Rücknahme eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsaktes, Anwendung der Aussparungsregelung des § 48 Abs. 3 SGB X
Gründe:
I. Streitig ist die Erstattung der Kosten für eine vom Kläger durchgeführte Tinnitustherapie.
Der Kläger war seit 1970 lärmexponiert beschäftigt, zuletzt in einem Stahlwerk. Im November 1998 erstattete der HNO-Arzt Dr.
C. für ihn eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit (BK) wegen einer Lärmschwerhörigkeit beiderseits und eines Tinnitus
links. Nach arbeitstechnischen Ermittlungen und der Einholung eines Gutachtens des HNO-Arztes Dr. M. vom 11. Juni 1999 erkannte
die Beklagte bei dem Kläger eine Lärmschwerhörigkeit als BK nach Nr 2301 der Anlage zur
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV) und als deren Folge "beginnende berufsbedingte Hochtoninnenohrschwerhörigkeit mit einem Hörverlust, der unter Berücksichtigung
der linksseitigen Ohrgeräusche (Tinnitus) jedoch das Ausmaß einer knapp geringgradigen Schwerhörigkeit noch nicht erreicht"
an. Die Gewährung von Verletztenrente lehnte sie ab, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit unter 10 vH beurteilt
werde und so einen rentenberechtigenden Grad (20 vH) nicht erreiche (Bescheid vom 6. Juli 1999).
Am 28. Januar 2000 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Tinnitustherapie. Während die
HNO-Ärzte Dr. Ma. und Prof. Dr. B. in ihren von der Beklagten eingeholten Stellungnahmen die Ansicht vertraten, der Tinnitus
sei nicht lärmbedingt, führte der HNO-Arzt Dr. M. in seinem Gutachten aus, bei Abwägung aller Argumente schätze er das Ohrgeräusch
als berufsbedingt entstanden ein. Bei der Bewertung der MdE, die für den Hörverlust 0 betrage, sei das Ohrgeräusch mit 10
vH zu bewerten; zu dessen Linderung biete sich eine Tinnitustherapie an. Die Beklagte lehnte die Übernahme der Kosten für
die Tinnitustherapie ab (Bescheid vom 23. Februar 2001). Das einseitige Ohrgeräusch links sei aus körpereigener Ursache und
nicht durch berufliche Lärmeinwirkung entstanden; eine Rente sei weiterhin nicht zu zahlen. Der Widerspruch blieb erfolglos
(Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 2001). Bei der Ablehnung der Kosten für die Tinnitusklangtherapie handele es sich nicht
um die Rücknahme einer Anerkennung iS des § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), da der Tinnitus nicht mitanerkannt gewesen sei. Außerdem sei der Tinnitus zum Zeitpunkt des Bescheides noch nicht behandlungsbedürftig
gewesen; soweit er sich nunmehr verschlimmert habe und behandlungsbedürftig geworden sei, handele es sich dabei weder um eine
Folge des Lärms noch um einen anerkannten Befund.
Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Bremen erhoben. Während des Klageverfahrens stellte die Beklagte durch Bescheid vom 18. März 2002 fest, der Bescheid vom
6. Juli 1999 sei teilweise rechtswidrig und könne wegen Fristablaufs nicht nach § 45 SGB X zurückgenommen werden; Leistungsansprüche wegen der als Folge der Lärmschwerhörigkeit anerkannten linksseitigen Ohrgeräusche
würden abgelehnt. Die bereits im Gutachten des Dr. M. vom 11. Juni 1999 getroffene Feststellung, dass das Ohrgeräusch nicht
Folge der Lärmschwerhörigkeit sei, sei nicht zu beanstanden. Die im Bescheid vom 6. Juli 1999 als Folgen der Lärmschwerhörigkeit
anerkannten linksseitigen Ohrgeräusche würden von der weiteren Beurteilung der Folgen der BK ausgespart, die Kosten der Tinnitustherapie
nicht übernommen.
Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Februar 2001, des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2001 und des
Bescheides vom 18. März 2002 verurteilt, die Kosten für eine Tinnitustherapie bei dem Kläger zu übernehmen; den darüber hinausgehenden
Klageantrag auf Zuerkennung einer MdE von mindestens 10 vH für die anerkannte BK hat das SG abgewiesen (Urteil vom 4. September 2002). Für die Anerkennung einer MdE um mindestens 10 vH für die anerkannte BK bestehe
kein Rechtsschutzbedürfnis, weil sich hieraus mangels Vorliegens eines weiteren Versicherungsfalles keine Vorteile ergeben
könnten. Der Kläger habe Anspruch auf die Tinnitustherapie, weil die Beklagte im Bescheid vom 6. Juli 1999 als Teil der dem
Grunde nach anerkannten BK auch die linksseitigen Ohrgeräusche mit anerkannt habe, eine Aufhebung dieser Anerkennung nach
§ 45 SGB X wegen Fristablaufs nicht möglich sei und eine Anwendung des § 48 Abs 3 SGB X mangels einer wesentliche Änderung nicht in Betracht komme.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen das erstinstanzliche Urteil abgeändert
und die Klage, mit welcher der Kläger nach Durchführung der Tinnitustherapie während des Berufungsverfahrens nur noch die
Erstattung der von ihm dafür aufgewendeten Kosten in Höhe von 253,82 Euro begehrt hat, in vollem Umfang abgewiesen (Urteil
vom 29. September 2005). Zwar könne davon ausgegangen werden, dass die Beklagte in dem Bescheid vom 6. Juli 1999 die linksseitigen
Ohrgeräusche als Folgen der BK anerkannt habe. Insoweit handele es sich um einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt
(VA), denn die Ohrgeräusche seien nicht lärmbedingt und daher nicht Folge der anerkannten BK, wie Dr. Ma. und Prof. Dr. B.
überzeugend dargelegt hätten; etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Gutachten von Dr. M.. Diese Anerkennung könne die
Beklagte wegen Ablaufs der Zweijahresfrist seit Bekanntgabe des Bescheides nicht mehr zurücknehmen. Damals seien die Ohrgeräusche
jedoch "kompensiert" und noch nicht behandlungsbedürftig gewesen. Inzwischen sei eine wesentliche Verschlimmerung eingetreten,
denn sie seien "dekompensiert", bedürften der Therapie und seien mit einer MdE um 10 vH zu bewerten. Bei einem solchen Sachverhalt
dürften zu Unrecht als Folgen eines Versicherungsfalles anerkannte Gesundheitsstörungen entsprechend § 48 Abs 3 SGB X von der weiteren Leistungserbringung ausgespart werden. Diese Vorschrift sei zwar ihrem Wortlaut nach auf "Leistungen" zugeschnitten,
die sich in einem "Betrag" ausdrücken ließen. Aufgrund des Normzwecks, zu verhindern, dass Unrecht weiter wachse, sei sie
aber entsprechend auch auf andere Sozialleistungen anwendbar. Die Beklagte habe somit zu Recht in dem Bescheid vom 18. März
2002, der den Bescheid vom 25. Mai 2001 ersetzt habe und nach §
96 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens geworden sei, eine Leistungserbringung wegen einer Verschlimmerung der Ohrgeräusche
abgelehnt.
Mit seiner - vom LSG zugelassenen - Revision macht der Kläger eine Verletzung des § 48 Abs 3 SGB X geltend. Diese Vorschrift greife nach der bisherigen Rechtsprechung nicht in den geschützten Bestand einer bereits anerkannten
Leistung ein, sondern beschränke nur die den Betroffenen an sich aufgrund der wesentlichen Änderung zustehende Leistungserhöhung,
während die durch Bescheid anerkannte Dauerleistung weiter gewährt werde. Der Berechtigte werde also lediglich von Leistungsverbesserungen
ausgespart; so dürfe etwa die anerkannte MdE in keinem Falle unterschritten werden. Bei einer Anwendung des § 48 Abs 3 SGB X in der vom LSG angenommenen Weise werde hingegen bewirkt, dass trotz Anerkennung der Ohrgeräusche als Folge einer BK und
Fristablaufs keinerlei Leistungen zu erbringen seien. Hierbei werde aber der durch die Fristen des § 45 SGB X gesicherte Bestands- und Vertrauensschutz des Berechtigten nicht berücksichtigt. Das Absehen von der Bestandskraft nach §
48 Abs 3 SGB X könne - wie es auch in der Literatur vertreten werde - nur hinsichtlich der Berechnungsfaktoren, nicht aber für den Grund
des Anspruchs gelten. Er habe mithin aufgrund des Bescheides vom 6. Juli 1999 darauf vertrauen können, dass die Beklagte mit
der Anerkennung des linksseitigen Ohrgeräusches als Folge der BK auch für diesbezügliche Behandlungen einzustehen habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 29. September 2005 aufzuheben und die Berufung der Beklagten
zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Er hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten der von ihm durchgeführten
Tinnitustherapie, wie das LSG zu Recht entschieden hat.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid vom 23. Februar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 25. Mai 2001 und des Bescheides vom 18. März 2002. SG und LSG sind zutreffend davon ausgegangen, dass der nach Klageerhebung ergangene Bescheid vom 18. März 2002 gemäß §
96 Abs
1 SGG Verfahrensgegenstand geworden ist, weil er den vorhergehenden Bescheid teilweise abgeändert hat. Da der Kläger sein Klagebegehren
im Berufungsverfahren im Wege einer zulässigen Klageänderung (§
153 Abs
1 iVm §
99 Abs
3 Nr
3 SGG) auf die Kostenerstattung für die inzwischen durchgeführte Tinnitustherapie umgestellt hat, ist auch im Revisionsverfahren
nur hierüber zu entscheiden.
Nach §
26 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VII) haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und unter Beachtung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IX) Anspruch auf ua Heilbehandlung einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Diese Leistungen sind nach Abs
4 Satz 2 aaO als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen und daher als "Naturalleistung" zu gewähren (vgl BSGE
73, 271, 274 = SozR 3-2500 §
13 Nr 4 mwN); Ausnahmen sollen nur dann gelten, wenn dies im
SGB VII oder
SGB IX ausdrücklich vorgesehen ist. Eine Kostenerstattung für selbst beschaffte Leistungen zur Heilbehandlung und Rehabilitation
findet allein unter den Voraussetzungen des §
13 Abs
3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) statt; diese Vorschrift ist in der gesetzlichen Unfallversicherung entsprechend anwendbar, da hier eine Regelungslücke hinsichtlich
der Kostenerstattung besteht, die diese Vorschrift sachgerecht ausfüllt (vgl BSG SozR 3-2200 § 557 Nr 1 mwN; Brackmann/Krasney,
Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand September 2006, §
26 SGB VII RdNr 8 mwN).
Die Voraussetzungen des entsprechend anwendbaren §
13 Abs
3 SGB V sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Danach kommt eine Erstattung der Kosten einer vom Verletzten selbst getragenen Heilbehandlung
oder Rehabilitation in der gesetzlichen Unfallversicherung in Höhe der dadurch entstandenen notwendigen Kosten nur dann in
Betracht, wenn der Unfallversicherungsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder wenn er
eine Leistung - etwa in der Annahme, es liege kein Versicherungsfall vor - zu Unrecht abgelehnt hat. Im vorliegenden Fall
kommt als Anspruchsgrundlage des Klägers allein die zweite Alternative des §
13 Abs
3 SGB V in Betracht, denn bei der hier in Frage stehenden Tinnitustherapie handelte es sich offensichtlich nicht um eine unaufschiebbare
Sach- bzw Dienstleistung iS der ersten Alternative der Vorschrift, bei der das Abwarten eines Bescheides des Unfallversicherungsträgers
nicht angezeigt gewesen wäre. Dies wird auch nicht geltend gemacht.
Der Kläger hat indes auch nach der zweiten Alternative des §
13 Abs
3 SGB V keinen Kostenerstattungsanspruch, denn die Beklagte hat die Übernahme der Kosten der Tinnitustherapie nicht rechtswidrig
abgelehnt. Er hatte keinen Anspruch auf Heilbehandlung, soweit es die bei ihm vorliegenden linksseitigen Ohrgeräusche zum
Zeitpunkt der Geltendmachung und Vornahme der hier im Streit stehenden Therapie betrifft. Nach den nicht mit zulässigen Revisionsrügen
angegriffenen und daher für den Senat bindenden (§
163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind diese Ohrgeräusche nicht lärmbedingt und daher nicht Folge der von
der Beklagten anerkannten BK "Lärmschwerhörigkeit". Dies ist aber grundsätzlich Voraussetzung für den Heilbehandlungsanspruch,
denn nach §
26 Abs
2 Nr
1 SGB VII hat der Unfallversicherungsträger mit allen geeigneten Mitteln (nur) den durch den Versicherungsfall - hier den der BK gemäß
§
7 Abs
1 iVm §
9 Abs
1 SGB VII - verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern.
Es kann daher - worauf das LSG zutreffend hinweist - offen bleiben, ob die vom Kläger durchgeführte Tinnitustherapie in der
Form einer Klangtherapie überhaupt ein geeignetes Mittel zur Erreichung der genannten Zwecke war.
Die Beklagte hat indes bei dem Kläger in ihrem Bescheid vom 6. Juli 1999 nicht nur eine "Lärmschwerhörigkeit" als BK anerkannt,
sondern als deren Folge auch "linksseitige Ohrgeräusche". Dies ergibt sich aus dem - vom LSG festgestellten - Wortlaut des
Bescheides, nach dem als Folgen der BK "beginnende berufsbedingte Hochtoninnenohrschwerhörigkeit mit einem Hörverlust, der
unter Berücksichtigung der linksseitigen Ohrgeräusche jedoch das Ausmaß einer knapp geringgradigen Schwerhörigkeit noch nicht
erreicht" anerkannt wird. Das Revisionsgericht ist zwar nur an die (tatsächlichen) Feststellungen des Tatsachengerichts hinsichtlich
der Existenz und des Wortlaut eines VA gebunden und nicht an dessen Auslegung, die es selbst zu prüfen hat (vgl May, Die Revision,
2. Aufl, VI RdNr 464 f), jedoch hat der Senat keine Bedenken, hier der Auslegung des LSG zu folgen, die auch von den Beteiligten
nicht (mehr) in Frage gestellt wird.
An diese von Anfang an unrichtige Feststellung ist die Beklagte gebunden, denn der Bescheid vom 6. Juli 1999 kann nicht mehr
gemäß § 45 Abs 1 SGB X zurückgenommen werden, da dieser als rechtswidriger begünstigender VA mit Dauerwirkung nur bis zum Ablauf von zwei Jahren
nach seiner Bekanntgabe im Juli 1999 zurückgenommen werden kann (§ 45 Abs 3 Satz 1 SGB X) und diese Frist im März 2002, als sich die Beklagte erstmals auf die teilweise Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 6. Juli
1999 berief, bereits abgelaufen war. In dem zuvor ergangenen, die Übernahme der Tinnitustherapie ablehnenden Bescheid vom
23. Februar 2001 und dem Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 2001 war von einer Rücknahme dieses Bescheides wegen Rechtswidrigkeit
nicht die Rede gewesen, weil die Beklagte - wie im Widerspruchsbescheid ausdrücklich ausgeführt - davon ausgegangen war, sie
habe die Ohrgeräusche nicht als Folge der BK mit anerkannt.
§ 48 Abs 3 SGB X schreibt für den Fall, dass ein rechtswidriger begünstigender VA nach § 45 SGB X nicht (mehr) zurückgenommen werden kann und eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen,
die beim Erlass eines VA mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eingetreten ist, zwingend ein "Aussparen" der an sich aufgrund
der wesentlichen Änderung (s § 48 Abs 1 SGB X) zugunsten des Betroffenen zu gewährenden Erhöhung vor, ohne dass hierfür eine Frist vorgesehen ist. Allerdings bezieht sich
diese Vorschrift ihrem Wortlaut nach allein auf eine neu festzustellende "Leistung", die sich in einem "Betrag" ausdrücken
lässt, also auf eine Geldleistung (vgl Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 48 SGB X RdNr 64). Um eine solche Leistung geht es im vorliegenden Fall jedoch zunächst nicht, denn bei dem zu Unrecht als Folge einer
BK anerkannten Tinnitus handelt es sich um einen Gesundheitsschaden, der Grundlage für einen Anspruch auf Geldleistungen -
etwa bei Vorliegen eines entsprechenden Grades der MdE einem Anspruch auf Verletztenrente - sein kann oder auch für einen
Sachleistungsanspruch, etwa auf Heilbehandlung.
Die "Aussparungsregelung" greift indessen nicht nur ein, wenn sich der zur Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bescheides
führende Fehler auf die Höhe einer Geldleistung auswirkt, sondern auch dann, wenn er die Grundlage der Leistungsbewilligung
betrifft. Diese Auffassung hat der Senat bereits unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des 9. Senats des Bundessozialgerichts
([BSG] SozR 1300 § 48 Nr 48 und 51) in seinem Urteil vom 31. Januar 1989 (2 RU 16/88 - SozR 1300 § 48 Nr 54) vertreten und in seinem Urteil vom 18. März 1997 (2 RU 19/96 - BSGE 80, 119 = SozR 3-1300 § 48 Nr 61) bestätigt. Nach Sinn und Zweck des § 48 Abs 3 SGB X soll verhindert werden, dass die zu hohe Leistung, die durch irgendeinen Fehler entstanden ist, durch irgendeine Veränderung
zugunsten des Betroffenen immer noch höher wird, das bestehende Unrecht also weiter wächst, unabhängig davon, ob dies durch
einen rechtswidrig festgestellten Faktor oder eine rechtswidrig festgestellte Grundlage der Leistungsbewilligung geschehen
würde. An dieser Rechtsprechung, der ein Teil der Literatur folgt (stellvertretend Steinwedel aaO RdNr 65; Wiesner in von
Wulffen, SGB X, 5. Aufl 2005, § 48 RdNr 26 mwN; aA ua Gagel SGb 1990, 252, 254), wird festgehalten. Dass die Bundesregierung es im Gesetzgebungsverfahren abgelehnt hatte, dem Vorschlag des Bundesrates
zu folgen, die Regelung in § 48 Abs 3 SGB X nicht nur auf Geldleistungen, sondern auch auf andere Leistungsarten anwendbar zu machen, weil für die Ausdehnung auf Sachleistungen
keine Notwendigkeit bestehe (BT-Drucks 8/2034, S 50 Nr 28, S 62 zu 28), spricht nicht gegen die dargelegte Auffassung. Offenbar
ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass eine ausdrückliche Erstreckung des Abs 3 aaO auf solche Leistungen überflüssig
wäre, weil insoweit keine entsprechenden Probleme entstehen könnten. Wie der vorliegende Fall zeigt, ist dies indessen nicht
der Fall, sodass jedenfalls eine entsprechende Anwendung für die vom Gesetzgeber offenbar nicht gesehenen Konstellationen
erforderlich erscheint, zumal der Gesetzgeber den Gesetzestext trotz der bereits seit 1989 bestehenden Rechtsprechung des
BSG nicht später geändert hat. Der Senat weicht nicht von der Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 16. März 1989 (4/11a RA 70/87 - BSGE 65, 8 = SozR 1300 § 48 Nr 55) ab, da diese sich nach ihren eigenen Ausführungen allein damit befasst, dass ein Berechnungselement
ausnahmsweise Regelungsgegenstand eines Vormerkungsbescheides ist und eine Abweichung von der oa Entscheidung des 9. Senats
ausdrücklich verneint.
Im vorliegenden Fall hat das LSG für das Revisionsgericht bindend (§
163 SGG) festgestellt, dass die rechtswidrig als Folge einer BK anerkannten Ohrgeräusche zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Ursprungsbescheides
vom 6. Juli 1999 "kompensiert", also nicht behandlungsbedürftig waren, und eine MdE um 0 vH bedingten, dass aber danach eine
Verschlimmerung in der Weise eingetreten ist, dass sie "dekompensiert" sind, behandlungsbedürftig wurden und auch eine MdE
von 10 vH bedingten. Da dies eine wesentliche Änderung der für die Grundlagen von ua Heilbehandlungsansprüchen relevanten
tatsächlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 SGB X bedeutet, diese aber nach den obigen Ausführungen von einer "Erhöhung", unter der bei der angenommenen entsprechenden Anwendung
des § 48 Abs 3 SGB X auch das erstmalige Entstehen von auf der Veränderung beruhenden Ansprüchen zu verstehen ist, "ausgespart" werden müssen,
ist ein Heilbehandlungsanspruch, auch in Form der durchgeführten Klangtherapie, für den als Folge der BK anerkannten Tinnitus
nicht gegeben. Demnach kann sich daraus auch kein Anspruch auf Kostenerstattung entsprechend §
13 Abs
3 SGB V ergeben.
Nach alledem war die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach §
193 SGG.