Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV; im Folgenden BK Nr. 2108) und die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens
20 v. H.
Der 1968 geborene Kläger absolvierte seit August 1985 eine Ausbildung zum Dachdecker, die er im Juli 1988 erfolgreich abschloss.
Während dieser Zeit besuchte der Kläger zu 20 % die Berufsschule. Zu 80 % arbeitete er auf diversen Baustellen. Der Kläger
war dann seit September 1988 als Dachdecker tätig. In der Zeit zwischen 1990 und 1993 war der Kläger bei der Bundeswehr. Seit
Mai 1994 arbeitete der Kläger erneut als Dachdecker. Als Dachdecker führte der Kläger Dacheindeckungen auf Neubaustellen sowie
Dachumdeckungen (Sanierungsarbeiten) auf Dächern aller Art aus. Hierbei verarbeitete er Dachziegel, Schieferplatten und Dachbahnen.
Zu 20 % der Gesamtzeit führte der Kläger auch Zimmerarbeiten durch. Ab Januar 2015 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt.
Seit Mai 2017 übte er seinen Beruf nicht mehr aus. Der Senat verweist auf einen Überblick über die Arbeitszeiträume, Blatt
117 der Verwaltungsakte - VA.
Im September 2015 zeigte Dr. F den Verdacht des Vorliegens einer Berufskrankheit beim Kläger bei der Beklagten an.
Die Beklagte holte medizinische Befundberichte und eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes ein. Der Beratungsarzt Dr. P,
Facharzt für Arbeitsmedizin, kam in seiner ärztlichen Stellungnahme (Bl. 107 der Verwaltungsakte - VA) zum Ergebnis, dass
beim Kläger ein bisegmentaler Bandscheibenschaden in den Segmenten L4/5 und L5/S 1 bestehe. Die HWS zeige dagegen einen monosegmentalen
Bandscheibenschaden in Höhe C 5/6. Die degenerativen Veränderungen an der LWS seien führend. Eine Begleitspondylose sowie
wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren seien nicht nachweisbar. Es sei eine B4-Konstellation zu prüfen. Das 1. Zusatzkriterium
nach B 2 liege nicht vor. Sollte weder das zweite noch das dritte Zusammenkriterium vorliegen, sei der Erkrankungsfall in
die B3-Konstellation einzuordnen, die nicht anerkennungsfähig sei.
Die Präventionsabteilung der Beklagten kam in ihrer Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition vom 11. Dezember 2015 (Blatt
116-127 VA) zum Ergebnis, dass beim Kläger eine Gesamtlebensbelastung von DH = 19,3 x 106 Nh vorliege. Dies entspreche 77 % des Orientierungswertes von 25 × 106 Nh. Der hälftige Orientierungswert von DH = 12,5 x 106 Nh sei überschritten. Der Richtwert für die Lebensdosis von 25 MNh sei innerhalb von zehn Jahren nicht erreicht worden. Im
Beurteilungszeitraum von 1985-2005 seien beim Heben oder Tragen von Lasten Druckkräfte auf L5/S1 aufgetreten, die den Wert
von 6,0 kN nicht erreichten. Der Mainz-Dortmunder-Dosismodell-Richtwert (MDD-Richtwert) für die Lebensdosis in weniger als
zehn Jahren sei nicht erreicht worden. Das 2. Zusatzkriterium gemäß der Konstellation "B 2" der Konsensempfehlungen sei nicht
erreicht. Ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastung im Sinne des 3. Zusatzkriteriums habe nicht vorgelegen.
Anhaltspunkt hierfür wäre das Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis- Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen (bei Männern
ab 6 kN).
Mit Bescheid vom 21. Dezember 2015 lehnte die Beklagte die Anerkennung der BK Nr. 2108 ab. Die beim Kläger festgestellte Erkrankung
sei nicht ursächlich auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen. Eine anerkennungsfähige Konstellation nach den Konsensempfehlungen
liege nicht vor.
Den hiergegen am 15. Januar 2016 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2016 als unbegründet
zurück. Die Belastung sei nach dem sogenannten Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD-Modell) durch den Präventionsdienst der Beklagten
unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ermittelt worden. Der Richtwert für die Gesamtbelastungsdosis betrage 25 x 106 Nh. Im vorliegenden Fall sei der hälftige Richtwert überschritten (19,3 x 106 Nh), sodass eine besonders gründliche Prüfung der medizinischen Voraussetzungen vorzunehmen sei. Zur Prüfung der medizinischen
Voraussetzungen nach den Konsensempfehlungen "Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten
der Lendenwirbelsäule" seien die vorliegenden Berichte und Aufnahmen bildgebender Verfahren mit Unterstützung einer Beratungsärztin
ausgewertet worden. Im Segment C5/C6 der Halswirbelsäule bestehe ein Bandscheibenvorfall. In den Segmenten L4/L5 und L5/S1
bestünden Bandscheibenvorfälle an der Lendenwirbelsäule. Eine Begleitspondylose liege nicht vor. Es sei von einer mit dem
Buchstaben "B" beginnenden Konstellation auszugehen. Da keines der Zusatzkriterien der Konstellation "B 2" vorliege, bestehe
eine Konstellation "B 3", bei der kein Konsens hinsichtlich eines wahrscheinlichen Zusammenhangs bestehe. Eine Berufskrankheit
sei mithin nicht anzunehmen.
Mit der hiergegen am 1. Juni 2016 beim Sozialgericht Schleswig erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Die Entscheidung der Beklagten sei aufgrund der gravierenden Belastungen, denen er bei seiner Tätigkeit als Dachdecker ausgesetzt
gewesen sei, für ihn ohne eigene Untersuchung nicht nachzuvollziehen. Die Belastung sei höher als 19 MNh. Ihm sei bei der
Beurteilung nach Aktenlage nicht die Chance gegeben worden, gegenüber einem ärztlichen Sachverständigen das Ausmaß seiner
Belastung, die Bewegungsabläufe während der Tätigkeit und die Besonderheiten hinsichtlich der Arbeitsverrichtung darzustellen.
Deshalb erscheine eine weitergehende Überprüfung der Entscheidung erforderlich.
Der Kläger hat wörtlich beantragt:
1.
Der Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2016 wird aufgehoben.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule des Klägers als Berufskrankheit nach
der 2108 der Anlage 1 der
Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen.
3.
Die Beklagte wird verurteilt dem Kläger für die Folgen dieser Berufskrankheit eine Rente nach einer MdE um zumindest 20 v.
H. zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid berufen.
Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung am 13. März 2018 den Arzt für Chirurgie, Orthopädie, Unfallchirurgie,
Sportmedizin und Viszeralchirurgie Dr. T als Sachverständigen zu seinem schriftlichen Gutachten vom 26. Februar 2018 (Blatt
19-31 der Gerichtsakte - GA) angehört. Der Gutachter diagnostizierte beim Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der
Lendenwirbelsäule bei L4/5 und L5/S 1. Ein Bandscheibenschaden liege auch im Bereich der Halswirbelsäule bei C5/C6 vor. Die
vorliegende bandscheibenbedingte Erkrankung sei nicht mit Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden.
Die beruflichen Einwirkungen seien nicht geeignet gewesen, die Erkrankung zu verursachen oder zu verschlimmern. In der mündlichen
Verhandlung hat der Sachverständige deutlich gemacht, dass, selbst wenn der Kläger einer höheren Belastung ausgesetzt gewesen
wäre, die Anerkennung der BK Nr. 2108 aufgrund der fehlenden Begleitspondylose ausscheide.
Mit Urteil vom 13. März 2018 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der streitgegenständliche Bescheid sei rechtmäßig.
Die Voraussetzungen der BK Nr. 2108 lägen nicht vor. Der Kläger leide an einer bandscheibenbedingten Erkrankung im Bereich
der unteren Lendenwirbelsäule in Höhe der Segmenten L5/S1 und L4/L5. Es zeige sich eine über das Altersmaß hinausgehende Chondrose
mit Bandscheibenschäden, die auch im MRT nachgewiesen worden seien. Auch der klinische Befund mit pseudoradikulärer Schmerzausstrahlung
und Muskelverspannungen sowie einer Entfaltungsstörung der Lendenwirbelsäule spreche für einen Segmentschaden im Bereich der
unteren Lendenwirbelsäule. Ein Bandscheibenschaden finde sich auch im Bereich der Halswirbelsäule des Klägers bei C5/C6. Es
fehle jedoch an einer sogenannten Begleitspondylose im Bereich der gesamten Lendenwirbelsäule, die über das Altersmaß hinausgehende,
d. h. größer als zwei Millimeter sei und mindestens zwei Segmente betreffe. Die Begleitspondylose werden nach den Konsensempfehlungen
zur Zusammenhangsbegutachtung der Arbeitsgruppe "Medizinische Beurteilungskriterien bei der BK Wirbelsäule" als belastungsadaptive
Reaktion der Wirbelsäule auf starke berufliche Belastungen gewertet. Im Bereich der Lendenwirbelsäule des Klägers seien jedoch
lediglich zwei Wirbelsäulensegmente betroffen. In den darüber liegenden Segmenten der Lendenwirbelsäule lasse sich nicht einmal
ein Anfangsbefund belastungsadaptiver Veränderungen erheben. Es sei von der Konstellation "B 2" auszugehen. Eine ungewöhnlich
intensive Belastung, d. h. eine Erreichung des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren und/oder ein besonderes
Gefährdungspotenzial durch ungewöhnlich hohe Belastungsspitzen seien vom Präventionsdienst der Beklagten ausgeschlossen worden.
Die bandscheibenbedingte Erkrankung des Klägers sei demnach nicht mit Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit verursacht
worden. Das Sozialgericht hat sich hierbei auf die Ausführungen des Gutachters Dr. T gestützt.
Der Kläger hat gegen das ihm am 8. Juni 2018 zugestellte Urteil am 27. Juni 2018 Berufung eingelegt: Dr. T habe ausgeführt,
dass bei ihm bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule bei L5/S1 sowie bei L4/5 vorlägen. Außerdem bestehe ein
Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule bei C5/C6. Die Lebensbelastung betragen 19,3 × 106 Nh. Dies entspreche 77 % des Orientierungswertes. Im Segment L5/S1 liege eine Chondrose Grad III und im Segment L4/L5 eine
Chondrose Grad II vor. Nach dem MDD betrage die erforderliche Einwirkung bei Männern 25 MNh. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung
handle es sich jedoch nicht um absolute Grenzwerte, sondern um Orientierungswerte (BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 6/13 R, juris). Der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand einen Kausalzusammenhang zwischen
beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der LWS ausgeschlossen werden könne, läge bei der Hälfte des
im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes, im vorliegenden Fall also bei 12,5 MNh. Dieser Wert sei im vorliegenden Fall jedoch
gerade überschritten. Nach der Konsensempfehlung sei, soweit keine Begleitspondylose vorliege, in der Konstellation "B 2"
ein Ursachenzusammenhang als wahrscheinlich zu betrachten, wenn zusätzlich eine Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren
Bandscheiben bestehe. Dies sei jedoch beim Kläger gerade der Fall (bandscheibenbedingte Erkrankung in zwei Segmenten L5/S1
und L4/L5).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 13. März 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2015 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2016 aufzuheben und festzustellen, dass die bei ihm - dem Kläger - vorliegende Bandscheibenerkrankung
der Lendenwirbelsäule eine Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur
BKV ist und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20
v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat das angefochtene Urteil verteidigt. Ein Prolaps liege lediglich im Segment L5/S1 vor. Im Segment L4/5 bestehe lediglich
eine Protusion. Da in beiden Segmenten eine Chondrose von Grad II oder höher ausgewiesen sei, sei von einer bandscheibenbedingten
Erkrankung an zwei Segmenten auszugehen. Die "B"-Konstellation setze einen Schaden an den Segmenten L4/5 und/oder L5/S1 voraus.
Die beim Kläger vorliegende bisegmentale Schädigung sei somit eine "B"-Konstellation. Beim Kläger fehlten wesentliche konkurrierende
Ursachen und eine Begleitspondylose. Bereits aus der Bezeichnung "zusätzliche" Kriterien werde deutlich, dass allein eine
Schädigung an den Segmenten L4/5 und L5/S1 nicht ausreichen könne. Es müssten zumindest drei Segmente betroffen sein.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang
der Beklagten verwiesen. Diese sind zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Seine Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist zurückzuweisen.
Das Sozialgericht hat die Klage des Klägers gegen den seinen Widerspruch zurückweisenden Widerspruchsbescheid der Beklagten
zutreffend abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai
2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Unter Berücksichtigung des den Streitgegenstand des Rechtsstreits bildenden Rechtsschutzbegehrens des Klägers (dazu 1.) und
der allgemeinen Grundsätze zu Berufskrankheiten (dazu 2.) hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung einer BK Nr. 2108
(dazu 3.).
1. Den Gegenstand des Berufungsverfahrens bildet der Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 3. Mai 2016 (nicht wie versehentlich im Antrag bezeichnet vom 3. Juni 2016), mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, die
Beschwerden des Klägers als eine BK Nr. 2108 der Anlage 1 zur
BKV anzuerkennen.
2. Gemäß §
7 Abs.
1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach §
9 Abs.
1 S. 1
SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten
bezeichnet (sog. Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach S. 2 der Vorschrift wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche
Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere
Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade
als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind,
wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind.
Voraussetzungen für die Feststellung einer Listen-BK sind, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit
(sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität)
und das eine Krankheit vorliegt. Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht sein (haftungsbegründende
Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung gegebenenfalls den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende
Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkung" und
die "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die
nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit,
allerdings nicht die bloße Möglichkeit (vgl. nur BSG, Urteil vom 4. Juli 2013 - B 2 U 11/12 R, juris m. w. N.). Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen
Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung
ausscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, juris). Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen
Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (BSG Urteil vom 9. Mai 2006, a. a. O.; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 9. Dezember 2015 - L 8 U 21/12, juris).
3. Die unter 2. dargelegten Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 2108 sind gemessen daran hier nicht erfüllt.
Nr. 2108 der Anlage 1 zur
BKV lautet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder
durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden
und Funktionseinschränkungen (der Lendenwirbelsäule) geführt haben".
Zur Überzeugung des Senats lässt sich nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§
128 SGG) nicht begründen, dass die Erkrankung der Lendenwirbelsäule des Klägers durch die beruflichen Einwirkungen verursacht worden
ist.
Der Kläger unterlag während seiner versicherten Tätigkeiten (§
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII) einer kumulativen Einwirkungsbelastung von 19,3 × 106 Nh, die nach der Rechtsprechung des BSG (z. B. Urteil vom 6. September 2018 - B 2 U 13/17 R, juris Rn. 12 und Rn. 16ff.) unter modifizierter Anwendung des Mainz-Dortmunder-Dosismodells (MDD) generell geeignet ist,
bandscheibenbedingte Schäden der Wirbelsäule zu verursachen.
Diese Belastungen erfolgten auch langjährig, nämlich von August 1985 bis jedenfalls Ende 2014. Langjährig bedeutet, dass zehn
Berufsjahre als im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (BSG, Urteil vom 6. September 2018 - B 2 U 13/17 R, juris Rn. 13 m. w. N.).
Es fehlt jedoch an den arbeitsmedizinischen Voraussetzungen. Während die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für
die Anerkennung einer Berufskrankheit zum einen das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen, zum anderen
die potentielle Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung beinhalten, betreffen die arbeitsmedizinischen
Voraussetzungen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich
vorausgesetzten Krankheit, zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung
dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht. Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen
Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule
nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK Nr. 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische
Kriterien hinzukommen (BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 6/13 R -, juris Rn. 18 m. w. N.).
Hierbei sind die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule,
Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S. 211, 216 ff., 228 ff.) zugrunde zu legen. Diese bilden nach Überzeugung des Senats weiterhin den aktuellen Erkenntnisstand ab (im Anschluss an die
Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 23. April 2015 - B 2 U 6/13 R -, juris Rn. 20 ff. m. w. N.).
Beim Kläger liegt keine Befundkonstellation vor, für die die Konsensempfehlungen eine Anerkennungsempfehlung aussprechen.
Hierzu verweist der Senat auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. T.
Für sämtliche B-Konstellationen wird in den Konsensempfehlungen vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte
Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L 5/S 1 und/oder L 4/L 5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II
oder höher und/oder als Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B 1) gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich.
Liegt hingegen keine Begleitspondylose vor, so wird der Zusammenhang nach den Konsensempfehlungen u. a. dann als wahrscheinlich
betrachtet, wenn eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht (Befundkonstellation "B 2" 1. Spiegelstrich 1. Alt). Alternativ müssen bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L 5/S 1 oder L 4/L 5 im MRT in mindestens zwei angrenzenden
Segmenten "black discs" vorliegen (Befundkonstellation "B 2" 1. Spiegelstrich, 2. Alt). Als weitere Alternativen genügt für die Konstellation "B 2" entweder das Bestehen einer besonders intensiven Belastung,
wobei hierfür als "Anhaltspunkt" das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als zehn Jahren (Befundkonstellation "B 2" 2. Spiegelstrich), oder ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen, wofür als "Anhaltspunkt" das Erreichen der Hälfte
des "MDD-Tagesdosis-Richtwertes" durch hohe Belastungsspitzen verlangt wird (Befundkonstellation "B 2" 3. Spiegelstrich). Wenn keins der unter "B 2" genannten Zusatzkriterien erfüllt ist, handelt es sich um die Konstellation "B 3", bei der kein
Konsens bestand.
Beim Kläger besteht auf der Grundlage der Ausführungen von Dr. T eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule
bei L4/5 und L5/S1. Im Segment L5/S1 besteht eine Chondrose Grad III, im Segment L4/L5 eine Chondrose Grad II. Ein Bandscheibenschaden
ist auch im Bereich der Halswirbelsäule bei C5/C6 nachgewiesen. Eine Begleitspondylose liegt nicht vor.
Zu denken ist an die Konstellation "B 2" (gesicherter Bandscheibenschaden und fehlende Spondylose) der Konsensempfehlungen.
Jedoch fehlt es an dem Vorliegen der Zusatzkriterien der Konstellation "B 2". Das festgestellte Schadensbild im Bereich der
Lendenwirbelsäule ist nicht belastungskonform. Es fehlt an einem multisegmentalen Schaden an den Bandscheiben.
Die Voraussetzungen der Befundkonstellation "B 2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 1. Alt "Höhenminderung und/oder
Prolaps an mehreren Bandscheiben" liegt gestützt auf das Sachverständigengutachten von Dr. T nicht vor, da dieses Zusatzkriterium
die Schädigung von mindestens drei Bandscheiben voraussetzt (dazu ausdrücklich BSG, Urteil vom 6. September 2018 - B 2 U 13/17 R, juris Rn. 25). Der beim Kläger bestehende bisegmentale Bandscheibenschaden genügt für diese Alternative nicht.
Bei den Konsensempfehlungen handelt es sich zwar nicht um einen verbindlichen normativen Text, weil diese ihre Geltung nicht
auf den demokratisch legitimierten Gesetzgeber zurückführen können. Die Konsensempfehlungen sind für Verwaltung, Gerichte
oder Gutachter folglich nicht unmittelbar verbindlich, sodass sich deren Auslegung unter strikter Anwendung der Regeln der
juristischen Methodenlehre verbietet. Sie dienen lediglich zur Erleichterung der Beurteilung im Einzelfall, um typische Befundkonstellationen
im Hinblick auf die Kausalbeziehungen unter Zugrundelegung des aktuell wissenschaftlichen Erkenntnisstands einordnen zu können.
Ihre Interpretation als im Wesentlichen medizinisch-naturwissenschaftlicher Text ist daher zuvorderst sachkundigen Medizinern
vorbehalten. Eine rein am Wortlaut und den klassischen juristischen Auslegungsmethoden orientierte Interpretation eines solchen
primär naturwissenschaftlichen Textes ist nicht ausreichend. So ließe sich nach dem allgemeinem Sprachverständnis der Wortlaut
"mehrere Bandscheiben" auch dahin auslegen, dass es genüge, wenn der Betroffene mehr als einen Bandscheibenvorfall aufweist.
Jedoch ist die aus dem Kontext und insbesondere der Formulierung der Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium
- 2. Alt "bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten
'black discs'" ableitete Auslegung, dass auch bei einem bisegmentalen Befall zumindest ein weiteres Segment zumindest eine
black disc aufweisen müsse, schlüssig und durch den gerichtlichen Sachverständigen bestätigt (zu diesen Voraussetzungen BSG, Urteil vom 6. September 2018 - B 2 U 13/17 R, juris Rn. 26).
Auch die Befundkonstellation "B2", 1. Spiegelstrich - 1. Zusatzkriterium - 2. Alt - bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall
in L5/S1 oder L4/L5 im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten "black discs" liegt nicht vor.
Ebenso ist der Richtwert für die Lebensdosis nicht in weniger als zehn Jahren erreicht (25 MNh) worden. Auch das dritte Zusatzkriterium
"Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen" greift nach den Ermittlungen des Präventionsdienstes nicht. Anhaltspunkt
hierfür wäre das Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis- Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen (bei Männern ab 6 kN).
Dies ist gerade nicht erfüllt.
Auch die Konstellation B 4 ist nicht gegeben. Zwar ist der Bandscheibenschaden an der HWS schwächer ausgeprägt als an der
LWS, jedoch liegt (wie bereits oben beschrieben) die Konstellation B 2 gerade nicht vor.
Damit hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Verletztenrente gemäß §
56 Abs.
1 Satz 1
SGB VII, weil der allein hier in Betracht kommende Versicherungsfall einer BK Nr. 2108 nicht vorliegt.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
5. Die Revision wird nicht zugelassen. Zulassungsgründe (§§
160 Abs.
1,
2 SGG) liegen nicht vor.