteratur zu Rate ziehe. Die Erkrankung sei aufgrund ihrer Einzigartigkeit nicht erforscht in dem Sinne, dass zwar Ursachen,
nicht jedoch Therapiewirkungen und Therapiemöglichkeiten der Erkrankung wegen ihrer Seltenheit systematisch erforscht und
behandelt werden könnten. Eine Ähnlichkeit zum Pemphigus vulgaris/ foliaceus bzw. zum bullösen Pemphigoid sei durchaus gegeben,
der entscheidende Unterschied liege allerdings darin, dass das Schleimhautpemphigoid bleibende Schäden, wie z.B. Erblindung
hinterlasse und dass deshalb die verzögerte Initiierung einer effektiven Therapie irreparable Konsequenzen habe, wohingegen
bei den anderen Formen der Patient "nur" länger leiden müsse bis man die Krankheit schließlich im Griff habe. Beim Schleimhautpemphigoid
herrsche bei „high risk“ Patienten und schweren Fällen unmittelbarer und dringender Handlungsbedarf, stationäre Aufnahme und
Maximalversorgung in einer Universitätsklinik eingeschlossen. Der hier zu prüfende Fall sei eindeutig als schwer und perakut
verlaufend einzustufen. Auch gebe es in der gesamten wissenschaftlichen Weltliteratur bislang nur zwei kleine Therapiestudien;
es erscheine nicht wahrscheinlich, dass in absehbarer Zeit eine evidenzbasierte Therapieleitlinie zum Schleimhautpemphigoid
erstellt werden könne. Er halte an seiner Einschätzung fest. Die Therapieoptionen topische Glukokortikoide, systemische Glukokortikoide,
A. und D. seien zum Zeitpunkt der Therapieentscheidung für R. ausgeschöpft gewesen. Für eine solche Konstellation werde, wenn
man sich denn an die Leitlinie zum bullösen Pemphigoid anschließen wolle, R. empfohlen. Im Übrigen handele sie es sich bei
allen Therapieoptionen für das Schleimhautpemphigoid um Off Label Use. Die Frage, ob man das Schleimhautpemphigoid als Variante
des bullösen Pemphigoids ansähe, ändere nichts an der prinzipiell unterschiedlichen Prognose. Das Schleimhautpemphigoid hinterlasse
im Gegensatz zum bullösen Pemphigoid bleibende Schäden, wie z.B. Erblindung, weshalb die verzögerte Initiierung einer effektiven
Therapie irreparable Konsequenzen habe.
Der Senat hat sodann mit Urteil vom 3. Mai 2018 auf die Berufung des Klägers die Beklagte zur Zahlung von 6706,80 Euro nebst
Zinsen verurteilt. Der Kläger habe den Versicherten zulasten der Beklagten mit R. behandeln dürfen. Der Versicherte habe bei
grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts hierauf Anspruch gehabt. Der Befall großer Teile der Hautoberfläche
mit Blasen, das hohe Lebensalter und insbesondere die parallel durchgeführte immunsuppressive Therapie hätten eine erhöhte
Anfälligkeit des Versicherten für schnell und schwer verlaufende bakterielle Infektionen mit nachfolgender Sepsis begründet
("Blutvergiftung"; schwerste Komplikation einer Infektion durch entgleiste körpereigene Abwehrreaktion gegen eigene Gewebe
und Organe). Der Zustand des Versicherten hätte unter Fortführung der bisherigen Behandlung jederzeit in einen sich rasant
entwickelnden und deshalb mit einiger Wahrscheinlichkeit unumkehrbaren und im Ergebnis tödlichen Prozess umschlagen können.
Eine anerkannte Standardtherapie habe nicht mehr zur Verfügung gestanden. Es habe eine auf Indizien gestützte, nicht ganz
fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die
R.-Behandlung bestanden.
Auf die Revision der Beklagten hat das BSG mit Urteil vom 19. März 2020 (B 1 KR 22/18 R) das Urteil des Senats aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Senat zurückverwiesen.
Dazu hat es ausgeführt: Ob der Versicherte einen Anspruch auf Versorgung mit R. aufgrund einer grundrechtsorientierten Auslegung
des Leistungsrechts gehabt habe, könne das Gericht nicht abschließend entscheiden. Sofern der Senat mit Blick auf eine erhöhte
Infektanfälligkeit und eine daraus resultierende Sepsisgefahr das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung bejaht habe,
beruhe dies im Ergebnis auf der Zugrundelegung eines unzutreffenden rechtlichen Maßstabes. Für eine abschließende Entscheidung
reichten die getroffenen Feststellungen insofern nicht aus. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember
2005 folge aus den Grundrechten nach Art.
2 Abs.
1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und nach Art.
2 Abs.
2 GG ein Anspruch auf Krankenversorgung in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, wenn für sie
eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehe und die vom Versicherten
gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens
auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspreche. Das BSG habe diese verfassungsrechtlichen Vorgaben in der Folge näher konkretisiert und dabei in die grundrechtsorientierte Auslegung
auch Erkrankungen einbezogen, die mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung wertungsmäßig vergleichbar
seien, wie etwa der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion. Dem
sei der Gesetzgeber mit der Kodifizierung des Anspruchs in §
2 Abs.
1a SGB V gefolgt. Danach könnten Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest
wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
nicht zur Verfügung stehe, auch eine vom Qualitätsgebot (§
2 Abs.
1 Satz 3
SGB V) abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive
Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Der Senat habe die Anforderungen an die Annahme einer notstandsähnlichen Situation
abgesenkt und den von der Rechtsprechung des BSG vorgegebenen Maßstab für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung verlassen. Diese setze voraus, dass sich der voraussichtlich
tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit nach den konkreten
Umständen des Falles verwirklichen werde. Die Ausführungen des Senats würden die Annahme einer notstandsähnlichen Situation
in dem vorbeschriebenen Sinn nicht tragen. Ihnen könne aber auch nicht entnommen werden, dass keine notstandsähnliche Situation
vorgelegen habe. Denn die getroffenen Feststellungen seien unklar und widersprüchlich. Das BSG sei in einem solchen Fall auch ohne Rüge eines Beteiligten an die getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht gebunden.
Es müsse dementsprechend eine Sache, die sich nicht aus anderen Gründen als richtig erweise, in die Tatsacheninstanz zurückverweisen.
Der Senat sehe zwar einerseits die Anfälligkeit des Versicherten für eine Todesgefahr begründende, schnell und schwer verlaufende
bakterielle Infektion mit nachfolgender Sepsis als "lebensbedrohlich im Sinne der Rechtsprechung des BSG" an. Andererseits bewerte es die Erkrankung im Zeitpunkt der Behandlung als "nicht unmittelbar lebensbedrohlich in dem Sinne,
dass die Gefahr des Todes bereits unmittelbar bevorstand". Soweit es die Sepsisgefahr als "wertungsmäßig mit einer solchen
Erkrankung vergleichbar" einstufe, verkenne es, dass sich die wertungsmäßige Vergleichbarkeit nach der Rechtsprechung des
BSG allein auf die Schwere und das Ausmaß der aus der Erkrankung folgenden Beeinträchtigung beziehe, indem der Gefahr des Todes
der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gleichgestellt werde.
Die wertungsmäßige Gleichstellung ermögliche dagegen keine Reduzierung der Anforderungen an den die individuelle Notlage kennzeichnenden
erheblichen Zeitdruck für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf. Der Senat führe aus, dass der Zustand
des Versicherten unter Fortführung der bisherigen Behandlung "aufgrund der nicht mehr vorhandenen Barrierefunktion der Haut
mit erheblich gesteigerter Sepsisgefahr jederzeit umschlagen [konnte] in einen dann sich rasant entwickelnden und deshalb
mit einiger Wahrscheinlichkeit unumkehrbaren und im Ergebnis tödlichen Prozess." Diese Feststellungen reichten weder für die
Annahme einer die individuelle Notlage kennzeichnenden hohen Wahrscheinlichkeit eines sich innerhalb eines überschaubaren
Zeitraums verwirklichenden tödlichen Krankheitsverlaufs aus noch könne ihnen das Fehlen der notstandsähnlichen Situation hinreichend
entnommen werden. Für eine abschließende Entscheidung über das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung fehlten konkrete
Feststellungen des Senats dazu, in welchem Ausmaß mit bakteriellen Infektionen beim Versicherten zu rechnen gewesen sei, dass
und ggf. in welchem Umfang Infektionen – unter Umständen durch präventive Gabe von Antibiotika – medikamentös nicht beherrschbar
gewesen wären und wie hoch dann die Wahrscheinlichkeit einer tödlichen Sepsis bei dem Versicherten gewesen wäre. Die Ausführungen
des gerichtlichen Sachverständigen genügten für die Annahme einer durch eine nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen
Notlage in dem oben beschriebenen Sinne nicht. Sofern nach Ausschöpfung aller Beweismittel, etwa aufgrund fehlender wissenschaftlicher
Erkenntnisse, eine konkrete Aussage über die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Krankheitsverlaufs nicht möglich sei, wäre
vom Senat insoweit gegebenenfalls nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu entscheiden. Der Senat müsse bei der Prüfung
der Voraussetzungen des Anspruchs aufgrund grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts, sollte es Lebensbedrohlichkeit
oder die akute Gefahr der Erblindung bejahen, auch Feststellungen dazu treffen, dass unter Berücksichtigung des gebotenen
Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bei der vor der Behandlung erforderlichen sowohl abstrakten als auch speziell auf den Versicherten
bezogenen konkreten Analyse und Abwägung von Chancen und Risiken der voraussichtliche Nutzen überwiege und dass die Behandlung
auch im Übrigen den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt worden sei. Insbesondere müsse es sich damit auseinandersetzen,
ob beim Versicherten, sofern er denn ein Hochrisikopatient gewesen sei, vor der Gabe von R. auch die Anwendung anderer und/oder
höher dosierter Arzneimittel, z.B. C. in Kombination mit P., in Betracht gekommen wäre. Zudem sei bei medizinisch gleichwertigen
Therapien immer das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten, das auch im Bereich der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts
uneingeschränkt gelte.
In dem zurückverwiesenen Verfahren beantragt die Klägerin,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Januar 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 6.706,80
Euro nebst 5% Zinsen seit dem 29. November 2012 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt wie aus den Schriftsätzen deutlich wird,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat im weiteren Verfahren zu dem vom BSG aufgeworfenen Fragen eine weitere Stellungnahme von dem medizinischen Sachverständigen angefordert. Unter dem 21. Dezember
2020 hat der Sachverständige ausgeführt, dass der großflächige Verlust der Oberhaut, wie er im Rahmen blasenbildender Autoimmunerkrankungen
auftrete, hinsichtlich seiner unmittelbaren Konsequenzen in etwa einer Verbrennung vergleichbar sei. Das Letalitätsrisiko
werde hier mit dem sog. ABSI-Score abgeschätzt. Bei zweitgradigen Verbrennungen (Rötungen und Blasen), welche etwa die Hälfte
der Körperoberfläche betreffe, ergebe sich bei einem Mann im Alter von 80 Jahren ein Score von 9-10 Punkten und entsprechend
eine Letalität von ca. 50%, wobei die negativen Auswirkungen der erforderlichen immunsuppressiven Therapie noch gar nicht
berücksichtigt seien, sondern nur die reinen Auswirkungen des Hautverlustes mit assoziiertem Barriere-, Flüssigkeits- und
Eiweißverlustes. In einer solchen Situation müsse ein Arzt sehr kurzfristig entscheiden. Es habe im vorliegenden Fall ein
dringender, unmittelbarer Handlungsbedarf bestanden. Für die Erkrankung gebe es auch weiterhin weder eine Leitlinie noch irgendein
zugelassenes Medikament. Zum Behandlungszeitpunkt seien diverse nach der Fachliteratur als womöglich effektiv dargestellte
Therapien ausgeschöpft gewesen. Auf Basis der Literaturlage habe zu diesem Zeitpunkt die begründete Hoffnung bestanden, dass
R. effektiv sein könnte.
Die Beklagte ist der ergänzenden Stellungnahme entgegengetreten. Der Vergleich mit einer Verbrennung sei nicht statthaft.
Zudem sei der Versicherte nicht 80, sondern 79 Jahre alt gewesen und es sei nicht erkennbar, dass 50% der Haut betroffen gewesen
seien. Dass mit einer anderen Behandlung nach der nebenwirkungsbedingten Absetzung von R. ein Erfolg erzielt worden sei, zeige,
dass keine notstandsähnliche Situation vorgelegen habe. Es würden weder zu den Erfolgsaussichten noch zu anderen vom BSG aufgeworfenen Fragen Antworten geliefert.
Die Klägerin hat dem entgegengehalten, dass die Bewertung des Sachverständigen zum Umfang der betroffenen Haut auf der Grundlage
einer 2009 erstellten Fotodokumentation erfolgt sei. Auch hätten die behandelnden Ärzte einen Befall des gesamten Integuments
mit Aussparung des Gesichts beschrieben. Der Vergleich mit der Verbrennung diene der seitens des BSG geforderten Substantiierung der Bedrohungssituation.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der
ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 3. Mai 2018 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen.
Die zulässige Berufung hat nach der Zurückverweisung durch das BSG und weiterer Ermittlungen des Senats weiterhin in der Sache Erfolg.
Dem entsprechend geht der Senat weiter davon aus, dass im streitigen Fall eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer
in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorlag, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten
Behandlungsbedarf typisch ist und dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren
Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit nach den konkreten Umständen des Falles verwirklicht hätte.
Nach den neuen Ausführungen des medizinischen Sachverständigen ist es dabei nicht mehr erforderlich, maßgeblich auf die mittelbaren
Folgen der Erkrankung des Versicherten abzustellen, was vom BSG als Absenkung der Anforderungen an eine notstandsähnliche Situation angesehen wurde und maßgeblich die Zurückverweisung der
Sache begründet hat.
Denn der Sachverständige hat zur Substantiierung des Letalitätsrisikos mit der Anknüpfung an den für Verbrennungen entwickelten
sog. ABSI-Score eine Möglichkeit geschaffen, das Letalitätsrisiko auf der Grundlage eines anerkannten Maßstabs auf eine ganzheitliche
Art und Weise zu bewerten. Dabei ist für den Senat kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich, diesen Vergleich nicht zuzulassen.
Denn sowohl bei dem vorliegenden Schleimhautpemphigoid als auch bei einer Verbrennung ist es die großflächige Schädigung der
Haut, die das Risiko einer tödlichen Entwicklung der Erkrankung beschreibt. Wenn nun für den Bereich der Verbrennung hier
ein anerkanntes System der Risikobewertung geschaffenen worden ist, drängt es sich geradezu auf, dieses auf den vorliegenden
Fall zu übertragen, für den es aufgrund der Seltenheit der Erkrankung keine derartige Erkenntnisgrundlage gibt.
Der ABSI-Score bedient sich bei seiner Risikobewertung eines Punktesystems, welches ganz wesentlich an das Alter der Person
und die Größe der betroffenen Hautfläche anknüpft und dies durch verschieden Faktoren noch ergänzt. Es ergibt sich insgesamt
die folgende Systematik (vgl. www.egms.de/static/de/journals/vmed/2011-4/vmed000009.shtml_996221711.shtml, abgerufen am 5.
Juli 2021):
Entgegen der Ansicht des Beklagten ist dabei die Grundannahme des Sachverständigen, dass davon auszugehen sei, dass die Hälfte
der Haut des Versicherten durch die Blasenbildung betroffen sei und damit als quasi verbrannt im Sinne einer Verbrennung 2.
Grades zu bewerten sei, für den Senat gut nachvollziehbar. Aus der Behandlungs- und Fotodokumentation sowie auch aus den früheren
Äußerungen des Sachverständigen ergibt sich ein dramatisches Bild des Ausmaßes der Hautschäden. Dabei ist es für den Vergleich
mit der Situation der Verbrennung wesentlich, dass sich nach den Ausführungen des Sachverständigen eine Verbrennung 2. Grades
nicht nur in Blasenform, sondern auch in Rötungen äußert. Betrachtet man die in der Krankenakte befindliche Fotodokumentation
vom 28. Mai 2009 so wirkt bei Beachtung dieser Maßgabe die Beurteilung des Sachverständigen, es seien mindestens 50% der Haut
von einem Zustand vergleichbar einer Verbrennung 2. Grades betroffen, schlüssig.
Dies führt zu einer Bewertung mit 5 Punkten, wobei sich schon bei der Annahme von einer nur 1% höheren, 51%igen Hautbetroffenheit
6 Punkte ergeben würden.
Der Versicherte befand sich zum Zeitpunkt der Behandlung ca. 3 Monate vor seinem 80. Geburtstag. Dies führt zu einer Bewertung
mit 4 Punkten, wobei auch hier die Obergrenze des mit 4 Punkten bewerteten Bereichs erreicht wird.
Dem entsprechend ist der Gutachter von einer Gesamtzahl von 9-10 Punkten und von einem – von ihm als konservativ bezeichnetes
– Letalitätsrisiko von 50% ausgegangen. Ausdrücklich hat er dabei darauf hingewiesen, dass die negativen Auswirkungen der
erforderlichen immunsuppressiven Therapie dabei noch nicht berücksichtigt seien. In dem ABSI-Score Punktesystem soll für jede
schwerwiegende Nebenerkrankung ein zusätzlicher Punkt gegeben werden. Nach Auffassung des Senates spricht viel dafür, die
Auswirkungen der immunsuppressiven Therapie in diesem Sinn zumindest mit einem weiteren Punkt zu berücksichtigen, so dass
von zumindest 10 Punkten auszugehen und der Bereich eines 60-80%igen Letalitätsrisikos erreicht ist.
Damit ist zur Überzeugung des Senats von einer „große Wahrscheinlichkeit“ im Sinne der genannten Rechtsprechung des BSG auszugehen. In dieser Rechtsprechung findet sich keine Definition des Begriffs „große Wahrscheinlichkeit“. Es lässt sich
auch sonst dazu keine allgemein gültige Definition finden. Eine Annährung kann aber dergestalt erfolgen, dass eine „überwiegende
Wahrscheinlichkeit“, wie sie aus dem Bereich der Glaubhaftmachung bekannt ist, eine Wahrscheinlichkeit größer 50% ist und
dass eine „große Wahrscheinlichkeit“ größer sein muss als diese „überwiegende Wahrscheinlichkeit“. Dann gibt es umgangssprachlich
noch die „sehr große Wahrscheinlichkeit“ und schließlich – aus dem Vollbeweis bekannt – die „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“,
denen der Bereich ca. 80-99% zugerechnet werden kann. Für eine „große Wahrscheinlichkeit“ ergibt sich damit ein Bereich von
ca. 60-80%. Nach dem Vorstehenden entspricht das recht genau dem sich hier ergebenden Letalitätsrisiko.
Nach Auffassung des Senats lag auch der vom BSG geforderte gewisse Zeitdruck vor, wie er bei zur Lebenserhaltung bestehendem akuten Behandlungsbedarf typisch ist. In seinen
aktuellen Ausführungen macht der Sachverständige nochmals deutlich, dass vor dem Hintergrund des bestehenden Letalitätsrisikos
ein „dringender, unmittelbarer Handlungsbedarf“ bestanden hat. Schon in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. Juli 2017
hat er deutlich darauf hingewiesen, dass hier ein schwerer und perakut verlaufender Fall vorliegt, bei dem ein unmittelbarer
und dringender Handlungsbedarf inklusive Maximalversorgung in einer Universitätsklinik erforderlich war. Zur Überzeugung des
Senats ist damit eine Situation beschrieben, in denen den Ärzten das Risiko eines zeitnahen tödlichen Verlaufs vor Augen stand
und sie schnell handeln mussten, um dieses abzuwenden.
Schließlich geht auch die vom BSG geforderte Risiko-Nutzen-Bewertung zugunsten der vorgenommenen Behandlung mit R. aus. Auch diesbezüglich bestätigt der medizinische
Sachverständige nochmals, dass es zur Behandlung des Schleimhautpemphigoids weder damals noch heute zugelassene Medikamente
existieren. Das bedeutet, dass jede Behandlungsoption eine solche im Off-Label-Use gewesen wäre. Die wesentlichen in der Fachliteratur
als womöglich effektiv dargestellten Mittel waren bereits erfolglos eingesetzt worden. In seiner Stellungnahme vom 17. Oktober
2016 weist der Sachverständige ausdrücklich darauf hin, dass in dieser Situation der Einsatz von R. der allgemein anerkannten
Therapiestrategie bei diesem Krankheitsbild entsprach. Daher erübrigt sich nach Ansicht des Senates die Frage nach wirtschaftlicheren
Alternativen, da diese eben nicht dieser Therapiestrategie entsprochen hätten und daher nicht als gleich wirksam anzusehen
wären. Ebenso hat er beschrieben, dass ausreichend Erkenntnisse über die Qualität und Wirksamkeit von R. bei der Behandlung
des Schleimhautpemphigoids vorlagen und daher auf wissenschaftlicher Basis davon auszugehen war, dass der voraussichtliche
Nutzen der Behandlung die möglichen Risiken überwiegen würde. Diese Erkenntnisse hätten sich im weiteren zeitlichen Verlauf
sogar noch deutlich erhärtet. Für den Senat sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich noch sind solche vorgetragen, die Zweifel
an der Richtigkeit dieser Aussagen rechtfertigen könnten. Dies gilt auch für die Verabreichung des Medikaments nach den Regeln
der ärztlichen Kunst.