Neuberechnung einer großen Witwenrente
Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Formgerechte Darlegung einer Divergenz
Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen
Bloße Subsumtionsrüge
Gründe:
I
In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich die Klägerin gegen die Neuberechnung einer großen Witwenrente
durch Bescheid vom 13.10.2011. Streitbefangen vor dem LSG war nur noch die Neuberechnung für den Zeitraum vom 1.5.2005 bis
31.10.2011 sowie die hieraus folgende Rückforderung in Höhe von Euro. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG durch Urteil
ohne mündliche Verhandlung vom 1.6.2016 den für die Klägerin günstigen Gerichtsbescheid des SG München aufgehoben und die
Klage abgewiesen. Dieses Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin erst am 6.2.2018 förmlich zugestellt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin bereits am 22.11.2017 und nochmals am 6.3.2018 Beschwerde
beim BSG eingelegt. Diese hat sie mit einem am 6.4.2018 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage begründet und ihre Begründung mit
zwei am 24.7.2018 und 20.8.2018 eingegangenen Schriftsätzen vom 23.7.2018 bzw 19.8.2018 ergänzt. Sie beruft sich auf Divergenzen
zu mehreren Entscheidungen des BSG, zu je einem Urteil des Bayerischen VGH, des Bayerischen LSG und des Hessischen LSG sowie auf einen Verfahrensmangel (Zulassungsgründe nach §
160 Abs
2 Nr
2 und Nr
3 SGG).
II
Die Beschwerde der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen
§
160a Abs
2 S 3
SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr,
vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
1. In ihrer Beschwerdebegründung vom 6.4.2018 beruft sich die Klägerin ausschließlich auf den Zulassungsgrund der Divergenz.
Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde
gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus dem
Berufungsurteil und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung
des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen; zudem ist näher
zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht
(stRspr, vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen
nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge),
denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht
die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f; Senatsbeschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - Juris RdNr 6). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
a) Von vornherein nicht gestützt werden kann die Divergenzrüge auf Abweichungen des Berufungsurteils von Urteilen des Bayerischen
VGH, des Bayerischen LSG und des Hessischen LSG. Diese Gerichte gehören nicht zu denen, deren Entscheidungen in der abschließenden
Aufzählung des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG als divergenzfähig genannt werden. Eine Abweichung vom Urteil des BSG vom 6.2.2007 (B 8 KN 3/06 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 9) wird schon deshalb nicht formgerecht gerügt, weil die Klägerin keinen vom BSG in diesem Urteil aufgestellten Rechtssatz konkret benennt, den sie dem von ihr auf Seite 6 der Beschwerdebegründung formulierten,
vermeintlich abweichenden Rechtssatz aus dem angegriffenen Urteil gegenüberstellt.
b) Die Rüge einer Divergenz des Berufungsurteils zum Urteil des BSG vom 27.7.2000 (B 7 AL 88/99 R - SozR 3- 1300 §
45 Nr
42) erfolgt ebenfalls nicht in der nach §
160a Abs
2 S 3
SGG erforderlichen Form. Es fehlt schon an der ausdrücklichen Formulierung zweier sich vermeintlich widersprechender Rechtssätze
dieser Urteile. Die Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz wären aber selbst dann nicht erfüllt, wenn man der Beschwerdebegründung
zumindest sinngemäß umschriebene Rechtssätze entnehmen wollte. So könnte die Klägerin ihrem Vortrag nach dem LSG einen Rechtssatz
zuschreiben wollen, wonach es für den Beginn der Jahresfrist nach § 48 Abs 4 SGB X iVm § 45 Abs 4 S 2 SGB X nicht auf die Kenntnis eines Mitarbeiters des für die Aufhebung eines Verwaltungsakts zuständigen Dezernats einer Behörde
von erzieltem Einkommen oder Vermögen ankommt, sondern auch die Kenntnis anderer Mitarbeiter dieser Behörde genügt. Dem stellt
sie die dem genannten BSG-Urteil zugeschriebene Aussage gegenüber, dass wenn ein Behördenmitarbeiter bewusst davon abgesehen hat, sich die erforderlichen
Kenntnisse zu verschaffen, die Jahresfrist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem er hätte
Kenntnis nehmen können.
Es kann dahinstehen, ob diese Aussagen tatsächlich als zwei das jeweilige Urteil tragende abstrakte Rechtssätze zu qualifizieren
sind. Jedenfalls versäumt es die Klägerin - wie erforderlich - zu begründen, weshalb diese "Rechtssätze" nicht miteinander
vereinbar sind. Ein Widerspruch beider Aussagen ist vorliegend nicht ohne weiteres erkennbar und hätte daher näher dargelegt
werden müssen. Gleichzeitig wird in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt, dass das Berufungsurteil auf der vermeintlichen
Abweichung beruht. Hierzu hätte die Klägerin zumindest vortragen müssen, dass das LSG im angegriffenen Urteil tatsächlich
festgestellt hat, ein Mitarbeiter der Beklagten habe bewusst davon abgesehen, sich Kenntnis von den die Neuberechnung und
Rückforderung der großen Witwenrente rechtfertigenden Tatsachen zu verschaffen. Die bloße Behauptung, "Es liegt der Sonderfall
eines bewußten Sichverschließens von der Kenntnis der Rücknahmevoraussetzungen vor", genügt hierzu nicht.
c) Schließlich genügen auch die Ausführungen zu einer Abweichung vom Urteil des BSG vom 26.7.2016 (B 4 AS 47/15 R - BSGE 122, 25 = SozR 4-1500 § 114 Nr 2) nicht den Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz. Die Klägerin schreibt dem LSG den Rechtssatz
zu, "daß eine Auswechslung der Normen betreffend Aufhebung eines Verwaltungsaktes bzw. die Konkretisierung im Widerspruchsbescheid
keine erneute Anhörung erforderlich mache". Demgegenüber sei nach dem Urteil des BSG vom 26.7.2016 "eine erneute Anhörung erforderlich". Unabhängig von der Frage, ob damit ein Rechtssatz des BSG-Urteils bezeichnet ist, hat die Klägerin jedenfalls nicht dargelegt, dass das LSG den ihm zugeschriebenen Rechtssatz ausdrücklich
aufgestellt hat. Wird aber geltend gemacht, dass das LSG von einer Entscheidung ua des BSG abgewichen ist, indem es einen der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprechenden Rechtssatz nur sinngemäß und in scheinbar
fallbezogene Ausführungen gekleidet entwickelt, so hätte die Klägerin darlegen müssen, dass sich der Rechtssatz nicht erst
nachträglich logisch induktiv aus der Urteilsbegründung ableiten lässt, sondern dass sich aus den Ausführungen des Berufungsurteils
unzweifelhaft die Deduktion des gefundenen Ergebnisses aus dem sich aus der Entscheidung selbst schlüssig ergebenden Rechtssatz,
den das LSG als solchen auch tatsächlich vertreten wollte, erkennen lässt (vgl BSG Beschluss vom 27.1.1999 - B 4 RA 131/98 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 26, Juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 25.10.2016 - B 10 ÜG 24/16 B - Juris RdNr 13). Ausführungen hierzu enthält die Beschwerdebegründung nicht.
Vielmehr rügt die Klägerin im Kern ihres Vorbringens die - vermeintliche - Unrichtigkeit der Rechtsanwendung durch Verkennung
höchstrichterlich entwickelter Maßstäbe in ihrem konkreten Einzelfall, wie sich schon aus der Herleitung der vermeintlichen
Abweichung auf Seite 4 f der Begründung ergibt.
2. Die von der Klägerin darüber hinaus erhobene Rüge eines Verfahrensmangels ist ebenfalls unzulässig. Insofern trägt sie
vor, das LSG habe die Bescheide der Beklagten vom 15.8.2013 und 26.9.2013 entgegen §
96 SGG im angegriffenen Urteil nicht berücksichtigt.
Diese Rüge ist schon deshalb nicht zulässig erhoben, weil sie erstmals mit am 24.7.2018 eingegangenem Schriftsatz vom Vortag
geltend gemacht wurde, mithin erst nach Ablauf der - nicht verlängerten - Beschwerdebegründungsfrist am 6.4.2018 (vgl dazu
§
160a Abs
2 S 1
SGG) neu in das Verfahren eingeführt worden ist. Dem Beschwerdeführer ist es zwar gestattet, das bisher Vorgetragene auch nach
Ablauf der Beschwerdefrist noch zu verdeutlichen bzw zu erläutern, das Vorbringen neuer, bisher nicht geltend gemachter Zulassungsgründe
ist jedoch nach Fristablauf unzulässig (vgl BSG Beschluss vom 13.6.2001 - B 10/14 EG 4/00 B - Juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 1.11.2010 - B 14 AS 3/10 C - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 6.9.2017 - B 8 SO 39/17 B - Juris RdNr 9; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160a RdNr 13b).
Unabhängig davon ist der Verfahrensmangel auch nicht hinreichend bezeichnet. Zur Bezeichnung eines Verfahrensmangels müssen
die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt
und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann
(stRspr, vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 20.2.2018 - B 10 LW 3/17 B - Juris RdNr 4). Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung ua deshalb, weil darin keine ausreichenden Tatsachen
vorgetragen werden, um den Senat in die Lage zu versetzen, zu beurteilen, ob der geltend gemachte Verfahrensmangel tatsächlich
vorliegt und das Berufungsurteil darauf beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - Juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Insofern hätte die Klägerin zumindest die in den Bescheiden vom 15.8.2013 und 26.9.2013
verkörperten Verwaltungsakte benennen und konkret darlegen müssen, dass diese die Verwaltungsakte des Bescheids vom 13.10.2011
iS des §
96 Abs
1 SGG abändern oder ersetzen. Dazu hätte sie insbesondere angeben müssen, dass diese Änderungen oder Ersetzungen den im Berufungsverfahren
noch streitgegenständlichen Zeitraum betreffen. Hierzu hätte spätestens im Schriftsatz vom 19.8.2018 Anlass bestanden, nachdem
Kopien der fraglichen Bescheide dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Beschwerdeverfahren auf Verfügung des Berichterstatters
vom 14.8.2018 übermittelt worden sind. Diese Kopien sind dem Prozessbevollmächtigten ausweislich des genannten Schriftsatzes
auch zugegangen. Er hatte somit Gelegenheit, deren in Bezug auf die Anwendung des §
96 Abs
1 SGG im Berufungsverfahren relevanten Inhalt zur Kenntnis zu nehmen.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 2 und 3
SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.