Tatbestand
Zwischen den Beteiligten steht der Anspruch der Kläger auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 03.11.2010 bis zum 19.06.2011 im Streit.
Die Kläger sind rumänische Staatsangehörige. Die 1978 geborenen Kläger zu 1) und 2) sind seit ca. 1992 ein Paar und leben
in einer nichtehelichen Beziehung, der am 00.00.1997 geborene Kläger zu 3) ist ihr gemeinsamer Sohn. Am 26.06.2002 schloss
die Klägerin die Ehe mit dem am 00.00.1984 geborenen E T; die Ehe wurde am 16.01.2004 geschieden.
Der Kläger zu 1) besuchte in Rumänien vier Jahre lang die Schule. Er verfügt über keine Berufsausbildung und besitzt einen
Führerschein der Klasse B. Von 1999 bis 2008 hielt er sich in Belgien auf und arbeitete dort als Saisonarbeiter in der Tomatenernte.
Ende September 2008 kam er nach Deutschland und wohnt seit dem 25.09.2009 in H. Er war im Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung
gem. § 5 FreizügG/EU für die Zeit vom 19.03. bis zum 19.06.2009. Nachdem die Stadt H. zunächst die Ausstellung einer Freizügigkeitsbescheinigung
verweigert hatte, wurde ihm eine solche unbefristet unter dem 17.06.2011 erteilt. Seit dem 28.10.2011 ist der Kläger zu 1)
auch im Besitz einer ebenfalls unbefristeten ArbeitsberechtigungEU.
Die Klägerin zu 2) besuchte in Rumänien vier Jahre lang die Schule und erlernte ebenfalls keinen Beruf. Gemeinsam mit ihren
Eltern hielt sie sich bereits 1991 und erneut 2005 als Asylbewerberin kurz in Deutschland auf. In der Zeit von 1999 bis 2008
lebte sie mit den Klägern in Belgien. Nachdem der Kläger zu 1) in Deutschland eine Wohnung gefunden hatte, folgte sie ihm
mit dem Kläger zu 3) nach. Seit dem 25.09.2009 wohnen die Kläger gemeinsam in H. Die Klägerin zu 2) besuchte während etwa
acht Monaten einen Integrationskurs. Seit dem 01.01.2012 übt sie mit Unterbrechungen ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis
als Reinigungskraft aus. Das Entgelt betrug zunächst 100 EUR, seit dem 01.02.2012 200 EUR monatlich.
Der Kläger zu 3) besuchte im streitigen Zeitraum eine Schule.
Die Kläger bewohnten ab dem 01.10.2010 allein eine 75qm große 3-Zimmer Wohnung zu einer Miete von 319 EUR (Bruttokaltmiete)
zzgl. 95 EUR Nebenkostenabschlag und 70 EUR Heizkostenabschlag einschließlich Kosten für die Warmwasserbereitung. Die Wohnung
mussten sie nach Kündigung des Vermieters im Juni 2011 zwangsweise räumen.
Der Kläger zu 1) und 2) bezogen 2010 und 2011 für den Kläger zu 3) Kindergeld. Eigene Einkünfte in Höhe von etwa 120 bis 130
EUR monatlich erzielten sie durch die Verbreitung der Obdachlosenzeitung "g", die vom Caritasverband, dem Verein für Gefährdetenhilfe
und dem Verein "B e.V.", sämtlich Mitglied im Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, herausgegeben wird. Die Verbreiter
der Zeitschrift erhalten einen Ausweis, aus dem hervorgeht, dass "g"-Vertreiber von materieller Armut betroffen sind. Die
Zeitung wurde im streitigen Zeitraum vom Verlag für 0,90 EUR an die Vertreiber ausgegeben und für 1,80 EUR verkauft. Zusätzlich
erhielten die Kläger Unterstützung durch caritative Einrichtungen (Diakonie, Tafel) und Familienangehörige.
Von Oktober 2009 bis zum 31.10.2010 erhielten die Kläger Leistungen nach dem SGB II. Den Weiterbewilligungsantrag vom 03.11.2010 lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 09.11.2010 mit der Begründung ab, die
Kläger hätten keinen gültigen Aufenthaltstitel und seien deshalb von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies er durch Widerspruchsbescheid vom 29.12.2010 zurück. Die Kläger seien als Ausländer,
deren Aufenthalt sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe, gem. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Das gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeitsrecht folge in ihrem Fall allein aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt. FreizügG/EU, also aus dem Umstand, dass sie sich zur Arbeitsuche in Deutschland aufhalten wollten. Andere Gründe, die ein Aufenthaltsrecht
vermitteln könnten, seien nach Aktenlage nicht ersichtlich. Die Kläger seien auch nicht als erwerbstätige Unionsbürger gem.
§ 4 FreizügG/EU aufenthaltsberechtigt, denn sie verfügten gerade nicht über ausreichende Existenzmittel.
Nach erfolglosem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NW) Beschluss
vom 30.05.2011 - L 19 AS 388/11 B ER) beantragten die Kläger am 20.06.2011 und 07.11.2011 erneut vergeblich Leistungen bei dem Beklagten unter Vorlage der
für sie ausgestellten Freizügigkeitsbescheinigungen (Bescheid vom 29.12.2011; Widerspruchsbescheid vom 01.03.2012). Während
des laufenden Klageverfahrens wurden ihnen im Eilverfahren durch Beschluss des LSG NRW vom 22.05.2012 - L 6 AS 412/12 B ER - Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen vorläufig für die Zeit ab Zustellung des Beschlusses bis zum
01.09.2012 zuerkannt. Der Beschluss wurde vom Beklagten ausgeführt (Bescheid vom 31.05.2012). Einen weiteren Antrag der Kläger
auf Weiterbewilligung vom 19.07.2012 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 06.09.2012 ab. Seit dem 01.01.2013 stehen die Kläger
im laufenden Leistungsbezug.
Gegen den Bescheid vom 09.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2010 haben die Kläger am 06.01.2011
bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen Klage erhoben. Nach ihrer Auffassung stellt der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II eine unzulässige Diskriminierung von Unionsbürgern dar.
Die Kläger haben beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 09.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2010 zu verurteilen,
ihnen Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 03.11.2010 bis 19.06.2011 zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 20.11.2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der streitgegenständliche Zeitraum sei auf den Zeitraum
vom 03.11.2010 bis 19.06.2011 beschränkt, da eine Leistungsgewährung vor Antragstellung nicht in Betracht komme und über den
Antrag vom 20.06.2011 in einem eigenständigen Verwaltungsverfahren entschieden worden sei. Die Kammer könne offen lassen,
ob die Kläger die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II erfüllten, jedenfalls seien sie nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) könnten sich nur auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche
und der Kläger zu 3) auf ein hiervon abgeleitetes Aufenthaltsrecht berufen. Europarechtliche Erwägungen stünden dem Leistungsausschluss
nicht entgegen. Das Diskriminierungsverbot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 greife nicht, da die VO (EG) 883/2004 keine Anwendung
finde.
Gegen das am ihnen 11.01.2013 zugestellte Urteil richtet sich die am 21.01.2013 eingelegte Berufung der Kläger, mit der sie
ihr Begehren weiterverfolgen. Zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen haben die Kläger zu 1) und 2) in der mündlichen
Verhandlung vor dem erkennenden Gericht ergänzende Angaben gemacht und Kontoauszüge bezogen auf den hier in Rede stehenden
Leistungszeitraum vorgelegt.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20.11.2012 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom
09.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2010 zu verurteilen, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
(Regelleistung und Kosten der Unterkunft) für die Zeit vom 03.11.2010 bis zum 19.06.2011 unter Anrechnung monatlichen Einkommens
der Kläger zu 1) und 2) in Höhe von jeweils 130 Euro monatlich und des Klägers zu 3) in Höhe von 184 Euro monatlich (Kindergeld)
nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und hat Beratungsvermerke sowie Datenbankauszüge der Bundesagentur für Arbeit
die Kläger betreffend vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte der Kläger, der beigezogenen Ausländerakte der Stadt H. sowie der Prozessakten
des Sozialgerichts Gelsenkirchen S 31 AS 2794/10 ER (L 19 AS 388/11 B ER), S 31 AS 30/12 ER (L 6 AS 412/12 B ER) und S 31 AS 577/12 verwiesen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig. Gegenstand der Überprüfung im Berufungsverfahren ist der angefochtene Bescheid vom 09.11.2010 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2010, gegen den sich die von den Klägern zulässigerweise erhobene kombinierte
Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) richtet. Das beklagte Jobcenter ist nach §
70 Nr.
1 SGG beteiligtenfähig (BSG Urteil vom 18.01.2011 - B 4 AS 108/10 R - [...] Rn. 9). Nach § 76 Abs. 3 S. 1 SGB II ist die gemeinsame Einrichtung als Rechtsnachfolger an die Stelle des bisherigen Entscheidungsträgers getreten.
Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 09.11.1010
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2010 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§
54 Abs.
2 S. 1
SGG). Die Kläger haben einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Regelleistung und Kosten der Unterkunft)
für die Zeit vom 03.11.2010 bis zum 19.06.2011.
I.
Die Kläger zu 1) und 2) erfüllen in dem hier in Rede stehenden Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 7 Abs. 1 S. 1, 9 Abs. 1 SGB II in der Fassung vom 23.12.2007 bzw. 20.12.2011.
Die Kläger zu 1) und 2) hatten das 15. Lebensjahr vollendet, aber noch nicht die Altersgrenze nach § 7a SGB II erreicht (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II). Sie waren auch erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 8 SGB II. Körperliche, geistige oder seelische Beeinträchtigungen standen der nach § 8 Abs. 1 SGB II zu beurteilenden Erwerbsfähigkeit nicht entgegen. Die Kläger zu 1) und 2) waren auch nicht an einer Erwerbstätigkeit gehindert
(§ 8 Abs. 2 SGB II), denn ihnen hätte als rumänischen Staatsangehörigen die Aufnahme einer Beschäftigung nach Maßgabe des §
284 Abs.
3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) i.V.m. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) im streitigen Zeitraum erlaubt werden können (BSG Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, Rdnr. 13 ff).
Die Kläger zu 1) und 2) hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Sie hielten sich zukunftsoffen und ohne erkennbare
Anzeichen, dies ändern zu wollen, in Gelsenkirchen auf (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. §
30 Abs.
2 S. 3
SGB I). Zwar waren die Kläger zu 1) und 2) im streitigen Zeitraum nicht mehr im Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung nach §
5 FreizügG/EU. Dieser Bescheinigung kommt aber bei der Beurteilung des Aufenthaltsstatus nur deklaratorische Bedeutung zu, da sich das
Freizügigkeitsrecht der Kläger unmittelbar aus Gemeinschaftsrecht ergibt. Auch bei Staatsangehörigen aus neuen Mitgliedstaaten
kann der Aufenthalt während der Übergangsphase nur unter den Voraussetzungen der §§ 5 Abs. 5, 6 und 7 FreizügG/EU wegen des Wegfalls, des Verlustes oder des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts nach Durchführung eines Verwaltungsverfahrens
beendet werden (BSG Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, Rdnr. 13 ff mwN). Ein solches Verfahren ist weder durchgeführt, noch überhaupt in Aussicht genommen worden.
Die Kläger waren im streitigen Zeitraum hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 9 SGB II. Ihr Bedarf lag 2010 bei 323 EUR, ab dem 01.01.2011 bei 328 EUR (Kläger zu 1) und 2)) und 251 EUR (Kläger zu 3)) zuzüglich
der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Kopfteilen (ohne Kosten der Warmwasserbereitung). Dieser Bedarf
wurde - über Vermögen verfügten die Kläger nicht - nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen gedeckt. Das für den Kläger
zu 3) gezahlte Kindergeld in Höhe von 184 EUR monatlich deckt schon dessen Regelbedarf nicht. Entsprechendes gilt für die
aus dem Vertrieb der Obdachlosenzeitung "g" durch die Kläger zu 1) und 2) erzielten Einkünfte von 130,00 EUR monatlich, die
bei Ihnen nach Abzug der Freibeträge mit jeweils 24 Euro auf den Bedarf anzurechnen sind. Ansprüche auf ggf. vorrangige Sozialleistungen
bestanden nicht.
Der Beurteilung der Hilfebedürftigkeit hat das Gericht die Angaben der Kläger zu 1) und 2) im Senatstermin vom 28.11.2013
zugrundegelegt. Sie sind schlüssig, in sich widerspruchsfrei und stimmen mit ihren bisherigen Angaben im Verwaltungs- und
Gerichtsverfahren überein; auch aus den Kontounterlagen ergeben sich keine Anhaltspunkte, diese Darstellung der Einkommens-
und Vermögensverhältnisse in Zweifel zu ziehen. Dass die Kläger nicht über Vermögen und nur über das angegebene Einkommen
verfügten, hält das Gericht auch vor dem Hintergrund für glaubhaft, dass sie ihre Miete nicht gezahlt haben, das Mietverhältnis
deshalb gekündigt wurde und die Wohnung schließlich zwangsgeräumt wurde. Hätten die Kläger Zugriff auf Vermögen oder weiteres
Einkommen gehabt, hätte es nahe gelegen, dieses zum Erhalt der Wohnung einzusetzen.
II.
Die Kläger sind auch nicht gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Die Voraussetzungen der § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II und § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB II liegen nicht vor. Die Voraussetzungen des danach allein noch in Betracht kommenden § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sieht der Senat zwar als erfüllt an. Dieser Ausschlussgrund entfaltet aber jedenfalls deshalb keine Wirkung, weil er mit
europäischem Sekundärrecht nicht vereinbar ist.
1. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sind erfüllt, da der Kläger zu 1) allein zum Zwecke der Arbeitssuche nach Deutschland einreiste, auch nur insoweit verfügten
er und die Klägerin zu 2) im Weiteren über ein Aufenthaltsrecht.
a) Ein Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen ergibt sich für ihn weder aus dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von
Unionsbürgern (FreizügG/EU) noch aus dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Insbesondere scheiden hier ein - abgeleitetes - Aufenthaltsrecht zur Ausbildung des Klägers zu 3) und auch ein Aufenthaltsrecht
der Kläger zu 1) und 2) als Arbeitnehmer, Selbständige oder Nicht-Erwerbstätige aus. Die Kläger zu 1) und 2) waren seit der
Einreise bis zu dem hier im Streite stehenden Leistungszeitraum nicht erwerbstätig, sei es als Selbstständige oder in einem
Beschäftigungsverhältnis. Die bisherige Dauer ihres Aufenthaltes begründete kein Daueraufenthaltsrecht nach Maßgabe der §§
2 Abs. 2; 4a FreizügG/EU.
Aus Art. 18 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) lässt sich ebenfalls kein von der Arbeitssuche unabhängiges Aufenthaltsrecht ableiten. Das Recht der Unionsbürger, sich
im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, unterliegt der Beschränkung des Art. 7 Abs. 1 b der Richtlinie 2004/38/EG (Unionsbürger-RL), wonach das Aufenthaltsrecht, das nicht schon aufgrund anderer Bestimmungen des Gemeinschaftsrecht zuerkannt
ist, davon abhängig ist, dass die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen über eine alle Risiken im Aufnahmestaat abdeckende
Krankenversicherung und über ausreichende Existenzmittel verfügen, die sicherstellen, dass sie während ihres Aufenthaltes
die Sozialhilfe des Aufnahmestaates nicht in Anspruch nehmen müssen. Die Kläger hatten weder in diesem Sinne ausreichende
Existenzmittel, noch waren sie krankenversichert.
b) Der Auffassung, dass ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitssuche und damit auch der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II dann (wieder) entfallen soll, wenn die Arbeitssuche objektiv ohne begründete Aussicht auf Erfolg ist (so LSG NRW Urteil vom
10.10.2013 - L 19 AS 129/13 Rdnr. 40), kann sich der Senat nicht anschließen.
Für diesen Lösungsansatz, der hier die Überprüfung des Leistungsausschlusses nach den Regeln des Gemeinschaftsrechts entbehrlich
macht, mögen sich zwar innerhalb der nationalen (deutschen) Rechtsordnung rechtstechnisch nachvollziehbare Argumente finden,
die zudem in Art. 14 Abs. 4 b S. 2 RL 2004/38/EG einen europarechtlich gefärbten Ausgangspunkt haben (aA LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 15.11.2013 - L 15 AS 365/13 B ER, Rdnr. 20). Diese Ausdeutung des Merkmals "Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitssuche" führt aber deshalb nicht weiter,
weil sie keine ausreichend vorhersehbaren Kriterien bietet, die die Grenzen der Auslegung dieses Merkmals abstecken und die
tag- oder auch nur die monatgenaue Bestimmung des Leistungsanspruchs zulassen. Im Übrigen geht auch der Senat im Anschluss
an die Rechtsprechung des BSG (BSG Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R) weiterhin davon aus, dass so lange weiterhin von einem einmal begründeten Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche auszugehen
ist, wie es nicht durch ein anderes Recht zum Aufenthalt ersetzt oder auf das entfallene Recht aufenthaltsrechtlich reagiert
worden ist (s. auch LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 15.11.2013 - L 15 AS 365/13 B ER, Rdnr. 20). Für die von dieser Anknüpfungstatsache abhängigen Sozialleistungen bleibt es bei dieser Beurteilung des
Aufenthaltes, bis er nicht durch entsprechende aufenthaltsrechtliche Maßnahmen geändert bzw. beendet worden ist.
Ungeachtet der Bedenken gegen den rechtlichen Ansatz lässt sich aber auch für die Kläger zu 1) und 2) bezogen auf den Leistungszeitraum
nicht die Feststellung treffen, dass die Arbeitssuche nach der damals erforderlichen Einschätzung (Prognose) objektiv ohne
begründete Aussicht auf Erfolg war. Die Arbeitssuche mag sich, wie die lange Zeit der Arbeitslosigkeit zeigt, schwierig gestaltet
haben. Sie mag auch deshalb von vorneherein weniger Aussicht auf Erfolg versprochen haben, weil die Kläger nicht auf eine
Berufsausbildung verweisen können. Trotzdem waren sie in ihrem bisherigen Aufenthaltsstaat Belgien über Jahre im ersten Arbeitsmarkt
beschäftigt. Dass ihre Bemühungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt im Leistungszeitraum von vorneherein objektiv nicht hätten
erfolgreich sein können/sollen, zumindest wieder als Saisonarbeiter tätig zu sein, ist angesichts der bisherigen Erwerbsbiografie
nicht ersichtlich. Bei der Bewertung der längeren Zeit erfolgloser Bemühungen ist zudem zu berücksichtigen, dass die Kläger
nur in der Zeit des geregelten Leistungsbezugs durch den Beklagten bei der Arbeitssuche durch sog. aktivierende Leistungen
unterstützt wurden. Vor diesem Hintergrund waren die Eigenbemühungen jedenfalls nach Durchlaufen eines Integrationskurses
auch zum Erlernen der deutschen Sprache für die Klägerin erfolgreich, die sich nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen
Eindruck deutlich besser verständigen kann; beim Kläger zu 1), der diesen Kurs erst noch absolvieren wird, dauern sie an.
2. Trotz Erfüllung der Voraussetzungen des Leistungsausschlusses bleibt der Beklagte doch zur Gewährung der Leistungen verpflichtet.
Der Ausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II entfaltet jedenfalls wegen des Anwendungsvorrangs europäischen Sekundärrechts keine Wirkung. Er verstößt gegen das Gleichbehandlungsgebot
des Art. 4 der Verordnung (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme
der sozialen Sicherheit (VO (EG) 883/2004) und ist nicht durch die Möglichkeiten, den Zugang zu nationalen System der Sozialhilfe
auch für Unionsbürger zu beschränken, abgedeckt (vgl. Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich
im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (sog. Unionsbürgerrichtlinie (URL)).
a) Die Verordnung (EG) 883/2004, die die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 über die Anwendung der sozialen
System der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft
zu- und abwandern, ersetzt, ist am 01.05.2010 in Kraft getreten (s. Art. 91 VO (EG) 883/2004 in Verbindung mit der DurchführungsVO
(EG) 987/2009). Sie ist gemäß Art. 288 AEUV allgemein verbindlich und gilt in jedem Mitgliedstaat unmittelbar, ohne dass es eines innerstaatlichen Umsetzungsaktes bedarf;
nach dessen Abs. 2 können die Regelungen in diesen Wirkungen auch nicht durch nationale Gesetze oder Maßnahmen eingeschränkt
werden (s. BVerfG Beschluss vom 06.04.2010 2 BvR 2261/06, RdNr. 53; s auch schon EuGH Urteil vom 15.07.1964 - RS 6/64 Costa./. E.N.E.L.)
Die Kläger unterfallen nach Art. 2 Abs. 1 der VO (EG) 883/2004 dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung. Dieser ist
gegenüber dem der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 insofern erweitert, als er nicht mehr auf Arbeitnehmer, Selbständige, Studierende
und deren Angehörige beschränkt ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71) (vgl. Frings, ZAR 2012, 317 auch zu der ggfs. missverständlich formulierten Begrenzung auf versicherte Personen; s. etwa Fuchs, SGb 2008, 201; Schreiber, NZS 2012, 647). Vom persönlichen Geltungsbereich erfasst werden die Kläger bereits als Staatsangehörige eines Mitgliedstaates (Rumänien),
die ihren Wohnort in einem (anderen) Mitgliedstaat (Deutschland) haben, für die die Rechtsvorschriften dieses aufnehmenden
Staates gelten und die - wie hier über die Kindergeldberechtigung - in ein Sozialversicherungs- oder Familienleistungssystem
iSd Art. 3 Abs. 1 Verordnung (EG) 883/2004 eingebunden sind (so auch Bay. LSG Urteil vom 19.06.2013 - L 16 AS 847/12, [...] Rdnr. 59; Hess. LSG Beschluss vom 30.09.2013 - L 6 AS 433/13 B ER, [...] Rdnr. 26 mwN; s. auch den Erwägungsgrund 7 der VO (EG) 883/2004). Die zum 31.12.2013 auslaufenden Übergangsregelungen
für die Bürger der neu beigetretenen Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien betreffen nicht den Geltungsbereich, sondern enthalten
lediglich eine Beschränkung mit Blick auf §
284 SGB III.
Das Arbeitslosengeld II als die hier streitige Leistung nach dem SGB II unterfällt dem sachlichen Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004. Die Vorschriften des SGB II gehören zumindest insoweit zu den Rechtsvorschriften im Sinne des Art. 3 VO (EG) 883/2004.
Art. 1 Buchstabe l VO (EG) 883/2004 verweist zwar ausdrücklich nur auf Art. 3 VO (EG) 883/2004. Soweit aber daraus geschlossen
wird, dass sich der Anwendungsbereich der Verordnung auch nur auf Rechtsvorschriften bezogen auf die in Art. 3 VO (EG) 883/2004
aufgeführten Zweige der sozialen Sicherung bezieht und damit der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 der Verordnung auch
nur auf Leistungen aus diesen Systemen anzuwenden ist (s. SG Berlin Beschluss vom 11.06.2012 - S 205 AS 11266/12 ER - [...] Rdnr. 48 ff; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 07.05.2013 - L 29 AS 514/13 B ER, [...] Rdnr. 55 ff mwN), folgt dem der Senat nicht. Eine solche einschränkende Auslegung ist nach dem Wortlaut der Vorschrift
nicht geboten. Sie entspräche weder der Systematik noch Sinn und Zweck der Regelung (vgl. hierzu auch Bay. LSG aaO, [...],
Rdnr. 62 ff).
Ungeachtet des Verweises in Art. 1 bestimmt Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 den Anwendungsbereich der Verordnung mit Blick
auf hier streitigen Leistungen (Alg II) nach dem SGB II: "Diese Verordnung gilt auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gem. Art. 70". Durch die Wahl des bestimmten Artikel ("die beitragsunabhängigen Geldleistungen") wird auf alle beitragsunabhängigen Leistungen
"gem. Art. 70" verwiesen und nicht nur auf eine Teilmenge. Eine Beschränkung nach Kriterien, die außerhalb des Art. 70 VO
(EG) 883/2004 liegen, ist nach dem Wortlaut ausgeschlossen. Für eine qualitative Beschränkung des Anwendungsbereichs in dem
Sinne, dass die VO nur auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen anwendbar sein solle, deren (Anspruchs-)Grundlage
den Rechtsvorschriften nach Art. 3 VO (EG) 883/2004 zuzuordnen ist, hätte es angesichts des klaren Wortlauts einer ebenso
klaren ausdrücklich Regelung bedurft. Eine Ausnahme, wie sie Art. 3 Abs. 5 VO (EG) 883/2004 für soziale und medizinische Fürsorge
sowie Leistungssysteme für Opfer der Krieges und seiner Folgen enthält, ist für die hier streitigen Leistungen nicht ersichtlich.
Das Arbeitslosengeld II nach dem SGB II gehört zu den "besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen" nach Art. 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004. Diese Zuordnung setzt voraus, dass die Leistung einem besonderen Schutzzweck im Sinne eines zusätzlichen,
ersatzweisen oder ergänzendem Schutzes zu einem System der sozialen Sicherheit oder im Sinne eines besonderen Schutzes behinderter
Menschen dient (Sonderleistung), beitragsunabhängig finanziert wird und dass sie im Anhang X der VO (EG) 883/2004 aufgeführt
ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der besondere Schutzzweck des Arbeitslosengeldes II liegt darin, dass es sich um
eine ergänzende Leistung im Rahmen des Leistungssystems zur Überwindung von Arbeitslosigkeit handelt. Diese besondere ergänzende
Leistung ist nicht beitrags-, sondern steuerfinanziert und in Anhang X zur Verordnung (EG) 883/2004 aufgeführt (s Hess. LSG
aaO, [...] Rdnr. 32; Bay. LSG aaO, [...] Rdnr. 52 ff).
Art. 70 VO (EG) 883/2004 nimmt auch nicht besondere beitragsunabhängige Geldleistungen vom Gleichbehandlungsgebot des Art.
4 VO (EG) 883/2004 aus. Aus dieser Vorschrift selbst ergibt sich für auf den Anwendungsbereich der VO auf das Arbeitslosengeld
II nichts Anderes. Art. 70 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 enthält (nur) die Aufhebung des sog Exportverbots, indem die Geltung des
Art. 7 VO (EG) 883/2004 für die in Art. 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 genannten Leistungen ausdrücklich ausgeschlossen wird.
Der Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 ist nicht Gegenstand der Bestimmung (vgl. Schreiber in NZS 17/2012, 647; Bay. LSG
aaO, [...] Rdnr. 63) Insbesondere sollten hier nicht die in Art. 70 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 genannten "Rechtsvorschriften",
die erst im Laufe der jahrelangen Verhandlung hinzugetreten sind, vom sachlichen Anwendungsbereich ausgenommen werden (so
auch Hess. LSG aaO, [...] Rdnr. 33; Bay. LSG aaO, [...] Rdnr. 61 mwN; Greiser in: Eicher/Schlegel
SGB III, Art. 61 Verordnung (EG) 883/2004, Rdnr. 32, Stand 2/2013; aA SG Berlin Beschluss vom 11.06.2012 - S 205 AS 11266/12 ER, [...] Rdnr. 48 ff; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 07.05.2013 - L 29 AS 514/13 B ER, [...] Rdnr. 55 ff mwN).
b) Die Voraussetzungen des Art. 4 VO (EG) 883/2004 sind erfüllt. Diese Bestimmung regelt, dass Personen, für die die VO gilt
und sofern in dieser VO nichts anderes bestimmt ist, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines
Mitgliedsstaates haben wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 4 der
VO (EG) 883/2004 führt wegen des Anwendungsvorrangs zur Nichtanwendbarkeit des diskriminierenden Merkmals des nationalen Rechts
bei Anwendung der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des Leistungsanspruchs (st. Rspr. des EuGH seit Rs 63/76, Slg 1976, 2057 - Inzirillo).
aa) Bei dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II handelt es sich um eine offene, unmittelbare Diskriminierung, denn das entscheidende Unterscheidungskriterium ist die Staatsangehörigkeit.
In der VO (EG) 883/2004 selbst findet sich keine (ausdrückliche) Regelung, die eine solche unterschiedliche Behandlung zulässt
(s auch Dern in Schreiber/Wunder/Dern VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 4 VO RdNr. 5).
bb) Eine den Leistungsausschluss möglicherweise rechtfertigende Einschränkung des Diskriminierungsverbots ergibt sich nicht
aus Art. 24 Abs. 2 2. Alt in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b) der RL 2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie).
Die RL 2004/38/EG ist auf die Kläger als sogenannte (Neu-)Unionsbürger neben der VO (EG) 883/2004 anwendbar (s EuGH Urteil vom 19.09.2013 -
C-140/12, Brey, [...], Rdnr. 57). Dabei ist davon auszugehen, dass die RL 2004/38/EG im Ausgangspunkt das Freizügigkeitsrecht zum Gegenstand hat, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und
aufzuhalten, hingegen die VO (EG) 883/2004 grundsätzlich Unionsbürgern, die von ihrem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit
Gebrauch gemacht haben, die Beibehaltung des Anspruchs auf bestimmte Leistungen der sozialen Sicherheit, garantieren soll
(EuGH Urteil vom 19.09.2013 - C-140/12, Brey, [...], Rdnr. 57).
Die streitigen Leistungen nach dem SGB II sind Sozialhilfeleistungen iSd RL 2004/38/EG. Der Begriff der "Sozialhilfeleistungen" ist hier nicht anhand von formalen Kriterien, sondern anhand des mit der Bestimmung
verfolgten Ziels zu bestimmen (vgl. EuGH Urteil vom 19.09.2013 - C-140/12, Brey, [...], Rdnr. 60 mwN). Wollte man "Sozialhilfeleistungen" begrifflich auf die sozialen Fürsorgeleistungen reduzieren,
würde die Einordnung einer Leistung als Sozialhilfeleistung insbesondere davon abhängen, ob die Gewährung dieser Leistung
im nationalen Recht ausschließlich von der Bedürftigkeit des Betroffenen oder von weiteren objektiven Kriterien abhängig ist.
Dies hätte zur Folge, dass die Mitgliedstaaten abhängig von der grundsätzlichen Organisation ihrer nationalen Systeme der
sozialen Sicherheit ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandelt würden (so EuGH Urteil vom 19.09.2013 - C-140/12, Brey, [...], Rdnr. 59).
Nach inhaltlichen Kriterien sind die hier streitigen Leistungen nach dem SGB II als Sozialhilfeleistung zu qualifizieren (so auch LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 25.08.2010 - L 7 AS 3769/10 ER-B; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.11.2010 - L 34 AS 1501/10 B ER mwN). Denn nach der Rechtsprechung des EuGH, die auch der Senat zugrunde legt, sind Sozialhilfeleistungen sämtliche
von öffentlichen Stellen eingerichteten Hilfssysteme, die auf nationaler, regionaler oder örtlicher Ebene bestehen und die
ein Einzelner in Anspruch nimmt, der nicht über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung seiner Grundbedürfnisse und derjenigen
seiner Familie verfügt und deshalb während seines Aufenthalts möglicherweise die öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats
belasten muss, was Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben kann, die dieser Staat gewähren kann (EuGH, Urteil
vom 19.09.2013 - C-140/12, Brey, [...], Rdnr 61).
Ist danach die RL 2004/38/EG neben der VO (EG) 883/2004 grundsätzlich anwendbar, stellt Art. 24 Abs. 2 2. Alt in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b) der RL 2004/38/EG eine inhaltliche Einschränkung des Diskriminierungsverbots dar. Nach Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG genießt zwar jeder Unionsbürger, der sich aufgrund der Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates aufhält, im
Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates. Abweichend von Abs.
1 ist der Aufnahmemitgliedstaat jedoch nach Abs. 2 nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen,
Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts
oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b) RL 2004/38/EG einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen
zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren. Dem (Aufnahme-) Mitgliedstaat ist es danach
grundsätzlich erlaubt, Unionsbürgern, die die Arbeitnehmereigenschaft nicht oder nicht mehr besitzen, Beschränkungen in Bezug
auf die Gewährung von Sozialleistungen aufzuerlegen, damit diese die Sozialhilfeleistungen dieses Staates nicht unangemessen
in Anspruch nehmen (EuGH Urteil vom 19.09.2013 - C-140/12, Brey, [...], Rdnr. 57).
Art. 24 Abs. 2 2. Alt i.V.m. Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b) der RL 2004/38/EG gilt auch im Anwendungsbereich des Art. 4 VO (EG) 883/2004. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift gilt das Gleichbehandlungsgebot nur dann (uneingeschränkt), "sofern
in dieser VO nichts anderes bestimmt ist". Im Wege der Auslegung findet die Einschränkung nach Art. 24 Abs. 2 2. Alt i.V.m. Art. 14 Abs. 4b RL 2004/38/EG ihrem Grundgedanken nach deshalb Anwendung, weil zwischen den Rechtsquellen Richtlinie und Verordnung zwar kein formelles,
aber doch ein inhaltliches Rangverhältnis in dem Sinne besteht, dass die VO (EG) 883/2004 der Durchsetzung der Freizügigkeitsrechte
nach Maßgabe der RL 2004/38/EG zu dienen bestimmt ist (Fuchs, Europäisches Sozialrecht (2010) 29 "freizügigkeitsspezifisches Sozialrecht"; in diesem Sinne
auch SG Duisburg Beschluss vom 24.09.2012 - S 3 AS 3413/12 ER; s. auch EuGH Urteil vom 19.09.2013 - C-140/12, Brey, [...], Rdnr. 51; aA Frings aaO). Angesichts der Aufgabe der VO (EG) 883/2004, mögliche nachteilige Wirkungen zu verhindern,
die sich über den Bezug von Sozialleistungen auf die Ausübung der Freizügigkeit ergeben können (EuGH Urteil vom 19.09.2013
- C-140/12, Brey, [...], Rdnr. 51), ist ein Abgleich des sozialrechtlich-spezifischen mit dem aufenthaltsrechtlich-spezifischen Rahmen
geboten.
Die Ausschlussgrund des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ist nicht durch Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 4b RL 2004/38/EG gedeckt. Schon nach dem Wortlaut des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG ("gegebenenfalls") ist ein Ausschluss, der sich - ohne Möglichkeit der Prüfung weiterer Voraussetzungen - über einen Zeitraum
von mehr als drei Monaten erstreckt, nicht zulässig. Auch aus Art. 7 Abs. 1 Buchst. b, Art. 14 Abs. 1 RL 2004/38/EG und dem 16. Erwägungsgrund der Richtlinie ergibt sich nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH Urteil vom 19.09.2013 - C-140/12, Brey, [...]) die Notwendigkeit einer weitergehenden Prüfung:
Zu prüfen ist einmal, ob die Gewährung der Leistung tatsächlich eine Belastung für das Sozialhilfesystem des Aufnahmestaates
darstellt. Mit der Prüfung der "unangemessenen" Belastung des (gesamten) Sozialhilfesystems des Aufnahmestaates erkennt die
RL 2004/38/EG eine bestimmte finanzielle Solidarität des Aufnahmemitgliedstaates mit denen der anderen Mitgliedstaaten an, insbesondere
wenn die Schwierigkeiten, auf die der Aufenthaltsberechtigte stößt, nur vorübergehender Natur sind (EuGH Urteil vom 19.09.2013
- C-140/12, Brey, [...], Rdnr. 72 mwN). Zur Prüfung der Angemessenheit bedarf es der genaueren Beurteilung des Ausmaßes der Belastung
für das nationale Sozialhilfesystem. In diesem Zusammenhang kann von Bedeutung sein, den Anteil vergleichbarer Leistungsempfänger
(Unionsbürger) in Deutschland und/oder in anderen Mitgliedsstaaten zu ermitteln (EuGH, Urteil vom 19.09.2013 - C-140/12, Brey, [...], Rdnr. 79).
Zum Anderen ist die (Un-)Angemessenheit der Inanspruchnahme anhand aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere mit Blick
auf die persönlichen Umstände der Betroffenen (namentlich vorübergehende Schwierigkeiten, Dauer des Aufenthalts, Höhe der
Leistung) auch nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen (EuGH, Urteil vom 19.09.2013 - C-140/12, Brey, [...], Rdnr. 79).
Eine solche Einschätzung der Belastung des deutschen Sozialhilfesystems hat der Gesetzgeber nicht erkennbar vorgenommen; er
hat auch keine Einzelfallprüfung bezogen auf die hier streitigen Leistungen nach dem SGB II zugelassen.
Von der Ermächtigung des Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 der RL 2004/38/EG hat er auch im Bereich des SGB II für die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aus dem Blickwinkel öffentlichen Interesses Gebrauch machen wollen,
um einer unangemessenen Inanspruchnahme der SGB II-Leistungen durch Arbeitsuchende aus anderen Mitgliedstaaten entgegenzuwirken (siehe BT-Drucks 16/688 S. 13). Dabei sind keine
Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Größenordnung der sog. Armutszuwanderung für Deutschland und im
Vergleich zu (den) anderen "wohlhabenderen" Mitgliedsstaaten, ggfs. in einer Gesamtschau auch die möglicherweise überwiegenden
Vorteile der Zuwanderung der Neuunionsbürger für die Systeme der sozialen Sicherheit insgesamt in den Blick genommen hat (vgl.
den Überblick etwa zur Zahl der Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien, deren beruflicher Qualifikation und Arbeitslosenquote
im Vergleich zur Gesamtbevölkerung und zu anderen EU-Bürgern des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB-Kurzbericht
16/2013) Brücker, Hauptmann, Vallizadeh Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien - Arbeitsmigration oder Armutsmigration). Eine
Abwägung des einzelstaatlichen öffentlichen Interesses mit der in der RL 2004/38/EG anerkannten und einzufordernden Solidarität der Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten untereinander hat nicht stattgefunden.
Der Gesetzgeber hat die Unionsbürger automatisch von den Leistungen ausgenommen, ohne Ausnahmen nach den besonderen Umständen
des Einzelfalls zumindest im Sinne einer Härtefallregelung zuzulassen. Die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sieht vor, dass ein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaates, dessen Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der
Arbeitssuche ergibt, unabhängig von den weiteren Umständen seines Aufenthaltes, von der Höhe der Leistung und dem voraussichtlichen
Zeitraum der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist. Dieser Ausschluss erfolgt auch unabhängig von der Frage, welche Belastung sich aus dieser Leistung für
das gesamte Sozialleistungssystem ergibt.
Bezogen auf die europarechtlichen Fragestellungen ist die hier vorliegende Fallgestaltung derjenigen vergleichbar, über die
der EuGH bereits in der Rechtssache Brey entschieden hat (EuGH, Urteil vom 19.09.2013 - C-140/12, Brey, [...], Rdnr. 79):
Mit dem EuGH geht das Gericht davon aus, dass Art. 4 VO (EG) 883/2004 auf die hier im Streite stehenden Leistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) anwendbar ist. Ebenso anwendbar ist Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 RL 2004/38/EG; bei dem Arbeitslosengeld II handelt es sich um Sozialhilfeleistungen im Sinne dieser Vorschriften. Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots
in Übereinstimmung mit den Vorschriften der Unionsbürgerrichtlinie RL 2004/38/EG sind auch im Rahmen des Art. 4 VO (EG) 883/2004 zu beachten. Mit sekundärem Gemeinschaftsrecht, so wie es sich insbesondere aus Art. 24 Abs. 1 und 2; 7
Abs. 1 Buchstabe b; 8 Abs. 4; 14 Abs. 3 RL 2004/38/EG ergibt, ist es nicht vereinbar, dass ein Unionsbürger, der sich allein zur Arbeitssuche in Deutschland zulässigerweise aufhält
oder aufgehalten hat, ohne dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet sind, automatisch und ohne Möglichkeit einer weiteren
Einzelfallprüfung unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist.
III.
Für den Anspruch des Klägers zu 3) gilt: Der Kläger zu 3) ist nicht erwerbsfähig, er hat gem. § 7 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 7 Abs. 3 Nr. 4 und § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der Kläger zu 1) und 2) einen Anspruch auf Sozialgeld, auf welches das Kindergeld gem.
§ 11 Abs. 1 S. 4 SGB II anzurechnen ist. Der Ausschlussgrund (für Familienangehörige) des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II greift, wie oben dargestellt, nicht, da die Kläger zu 1) und 2) nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war gem. §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.