Kodierung von Krankenhausbehandlungen nach dem OPS
Begriff der geriatrischen Behandlung
Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Klägerin ist Trägerin eines nach §
108 SGB V zur Behandlung gesetzlich Versicherter zugelassenen Krankenhauses. Die beklagte Krankenkasse verrechnete (nach zunächst erfolglos
erhobener Rückforderung) am 3.12.2015 die Vergütung für neun Behandlungsfälle der Jahre 2011 bis 2015 teilweise mit unstreitigen
Forderungen des Krankenhauses. In den betroffenen Behandlungsfällen hatte das Krankenhaus jeweils eine geriatrische frührehabilitative
Komplexbehandlung nach dem Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) 8-550 kodiert; die behandelten Versicherten hatten sämtlich
das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet. Die Krankenkasse bezog sich zur Begründung ihrer Rückforderung auf das Urteil des
erkennenden Senats vom 23.6.2015 (B 1 KR 21/14 R, SozR 4-2500 § 109 Nr 46), nach dem der genannte OPS-Kode keine Behandlungen von Versicherten erfasse, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet
hätten. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13.2.2017). Das LSG hat die Berufung - teilweise unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des SG - zurückgewiesen: Die Klägerin habe ihren Vergütungsforderungen zu Unrecht OPS 8-550 zugrunde gelegt. Die Voraussetzungen
dieses Kodes seien bereits deswegen nicht erfüllt gewesen, weil die Patienten das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt
hätten (Urteil vom 27.5.2020).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die klagende Krankenhausträgerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde, mit der die klagende Krankenhausträgerin die Revisionszulassungsgründe der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) und der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) rügt, ist unbegründet.
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des
BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar
sein sollen und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl zB BSG vom 22.6.2020 - B 1 KR 19/19 B - juris RdNr 12 mwN; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Darlegungsanforderungen vgl BVerfG <Dreierausschuss> vom 8.9.1982 -
2 BvR 676/81 - juris RdNr 8). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das
Recht angewendet hat; dies hat der Beschwerdeführer schlüssig darzulegen (vgl zB BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 72/18 B - juris RdNr 8).
Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig
(entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 14/19 B - juris RdNr 4 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f mwN).
2. Es ist bereits zweifelhaft, ob das Beschwerdevorbringen diesen Anforderungen in allen Punkten entspricht. Jedenfalls liegen
aber weder die gerügten Divergenzen vor, noch haben die formulierten Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung.
a) Zu Unrecht geht die klagende Krankenhausträgerin davon aus, das LSG weiche von Rechtsprechung des BSG zur Beurteilung der Notwendigkeit von Krankenhausbehandlung ab. Danach ist die für den Vergütungsanspruch des Krankenhauses
maßgebliche Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung ohne Einschätzungsprärogative nach dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren
Wissens- und Kenntnisstand des Krankenhausarztes zu beurteilen (BSG vom 25.9.2007 - GS 1/06 - BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr 10; BSG vom 10.4.2008 - B 3 KR 14/07 R - SozR 4-2500 § 39 Nr 14 und vom 16.12.2008 - B 1 KN 1/07 KR R - BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13). Gegen diesen Rechtssatz verstößt das LSG nicht dadurch, dass es lediglich die Voraussetzungen einer höher vergüteten Fallpauschale
verneint, obwohl es die medizinische Notwendigkeit der durchgeführten Behandlung als gegeben, diese jedoch für die Beurteilung
der Höhe des (dem Grunde nach bestehenden) Vergütungsanspruchs und der Kodierung eines bestimmten OPS-Kodes (hier: 8-550)
als nicht maßgeblich ansieht (vgl zu OPS 8-550 BSG vom 23.6.2015 - B 1 KR 21/14 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 46 RdNr 18 f und nunmehr auch BSG vom 17.12.2020 - B 1 KR 21/20 R - juris RdNr 13 ff). Eine Divergenz zu den eingangs zitierten Entscheidungen des BSG liegt bereits deswegen nicht vor, weil diese sich nicht damit, sondern mit der Beurteilung der Notwendigkeit der Krankenbehandlung
als solcher befassen.
Das LSG verstößt auch nicht gegen höchstrichterliche Rechtsprechung zu Rückforderungen im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung,
soweit sich die klagende Krankenhausträgerin auf einen Rechtssatz im BSG-Urteil vom 11.9.2019 (B 6 KA 13/18 R - SozR 4-7610 § 812 Nr 9 RdNr 14) bezieht. Der 6. BSG-Senat hat dort entschieden, dass ohne Verwaltungsakt rechtswidrig erbrachte Leistungen nach § 50 Abs 2 iVm §§ 45, 48 SGB X zu erstatten sind; unter den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fielen - so der 6. Senat - alle im Rahmen öffentlich-rechtlicher
Verwaltungstätigkeit nach dem SGB bewirkten Geld-, Sach- und Dienstleistungen und damit grundsätzlich auch die für die vertragsärztliche
Tätigkeit gezahlten Vergütungen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats kann es offenbleiben, ob sich der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch
im Verhältnis von Krankenkassen zu Krankenhäusern nach allgemeinen Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs
oder nach §
69 Abs
1 Satz 3
SGB V iVm §§
812 ff
BGB richtet (vgl zuletzt etwa BSG vom 16.7.2020 - B 1 KR 15/19 R - SozR 4-2500 § 275 Nr 32 RdNr 10 unter Hinweis auf BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 11 mwN). Soweit das Krankenhaus auf eine vermeintlich abweichende Beurteilung durch den 6. BSG-Senat verweist, ist dem zitierten Urteil nicht zu entnehmen, dass der 6. Senat seine Aussage auch unter den besonderen rechtlichen
Rahmenbedingungen im alleinigen Zuständigkeitsbereich eines anderen Senats als maßgeblich formuliert hätte. Die allgemein
gehaltene Formulierung "im Rahmen öffentlich-rechtlicher Verwaltungstätigkeit nach dem Sozialgesetzbuch bewirkten Geld-, Sach-
und Dienstleistungen" bezieht der 6. BSG-Senat nur auf öffentlich-rechtliche Erstattungssachverhalte, die nicht Gegenstand anderweitiger Regelungen sind. § 50 Abs 2 SGB X findet deshalb auf die - im Gleichordnungsverhältnis stehenden (vgl zuletzt etwa BSG vom 17.12.2020 - B 1 KR 21/20 R - juris RdNr 9 mwN) - Erstattungsforderungen zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern keine Anwendung. Für die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen
und Krankenhäusern verweist §
69 Abs
1 Satz 2 und
3 SGB V abschließend auf das Vierte Kapitel des
SGB V, die §§
63,
64 SGB V, das Krankenhausfinanzierungsgesetz, das Krankenhausentgeltgesetz sowie die hiernach erlassenen Rechtsverordnungen und im Übrigen auf die Vorschriften des
Bürgerlichen Gesetzbuches, soweit sie mit den Vorgaben des §
70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem Vierten Kapitel des
SGB V vereinbar sind. "Abschließend" meint zwar nicht, dass die in §
69 Abs
1 Satz 2 und
3 SGB V nicht ausdrücklich erwähnten Vorschriften des SGB überhaupt nicht mehr anwendbar sind und durch die Vorschriften des
BGB ersetzt werden (vgl BSG vom 12.5.2005 - B 3 KR 32/04 R - SozR 4-2500 § 69 Nr 1 RdNr 18; dort zur Anwendbarkeit der Regelungen des öffentlich-rechtlichen Vertrags; siehe ferner
Krasney in Kasseler Komm, §
69 SGB V RdNr
14, Stand Juli 2017). §
69 Abs
1 Satz 2 und
3 SGB V schließt jedoch in dem Gleichordnungsverhältnis von Krankenkasse und Krankenhaus die Anwendbarkeit der Regelungen des Dritten
Abschnitts des Ersten Kapitels des SGB X aus. Dieser Abschnitt hat den Verwaltungsakt zum Gegenstand, der Rechtsverhältnisse betrifft, die einer einseitigen Regelungsmacht
der Verwaltungsträger unterworfen sind. Zu diesem Regelungskreis zählt auch § 50 Abs 2 SGB X.
b) Soweit sich die Beschwerdebegründung mit der Frage befasst, ob und ggf unter welchen Voraussetzungen die Krankenhäuser
bei ihren Abrechnungen auf eine langjährige Praxis der am Abrechnungsverfahren Beteiligten vertrauen dürfen, liegt weder eine
Divergenz zu der benannten Entscheidung des BVerfG vom 16.12.1981 (1 BvR 898/79 ua - BVerfGE 59, 128, 166 ff) vor, noch bedarf diese Frage noch einer grundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren. Der erkennende Senat hat vielmehr
- in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG (vgl BVerfG vom 26.11.2018 - 1 BvR 318/17 ua - NJW 2019, 351) - für die Zeit vor 2016 in Bezug auf §
275 Abs
1 und
1c SGB V an der Differenzierung zwischen sachlich-rechnerischer Richtigkeitsprüfung und Wirtschaftlichkeitsprüfung festgehalten (vgl zB BSG vom 16.7.2020 - B 1 KR 15/19 R - SozR 4-2500 § 275 Nr 32 RdNr 12 mwN). Eine Abweichung vom Grundsatz strikter Maßgeblichkeit dieser materiellen Rechtslage kommt nach der Senatsrechtsprechung nur
ausnahmsweise und nur unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht, wenn dies zum Schutz des Vertrauens auf eine langjährige
gemeinsame Praxis von Krankenhäusern und Krankenkassen geboten ist (vgl BSG vom 16.7.2020 - B 1 KR 15/19 R - SozR 4-2500 § 275 Nr 32 RdNr 21; BSG vom 17.12.2020 - B 1 KR 21/20 R - juris RdNr 37 ff). Im Verhältnis von Krankenhäusern und Krankenkassen kann ein Vertrauenstatbestand entstehen, da diese allgemein durch §
4 Abs
3 SGB V und besonders durch den dauerhaften Vertragsrahmen des Leistungserbringungssystems in der Grundsituation vertrauensvoller
Zusammenarbeit und gegenseitiger Rücksichtnahme im Interesse der zu versorgenden GKV-Versicherten zu einer engen professionellen
Kooperation verpflichtet sind. In diesem Rahmen sind beide Seiten rechtlich verpflichtet und auch faktisch gezwungen, sich
bei der konkretisierenden Umsetzung gesetzlicher und untergesetzlicher Normen einschließlich der Normenverträge miteinander
abzustimmen. Der Schutz des Vertrauens von Krankenkassen und Krankenhäusern in von ihnen dabei eingeübte Verfahrensweisen
ist dabei umso stärker, je länger und einvernehmlicher die Verfahrensweisen praktiziert werden, je bedeutsamer sie sind, und
wenn sie zugleich bereits über längere Zeit eine höchstrichterliche Billigung erfahren haben (vgl BSG vom 16.7.2020 - B 1 KR 15/19 R - SozR 4-2500 § 275 Nr 32 RdNr 21; BSG vom 17.12.2020 - B 1 KR 21/20 R - juris RdNr 38 mwN).
Speziell zu der - auch im vorliegenden Verfahren strittigen - Kodierung von OPS 8-550 für Versicherte unter 60 Jahren hat
der erkennende Senat entschieden, dass sich für Abrechnungsstreitigkeiten zu dieser Frage ein solches Vertrauen nicht gebildet
hat und hierzu weiter ausgeführt (BSG vom 17.12.2020 - B 1 KR 21/20 R - juris RdNr 39):
"Die Entscheidung des BSG vom 23.6.2015 (B 1 KR 21/14 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 46), in der das BSG erstmals entschieden hat, dass die Kodierung des OPS 8-550 einen mindestens 60-jährigen Patienten voraussetzt, ist die erste
Entscheidung, die zu den Voraussetzungen einer geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung ergangen ist. Sie ist darüber
hinaus auch die erste höchstrichterliche Entscheidung, die sich überhaupt mit dem Begriff der geriatrischen Behandlung auseinandersetzt.
Eine Abkehr von gefestigter, anders lautender und daher ggf vertrauensbildender höchstrichterlicher Rspr liegt daher nicht
vor. Unabhängig davon enthielten bereits die ersten Auslegungshinweise des Kompetenz-Centrums Geriatrie des Medizinischen
Dienstes der Krankenversicherung zur Auslegung des Begriffs 'geriatrisch' im OPS 8-550 (Version 2005) die Einschränkung, dass
für die Anwendung einer geriatrischen Komplexbehandlung in der Regel ein Alter von 70 Jahren, zumindest jedoch ein Alter von
60 Jahren erforderlich sei. Auch wenn nicht alle Krankenkassen diese Auslegungshilfe offenbar berücksichtigt haben, zeigt
dies doch, dass die Frage nach einem Mindestalter zur Kodierung der OPS 8-550 frühzeitig adressiert und aufgeworfen war."
Einer weiteren Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf es daher nicht mehr.
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 3
SGG iVm §
154 Abs
2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.