Härtefallprüfung bei der Bedürftigkeitsprüfung in der Arbeitslosenhilfe
Gründe:
I
Der Kläger begehrt Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 1. Juli 2003.
Der am 3. Juni 1952 geborene, verheiratete Kläger bezog ab 1. Juli 1993 Arbeitslosengeld. Ab 1. Juli 1994 wurde dem Kläger
auf Grund des Urteils des Senats vom 29. Januar 1997 - 11 RAr 21/96 - Alhi gewährt. Der Kläger war Inhaber einer am 1. Januar 2006 fällig werdenden Kapitallebensversicherung mit einer Versicherungssumme
vom 40.000 DM. Zum Stichtag 1. Juli 2003 hatte der Kläger Beiträge in Höhe von 19.805,14 EUR eingezahlt. Der Rückkaufswert
der Versicherung betrug 43.928,42 EUR. Außerdem verfügte der Kläger über ein Sparguthaben in Höhe von 2.268,19 EUR.
Die Gewährung von Alhi ab 1. Juli 2003 lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Kläger verfüge über Vermögen in Höhe
von 46.196,60 EUR. Es seien für den Kläger und seine Ehefrau jeweils 10.200,- EUR an Freibeträgen abzusetzen, so dass ein
Vermögen von 25.796,60 EUR verbleibe (Bescheid vom 17. Juli 2003; Widerspruchsbescheid vom 2. September 2003).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. Juli 2003 Alhi zu zahlen (Urteil vom 12. Dezember 2003). Das SG hat zur Begründung ausgeführt, es sei zweifelhaft, ob die Anrechnung der Kapitallebensversicherung nicht im Hinblick auf
den relativ zeitnah liegenden Fälligkeitstermin an einer offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit der Verwertung scheitere. Da
der Freibetrag von 200 EUR je vollendeten Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners nicht mit höherrangigem Recht vereinbar
sei, müsse sich die Beklagte weiter an dem bisher geltenden Freibetrag von 520,- EUR orientieren.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. September 2004) und
zur Begründung ausgeführt: Der Kläger sei nicht bedürftig gewesen. Die Beklagte habe für den Kläger und seine Ehefrau zutreffend
einen Freibetrag von 20.400,- EUR ermittelt. Das Vermögen habe den Freibetrag um 25.796,60 EUR erheblich überschritten. Da
der Rückkaufswert der Lebensversicherung erheblich über der Summe der eingezahlten Beiträge liege, liege keine Unwirtschaftlichkeit
der Verwertung vor. Das Verschleuderungsverbot schütze nur die Substanz des Vermögens, nicht jedoch die Erwartung zukünftiger
Vermögenszuwächse. Deshalb könne die offensichtliche Unwirtschaftlichkeit nicht mit den in der Zukunft zu erwartenden Erträgen
aus der Lebensversicherung begründet werden. Die seit inzwischen 10 Jahren bestehende Arbeitslosigkeit des Klägers und die
durch die Kindererziehung bedingten Lücken im Versicherungsverlauf der Ehefrau des Klägers sowie deren Teilzeittätigkeit seien
keine Umstände, die zu einer offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit der Vermögensverwertung führten. Eine Vorberücksichtung
zukünftigen Rechts in Form einer Berücksichtigung der Freibeträge des § 12 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II) könne
frühestens mit der Bekanntmachung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt am 24. Dezember 2003 beginnen.
Die Absenkung der Freibeträge unterliege keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Verwertung der Kapital-Lebensversicherung sei offensichtlich
unwirtschaftlich. Dabei komme es nicht alleine darauf an, dass durch den Rückkaufswert das Beitragsvolumen erstattet werde,
sondern es sei naturgemäß zu beachten, dass auf Grund des nur 2,5 Jahre später feststehenden Ablauftermins eine Einbuße von
ca 20 % der Versicherungssumme zu verzeichnen sei. Nach den Urteilen des 7. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. Dezember
2004 sei eine Härteklausel insbesondere für die Gruppe von Arbeitslosen von Bedeutung, deren Altersvorsorgebiografie auf Grund
eines atypischen Verlaufs des Erwerbslebens erhebliche Lücken aufweise. Nach der Renteninformation 2003 belaufe sich die monatliche
Altersrente auf Grund der bis dahin erworbenen Rentenanwartschaften auf 800,03 EUR. Für die Ehefrau belaufe sich die Altersrente
zum Stand 2003 auf monatlich 328,97 EUR.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. September 2004 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 12. Dezember 2003 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, das LSG habe zu Recht entschieden, dass die Kapitallebensversicherung als Vermögen zu berücksichtigen
sei.
II
1. Entgegen der Rechtsansicht des LSG standen die Vorschriften der ab 1. Januar 2002 in Kraft getretenen AlhiV 2002 (idF vom 13. Dezember 2001, BGBl I 3734) nicht mit der Ermächtigungsgrundlage des § 206 Nr 1 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - (
SGB III) idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24. März 1997, (BGBl I 594) iVm § 193 Abs 2
SGB III (hier idF des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften vom 16. Februar 2001, BGBl
I 266) in Einklang, weil in der AlhiV 2002 keine allgemeine Härteklausel (mehr) enthalten war (vgl hierzu die Urteile des Senats vom 25. Mai 2005 - B 11a/11 AL 73/04
R - und - B 11a/11 AL 51/04 R - = SozR 4-4220 § 6 Nr 2). Dies gilt auch für die - hier maßgebliche - zum 1. Januar 2003 durch
den Gesetzgeber geänderte Fassung der AlhiV 2002 (vgl Art 11 Nr 1 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002, BGBl I 4607, 4619), wie der 7. Senat des BSG bereits in mehreren Entscheidungen (vor allem Urteile vom 9. Dezember 2004 - B 7 AL 44/04 R -, BSGE 94, 121 = SozR 4-4300 § 193 Nr 3 und B 7 AL 56/04 R) ausgeführt hat. Der erkennende Senat lässt - ebenso wie der 7. Senat - hierbei offen, ob der durch den Gesetzgeber vorgenommenen
Änderung bzw Herabsetzung der Vermögensfreibeträge in § 1 Abs 2 AlhiV 2002 auf 200,00 EUR pro Lebensjahr Gesetzes- oder Verordnungsrang zukommt. Denn der Mangel einer fehlenden Härtefallklausel haftet
jedenfalls der AlhiV seit 1. Januar 2002 als Verordnung an und konnte auch dadurch nicht geheilt werden, dass der Gesetzgeber selbst später eine
einzelne Vorschrift der Verordnung gezielt geändert hat (vgl hierzu insbesondere BSGE 94, 121, 122 = SozR 4-4300 § 193 Nr 3 RdNr 4).
2. Die Notwendigkeit einer allgemeinen Härtefallregelung und deren Prüfung im Einzelfall hat zur Folge, dass auf der Grundlage
der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht abschließend entschieden werden kann, ob dem Kläger für den streitigen
Zeitraum Alhi zusteht. Dies wäre dann der Fall, wenn der Kläger die Voraussetzungen des § 190 Abs 1
SGB III (Arbeitslosigkeit, Arbeitslosmeldung, fehlende Anwartschaftszeit auf Arbeitslosengeld, Vorfrist, Bedürftigkeit) erfüllt hat.
Vorliegend kann nicht abschließend beurteilt werden, ob der Kläger bedürftig iS des § 190 Abs 1 Nr 5
SGB III war.
Gemäß § 193 Abs 1
SGB III ist bedürftig ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten
kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Alhi nicht erreicht; § 193 Abs 2
SGB III bestimmt darüber hinaus, dass nicht bedürftig ein Arbeitsloser ist, so lange mit Rücksicht auf sein Vermögen, das Vermögen
seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners oder das Vermögen einer Person, die mit ihm in eheähnlicher
Gemeinschaft lebt, die Erbringung von Alhi nicht gerechtfertigt ist. Ob und inwieweit Vermögen zu berücksichtigen ist, konkretisiert
§ 1 der AlhiV 2002 in der hier maßgebenden, ab 1. Januar 2003 geltenden Fassung (dazu sogleich unter 3.). Die Voraussetzungen der Übergangsvorschrift
des § 4 Abs 2 AlhiV 2002 liegen - wie bereits das LSG zutreffend ausgeführt hat - beim Kläger nicht vor. Denn er erfüllt nicht die dort genannten
zwei Alternativen, nämlich Entstehen eines Anspruchs auf Alhi im Zeitraum vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2002 oder Zugehörigkeit
zum Personenkreis, der bis zum 1. Januar 1948 geboren ist.
3. Allerdings hat das LSG Bedürftigkeit unter alleiniger Anwendung der AlhiV 2002 zu Recht verneint. Nach § 1 Abs 2 AlhiV 2002 in der seit 1. Januar 2003 geltenden Fassung beträgt der Freibetrag 200,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen
und darf 13.000,00 EUR nicht übersteigen. Mit dem vom LSG festgestellten Rückkaufswert der Lebensversicherung (43.928,42 EUR)
und dem Sparguthaben (2.268,19 EUR) lag der Kläger über dem ihm und seiner Ehefrau zustehenden Freibeträgen. Dem steht nicht
entgegen, dass der Kläger bei einem Abwarten der Restlaufzeit der Lebensversicherung eine deutlich höhere Rendite erzielt
hätte. Denn von einer "offensichtlich unwirtschaftlichen" Verwertung iS des § 1 Abs 3 Nr 6 AlhiV 2002 kann nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nur dann gesprochen werden, wenn der dadurch erlangte bzw zu erzielende Gegenwert
in einem (deutlichen) Missverhältnis zum wirklichen Wert des verwerteten bzw zu verwertenden Vermögensgegenstandes steht oder
stehen würde (vgl dazu BSG SozR 3-4100 § 137 Nr 7; Urteil des Senats vom 25. April 2002 - B 11 AL 69/01 R - veröffentlicht in juris und BSG Urteile vom 9. Dezember 2004 - B 7 AL 44/04 R -, BSGE 94, 121 = SozR 4-4300 § 193 Nr 3 und B 7 AL 30/04 R = SozR 4-4300 § 193 Nr 2 sowie Urteile des Senats vom 25. Mai 2005 - B 11a/11 AL 73/04 R - und - B 11a/11 AL 51/04 R -).
Die bloße Erwartung, es werde bei weiterem Zeitablauf ein höherer Zahlbetrag fällig, ist im Rahmen der Alhi-Vorschriften nicht
geschützt. Das mit der Sparform der Kapitallebensversicherung verbundene Risiko, bei vorzeitiger Lösung des Vertrages größere
Einbußen hinnehmen zu müssen, trägt in Fällen der vorliegenden Art der Arbeitslose. Er kann zudem - worauf bereits das LSG
zu Recht hingewiesen hat - ggf den Zeitraum bis zur Fälligkeit der Lebensversicherung durch eine Beleihung überbrücken.
4. Obwohl beim Kläger Bedürftigkeit iS des § 193 Abs 2
SGB III iVm § 1 AlhiV 2002 somit nicht vorlag, kann er mit seinem Klagebegehren Erfolg haben, wenn bei ihm ein Härtefall zu bejahen ist.
Die von der Beklagten gegen die Rechtsprechung des 7. Senats und die Notwendigkeit einer Härtefallklausel erhobenen Einwendungen
greifen - wie der Senat bereits in seinen Urteilen vom 25. Mai 2005 - B 11a/11 AL 73/04 R - und - B 11a/11 AL 51/04 R - im
Einzelnen ausgeführt hat - nicht durch. Um zu gewährleisten, dass auch für die Zeit bis zum Inkrafttreten des SGB II Arbeitslose
im Rahmen einer gesetzlichen Härtefallregelung (§ 193 Abs 2
SGB III) zumindest in den Genuss der in §
12 Abs
2 Nr
3 SGB II enthaltenen Privilegierungsregelung kommen können, hat der 7. Senat seine bisherige Rechtsprechung in der Entscheidung
vom 17. März 2005 (B 7a/7 AL 68/04 R - SozR 4-4300 § 193 Nr 5) dahingehend präzisiert, dass die in § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II
bezeichnete Unverwertbarkeit auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung nicht uneingeschränkt gelten kann. Denn vor dem 1.
Januar 2005 konnten bei Lebensversicherungen die Versicherungsnehmer die Voraussetzungen des erst am 1. Januar 2005 in Kraft
getretenen § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II bei der damaligen Vertragsgestaltung, die eine Einschränkung der Verwertbarkeit üblicherweise
nicht vorsah, von vornherein nicht erfüllen (vgl Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 12 RdNr 151a). Dies zwingt bei der
entsprechenden Anwendung des § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II in der Zeit vor dem 1. Januar 2005 für die Härtefallprüfung des § 193 Abs 2
SGB III dazu, auf die Voraussetzungen einer vertraglichen Vereinbarung über die Nichtverwertbarkeit jedenfalls für die von § 165 Abs 1 und 2 Versicherungsvertragsgesetz betroffenen Lebensversicherungen zu verzichten. Auch insoweit schließt sich der erkennende Senat der Rechtsprechung des 7.
Senats an.
5. Im Rahmen der Härtefallprüfung wird das LSG zunächst zu prüfen haben, ob der Lebensversicherungsvertrag nach der subjektiven
Zweckbestimmung (vgl Spellbrink in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 13 RdNr 216 mwN) der Altersvorsorge
diente. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist mithin in der Zeit vor dem 1. Januar 2005 bei dem fraglichen Lebensversicherungsvertrag
typisierend im Rahmen der Härtefallprüfung die Erfüllung der Voraussetzungen des § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II zu unterstellen. Hiervon
dürfte nach dem Urteil des Senats in gleicher Sache vom 29. Januar 1997 - 11 RAr 21/96 - (= SozR 3-4220 § 6 Nr 4) allerdings auszugehen sein.
Das LSG wird ggf unter Heranziehung der in § 12 Abs 2 SGB II genannten Grundfreibeträge und Altersvorsorgefreibeträge zu prüfen
haben, ob der Rückkaufswert der Lebensversicherung überschritten wird. Hierbei muss sich die Prüfung auf den (noch festzustellenden)
gesamten streitigen Zeitraum bis maximal zum 31. Dezember 2004 erstrecken (vgl BSG 27. Januar 2005 - B 7a/7 AL 34/04 R -,
veröffentlicht in juris).
Ferner wird das LSG ggf bei Überschreiten der Freibeträge im Rahmen der Härtefallprüfung zu klären haben, ob mit Rücksicht
auf die Berufsbiografie des Klägers und daraus resultierender Versorgungslücken ein Härtefall vorliegt. Hierbei wird zu beachten
sein, dass Versorgungslücken nicht unabhängig von ihrer Ursache zur Annahme einer Härte führen. Vielmehr sind als Gründe für
im Rahmen der Härtefallregelung zu berücksichtigende Lücken beim Aufbau einer Versorgungsanwartschaft nur Umstände zu berücksichtigen,
die auf bestimmten, von der Rechtsordnung gebilligten Dispositionen beruhen, die zumindest mit denjenigen Gründen vergleichbar
sind, die den Tatbeständen der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach §
231 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (
SGB VI) zugrunde liegen. Kein derartiger Sachverhalt liegt vor, wenn die Altersversorgung durch Zeiten der Arbeitslosigkeit des
Arbeitnehmers geschmälert wird. Die Arbeitslosigkeit beruht in der Regel nicht auf einer Willensentscheidung des Betroffenen
und kann jedenfalls nicht als schützenswerte (berufliche) Disposition anerkannt werden. Der Arbeitslose wird hinsichtlich
derartiger Lücken folglich auf den durch die Rentenversicherungspflicht während des Leistungsbezuges sowie durch die gesetzlich
geregelten Freibeträge gewährleisteten Mindestschutz verwiesen.
Beachtlich für die Beurteilung einer Härte kann hingegen der Vortrag des Klägers sein, durch die Kindererziehung der Ehefrau
bestünden Lücken in deren Versicherungsverlauf. Wie der 7. Senat des BSG bereits in seiner Rechtsprechung (ua BSG SozR 4-4300
§ 193 Nr 2; BSGE 94, 121 = SozR 4-4300 §
193 Nr 3) ausgeführt hat, kann eine sachwidrige Ungleichbehandlung gegenüber den nach §
231 SGB VI in der Rentenversicherung Befreiten, deren Altersvorsorgebeträge ohne jegliche Begrenzung privilegiert sind, nur bei einer
besonderen Berufsbiografie und daraus resultierenden Versorgungslücken in Betracht kommen. Dem muss dann - im Anschluss an
die zitierte Rechtsprechung des 7. Senats - ggf im Rahmen der aus § 193 Abs 2
SGB III abzuleitenden Härtefallregelung Rechnung getragen werden. Auch wenn § 1 Abs 3 Nr 4 AlhiV 2002 die vorliegende Fallgestaltung nicht erfasst, lassen sich Gleichheitsprobleme (Art
3 Abs
1 Grundgesetz >GG<) über die Härtefallklausel lösen. Dementsprechend hat der Senat die Anerkennung einer Härte bei einer auf einer zusätzlichen
weiterbildenden Schulausbildung und einem Studium beruhenden Minderung der Versorgungsanwartschaft bejaht (BSG SozR 4-4220
§ 6 Nr 2).
In Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung ist zu entscheiden, dass auch die Aufgabe einer Beschäftigung zum Zwecke der Kindererziehung
die Grundlage für die Bejahung einer allgemeinen Härte bilden kann. Der betroffene Personenkreis wird durch seine Entscheidung,
sich innerhalb der Familie der Kindererziehung zu widmen, gegenüber Personen, die durchgängig einer Erwerbstätigkeit nachgehen
können, hinsichtlich seiner Altersvorsorge benachteiligt. Dem Bedürfnis, die durch Kindererziehung bedingten Lücken im Versicherungsverlauf
zu schließen, trägt der Gesetzgeber durch den rentenversicherungsrechtlichen Nachteilsausgleich der Kindererziehungszeiten
(§
56 SGB VI), der zudem für Geburten vor dem 1. Januar 1992 nach §
249 Abs
1 SGB VI auf zwölf Monate begrenzt ist, nur unvollkommen Rechnung. Auch wenn sich Art
6 Abs
1 GG eine Verpflichtung des Gesetzgebers nicht entnehmen lässt, eine optimale Altersversorgung von Erziehenden sicherzustellen
(BVerfGE 87, 1 = SozR 3-5761 Allg Nr 1), muss er jedenfalls eine Benachteiligung gegenüber durchgehend Erwerbstätigen vermeiden, soweit
die Nachteile durch private Anstrengungen ausgeglichen werden sollen. Denn eine Anrechnung des Altersvorsorgevermögens von
Eltern, die Erziehungsleistungen erbracht haben, auf die Alhi enthielte sowohl im Verhältnis zu den nach §
231 SGB VI in der Rentenversicherung Befreiten, als auch im Verhältnis zu den durchgängig Beschäftigten eine Benachteiligung, die sich
in Widerspruch zu den Wertungen des Art
3 Abs
1 iVm Art
6 Abs
1 GG setzen würde (zu dem verfassungsgebotenen Ausgleich s BVerfGE 103, 242 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2). Diesem Umstand muss deshalb im Rahmen der allgemeinen Härteklausel Rechnung getragen werden.
Ob mit Rücksicht auf eine Unterbrechung oder Reduzierung der Erwerbstätigkeit eine besondere Härte anzuerkennen ist, wird
das LSG noch festzustellen haben. Die Anwendung der allgemeinen Härteklausel kommt nur für mit Rücksicht auf Zeiten der Kindererziehung
eines Elternteils gebildetes Altersvorsorgevermögen in einem Umfang in Betracht, der durch die rentenversicherungsrechtlichen
Nachteile geboten ist. Ein über die gesetzlichen Freibeträge hinausgehendes Altersvorsorgevermögen ist in dem Umfang zu schützen,
der geeignet ist, den durch die Aufgabe der Erwerbstätigkeit konkret entstehenden Nachteil auszugleichen. Hierbei sind Vorteile
- zB in der gesetzlichen Rentenversicherung gutgeschriebene Kindererziehungszeiten - in Ansatz zu bringen. Da im vorliegenden
Fall die gesetzlichen Freibeträge jedenfalls nur unerheblich überschritten werden, sieht der Senat keine Veranlassung, eine
Deckelung des von der Anrechnung freizustellenden Vermögens iS einer Begrenzung der Dauer der Zeiten der Kindererziehung vorzunehmen.
Er entnimmt jedoch den vom Gesetzgeber in §
26 Abs
2a SGB III (eingefügt durch das Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente >Job-AQTIV-Gesetz< vom 10. Dezember 2001,
BGBl I 3443) vorgenommenen Wertungen, dass jedenfalls die rentenversicherungsrechtlichen Nachteile von Erziehenden bis zur
Vollendung des dritten Lebensjahres eines Kindes Berücksichtigung finden müssen.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.