Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
Anforderungen an die Gewährung von Mehrbedarf für erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte im Anschluss an eine Maßnahme
der Deutschen Rentenversicherung zur Teilhabe am Arbeitsleben
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 4 SGB II über den 31. Mai 2020 hinaus.
Die 1957 geborene Klägerin erhält seit mehreren Jahren – mit einer mehrmonatigen Unterbrechung in den Jahren 2018/2019 – Leistungen
der Grundsicherung für Arbeitsuchende von dem Beklagten. Daneben bezieht sie eine rumänische Rente, die allerdings im Jahr
2020 nur einen Betrag von rund 160,- Euro monatlich erreichte.
Für die von ihr – alleine – bewohnte Wohnung fielen seit dem 1. Februar 2019 monatlich eine Kaltmiete von 232,07 Euro und
eine Betriebskostenvorauszahlung von 99,- Euro an. Wegen der Einzelheiten wird auf die Vermieterbescheinigung der Nassauischen
Heimstätte – Wohnstadt Stadtentwicklungs- und Wohnungsbaugesellschaft, A-Stadt, vom 10. Dezember 2019 Bezug genommen (elektronisch
übermittelte Leistungsakte des Beklagten – im Folgenden: LA – Bl. 537). Hinzu kamen Heizkostenvorauszahlungen in Höhe von
– ab März 2020 – 43,- Euro monatlich, welche die Klägerin direkt an das Versorgungsunternehmen, die Städtischen Werke AG,
A-Stadt, zu zahlen hatte (vgl. LA Bl. 550).
Seit dem Jahr 2013 war die Klägerin im Reinigungsdienst bei der Fa. Vitos Service GmbH, A-Stadt, beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis
besteht – bei einer zwischenzeitlich ausgesprochenen Kündigung zum 31. Dezember 2022 – fort; die Klägerin arbeitete jedoch
längere Zeit auf Grund gesundheitlicher Einschränkungen tatsächlich nicht mehr (seit 1. Februar 2021 hat sie die Tätigkeit
allerdings, soweit ersichtlich, wiederaufgenommen). Wegen der gesundheitlichen Einschränkungen ist bei der Klägerin seit dem
Jahr 2018 ein Grad der Behinderung von 80 und das sogenannte Merkzeichen G anerkannt. Mit Bescheid vom 15. April 2019 (LA
Bl. 423 ff.) bewilligte ihr die Deutsche Rentenversicherung Hessen eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form einer
Integrationsmaßnahme beim Berufsförderungswerk Frankfurt am Main – Regionalcenter A-Stadt –, die vom 11. Juni 2019 bis zum
10. Juni 2020 durchgeführt wurde. Ein Antrag der Klägerin vom 7. Mai 2020 (LA Bl. 593), die Dauer der Maßnahme zu verlängern,
blieb erfolglos.
Während der Teilnahme an der Maßnahme erhielt die Klägerin ergänzend zu dem vom Rentenversicherungsträger gezahlten Übergangsgeld
weiterhin Arbeitslosengeld II. Konkret bewilligte der Beklagte der Klägerin auf Fortzahlungsantrag vom 17. Dezember 2019 durch
Bescheid vom 2. Januar 2020 – vorläufig – Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Februar 2020 bis zum 31. Juli 2020, und
zwar in Höhe von 89,47 Euro monatlich für Februar bis Mai 2020, 516,97 Euro für Juni 2020 und 764,47 Euro für Juli 2020. Dabei
berücksichtigte er jeweils den Regelbedarf in Höhe von 432,- Euro monatlich, einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung
wegen einer bei der Klägerin bestehenden Zöliakie in Höhe von 86,40 Euro monatlich sowie (nur) bis 11. Juni 2020 den Mehrbedarf
für erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, nach § 21 Abs. 4 SGB II in Höhe von 151,20 Euro je vollem Monat. Zudem stellte er die Grundmiete und die Nebenkosten jeweils in ihrer tatsächlichen
Höhe von 232,07 Euro beziehungsweise 99,- Euro monatlich in die Berechnung ein. Dem stellte er Einkommen aus der rumänischen
Rente in Höhe von 165,- Euro sowie aus Übergangsgeld (ebenfalls nur) bis 11. Juni 2020 in Höhe von 826,20 Euro für einen vollen
Monat gegenüber, wobei er das Einkommen um Absetzungen in Höhe von 80,- Euro bereinigte. Wegen der Einzelheiten wird auf LA
Bl. 539 ff. Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 4. Februar 2020 änderte der Beklagte, nachdem die Klägerin die Abrechnung der Städtischen Werke eingereicht
hatte, die Leistungsbewilligung und gewährte ihr unter Berücksichtigung der Heizkostenabrechnung und des ab März zu zahlenden
Heizkostenabschlags von 43,- Euro – weiterhin vorläufig – Leistungen in Höhe von 102,29 Euro für Februar 2020, jeweils 132,47
Euro monatlich für März bis Mai 2020, 559,97 Euro für Juni 2020 und 807,47 Euro für Juli 2020. Auf LA Bl. 554 ff. wird wegen
der Einzelheiten verwiesen.
Gegen die Leistungsbewilligung für Juni und Juli 2020 legte die Klägerin am 12. Februar 2020 Widerspruch ein. Sie machte geltend,
dass die Leistungen endgültig festgesetzt werden könnten und ihr der Mehrbedarf für erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte
nach § 21 Abs. 4 SGB II auch für Juni und Juli 2020 zu gewähren sei. Auf LA Bl. 560 wird Bezug genommen.
Nachdem der Beklagte diesem Anliegen bis dahin nicht entsprochen hatte, beantragte sie unter dem 22. Mai 2020 beim Sozialgericht
Kassel – S 6 AS 62/20 ER – einstweiligen Rechtsschutz wegen des Mehrbedarfs für Juni und Juli 2020 sowie auf Dauer. In diesem Rahmen legte sie
eine E-Mail vom 13. Juni 2020 an ihre Arbeitgeberin vor, in der sie um einen Termin wegen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements
bat. Auf Hinweis des Sozialgerichts nahm sie den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurück.
Am 14. Juni 2020 bewilligte der Beklagte – wiederum vorläufig – Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit
vom 1. August 2020 bis 31. Januar 2021 in Höhe von monatlich 807,47 Euro. Einen Mehrbedarf für erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte
berücksichtigte er dabei nicht mehr. Auf LA Bl. 598 ff. wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2020 wies er den Widerspruch der Klägerin vom 12. Februar 2020 als unbegründet zurück.
Dazu führte er aus, es sei zutreffend eine vorläufige Entscheidung ergangen. Die rumänische Rente falle, abhängig von Wechselkursen
und offenbar turnusmäßigen Erhöhungen, unterschiedlich hoch aus. Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II könne über den 11. Juni 2020 hinaus nicht bewilligt werden. Dieser könne zwar auch nach dem Ende einer Maßnahme zur Teilhabe
am Arbeitsleben für eine Übergangszeit gewährt werden. Mit Rücksicht auf seine Zielsetzung, behinderungsbedingte Nachteile
auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen und besondere Kosten abzudecken, müsse man aber zumindest voraussetzen, dass der Leistungsberechtigte
auch nach Ende der eigentlichen Teilhabemaßnahme in gewissem Umfang Aktivitäten zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt entfalte
beziehungsweise eine Arbeitsaufnahme mehr oder weniger konkret in Aussicht stehe. Weder im Widerspruchsverfahren noch im Verfahren
auf einstweiligen Rechtsschutz habe die Klägerin mit einem Mindestmaß an Aufwand verbundene Bemühungen ihrerseits nachgewiesen.
Es liege allein ein „Einzeiler“ an die Personalabteilung ihres Arbeitgebers vor, der dies nicht rechtfertige. Da die Klägerin
trotz mehrfacher Aufforderung keine weiteren Integrationsbemühungen dargelegt habe, sei davon auszugehen, dass die Voraussetzungen
für die Anerkennung des Mehrbedarfs für eine Übergangszeit nach dem Maßnahmeende nicht erfüllt seien. Wegen der Einzelheiten
wird auf LA Bl. 620 ff. Bezug genommen.
Am 3. September 2020 hat die Klägerin daraufhin Klage zum Sozialgericht Kassel erhoben.
Im Verlauf des Klageverfahrens hat der Beklagte durch Bescheid vom 30. September 2020 die Leistungen für die Zeit vom 1. Februar
2020 bis 31. Juli 2020 endgültig festgesetzt und der Klägerin für Februar 2020 108,98 Euro, für März bis Mai 2020 monatlich
139,16 Euro, für Juni 2020 566,66 Euro und für Juli 2020 814,16 Euro bewilligt. Wegen der Einzelheiten wird auf LA Bl. 631
ff. Bezug genommen.
Zur Begründung ihrer auf die dauerhafte Berücksichtigung des Mehrbedarfs für erwerbsfähige Leistungsbezieher mit Behinderung
zielenden Klage hat die Klägerin insbesondere geltend gemacht, dass sie sich bei ihrer Arbeitgeberin, der Fa. B., um Wiedereingliederung
bemühe, und hierzu Korrespondenz ab 3. August 2020 vorgelegt. Sie hat zudem auf §
33 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (
SGB IX) in der bis 31. Dezember 2012 gültigen Fassung hingewiesen.
Das Sozialgericht hat die Klage, ausgehend von dem sinngemäß formulierten Klageantrag, den Bescheid des Beklagten vom 2. Januar
2020 in der Fassung des Bescheides vom 4. Februar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2020 abzuändern
und ihn zu verurteilen, der Klägerin über den 11. Juni 2020 hinaus dauerhaft Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II zu gewähren, durch Gerichtsbescheid vom 25. Februar 2021 abgewiesen.
Zur Begründung hat das Sozialgericht insbesondere ausgeführt, die Klage sei nur für die Zeit vom 12. Juni 2020 (= Tag nach
Ablauf der Bewilligung des Mehrbedarfs) bis zum 31. Juli 2020 (= Ende des Bewilligungszeitraumes) zulässig. Bei dem Anspruch
auf den Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II handele es sich nicht um einen abgrenzbaren Teil des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, der eigenständig
geltend gemacht werden könnte (BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 – B 4 AS 28/09 R – und BSG, Urteil vom 22. März 2010 – B 4 AS 59/09 R –; Sächs. LSG, Urteil vom 21. Februar 2011 – L 7 AS 145/08 –).
Für die Zeit vom 12. Juni 2020 bis 31. Juli 2020 sei die Klage nicht begründet. Die Vorläufigkeit der Bewilligung sei, nachdem
der Beklagte sie im Widerspruchsbescheid begründet habe, rechtmäßig erfolgt. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Mehrbedarf
nach § 21 Abs. 4 SGB II für die Zeit vom 12. Juni 2020 bis 31. Juli 2020. Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen
zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §
49 SGB IX mit Ausnahme der Leistungen nach §
49 Abs.
3 Nr.
2 und Nr.
5 SGB IX sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach §
12 SGB IX erbracht würden, werde ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs anerkannt (§ 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II). Satz 1 könne auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer
Einarbeitungszeit, angewendet werden (§ 21 Abs. 4 Satz 2 SGB II).
Die der Klägerin von der Deutschen Rentenversicherung bewilligte Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben habe am 11. Juni 2020
geendet. Die übergangsweise Gewährung stehe im Ermessen des Beklagten (Verweis auf Breitkreuz, in: BeckOK, SGB II, § 21 Rn. 13). Es bestehe dann kein Rechtsanspruch auf die Weitergewährung, sondern nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung
über das „Ob“ der Leistung. Sei eine Entscheidung zu Gunsten des Leistungsberechtigten gefallen, sei die Leistung für eine
angemessene Übergangszeit zu gewähren (Verweis auf Eicher/Luik, SGB II, § 21 Rn. 52). Bedeutsam sei bei der Entscheidung, ob Mehrbedarf noch für eine Übergangszeit zu gewähren sei, in welchem Maße durch
die Maßnahme bereits eine Integration in den Arbeitsmarkt gelungen sei. Dabei könnten die individuelle Leistungsfähigkeit
und die Höhe des erzielten Einkommens eine Rolle spielen (Verweis auf Düring, in: Gagel, SGB II, § 21 Rn. 33). Wie bei der Teilnahme an der Maßnahme sollten durch noch nicht vollständig hergestelltes Leistungsvermögen auftretende
Einkommensminderungen und tatsächliche Mehrkosten abgefangen werden (Verweis auf Münder/Geiger, SGB II, § 12 Rn. 21f.).
Das Gericht lasse dahinstehen, ob der Beklagte im Bescheid vom 2. Januar 2020 überhaupt eine Entscheidung zu § 21 Abs. 4 Satz 2 SGB II getroffen habe. Ausdrücklich finde sich nur eine Entscheidung über den Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II für die Dauer der Maßnahme, so dass maximal eine konkludente Entscheidung für die Zeit ab 12. Juni 2020 erfolgt sei. Dementsprechend
fänden sich auch keine Ermessenserwägungen. Jedenfalls mit dem Widerspruchsbescheid vom 10. August 2020 habe der Beklagte
über den Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 Satz 2 SGB II für die Zeit vom 12. Juni 2020 bis 31. Juli 2020 entschieden.
Auch im Widerspruchsbescheid finde sich das Wort „Ermessen“ nicht. Ob die Verwaltung von der Ermessensermächtigung Gebrauch
gemacht habe, sei jedoch anhand aller erkennbaren Umstände zu beurteilen (Verweis auf Sodan/Ziekow,
VwGO, §
114 Rn. 114b). Der Beklagte habe in seiner Wiedergabe der Norm das Wort „kann“ kursiv gesetzt und in der Folge, entsprechend
einer sachgerechten Ermessensprüfung, die Norm, deren Zweck und Ziel herangezogen. Ein Ermessensfehler (Ermessensausfall,
Ermessensunterschreitung, Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) sei nicht ersichtlich. Insbesondere habe die Klägerin
– selbst wenn der Auffassung gefolgt würde, dass bei einer Verpflichtungsklage die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung und nicht der (letzten) Behördenentscheidung zu Grunde zu legen sei – keine von dem Beklagten nicht bereits im
Widerspruchsbescheid beachteten Nachweise zu Integrationsbemühungen beziehungsweise deren Kosten im streitgegenständlichen
Zeitraum vom 12. Juni 2020 bis 31. Juli 2020 vorgelegt. Die von der Klägerin zur Gerichtsakte gereichten Unterlagen bezögen
sich allesamt erst auf die Zeit ab 3. August 2020.
Die Klägerin hat mit Eingang beim Sozialgericht am 9. März 2021 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Anliegen weiterverfolgt.
Bereits zuvor hatte sie mit zwei Schreiben vom 25. Februar 2021 einen „Erstattungsantrag Mitgliedsbeitrag VdK LV Hessen-Thüringen
Beitrag für die Jahre 2018, 2019, 2020“ und zum anderen einen entsprechend Antrag für die Jahre 2020 und 2021 gestellt und
Leistungen in Höhe von jährlich 66,- Euro geltend gemacht. Während zu dem Antrag für die Jahre 2020 bis 2021 eine Bescheidung
nicht ersichtlich ist, hat der Beklagte den Antrag wegen der Jahre 2018 bis 2020 während des bereits laufenden Berufungsverfahrens
durch Bescheid vom 23. März 2021 (LA Bl. 784 f.) abgelehnt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin
habe mit Schreiben vom 25. Februar 2021 die Überprüfung der Bescheide für 2018, 2019 und teilweise 2020 beantragt. Der Überprüfungsantrag
sei ohne Sach- und Rechtsprüfung abzulehnen. Für einen Antrag im Sinne des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei es erforderlich, dass die zu überprüfenden Bescheide konkret benannt und Gründe für deren Unrichtigkeit angegeben würden.
Werde der Antrag lediglich pauschal gestellt, so könne dieser ohne Sach- und Rechtsprüfung durch die Behörde abgelehnt werden.
Die Klägerin habe nicht benannt, welcher Bescheid beziehungsweise welche Bescheide überprüft werden sollten. Eine Sach- und
Rechtsprüfung sei daher nicht erforderlich. Ein Widerspruch gegen diesen Bescheid ist aus den Akten nicht ersichtlich.
Die Klägerin hat sodann unter dem 10. April 2021 einen weiteren Überprüfungsantrag zu den Bescheiden vom 16. März 2020 und
30. September 2020 für die Zeit von Januar bis Juli 2020 gestellt. Dabei hat sie geltend gemacht, es seien – einschließlich
des Grundfreibetrags von 30,- Euro – vom Einkommen insgesamt 134,61 Euro monatlich abzusetzen, und zwar 52,49 Euro für ihre
Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung, 32,13 Euro für ihre Rechtsschutz- und Haftpflichtversicherung, 14,49 Euro für eine Sterbegeldversicherung
sowie 5,50 Euro für den Mitgliedsbeitrag zum Sozialverband VdK. Auf LA Bl. 811 wird Bezug genommen. Ein Bescheid hierzu ist,
soweit ersichtlich, nicht ergangen.
Zur Berufungsbegründung hat die Klägerin ihr Vorbringen wiederholt und vertieft. Nach Hinweis des Berichterstatters auf die
im Hinblick auf die Ausdehnung des Streitzeitraums und die Höhe des streitigen Betrags fragliche Statthaftigkeit der Berufung
hat sie darauf verwiesen, dass sie den Mehrbedarf auf Dauer geltend mache.
Sie beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 25. Februar 2021 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides
vom 30. September 2020 zu verurteilen, ihr höhere Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter dauerhafter Berücksichtigung
des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 4 SGB II zu gewähren.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, diese als unbegründet zurückzuweisen.
Er geht von einer Beschränkung des Streitzeitraums auf die Monate Juni und Juli 2020 aus, so dass die Berufung angesichts
des Umfangs der danach streitigen Leistungen nicht statthaft sei. Jedenfalls aber sei sie nicht begründet, da der Klägerin
der streitige Mehrbedarf nicht zustehe.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte
des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich beide Beteiligte mit einem entsprechenden
Vorgehen einverstanden erklärt hatten (§
124 Abs.
1 i.V.m. §
153 Abs.
1 SGG).
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Der angegriffene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 25. Februar 2021
hat zutreffend höhere Ansprüche der Klägerin auf Arbeitslosengeld II unter fortdauernder Einbeziehung des Mehrbedarfs nach
§ 21 Abs. 4 SGB II verneint; auch sonst stehen der Klägerin höhere Leistungen nicht zu. Die angegriffenen Bescheide verletzen die Klägerin daher
nicht in ihren Rechten.
I. Die Klägerin macht im Berufungsrechtszug wie bereits im erstinstanzlichen Klageverfahren die fortdauernde Berücksichtigung
des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 4 SGB II geltend. Bei diesem handelt es sich – wie bei anderen Mehrbedarfen – um einen unselbständigen Berechnungsposten bei der Festsetzung
der nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch zu gewährenden (laufenden) Leistungen zum Lebensunterhalt (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Er kann daher nicht isoliert Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein (vgl. nur BSG, Urteil vom 14. Februar 2013 – B 14 AS 48/12 R –, SozR 4-4200 § 21 Nr. 15, Rn. 9 f.). Bei sachgerechter, an den erkennbaren Interessen der Klägerin orientierter Auslegung,
wonach das an das Gericht herangetragene Begehren nach Möglichkeit im Sinne eines statthaften Antrags zu verstehen ist, zielt
die Klägerin somit im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1, Abs.
4, §
56 Sozialgerichtsgesetz –
SGG –) auf höheres Arbeitslosengeld II und nicht isoliert auf die Gewährung eines Mehrbedarfs. Dabei ist ein auf die (Weiter-)Gewährung
eines Mehrbedarfs zielender Antrag wegen der zeitabschnittsweisen Bewilligung von Grundsicherungsleistungen auf den nach dem
jeweiligen Sachzusammenhang im Streit stehenden, regelmäßig also den aktuellen Bewilligungszeitraum (vgl. zu diesem § 41 Abs. 3 Satz 1 SGB II) und den diese regelnden Bescheide zu beziehen (vgl. nur BSG, Urteil vom 24. Februar 2011 – B 14 AS 49/10 R –, SozR 4-4200 § 21 Nr. 10, Rn. 10 und 14). Durchaus sachgerecht hat die Klägerin daher ihr Begehren mit einem Widerspruch
gegen den Bewilligungsbescheid vom 2. Januar 2020, geändert durch den Bescheid vom 4. Februar 2020, und nicht etwa mit einem
isoliert auf die Weitergewährung des Mehrbedarfs gerichteten Antrag verfolgt.
Der Regelungszeitraum der damit angegriffenen Bescheide beschränkt sich allerdings ebenso wie der des sie ersetzenden endgültigen
Festsetzungsbescheides vom 30. September 2020 auf die Zeit bis 31. Juli 2020. Das auf höhere Leistungen für spätere Zeiträume
gerichtete Begehren kann schon aus diesem Grunde im hiesigen Verfahren keinen Erfolg haben. Das ändert allerdings nichts daran,
dass bereits das Sozialgericht – angesichts des unzweideutigen Vorbringens der Klägerin zu Recht – von einem auf die dauerhafte
Berücksichtigung des Mehrbedarfs gerichteten Antrag ausgegangen ist, über diesen entschieden hat, die Klägerin insoweit beschwert
ist und diesen Anspruch nunmehr in der Berufung weiterverfolgt.
Dabei hatten die mit der Klage ursprünglich angegriffenen Bescheide vom 2. Januar 2020 und 4. Februar 2020 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 10. August 2020 die vorläufige Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 1. Februar 2020 bis
zum 31. Juli 2020 – unter Berücksichtigung des streitigen Mehrbedarfes nur für die Zeit bis zum 11. Juni 2020 – zum Gegenstand.
Während des erstinstanzlichen Klageverfahrens hat der Beklagte die Leistungen für diesen Zeitraum durch Bescheid vom 30. September
2020 endgültig festgesetzt. Die vorläufigen Bewilligungsbescheide haben sich dadurch auf andere Weise im Sinne von § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) erledigt; der Bescheid vom 30. September 2020 hat sie im Sinne von §
96 Abs.
1 SGG ersetzt und ist, soweit er den streitigen Zeitraum ab Juni 2020 betrifft, statt ihrer zum Gegenstand der Anfechtungsklage
geworden (vgl. nur BSG, Urteil vom 22. August 2012 – B 14 AS 13/12 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr. 64).
Dementsprechend hat auch der Senat (nur) über diesen zu entscheiden. Der Umstand, dass der Beklagte den Bescheid dem Sozialgericht
entgegen der Vorgaben aus §
96 Abs.
2 SGG nicht mitgeteilt und das Sozialgericht ihn deswegen nicht in seine Entscheidung einbezogen hat, ändert daran nichts: Es handelt
sich insoweit um einen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, der dazu führt, dass das Landessozialgericht im Berufungsverfahren
die Entscheidung über den nicht erledigten Verwaltungsakt nachholen muss (vgl. nur BSG, Urteil vom 17. November 2005 – B 11a/11 AL 57/04 –, SozR 4-1500 §
96 Nr. 4; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u.a.,
SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, §
96 Rn. 12a).
Der Bescheid vom 23. März 2021 wegen des Antrags der Klägerin, die Beiträge zum Sozialverband VdK für die Jahre 2018 bis 2020
zu übernehmen, ist dagegen nicht über §
96 Abs.
1 in Verbindung mit §
153 Abs.
1 SGG zum Gegenstand des hiesigen Verfahrens geworden. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass der entsprechende Bedarf dem mit
Rücksicht auf den Mehrbedarf streitigen Zeitraum zuzuordnen wäre, der Jahresbeitrag also gerade im Juni oder Juli 2020 fällig
geworden wäre, so dass es sich schon aus diesem Grunde nicht um eine ändernde oder ersetzende Regelung handelte. Zudem ist
der Senat der Auffassung, dass eine Einbeziehung von Überprüfungsbescheiden nach § 44 SGB X – und der Beklagte hat das auf bereits beschiedene Leistungszeiträume bezogene Begehren, für diese weiteren Leistungen wegen
der VdK-Beiträge zu gewähren, zu Recht als Überprüfungsantrag verstanden – in ein laufendes gerichtliches Verfahren wegen
der entsprechenden Zeiträume nicht geboten ist, wenn der Leistungsträger in eine erneute Sachprüfung gar nicht erst eintritt.
Jedenfalls in diesem Falle liegt eine Änderung oder Ersetzung der Regelung der im gerichtlichen Verfahren zu prüfenden Bescheide
durch den Überprüfungsbescheid oder auch nur eine erneute inhaltliche Entscheidung im gleichen Sinne wie im ursprünglichen
Bescheid nicht vor. Für eine Einbeziehung über §
96 Abs.
1 SGG (für das Berufungsverfahren in Verbindung mit §
153 Abs.
1 SGG) fehlt es daher sowohl mit Blick auf den Wortlaut als auch den Zweck der gesetzlichen Regelung an einer Grundlage (vgl. grdsl.
eine Einbeziehung abl. auch Schmidt, in: Meyer-Ladewig u.a.,
SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, §
96 Rn. 4b sowie Binder, in: Berchtold,
Sozialgerichtsgesetz, 6. Auflage 2021, §
96 Rn. 12; beide mit Nw. zur uneinheitlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts).
Ein Bescheid zu dem weiteren (auch) auf den hier streitigen Zeitraum bezogenen Überprüfungsantrag vom 10. April 2020 wegen
der Versicherungsbeiträge ist, soweit ersichtlich, noch nicht ergangen. Der Senat muss daher auch in diesem Zusammenhang nicht
entscheiden, ob ein entsprechender Bescheid, soweit er mit dem streitgegenständlichen Bescheid zeitlich übereinstimmt, über
§
96 Abs.
1 SGG (i.V.m. §
153 Abs.
1 SGG) zum Gegenstand des hiesigen Verfahrens geworden wäre, wenn der Beklagte insoweit eine Sachentscheidung getroffen hätte.
Ohnehin hat der Senat, wie bereits ausgeführt, den Anspruch für den streitigen Zeitraum nach Grund und Höhe umfassend und
also auch mit Blick auf die mögliche Absetzbarkeit der Beiträge zu prüfen. Eines Überprüfungsantrags bedurfte es daher für
den im hiesigen Verfahren streitigen Zeitraum gar nicht; aus diesem Grunde geht der Senat im Übrigen von der Unzulässigkeit
eines bereits zu diesem Zeitpunkt gestellten Antrags nach § 44 Abs. 1 SGB X ausgeht, da ein bestandskräftiger, nur noch im Rahmen eines Zugunstenverfahrens korrigierbarer Bescheid noch gar nicht vorlag.
Für die parallele Prüfung im Rahmen eines Widerspruchs- und Klageverfahrens einerseits und in einem Überprüfungsverfahren
andererseits fehlt es an einem rechtlich schützenswerten Interesse.
II. Ausgehend von diesem Streitgegenstand ist die Berufung zulässig, insbesondere ist sie nach §
143, §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG statthaft. Zwar weist der Beklagte zutreffend darauf hin, dass sich der durch die im hiesigen Verfahren angegriffenen Bescheide
geregelte Bewilligungszeitraum auf die Zeit bis 31. Juli 2020 beschränkt. Die Klägerin hat jedoch, wie bereits ausgeführt,
von Anfang an die dauerhafte Berücksichtigung des Mehrbedarfs und entsprechend höhere Leistungen geltend gemacht und verfolgt
damit ein zeitlich unbeschränktes Klagebegehren. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der auf die dauerhafte Berücksichtigung
gerichtete Antrag – auch wenn er insoweit unzulässig ist – (nur) gestellt worden wäre, um sich auf diese Weise den Zugang
zu Berufungsinstanz zu verschaffen oder die zeitliche Ausdehnung des streitigen Begehrens aus anderen Gründen für die Beurteilung
der Statthaftigkeit unberücksichtigt bleiben könnte.
Sonstige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung bestehen nicht. Insbesondere ist den Vorgaben aus §
151 Abs.
1 SGG zu Form und Frist genügt.
III. Die Berufung kann jedoch in der Sache keinen Erfolg haben.
1. Wie bereits ausgeführt beschränkte sich der Regelungsgegenstand der ursprünglich angegriffenen Bescheide vom 2. Januar
2020 und vom 4. Februar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2020 ebenso wie der des Bescheides über
die endgültige Festsetzung von Leistungen vom 30. September 2020 auf die Monate Februar bis Juli 2020. Der nachfolgende Leistungszeitraum
beziehungsweise die diesen regelnden Bescheide sind nicht zum Gegenstand des hiesigen Verfahrens geworden; §
86 und §
96 SGG sind auf Bescheide über Folgezeiträume regelmäßig nicht anzuwenden (vgl. nur BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 14/06 R –, BSGE 97, 242, Rn. 30).
Die Klägerin kann daher höhere Leistungen für die Zeit ab 1. August 2020 unter Einbeziehung des streitigen Mehrbedarfs im
hiesigen Verfahren von vornherein nicht geltend machen. Das Sozialgericht hat die Klage für diesen Zeitraum daher zu Recht
als unzulässig angesehen.
2. Ebenso zu Recht ist es für die Zeit bis 31. Juli 2020 von einer auf höhere Leistungen unter Berücksichtigung eines entsprechenden
Mehrbedarfs gerichteten Klage ausgegangen und hat diese als zulässig angesehen.
Wegen des im Rahmen von § 21 Abs. 4 Satz 2 SGB II bestehenden Ermessens wäre zwar im Regelfall davon auszugehen, dass ein auf die fehlende Berücksichtigung des Mehrbedarfs
gestützter Anspruch auf höhere Leistungen im Wege einer auf die Neubescheidung des entsprechenden Antrags gerichteten Anfechtungs-
und Verpflichtungsklage (§
54 Abs.
1 Satz 1
SGG) geltend zu machen ist. Die Klägerin geht vorliegend aber ersichtlich von einer Ermessensreduzierung auf Null aus, dem entspricht
eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, § 56 SG). Hinzu kommt, dass das Ermessen, das dem Beklagten bezüglich der fortdauernden Berücksichtigung des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 4 Satz 2 SGB II eingeräumt ist, nichts daran ändert, dass dieser Bestandteil eines einheitlichen Anspruchs auf Arbeitslosengeld II ist, so
dass die Klägerin mit ihrer Klage – ohne Rücksicht auf behördliches Ermessen – Erfolg haben müsste, wenn sich ein Anspruch
auf höhere Leistungen auf andere, zwingend zu berücksichtigende Umstände, etwa die von ihr geltend gemachten Versicherungsbeiträge,
stützen ließe.
3. Das Sozialgericht hat die Klage in der Sache zu Recht abgewiesen.
a) Hinsichtlich des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach hat der Senat keine Zweifel. Die Klägerin hielt
(und hält) sich in den Altersgrenzen aus § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 7a SGB II; Bedenken hinsichtlich ihrer Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 8 SGB II bestehen ebenso wenig wie Zweifel an ihrer Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit §§ 9 ff. SGB II und ihrem gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II in Verbindung mit §
30 Abs.
3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (
SGB I). Hinweise auf das Vorliegen eines Ausschlusstatbestandes bestehen nicht. Der nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II notwendige Antrag ist gestellt.
b) Der Senat vermag jedoch nicht zu erkennen, dass der Klägerin höhere Leistungsansprüche oder auch nur einen Anspruch auf
Neubescheidung wegen des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 4 Satz 2 SGB II im Streitzeitraum zustehen könnten.
aa) Insbesondere haben der Beklagte und das Sozialgericht zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für die Berücksichtigung
des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 4 SGB II verneint. Insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts
Bezug (§
153 Abs.
2 SGG), denen er sich nach eigener Prüfung anschließt.
Nach § 21 Abs. 4 Satz 2 SGB II kann der streitige Mehrbedarf auch nach Beendigung einer der in Satz 1 genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit
gewährt werden, wobei das Gesetz beispielhaft eine an die Maßnahme anschließende Einarbeitungszeit und damit eine begonnene,
aber noch nicht vollständige Integration in den Arbeitsmarkt aufführt. Durch die Weitergewährung des Mehrbedarfs für eine
Übergangszeit soll im Nachgang zur vorgehenden Maßnahme die während dieser gewährte finanzielle Unterstützung noch eine Zeit
lang fortwirken, um das mit der Maßnahme angestrebte Ziel sicherzustellen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. September
2021 – L 7 AS 3146/19 –, juris, Rn. 47; S. Knickrehm, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 21 Rn. 52). Im konkreten Fall ist bereits nicht ersichtlich, dass im Falle der Klägerin die sogenannten Eingangsvoraussetzungen
für eine Ermessensentscheidung (zum Ermessencharakter vgl. nur S. Knickrehm, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 21 Rn. 52) vorliegen, also die Umstände, die gegeben sein müssen, damit dem Leistungsträger überhaupt Ermessen und damit die
Möglichkeit, dieses zu Gunsten der Klägerin auszuüben, eröffnet ist, jedenfalls aber ist ein Ermessensfehler nicht ersichtlich.
Bedeutsam wird in diesem Zusammenhang stets die Frage sein, in welchem Maße durch die geförderte Maßnahme bereits eine Integration
in den Arbeitsmarkt gelungen ist und inwieweit diese durch eine vorübergehende Weitergewährung ermöglicht und/oder gestärkt
werden kann; dabei kann etwa die individuelle Leistungsfähigkeit und die Höhe des (bereits wieder) erzielten Einkommens eine
Rolle spielen (vgl. Düring, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 21 SGB II – Stand: 2020 – Rn. 33). Der Mehrbedarfszuschlag hat insoweit eine integrative und motivierende Komponente (vgl. Greiner,
in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 7. Aufl. 2021, § 21 Rn. 14).
Das Gesetz führt, wie bereits erwähnt, eine an die Maßnahme anschließende Einarbeitungszeit als Beispielsfall für eine mögliche
Weitergewährung auf. Auch dies verdeutlicht beispielhaft, dass die Weitergewährung dann erfolgen kann, wenn im Anschluss an
die Maßnahme eine (Wieder-)Eingliederung in ein Beschäftigungsverhältnis immerhin begonnen, aber noch nicht vollständig gelungen
ist; allgemeiner: für die Weitergewährung ist entscheidend, inwieweit durch die geförderte Maßnahme angestrebte Integration
in den Arbeitsmarkt während einer nachfolgenden Übergangszeit noch ergänzender Unterstützung bedarf (vgl. in diesem Sinne
auch Düring, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 21 SGB II – Stand: 2020 – Rn. 33), etwa weil der Betroffene zunächst noch nicht voll leistungsfähig ist und sich daher in der ersten
Zeit mit einem geminderten Erwerbseinkommen begnügen muss (vgl. Straßfeld, SGb 2017, 440, 446 sowie Behrend, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 21 – Stand: 8. Februar 2021 – Rn. 63 und von Boetticher, in: Münder/Geiger, SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende, 7. Aufl. 2021, § 21 Rn. 22 und Köhler, in: Hauck/Noftz, SGB II – Stand: April 2020 –, § 21 Rn. 57).
Denkbar erscheint vor dem Hintergrund dieses Zwecks der Regelung die übergangsweise Berücksichtigung des Mehrbedarfs nach
Abschluss der Maßnahme nicht nur im Falle einer bereits (wieder-)aufgenommenen Tätigkeit, sondern unter Umständen auch mit
Rücksicht auf (kosten-)intensive Bemühungen um eine Wiedereingliederung in ein bestehendes oder das Auffinden eines neuen
Arbeitsverhältnisses, namentlich wenn in diesem Zusammenhang behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen sind und (daher)
die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (§§ 16 ff. SGB II) der Ergänzung bedürfen.
Beides, also eine bereits begonnene (Wieder-)Eingliederung in eine Beschäftigung oder (kosten-)intensive Bemühungen um eine
(Wieder-)Eingliederung, oder auch eine vergleichbare Fallgestaltung ist im streitigen Zeitraum bei der Klägerin nicht ansatzweise
ersichtlich. Insoweit kann erneut auf die Ausführungen des Sozialgerichts Bezug genommen werden. Es fehlt damit nach Auffassung
des Senats bereits an den Eingangsvoraussetzungen für die Ausübung von Ermessen zu Gunsten der Klägerin. Jedenfalls aber ist
vor diesem Hintergrund die Ermessensentscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden.
Dabei wird man trotz der grundsätzlichen Eigenständigkeit der vorläufigen und der endgültigen Entscheidung, wie sie vom Bundessozialgericht
betont wird (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 12. September 2018 – B 4 AS 39/17 R –, BSGE 126, 294, Rn. 18), nicht deswegen einen Ermessensfehler annehmen müssen, weil der Beklagte sein Ermessen bereits im Rahmen der vorläufigen
Leistungsbewilligung ausgeübt hat. Da beide Entscheidungen den gleichen materiellen Anspruch – Arbeitslosengeld II, gegebenenfalls
unter Berücksichtigung des umstrittenen Mehrbedarfs – zum Gegenstand haben, ist vielmehr – jedenfalls bei unveränderten tatsächlichen
und rechtlichen Umständen – von einem Fortwirken der im Rahmen der vorläufigen Leistungsbewilligung bereits getroffenen Ermessensentscheidung
auszugehen, ohne dass der Beklagte im Rahmen der endgültigen Festsetzung die Ermessenserwägungen nochmals explizit aufführen
müsste.
bb) Auch im Übrigen sind zu Lasten der Klägerin wirkende Fehler bei der Leistungsbemessung nicht ersichtlich.
Der Beklagte hat monatlich den Regelbedarf in seiner für das Jahr 2020 maßgeblichen Höhe von 432,- Euro für eine alleinstehende
Leistungsberechtigte wie die Klägerin (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II i. V. m. der Anlage zu § 28 SGB Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – [SGB XII] in der Fassung des § 2 der Regelbedarfsstufenfortschreibungsverordnung
2020) und die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in ihrer tatsächlichen Höhe berücksichtigt. Weiter hat er einen Mehrbedarf
für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 86,40 Euro in die Berechnung eingestellt. Nachdem dessen Höhe auch von der Klägerin
nicht beanstandet wird, sieht der Senat insoweit keinen Anlass für weitere Ermittlungen.
Auf der Einkommensseite hat der Beklagte die rumänische Rente in Höhe von monatlichen durchschnittlich 158,31 Euro und für
Juni 2020 noch anteilig das Übergangsgeld, das die Klägerin erhalten hat, berücksichtigt. Dabei hat der Beklagte nur für das
Einkommen aus der rumänischen Rente ein Durchschnittseinkommen gebildet, nachdem die Klägerin ihre diesbezüglichen Kontoauszüge
vorgelegt hatte (vgl. LA lfd. Nr. 334 ff. sowie die Durchschnittsberechnung, LA lfd. Nr. 339), während er das Übergangsgeld
in der Höhe des jeweiligen monatlichen Zuflusses angerechnet hat und daher im Juni 2020 (nur noch) anteilig 302,94 Euro und
im Juli 2020 gar kein Übergangsgeld mehr angerechnet hat.
Schon aus diesem Grund ist ein höherer Anspruch ausgeschlossen, wobei dies im Übrigen sogar dann gelten würde, wenn der Klägerin
der streitige Mehrbedarf zuzubilligen wäre: Nach § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II in der bis 31. März 2021 und damit auf Grund des Geltungszeitraumprinzips im hiesigen Rechtsstreit weiter anzuwendenden Fassung
war bei der endgültigen Festsetzung ein auf den Bewilligungszeitraum bezogenes Durchschnittseinkommen zu bilden (vgl. § 41a Abs. 4 SGB II in der ursprünglichen Fassung des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016,
BGBl. I S. 1824; die § 41a SGB II betreffenden Änderungen durch das Gesetz zur Regelung einer Einmalzahlung der Grundsicherungssysteme an erwachsene Leistungsberechtigte
und zur Verlängerung des erleichterten Zugangs zu sozialer Sicherung und zur Änderung des Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes
aus Anlass der COVID-19-Pandemie [Sozialschutz-Paket III] vom 10. März 2021, BGBl. I S. 335, traten nach dessen Art. 8 erst zum 1. April 2021 in Kraft). Die Durchschnittsbildung hatte unabhängig vom Grund der Vorläufigkeit
zu erfolgen und alle Einkommensarten sowie alle Monate des Bewilligungszeitraums einzubeziehen (vgl. nur BSG, Urteil vom 11. Juli 2019 – B 14 AS 44/18 R –, SozR 4-4200 § 41a Nr. 2, Rn. 18 und Grote-Seifert, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 41a – Stand: 1. April 2021 – Rn. 59). In die Berechnung hätte also auch für die streitigen Monate das Übergangsgeld einfließen
müssen, das im Streitzeitraum immerhin (4 x 826,20 Euro + 302,94 Euro =) 3.607,74 Euro und also pro Monat durchschnittlich
601,29 Euro betrugt. Auch unter Berücksichtigung der Einkommensfreibeträge und mit Blick darauf, dass die Klägerin – im Rahmen
ihres Überprüfungsantrags vom 10. April 2021 – geltend macht, dass Absetzbeträge, insbesondere für Versicherungsbeiträge,
in Höhe von monatlich insgesamt 134,61 Euro zu berücksichtigen seien, ergeben sich jedenfalls für die hier in zulässiger Weise
streitigen Monate Juni und Juli 2020 keinesfalls höhere Leistungsbeträge.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
V. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der in §
160 Abs.
2 SGG abschließend aufgeführten Gründe hierfür vorliegt. Das gilt auch im Hinblick auf die Frage, ob die im Rahmen des Widerspruchsbescheides
zur vorläufigen Entscheidung getroffene Ermessensentscheidung zu § 21 Abs. 4 Satz 2 SGB II im Rahmen der endgültigen Festsetzung „fortwirkt“, nachdem diese Frage vorliegend wegen des Fehlens der Eingangsvoraussetzungen
und des ohnehin nicht bestehenden Leistungsanspruchs mit Blick auf die notwendige Durchschnittsberechnung beim Einkommen nicht
entscheidungserheblich ist.