Zur Förderung einer Ausbildung zur Ergotherapeutin im Rahmen beruflicher Rehabilitation im einstweiligen Rechtsschutzverfahren;
Berufliche Rehabilitationsmaßnahme im einstweiligen Rechtsschutzverfahren; Ermessen des Rehaträgers hinsichtlich des "wie"
der Maßnahme; Ermessensreduzierung auf Null; Vorwegnahme der Hauptsache
Gründe
I.
Die am 24. März 2021 nach §
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 2. März
2021 mit dem sinngemäßen Antrag,
den Beschluss vom 2. März 2021 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, der Antragstellerin im Eilverfahren die
Förderung einer Ausbildung zur Ergotherapeutin im Rahmen beruflicher Rehabilitation zu gewähren,
ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht und
mit zutreffenden Gründen, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§
142 Abs.
2 Satz 3
SGG), abgelehnt.
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.
Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts, dass schon kein Anordnungsgrund für die Verpflichtung der Antragsgegnerin
zur vorläufigen Leistungserbringung besteht, weil die Antragstellerin keine schweren und unzumutbaren Nachteile durch ein
Abwarten der Hauptsacheentscheidung zu erwarten hat. Dabei ist zu beachten, dass grundsätzlich wegen des vorläufigen Charakters
der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung nicht vorweggenommen werden soll. Eine Vorwegnahme der Hauptsache
liegt dann vor, wenn eine begehrte Sachleistung aufgrund einer einstweiligen Anordnung erbracht wird und, für den Fall eines
Unterliegens im anschließenden Hauptsacheverfahren, eine Rückabwicklung nicht oder nur eingeschränkt möglich ist. Das ist
hier der Fall, da die Antragstellerin von der Antragsgegnerin die Bewilligung der Sachleistung Teilhabe am Arbeitsleben, konkret
bezogen auf eine Maßnahme zur Ergotherapeutin, fordert. Das bedeutet zwar nicht, dass einstweilige Anordnungen, die auf eine
solche Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet sind, stets ausgeschlossen sind. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu
gewähren (vgl. Art.
19 Abs.
4 Grundgesetz), ist von diesem Grundsatz eine Abweichung aber nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare,
später nicht wieder gut zu machende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache
nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988 - 2 BvR 745/88 -, juris). Die Antragstellerin beruft sich zur Begründung solcher Nachteile darauf, dass sie nur noch bis zum 12. Mai 2021
Arbeitslosengeld erhalten werde und anschließend auf Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch angewiesen sei. Angesichts einer zu hohen Gesamtbruttomiete stehe zu erwarten, dass das Jobcenter ihre Unterkunftskosten
nach einem Kostensenkungsverfahren nur noch in reduzierter Form übernehmen werde. Dadurch fühle sie sich in ihrer Existenz
bedroht. Allein die Tatsache eines möglicherweise zukünftig anstehenden Bezuges von Grundsicherungsleistungen und eines vermuteten
Kostensenkungsverfahrens, dass ohnehin frühestens Ende 2021 Wirkung entfalten könnte, rechtfertigt aber nicht eine Vorwegnahme
der Entscheidung. Im Teilhaberecht ist eine Vielzahl der Antragsteller und Antragstellerinnen wegen gesundheitlicher Einschränkungen
nicht mehr erwerbstätig und auf Lohnersatzleistungen/ Grundsicherungsleistungen angewiesen. Dies müsste - würde man der Argumentation
der Antragstellerin folgen - dann regelmäßig und automatisch dazu führen, Leistungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren
zur Verfügung zu stellen. Dies wäre mit dem Ausnahmecharakter der vorläufigen Regelung unvereinbar.
Darüber hinaus liegt hier aber auch kein Anordnungsanspruch vor. Ein Anspruch auf Förderung einer Ausbildung zur Ergotherapeutin
als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben richtet sich nach §
16 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) in Verbindung mit §§
33 bis
38 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX). Hierbei ist jeweils zu beachten, dass Leistungen zur Teilhabe gemäß §§
9 Abs.
2,
13 SGB VI in das Ermessen des Leistungsträgers gestellt sind. Das Ermessen betrifft dabei nicht die hier ohnehin schon zugunsten der
Antragstellerin entschiedene Frage, "ob" eine Reha-Maßnahme durchzuführen ist. Der Versicherungsträger hat jedoch ein Ermessen
hinsichtlich des "wie" der Maßnahme; dies gilt insbesondere für Art, Dauer, Umfang, Beginn, Durchführung und Ort der Rehabilitationsleistung.
Dieses Auswahlermessen steht zwar dem Vorliegen eines Anordnungsanspruchs grundsätzlich nicht entgegen. Dem Senat ist es aber
verwehrt, an Stelle des vom Versicherungsträger auszuübenden Ermessens sein eigenes Ermessen zu setzen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
54 Rn. 28). Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, d.h. das Ermessen nur in einem
bestimmten Sinne ausgeübt werden kann und jede andere Entscheidung fehlerhaft wäre (Keller a.a.O., Rn. 29).
Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist vorliegend eine derartige Ermessensreduzierung
auf Null nicht gegeben. Der Antragstellerin ist zwar darin beizupflichten, dass die Antragsgegnerin gehalten ist, möglichst
den beruflichen Wünschen und Vorstellungen der Versicherten durch die Maßnahme gerecht zu werden. Gemäß §
33 Abs.
4 S. 1
SGB IX müssen bei der Auswahl der Leistungen Eignung, Neigung, die bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt
angemessen berücksichtigt werden. Von berechtigten Wünschen kann aber nur ausgegangen werden, wenn sie sich im Rahmen des
Leistungsrechts, der mit ihm verfolgten Zielsetzung und sonstigen Vorgaben halten. Zielsetzung einer beruflichen Teilhabeleistung
ist die dauerhafte berufliche Eingliederung des Versicherten, die nur gelingen kann, wenn die angestrebte berufliche Tätigkeit
seinem Gesundheitszustand entspricht und sein Leistungsvermögen nicht überschreitet.
Vorliegend bestehen jedoch auch aus Sicht des Senats Zweifel, ob die Tätigkeit als Ergotherapeutin mit dem Leistungsvermögen
der Antragstellerin zu vereinbaren ist, weil ihre behandelnde Ärztin Dr. R______ noch in ihrem ärztlichen Befundbericht zum
Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation der Antragstellerin Konzentrationsstörungen und eine deutlich reduzierte psychische
Belastbarkeit sowie eine Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes der Antragstellerin beschrieben hat und auch
für die Folgezeit keine Arztberichte vorliegen, die von einer relevanten Besserung ausgehen. In dem Abschlussbericht der beruflichen
Belastungserprobung werden vielmehr weitere Faktoren beschrieben, die die Arbeit mit Menschen in einem therapeutischen Setting
negativ beeinflussen könnten (Defizite in der Selbstreflexion, im Erkennen der eigenen Grenzen sowie im Einfühlen in das Gegenüber).
Für eine Tätigkeit im sozialen Bereich mit therapeutischem Schwerpunkt ist die psychische Belastbarkeit sowie eine hohe Sozialkompetenz
aber unabdingbare Voraussetzung, um mit gesundheitlich beeinträchtigten Menschen kompetent umzugehen (siehe BERUFENET - Berufsinformation
Ergotherapeut/in der Bundesagentur für Arbeit, Anforderungsprofil, https://berufenet.arbeitsagentur.de). Es erscheint fraglich
und nach derzeitigem Sachstand auch medizinisch nicht abschließend geklärt, ob die Antragstellerin den mit der Tätigkeit verbundenen
Anforderungen dauerhaft gewachsen wäre. Der sozialmedizinische Dienst der Deutschen Rentenversicherung Bund sieht die angestrebte
Tätigkeit als Ergotherapeutin mit dem Ziel einer dauerhaften Wiedereingliederung in das Erwerbsleben jedenfalls nicht als
leidensgerecht für die Klägerin an. In somatischer Hinsicht bestehen ebenfalls Zweifel, weil Ergotherapeutin/innen auch gelegentlich
körperlich schwere Stütz - und ggf. Hebeleistungen erbringen müssen, was bei der Antragstellerin wegen ihrer Rückenprobleme
und der Minderung ihres Stütz - und Bewegungsapparates zumindest problematisch ist. In der Gesamtschau ist es jedenfalls nicht
ohne Weiteres ersichtlich, dass die Antragstellerin von ihren psychischen und körperlichen Beeinträchtigungen die für eine
Ausbildung zur Ergotherapeutin notwendigen Voraussetzungen erfüllt. Zugleich ist damit nicht erkennbar, dass nur die Gewährung
der Umschulung zur Ergotherapeutin die allein zutreffende Entscheidung sein konnte und kann.
Ob daneben auch die Dauer der Maßnahme gegen eine Förderung spricht oder aber arbeitsmarkt - oder gesundheitlichen Gründe
für eine mehr als zweijährige Teilhabeleistung vorliegen, bedarf deswegen keiner Prüfung.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den zutreffenden Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 2. März 2021 konnte nach
alledem keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich in entsprechender Anwendung von §
193 Abs.
1 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.