Unzulässigkeit der Wiederaufnahme eines sozialgerichtlichen Klageverfahrens
Anforderungen an die Erledigung eines Rechtsstreits durch die Annahme eines Teil-Anerkenntnisses und eine Klagerücknahme
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Wiederaufnahme eines Klageverfahrens, gerichtet auf höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit von Februar 2014 bis Juli 2014. Er wendet sich insbesondere gegen die Höhe des Regelbedarfs und verfolgt diverse
weitere Begehren, u.a. die Erstellung eines individuellen Förderkonzeptes.
Zwischen den Beteiligten war beim Sozialgericht Köln unter dem Aktenzeichen S 31 AS 873/14 ein Rechtsstreit anhängig. Am 20.11.2014 fand in dem Verfahren ein Erörterungstermin statt. Dabei verständigten sich die
Beteiligten als Teilanerkenntnis auf eine Erhöhung der Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom
Februar bis Juli 2014. Der seinerzeitige Bevollmächtigte des Klägers erklärte das Klageverfahren daraufhin für vollumfänglich
erledigt. Die Erklärung wurde protokolliert und nach Wiedergabe vom Tonaufnahmegerät genehmigt.
Mit Schreiben vom 16.07.2020 hat der Kläger im Rahmen eines Parallelverfahrens beim Sozialgericht Köln (S 11 AS 3937/17) die Wiederaufnahme des Verfahrens S 31 AS 873/14 begehrt. Aus seiner Sicht habe sich das Klageverfahren nicht erledigt, die Erledigungserklärung widerrufe er aufgrund eines
Beratungsfehlers.
Der Kläger hat beantragt,
das Verfahren S 31 AS 873/14 in erweitertem Umfang wieder aufzunehmen.
Der Beklagte hat sich hierzu nicht eingelassen.
Mit Gerichtsbescheid vom 10.11.2020 hat das Sozialgericht festgestellt, dass das Verfahren S 31 AS 873/14 nach Annahme eines Teilanerkenntnisses durch Klagerücknahme erledigt sei. Die formgerecht protokollierte Klagerücknahme sei
eine Prozesshandlung, an die das Gericht und die Beteiligten gebunden seien.
Gegen den am 12.11.2020 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 14.12.2020 eingelegte Berufung.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 10.11.2020 zu ändern und das Verfahren S 31 AS 873/14 wieder aufzunehmen.
Der Vertreter der Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Das Verfahren S 31 AS 873/14 sei erledigt, ohne dass Gründe für eine Wiederaufnahme vorlägen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist fristgerecht erfolgt. Gemäß §
151 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz <
SGG > ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll
des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Ein Gerichtsbescheid steht dem Urteil gleich (vgl. §
105 Abs.
2 S. 1
SGG). Der Lauf der Frist beginnt mit dem Tag der Zustellung des Gerichtsbescheides am 12.11.2020 (§
64 Abs.
1 SGG) und endete, da der 12.12.2020 ein Samstag war, mit Ablauf des darauf folgenden Montags, dem 14.12.2020 (§
64 Abs.
2 S. 1, Abs.
3 SGG), an dem die Berufung eingegangen ist.
Die Berufung (§
143 SGG i.V.m. §
105 Abs.
2 S. 1
SGG) bedurfte auch nicht der Zulassung (§
144 SGG). Die Klage des nach dem Begehren des Klägers wieder aufzunehmenden Verfahrens war neben Geldleistungen auf diverse weitere
Gegenstände gerichtet, unter anderem etwa die Erstellung eines individuellen Förderkonzeptes. Hierbei handelt es sich weder
um eine Geld- noch eine Sachleistung, insbesondere aber auch nicht um eine Dienstleistung i.S.d. §
144 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 SGG (vgl. Wehrhahn in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, 1. Auflage 2017, §
144 SGG Rn. 29). Denn hierunter fallen keine Dienstleistungen, die in keiner Hinsicht unter einen Sachleistungsbegriff fallen können,
z. B. Arbeitsvermittlung, Beratung oder Auskunft (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Auflage 2020, §
144, Rn. 9b m.w.N.). Diese Begehren verfolgt der Kläger mit der Berufung weiter.
Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Rechtsstreit S 31 AS 873/14 erledigt ist.
Der genannte Rechtsstreit ist teilweise durch angenommenes Anerkenntnis (§
101 Abs.
2 SGG) und im Übrigen durch Klagerücknahme erledigt (§
102 Abs.
1 S. 2
SGG).
Im Erörterungstermin zu o.g. Verfahren am 20.11.2014 ist der Kläger in Begleitung seines seinerzeit bevollmächtigten Rechtsanwalts
erschienen. Der Beklagte hat in diesem Termin zunächst ein Teil-Anerkenntnis abgegeben, welches der Kläger durch seinen damaligen
Prozessbevollmächtigten angenommen hat. Sodann hat der Kläger, wiederum durch seinen damaligen Prozessbevollmächtigten, das
Klageverfahren "vollumfänglich für erledigt [erklärt]". Hierin ist nach verständiger Würdigung nach dem objektiven Empfängerhorizont
(§§ 1333,
157 Bürgerliches Gesetzbuch <
BGB > analog; vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2002, B 11 AL 23/02 R, juris Rn. 21) eine Rücknahme des verbliebenen Klagebegehrens zu erkennen, da der klägerische Wille, dass Verfahren durch
einseitige Erklärung vollständig zu erledigen in der konkreten prozessualen Situation deutlich zum Ausdruck gekommen ist (vgl.
BSG Urteil vom 23.02.2017, B 11 AL 2/16 R, juris Rn. 16). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG führt die einseitige Erledigungserklärung des Klägers im sozialgerichtlichen Verfahren anders als im Zivil- und Verwaltungsprozess
zur Beendigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, da die Erledigungserklärung hier (anders als nach §
91a Abs.
1 Zivilprozessordnung <
ZPO > oder §
161 Abs.
2 Verwaltungsgerichtsordnung <
VwGO >) keine eigenständige, insbesondere kostenrechtliche Bedeutung hat (BSG Beschluss vom 29.12.2005, B 7a AL 192/05 B, juris Rn. 6). Der Geschehensablauf steht aufgrund des ordnungsgemäßen Protokolls
über den Erörterungstermin fest (§
122 SGG i.V.m. §§
160 Abs.
3 Nr.
1,
162 Abs.
1 S. 2
Zivilprozessordnung <
ZPO >). Das Protokoll hat insoweit Beweiskraft (§
122 SGG i.V.m. §
165 S. 1
ZPO). Das Vorbringen des Klägers, das Protokoll sei "mangelhaft", ist daher unbeachtlich.
Als Prozesshandlung kann die Klagerücknahme weder widerrufen noch angefochten werden (BSG Beschluss vom 04.11.2009, B 14 AS 81/08 B, juris Rn. 6; Beschluss vom 19.03.2002, B 9 V 75/01 B, juris). Eine Wiederaufnahme des o.g. Verfahrens scheidet schon deshalb aus, weil Wideraufnahmegründe nicht ersichtlich sind
(§§
179 f.
SGG i.V.m. §§
579 f.
ZPO). Insbesondere die vom Kläger bemühte Restitutionsklage (§
179 Abs.
1 SGG i.V.m. §
580 ZPO) ist nicht einschlägig, weil das o.g. Verfahren nicht durch Urteil oder eine andere gerichtliche Entscheidung beendet worden
ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG) bestehen nicht.