Geltung einer Berufung als zurückgenommen
Nichtbetreiben eines Verfahrens
Verlust eines Rechtsmittels
Nicht verlängerbare Betreibenspflicht
Gründe
I.
Die vorliegende Berufung ist im Dezember 2018 eingelegt worden und betrifft die Ansprüche der Kläger nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Streitgegenstand ist der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 9. September 2015 (Bl 1750 der Verwaltungsakte). Laut Seite
1 des Widerspruchsbescheides betrifft er insgesamt neun Bescheide des Beklagten und damit die Bewilligungszeiträume Juni bis
Dezember 2010, Januar bis Juni 2011, Juli bis Dezember 2011, Januar bis Juni 2012 und Juli bis Dezember 2012. Die Verwaltungsakte
des Beklagten erhält jedoch noch weitere diese Bewilligungszeiträume betreffende Bescheide, welche gemäß §
86 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ebenfalls Gegenstand der Berufung sein dürften.
Erstinstanzlich haben die Kläger keinen ausformulierten Klageantrag gestellt. Ebenso wenig enthält die Berufungsschrift gegen
den klagabweisenden Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) Stade vom 14. November 2018 einen konkreten Antrag. Auf die Aufforderung des Senats, einen konkreten Berufungsantrag zu
formulieren (richterliche Verfügung vom 13. Februar 2019), hat der Prozessbevollmächtigte erstmals mit Schriftsatz vom 13.
August 2019 einen Antrag mitgeteilt. Dieser bezieht sich auf drei der neun im Widerspruchsbescheid genannten Bescheide. Ein
im Antrag genannter weiterer Bescheid (Bescheid vom 21. November 2011) wird weder im Widerspruchsbescheid aufgeführt noch
ist ein solcher Bescheid in den dem Senat vorliegenden Verwaltungsakten enthalten (vgl Band I bis VIII sowie 3 weitere Heftstreifen
– bis einschließlich Bl 1824).
Nach Ablehnung von Prozesskostenhilfe (Beschluss des Senats vom 17. März 2020) und aufwändiger Durcharbeitung der Akten hat
der Senat umfangreiche Hinweise zur Bestimmung des Streitgegenstands gegeben und die Kläger um ergänzende Stellungnahme bzw
Beantwortung von insgesamt 15 Punkten gebeten (unter Androhung einer Präklusion gem §
106a SGG nach Ablauf der Stellungnahmefrist am 15. Juli 2020, vgl im Einzelnen: richterliche Verfügung vom 15. Juni 2020). Diese Verfügung
blieb seitens der Kläger auch nach Verlängerung der Stellungnahmefrist bis zum 30. Juli bzw 18. September 2020 inhaltlich
unbeantwortet.
Der Senat hat die Kläger sodann mit richterlicher Verfügung vom 18. Februar 2021 (ihrem Prozessbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis
zugestellt am 19. Februar 2021) gemäß §
156 Abs
2 SGG aufgefordert, das Verfahren zu betreiben. Der Senat hat die Kläger darauf hingewiesen, dass die vom Senat gestellten Fragen
nach wie vor nicht beantwortet worden seien. Vielmehr sei das Verfahren von den Klägern seit (mindestens) Juli 2020 nicht
mehr betrieben worden. Der Senat könne daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erkennen, dass die Kläger noch ein Interesse
an der Fortführung des Verfahrens haben könnten. Für eine Fortführung des Verfahrens sei erforderlich, dass die Kläger klarstellen,
dass sie das Berufungsverfahren L 11 AS 1080/18 weiterführen möchten, und mitteilen, welche konkreten Leistungen für welche konkreten Zeiträume sie im vorliegenden Verfahren
begehren (unter vollständiger Beantwortung der Fragen Nr 1 – 4 aus der Verfügung vom 16. Juni 2020). Falls das Verfahren fortgeführt
werde, werde auch um Beantwortung der Fragen Nr 5 – 15 gebeten. Sollten diese nicht oder nur unzureichend beantwortet werden,
werde alsbald ein Erörterungstermin unter Anordnung des persönlichen Erscheinens der Kläger anberaumt (§
106 Abs
3 Nr
7 SGG). Die Kläger sind zudem ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Berufung als zurückgenommen gelte, wenn das Verfahren
trotz dieser Aufforderung länger als drei Monate nicht betrieben werde.
Am letzten Tag der Dreimonatsfrist hat der Prozessbevollmächtigte um 20.01 Uhr per Telefax mitgeteilt, dass der Sohn der Kläger
sich „ heute telefonisch gemeldet “ habe. Das Verhältnis zu seinen Eltern (dh den Klägern) habe er „ abgebrochen “. Soweit
noch „ irgendwelche Informationen “ benötigt würden, „ sollte jetzt wieder unmittelbar mit den Klägern in Verbindung getreten
werden “. Da die Kläger jedoch „ heute (...) nicht telefonisch “ hätten erreicht werden können, werde gebeten, die Frist zur
Stellungnahme um drei Wochen zu verlängern, damit „ endlich geklärt werden kann, was vonseiten der Kläger noch in dieser Angelegenheit
verlangt “ werde.
II.
Die Kläger haben das vorliegende Berufungsverfahren seit mindestens Mitte Juli 2020 nicht mehr betrieben, dh mittlerweile
über einen Zeitraum von mehr als 10 Monaten. Damit ist das Verfahren auch über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten -
gerechnet ab der Zustellung der Betreibensaufforderung am 19. Februar 2021 - nicht mehr betrieben worden, so dass gemäß §
156 Abs
2 Satz 3
SGG durch Beschluss festzustellen ist, dass die Berufung als zurückgenommen gilt.
Die Zurücknahme bewirkt den Verlust des Rechtsmittels (§
156 Abs
3 Satz 1
SGG) und damit die Rechtskraft des angefochtenen Gerichtsbescheides des SG Stade vom 14. November 2018.
Hierauf waren die Kläger sowie ihr Prozessbevollmächtigter durch die am 19. Februar 2021 zugestellte richterliche Verfügung
vom 18. Februar 2021 ausdrücklich hingewiesen worden. Gleichwohl erfolgte innerhalb der maßgeblichen Dreimonatsfrist (20.
Februar bis 19. Mai 2021) kein Betreiben des Berufungsverfahrens. Auch ist im Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der
Kläger vom 19. Mai 2021 (Eingang beim LSG weniger als 4 Stunden vor Ablauf der Dreimonatsfrist) weder eine Klarstellung, dass
die Kläger das Verfahren fortsetzen wollen, noch die vom Senat ausdrücklich geforderte Konkretisierung des Antrags (Mitteilung,
welche konkreten Leistungen für welche konkreten Zeiträume im vorliegenden Verfahren begehrt werden) oder eine Beantwortung
der Fragen Nr 1 – 4 aus der Verfügung vom 15. Juni 2020 erfolgt (vgl zu den Anforderungen an ein Betreiben iSd §
156 Abs
2 SGG: BSG, Beschluss vom 8. Dezember 2020 – B 4 AS 280/20 B -, Rn 21). Der Prozessbevollmächtigte hat stattdessen lediglich mitgeteilt, dass der Kontakt zwischen den Klägern und ihrem
Sohn mittlerweile abgebrochen sei und er (der Prozessbevollmächtigte) ebenfalls bislang keinen Kontakt zu den Klägern gehabt
habe.
Die Frist nach §
156 Abs
2 SGG war auch nicht – wie vom Prozessbevollmächtigten der Kläger beantragt - um drei Wochen zu verlängern. Bei der Dreimonatsfrist
des §
156 Abs
2 SGG handelt es sich um eine gesetzliche Ausschlussfrist, die nicht verlängert werden kann (vgl etwa: Binder in: Berchtold,
SGG, 6. Auflage 2021, §
156 Rn 11; ebenso zu §
102 Abs
2 SGG: Bienert, NZS 2009, 554, 557 mwN; Jansen,
SGG, 4. Auflage 2012, §
102 Rn 16 mwN; Roller in: Berchtold,
SGG, 6. Auflage 2021, §
102 Rn 25 mwN; ebenso zu §
92 Abs
2 VwGO: BVerwG, Beschluss vom 25. März 1999 – 3 B 147/98 –; Kopp/Schenke,
VwGO, 26. Auflage 2020, §
92 Rn 22). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand haben die Kläger bislang nicht beantragt. Unabhängig davon liegen die
hierfür erforderlichen strengen Voraussetzungen (vgl hierzu: BSG, Beschluss vom 8. Dezember 2020 – B 4 AS 280/20 B – Rn 22) auch nicht vor.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).