Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer
Fortwirkender Verfahrensmangel
1. Ein Verfahrensmangel, der dem SG unterlaufen ist, kann die Revisionszulassung rechtfertigen, wenn dieser fortwirkt und insofern ebenfalls als Mangel des LSG
anzusehen ist.
2. Dies kann unter anderem angenommen werden, wenn das LSG ein Urteil bestätigt, mit dem das SG zu Unrecht nicht über die Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden hat.
Gründe:
I
In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich die Klägerin gegen die Feststellung eines unter dreistündigen
Restleistungsvermögens im Zusammenhang mit der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer (Bescheid vom 24.7.2015)
im Anschluss an eine zuvor bezogene sog Arbeitsmarktrente. Hintergrund ist der hierdurch veranlasste Wechsel von ergänzend
bezogenen Leistungen nach dem SGB II zu solchen nach dem SGB XII mit einer weitergehenden Anrechnung geringfügigen Erwerbseinkommens. Aus diesem Anlass wandte sich die Klägerin mit Schreiben
vom 28.9.2015 an die Beklagte. Diese antwortete, es verbleibe bei der Aussage, dass sie (die Klägerin) ihre Rente aufgrund
eines Leistungsvermögens von weniger als drei Stunden werktäglich beziehe (Schreiben vom 9.10.2015). Den hiergegen gerichteten
Widerspruch wies die Beklagte als unzulässig zurück, weil es sich beim Schreiben vom 9.10.2015 um keinen Verwaltungsakt handele
(Widerspruchsbescheid vom 15.6.2015). Das SG hat die Klage abgewiesen. Diese sei unzulässig, denn die Klagefrist sei nicht eingehalten. Darüber hinaus sei die Klage unbegründet,
weil die Beklagte den Widerspruch zu Recht als unzulässig behandelt habe (Gerichtsbescheid vom 8.12.2016). Das LSG hat die
Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klage sei zwar zulässig, jedoch unbegründet gewesen. Die Beklagte habe den Widerspruch
zu Recht als unzulässig zurückgewiesen. Das Schreiben vom 9.10.2015 sei kein Verwaltungsakt (Urteil vom 25.7.2017).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich ausschließlich auf das Vorliegen eines Verfahrensmangels (Zulassungsgrund nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
II
Die Beschwerde der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen
§
160a Abs
2 S 3
SGG den allein geltend gemachten Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels nicht hinreichend bezeichnet. Zur Bezeichnung eines
Verfahrensmangels müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert
und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel
beruhen kann (stRspr, vgl Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4).
Die Klägerin sieht einen Verfahrensmangel darin, dass das LSG zwar die Berufung als unbegründet zurückgewiesen habe, jedoch
ohne eine Sachentscheidung über die angefochtene Feststellung ihres Restleistungsvermögens zu treffen. Es habe lediglich die
Beklagte und das SG bestätigt, die von einer Unzulässigkeit der Anfechtung (des Schreibens vom 9.10.2015) ausgegangen seien. Ein Verfahrensmangel
wird damit nicht schlüssig aufgezeigt. Denn ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 - Juris RdNr 4; BSG Urteil vom 24.10.1961 - 6 RKa 19/60 - BSGE 15, 169 = SozR Nr 3 zu § 52
SGG - Juris RdNr 30). Nur ausnahmsweise kann auch ein Verfahrensmangel die Zulassung rechtfertigen, der dem SG unterlaufen ist, wenn dieser fortwirkt und insofern ebenfalls als Mangel des LSG anzusehen ist (BSG Beschluss vom 19.1.2011 - B 13 R 211/10 B - Juris RdNr 15 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160 RdNr 16a mwN; Karmanski in Roos/Wahrendorf,
SGG, §
160 RdNr 50 mwN). Dies kann zB der Fall sein, wenn das LSG ein Urteil bestätigt, mit dem das SG zu Unrecht nicht über die Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden hat (BSG Beschluss vom 25.4.2001 - B 9 V 70/00 B - SozR 3-1500 § 73 Nr 10 Juris RdNr 2). Mit der Beschwerdebegründung wird jedoch kein solcher Fall eines in der Berufungsinstanz
fortwirkenden Verfahrensfehlers des SG dargelegt. Denn danach hat das LSG das Prozessurteil des SG (Nichteinhaltung der Klagefrist) gerade nicht bestätigt. Statt dessen hat es die Klage für zulässig gehalten und in der Sache
entschieden, auch wenn es hierbei keine Aussage zum Restleistungsvermögen der Klägerin treffen musste.
Dass die Klägerin der Auffassung ist, das LSG habe zu Unrecht im Schreiben vom 9.10.2015 keinen Verwaltungsakt gesehen, vermag
nicht zur Zulassung der Revision führen. Denn zu den Verfahrensmängeln zählen nur Verstöße gegen das Prozessrecht einschließlich
der Vorschriften, auf die das
SGG unmittelbar oder mittelbar verweist. Rügefähig sind folglich nur Fehler, die dem Gericht auf dem Weg zu seiner Entscheidung
unterlaufen sind (error in procedendo). Mängel des behördlichen Verwaltungsverfahrens oder eine fehlerhafte Rechtsanwendung
des Verwaltungsverfahrensrechts - hier werden §§ 31, 33 Abs 1 SGB X von der Klägerin angesprochen - genügen dagegen nicht (error in iudicando; vgl BSG Beschluss vom 26.1.2012 - B 5 R 334/11 B - Juris RdNr 16 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 2 und 3
SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.