Anspruch auf rechtliches Gehör im sozialgerichtlichen Verfahren, Verletztengeldanspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung
Gründe:
I
Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob weitere Gesundheitsstörungen als Folgen des Arbeitsunfalles des Klägers am
12. Juni 1997 festzustellen sind, ob dem Kläger Leistungen der Heilbehandlung und Rehabilitation zustehen, ob eine Bemessung
der dem Kläger zuerkannten Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mehr als 40 vH zu erfolgen und
ob der Kläger Anspruch auf Verletztengeld für die Zeit vom 10. Dezember 1998 bis zum 30. März 2003 hat.
Der im Jahre 1952 geborene Kläger war als Verkaufsberater bei der H GmbH tätig. Am 12. Juni 1997
erlitt er in Ausübung dieser Tätigkeit auf der Rückfahrt mit seinem Pkw von einem Kunden bei einem Verkehrsunfall eine Halswirbelsäulen-Distorsion
ohne strukturelle Verletzungen der Halswirbelsäule mit einem Schweregrad I bis II. Der Kläger leidet infolge des Unfallereignisses
unter einem Kopfschmerzsyndrom mit ausgeprägten Konzentrations- und Merkstörungen.
Die Beklagte gewährte dem Kläger zunächst Verletztengeld vom 25. Juli 1997 bis zum 8. Mai 1998. Mit Bescheid vom 24. Juni
1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 1998 verneinte sie einen ursächlichen Zusammenhang zwischen
dem Arbeitsunfall am 12. Juni 1997 und der Behandlungsbedürftigkeit bzw Arbeitsunfähigkeit (AU) des Klägers über den 26. Oktober
1997 hinaus und lehnte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über diesen Zeitpunkt
hinaus ab.
Das Sozialgericht (SG) Dresden hat die ua auf Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung gerichtete Klage abgewiesen
(Gerichtsbescheid vom 3. Juli 2000). Während des Berufungsverfahrens hat die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA)
in einem bei dem SG anhängigen Rentenrechtsstreit (S 4 RA 672/99) mit einem am 31. März 2003 beim SG eingegangenen Schriftsatz den Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) auf der Grundlage
eines Leistungsfalls vom 12. Juni 1997 anerkannt.
Das Sächsische Landessozialgericht (LSG) hat nach Einholung eines fachorthopädischen Sachverständigengutachtens nach Aktenlage
von Dr. O , der eine chronifizierte Schmerzkrankheit nach einer Halswirbelsäulendistorsion als Folge des Arbeitsunfalles
am 12. Juni 1997 mit einer bis auf weiteres bestehenden MdE um 100 vH festgestellt hat, den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und den Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 1998
geändert. Es hat festgestellt, dass der Kläger infolge des Arbeitsunfalles vom 12. Juni 1997 an einem chronifizierten Kopfschmerzsyndrom
mit Merkfähigkeits- und Konzentrationsstörungen leidet und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Verletztengeld bis zum 30.
März 2003 und im Anschluss daran eine Verletztenrente nach einer MdE um 40 vH zu gewähren (Urteil vom 27. November 2003).
Hinsichtlich der Gewährung von Verletztengeld hat es die Revision zugelassen.
Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Die genannten Gesundheitsstörungen seien rechtlich wesentlich durch
den Arbeitsunfall vom 12. Juni 1997 verursacht worden. Aufgrund dieser Unfallfolgen sei der Kläger auf Dauer arbeitsunfähig
erkrankt gewesen. Der Anspruch des Klägers auf Verletztengeld habe am 30. März 2003 zum Zeitpunkt des Anerkenntnisses der
BfA bezüglich der Gewährung einer unbefristeten Rente wegen EU gemäß §
46 Abs
3 Satz 2 Nr
3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VII) geendet, weil erst dann abschließend geklärt gewesen sei, dass mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit des Klägers nicht
habe gerechnet werden können und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht (mehr) zu erbringen gewesen seien. Der Anspruch
des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um 40 vH ergebe sich unter Berücksichtigung der sog MdE-Erfahrungswerte.
Diese stellten allgemeine Erfahrungssätze dar und bildeten in der Regel die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische
Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreite, ohne dass ihnen der Rechtscharakter einer gesetzlichen Norm zukomme (Hinweis
auf BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 8). Nach den MdE-Erfahrungswerten werde bei zentralen vegetativen Störungen als Ausdruck eines
Hirndauerschadens (etwa Kopfschmerzen, Schwindel, Schlafstörungen, vasomotorischen Störungen in leichter Ausprägung) von einer
MdE um 10 bis 20 vH ausgegangen. Mittelgradige Störungen dieser Art bedingten hiernach eine MdE um 20 bis 30 vH und solche
mit Anfällen oder schweren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand eine MdE um 30 bis 40 vH (Hinweis auf Mehrtens in: Bereiter-Hahn-Mehrtens,
SGB VII, Anhang 12, J 002). Die Gesundheitsstörungen des Klägers mit ausgeprägten Defiziten im Bereich der Merk- und Lernfähigkeit
seien den dort genannten Störungen vergleichbar, auch wenn sie nicht als Ausdruck eines Hirndauerschadens eingetreten seien.
Da der Kläger aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalles auf Dauer arbeitsunfähig geworden sei und inzwischen deswegen eine Rente
wegen EU erhalte, seien schwerste Auswirkungen auf den Allgemeinzustand des Klägers belegt. Die MdE sei mit 40 vH im obersten
Bereich der einschlägigen MdE-Erfahrungswerte zu bewerten. Soweit der Sachverständige Dr. O die MdE mit 100 vH
geschätzt habe, könne dem nicht gefolgt werden, da der Gutachter die MdE-Erfahrungswerte nicht berücksichtigt und als Maßstab
für die Bemessung der MdE lediglich die andauernde AU und nunmehrige EU des Klägers herangezogen habe.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat die bezüglich der Gewährung von Verletztengeld vom LSG zugelassene, vom Kläger eingelegte
Revision als unzulässig verworfen (Beschluss vom 10. Mai 2004).
Mit seiner - vom BSG nunmehr mit Beschluss vom 22. Juni 2004 insgesamt zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung
formellen Rechts. Das LSG habe gegen die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes >SGG<)
und die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Pflicht zur Durchführung eines "fairen Verfahrens" verstoßen. Es habe die Grenzen
der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten und seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§
62 SGG) verletzt. Im Übrigen habe es über wesentliche von ihm erhobene Ansprüche nicht entschieden.
Das LSG sei seiner Verpflichtung zur umfassenden Aufklärung des Sachverhaltes nicht hinreichend nachgekommen, weil es versäumt
habe, sämtliche Behandlungsberichte beizuziehen und diese dem gerichtlichen Sachverständigen Dr. O für dessen Gutachten
nach Aktenlage zur Verfügung zu stellen. Da dieses Gutachten auch Grundlage der Entscheidung über die Höhe der MdE sowie der
im Urteilstenor aufgeführten Diagnosen gewesen sei, beruhe das Urteil des LSG auf diesem Aufklärungsmangel. Seine unfallbedingten
Leiden seien durch das LSG nicht im zutreffenden Ausmaß anerkannt worden, weil wesentliche medizinische Unterlagen nicht beigezogen
worden seien und daher nicht Gegenstand der gutachterlichen Beurteilung und der richterlichen Entscheidungsfindung hätten
sein können.
Seinen Anspruch auf rechtliches Gehör habe das LSG verletzt, weil es auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. O l davon
habe ausgehen müssen, dass er eine Verletztenrente nach einer MdE um 100 vH geltend mache. Hätte das Gericht ihm Gelegenheit
zur Stellungnahme zur beabsichtigten Abweichung von der von Dr. O angenommenen Höhe der MdE gegeben, hätte er im
Rahmen weiteren Vortrags unter Vorlage weiterer Untersuchungsberichte seine Einwände vorbringen können und das erkennende
Gericht hätte sich hiermit auseinander setzen müssen. Dies hätte zur Feststellung einer MdE um 100 vH geführt.
Das LSG habe die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten, indem es die in dem eingeholten Gutachten
des Dr. O angegebene Höhe der MdE um 100 vH ohne Nachfrage mit der pauschalen Begründung verneint habe, der Gutachter
habe die MdE-Erfahrungswerte nicht berücksichtigt. Der Sachverständige habe entgegen der Auffassung des LSG in seinem Gutachten
festgestellt, dass seit dem Arbeitsunfall keine Leistungsfähigkeit mehr erreicht werde, die für eine auf Erwerb zielende Tätigkeit
notwendig wäre.
Die vom LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegten allgemeinen Erfahrungssätze seien auf den hier zu bewertenden Einzelfall
nicht hinreichend angewendet worden. Das Gericht gehe zum einen von der Diagnose einer chronischen Schmerzkrankheit aus, ohne
seine weiteren Beeinträchtigungen ebenfalls unter die allgemeinen Erfahrungssätze einzuordnen und hiernach eine Gesamt-MdE
festzulegen. Während der Gutachter Dr. O von einer chronifizierten Schmerzkrankheit, einem immensen Leidensdruck mit
Störungen der Nachtruhe und jeglicher Tagesaktivität ausgehe, erkenne das LSG lediglich eine zentrale vegetative Störung mit
einer MdE um 40 vH an, ohne dies zu erklären. Bestehende Erfahrungssätze müssten an die neuen Erkenntnisse der Schmerzforschung,
wie von dem gerichtlichen Gutachter Dr. O aufgezeigt, angepasst werden. Hierzu erkläre sich das erkennende Gericht
nicht. Im Übrigen handele es sich bei seinem Krankheitsverlauf um einen sog Ausnahmeverlauf; der Schwerpunkt in der Beurteilung
der Festlegung der MdE sollte daher auf der Beurteilung des Einzelfalles liegen und nicht auf dem Rückgriff auf allgemeine
Erfahrungssätze. Das LSG beziehe sich bei der Festlegung der MdE auf die Erfahrungssätze zu Schädel-Hirn-Verletzungen. Diese
Einordnung erscheine zweifelhaft, da im Rahmen dieser Erkrankungen die vorliegende permanente Schmerzsymptomatik gerade nicht
typisch sei und daher keine hinreichende Berücksichtigung finde. Insoweit liege auch ein Verstoß gegen §
128 Abs
2 SGG in Verbindung mit §
62 SGG vor, da ihm auch keine Möglichkeit gegeben worden sei, eine Stellungnahme hierzu gegenüber dem LSG abzugeben.
Ferner habe das LSG einen Schweregrad II verneint, ohne ihn vorher darüber zu informieren, auf welche Klassifizierung es sich
dabei stütze. Insoweit sei es ihm auch verwehrt gewesen, ärztliche Unterlagen beizubringen. Auch dies stelle eine Verletzung
seines Anspruchs auf rechtliches Gehör dar.
Schließlich habe das LSG über einen von ihm während des Berufungsverfahrens sinngemäß gestellten Antrag auf Verpflichtung
der Beklagten zur Zustimmung und Bezahlung von Maßnahmen der Heilbehandlung für seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen
nicht entschieden.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 27. November 2003, der Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Dresden
vom 3. Juli 2000 und der Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember
1998 werden aufgehoben;
2. es wird festgestellt, dass der Kläger infolge des Arbeitsunfalles vom 12. Juni 1997 an
a) einer funktionellen Instabilität des Kopfgelenkes einschließlich daraus resultierender funktioneller Auswirkungen auf weitere
Körperbereiche sowie zeitweiliger Blockierung des Kopfgelenkes und
b) einem chronifizierten Dauerkopfschmerz mit Merkfähigkeits-, Gleichgewichts-, Seh-, Schlaf- und Konzentrationsstörungen,
sowie verminderter Hirnleistungsfähigkeit sowie Folgeerkrankungen
leidet;
3. die Beklagte wird verurteilt, sämtliche Leistungen zu notwendigen Heilbehandlungen einschließlich Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation der unter Ziffer 2. genannten unfallbedingten Leiden des Klägers zu erbringen und die hierfür bereits seit
dem Unfallereignis seitens des Klägers aufgewendeten Kosten zu erstatten;
4. die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Verletztengeld bis zum 11. Dezember 1997 zu zahlen;
5. die Beklagte wird weiter verurteilt, dem Kläger ab dem Ende des Verletztengeldanspruches eine Verletztenrente nach einer
MdE von 100 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
1. die Revision des Klägers zurückzuweisen,
2. das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 27. November 2003 insoweit aufzuheben, als die Beklagte verurteilt
worden ist, dem Kläger über den 9. Dezember 1998 hinaus Verletztengeld zu zahlen.
Die Beklagte hält das Urteil des LSG, soweit es vom Kläger mit der Revision angegriffen wird, für zutreffend. Mit ihrer eigenen
- vom LSG hinsichtlich der Gewährung von Verletztengeld zugelassenen - Revision rügt sie die Verletzung formellen und materiellen
Rechts. Das LSG habe es unter Verletzung des §
128 Abs
1 Satz 1
SGG unterlassen, das Vorliegen der Voraussetzungen einer Beendigung des Verletztengeldes mit Ablauf der 78. Woche gemäß §
46 Abs
3 Satz 2 Halbs 1
SGB VII zu ermitteln und zu prüfen. Die Auffassung des LSG, die Voraussetzungen der Beendigung des Verletztengeldanspruches hätten
erst mit dem Posteingang des Anerkenntnisses der BfA hinsichtlich der Gewährung einer Rente wegen EU beim SG am 31. März 2003 vorgelegen, verstoße gegen allgemeine Denk- und Auslegungsgrundsätze. Es gehe hier nicht um die Einstellung
einer bereits laufenden Verletztengeldzahlung, sondern um die rückwirkende Zuerkennung von Verletztengeld. Im Hinblick auf
den Umstand, dass die Parteien vor dem LSG über einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall des Klägers und
der AU über den 26. Oktober 1997 hinaus gestritten hätten, habe sich für sie nicht die Frage gestellt, ob die Beendigungsvoraussetzungen
für das Verletztengeld mit Ablauf der 78. Woche vorgelegen hätten. Vertrauensschutztatbestände seien nicht betroffen. Der
Zeitpunkt, ab welchem berufsfördernde Leistungen nicht mehr zu erbringen gewesen seien, sei nach objektiven - hier medizinischen
- Kriterien zu bestimmen. Man könne zwar mangelnde Erfolgsaussichten von Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben allerspätestens
mit eintretender EU im rentenversicherungsrechtlichen Sinne annehmen. In der Regel sei der Zeitpunkt jedoch schon viel früher
gegeben. Dem angefochtenen Urteil fehlten damit die tatsächlichen Grundlagen, die das LSG noch zu ermitteln habe.
II
Die Revision des Klägers ist unzulässig und war deshalb zu verwerfen (§
169 SGG), soweit die Feststellung weiterer Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen, die Gewährung von Leistungen der Heilbehandlung
bzw Rehabilitation und die Zahlung von Verletztengeld bis zum 11. Dezember 1997 geltend gemacht wird. Hinsichtlich der Gewährung
einer Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 40 vH ist die Revision des Klägers insofern begründet, als das angefochtene
Berufungsurteil in diesem Punkt aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen
ist. Dem Kläger ist insoweit das rechtliche Gehör (§§
62,
128 Abs
2 SGG) versagt worden, wie er zu Recht rügt.
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das angefochtene Urteil ist zutreffend, soweit es den Anspruch des Klägers auf
Verletztengeld für die Zeit vom 10. Dezember 1998 bis zum 30. März 2003 betrifft.
Die Revision des Klägers ist, soweit er die Feststellung eines chronifizierten Kopfschmerzes mit Merkfähigkeits- und Konzentrationsstörungen
als Folge seines Arbeitsunfalles geltend macht, unzulässig, weil es insoweit an einer Beschwer des Klägers durch das Urteil
des LSG fehlt. Denn das LSG hat die begehrte Feststellung bereits in der angefochtenen Entscheidung (Ziff II des Urteilstenors)
getroffen.
Soweit der Kläger weiter geltend macht, dass eine funktionelle Instabilität des Kopfgelenkes einschließlich daraus resultierender
funktioneller Auswirkungen auf weitere Körperbereiche, eine zeitweilige Blockierung des Kopfgelenkes und Gleichgewichts-,
Seh- und Schlafstörungen, eine verminderte Hirnleistungsfähigkeit und Folgeerkrankungen als Folge seines Arbeitsunfalles am
12. Juni 1997 festzustellen seien, ist die Revision ebenfalls unzulässig. Denn insoweit handelt es sich um eine gemäß §
168 Satz 1
SGG im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung in Form einer Erweiterung des Klagebegehrens. Die Unzulässigkeit einer solchen
Klageänderung gilt auch für den Fall, dass der Klageantrag im Revisionsverfahren ohne Änderung des Klagegrundes erweitert
wird (vgl BSG Urteil vom 28. Juni 1984 - 2 RU 64/83 = HV-Info 1984, 24). Nach §
55 Abs
1 Nr
1 und
3 SGG kann mit der Klage ua die Feststellung begehrt werden, dass eine Gesundheitsstörung die Folge eines Arbeitsunfalls ist, wenn
der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Dabei wird die Feststellung des Kausalzusammenhanges
zwischen einer Gesundheitsstörung und einem Arbeitsunfall nicht von einer auf Gewährung von Leistungen gerichteten kombinierten
Anfechtungs- und Leistungsklage verdrängt, sondern stellt ein eigenständiges Begehren dar (BSG SozR 3200 § 81 Nr 16 mwN).
Der Kläger hat mit seiner Klage in den Vorinstanzen hier die Zahlung von Entschädigungsleistungen, die Feststellung der Nichtigkeit
des angefochtenen Bescheides, die Gewährung medizinischer Leistungen sowie Leistungen der Rehabilitation, die Anerkennung
seiner EU als Folge des Arbeitsunfalles sowie die Gewährung "aller geeigneten Maßnahmen entsprechend dem
SGB VII" geltend gemacht. Die nunmehr beanspruchte Feststellung weiterer Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen wird von diesem Begehren
nicht umfasst.
Unzulässig ist die Revision des Klägers auch, soweit er die Gewährung von Leistungen der Heilbehandlung "einschließlich Leistungen
zur medizinischen Rehabilitation" für bestimmte Unfallfolgen bzw die Erstattung der seit dem Unfallereignis hierfür aufgewendeten
Kosten geltend macht. Es kann offen bleiben, ob der Kläger insoweit überhaupt beschwert ist. Denn die Revisionsbegründung
entspricht jedenfalls diesbezüglich nicht den gesetzlichen Anforderungen. Nach §
164 Abs
2 Satz 3
SGG muss die Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt
werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Dabei muss sich die Begründung bei einem teilbaren Streitgegenstand
auf alle Teile des angefochtenen Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt wird; widrigenfalls ist
das Rechtsmittel für den nichtbegründeten Teil unzulässig (vgl BSG SozR 1500 § 164 Nr 22; BSGE 65, 8, 11 = SozR 1300 § 48 Nr 55 S 159; BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12). Der Kläger macht allein geltend, der Klagegegenstand sei
vom LSG nicht erschöpfend festgestellt worden. Darauf kann die Revision indes nicht gestützt werden, weil dieses Ziel auf
leichtere Weise durch Beantragung einer Tatbestandberichtigung nach §
139 Abs
1 SGG und eine nachfolgenden Urteilsergänzung nach §
140 SGG erreicht werden kann.
Unzulässig ist die Revision des Klägers auch hinsichtlich des Antrages, die Beklagte zur Zahlung von Verletztengeld bis zum
11. Dezember 1997 zu verurteilen. Auch insoweit ist der Kläger durch das angefochtene Urteil des LSG, das ihm Verletztengeld
bis zum 30. März 2003 zugesprochen hat, nicht beschwert; im Übrigen ist seine Revision hinsichtlich dieses Teiles des Streitgegenstandes
bereits durch den Beschluss des Senats vom 10. Mai 2004 als unzulässig verworfen worden.
Soweit der Kläger die Bemessung der ihm zuerkannten Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 40 vH geltend macht, ist das
angefochtene Urteil unter Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör zustande gekommen. Die Entscheidung kann auf diesem
Verfahrensmangel beruhen, den der Kläger ordnungsgemäß gerügt hat.
Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf (höhere) Verletztenrente ist §
56 Abs
1 Satz 1
SGB VII. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall
hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet.
Sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes (§
56 Abs
3 Satz 1
SGB VII); bei einer MdE wird Teilrente geleistet, die in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt wird, der dem Grad
der MdE entspricht (§
56 Abs
3 Satz 2
SGB VII).
Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Rügen angefochtenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG
(§
163 SGG) erlitt der Kläger bei dem Arbeitsunfall am 12. Juni 1997 eine Halswirbelsäulen-Distorsion mit dem Schweregrad I bis II ohne
strukturelle Verletzungen und leidet in deren Folge an einem chronifizierten Kopfschmerzsyndrom mit ausgeprägten Defiziten
im Bereich der Merk- und Lernfähigkeit.
Das LSG ist zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Gesundheitsstörungen solchen zentralen vegetativen Störungen als Ausdruck
eines Hirndauerschadens (etwa Kopfschmerzen, Schwindel, Schlafstörungen, vasomotorische Störungen in leichter Ausprägung)
vergleichbar seien, für die in den MdE-Erfahrungswerten von einer MdE um 10 bis 20 vH, bei mittelgradigen Störungen dieser
Art von einer MdE um 20 bis 30 vH und bei solchen mit Anfällen oder schweren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand eine MdE
von 30 bis 40 vH ausgegangen werde, auch wenn diese nicht als Ausdruck eines Hirndauerschadens eingetreten seien. Durch die
unfallbedingte dauerhafte AU des Klägers und den Bezug einer EU-Rente wegen der Unfallfolgen, seien schwerste Auswirkungen
auf den Allgemeinzustand des Klägers belegt, sodass eine MdE um 40 vH (im obersten Bereich) der einschlägigen MdE-Erfahrungswerte
anzunehmen sei. Soweit Dr. O die MdE mit 100 vH geschätzt habe, stünden dieser Annahme die MdE-Erfahrungswerte entgegen.
Der Kläger beanstandet zu Recht, dass das LSG in diesem Zusammenhang seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat. Das
LSG hat die MdE-Erfahrungswerte unter Verstoß gegen den Anspruch des Kläger auf rechtliches Gehör in das Verfahren einbezogen
und seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Das Urteil darf indes nur auf solche Tatsachen und Beweismittel gestützt werden,
zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§
128 Abs
2 SGG). §
62 SGG verpflichtet das Gericht zwar nicht generell, seine Rechtsauffassung zu dem Prozessstoff vorab bekannt zu geben oder bei
der Erörterung der Sach- und Rechtslage bereits die endgültige Beweiswürdigung mitzuteilen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör
soll jedoch verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen
oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl BVerfGE 84, 188, 190; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1; Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 32/02 R = NZS 2004, 660). Hatte ein Beteiligter keine Gelegenheit, sich hierzu zu äußern, so sind §
128 Abs
2 SGG und gleichzeitig auch der in Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes garantierte und in §
62 SGG konkretisierte Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (vgl BSG SozR 1500 §
62 Nr 11; BSG Urteil vom 5. März 2002 - B 2 U 27/01 R = ZfS 2002, 237). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil der Kläger nicht auf die entsprechende Anwendung der MdE-Erfahrungswerte,
die sich zu Hirnschädigungen herausgebildet haben, reagieren konnte und durch die Berücksichtigung der MdE-Erfahrungswerte
als tragende Gründe der Entscheidung des LSG überrascht wurde. Die MdE-Erfahrungswerte als Grundlage einer Bemessung der Verletztenrente
des Klägers sind bis zur Entscheidung weder von den Sachverständigen noch vom SG oder LSG in den Rechtsstreit eingeführt worden.
Bei diesen Erfahrungswerten handelt es sich auch nicht um allgemeinkundige Tatsachen, bei denen sich die Einführung in den
Rechtsstreit erübrigt hätte. Denn allgemeinkundige Tatsachen sind solche, von denen verständige und erfahrene Menschen regelmäßig
ohne weiteres Kenntnis haben oder von denen sie sich aus allgemein zugänglichen, zuverlässigen Quellen unschwer überzeugen
können oder auch solche, die in einem größeren oder kleineren Bezirk einer beliebig großen Menge bekannt sind oder wahrnehmbar
waren und über die man sich aus zuverlässigen Quellen ohne besondere Fachkunde unterrichten kann (vgl BSG Urteil vom 5. März
2002 - B 2 U 27/01 R = ZfS 2002, 237). Diese Voraussetzungen erfüllen die MdE-Erfahrungswerte, die das LSG herangezogen hat, nicht, weil sie im Wesentlichen nur
in der Fachliteratur zu finden sind. Im Übrigen konnte der Kläger aufgrund der gesamten Sachlage nicht damit rechnen, dass
das LSG die MdE in starker Abweichung von den Ausführungen des einzigen Sachverständigen, der sich während des gesamten Verwaltungs-
und Gerichtsverfahrens überhaupt zur Höhe der MdE geäußert hatte, festsetzen würde, ohne dass vorher entsprechende Erkenntnisse
mit den Beteiligten zur Sprache gebracht worden wären.
Auf diesem Verfahrensmangel kann das angefochtene Urteil des LSG beruhen, denn es ist nicht auszuschließen, dass der Kläger,
wenn er hierzu Gelegenheit gehabt hätte, zur Anwendung der MdE-Erfahrungswerte weiter vorgetragen und weitere Beweisanträge
gestellt hätte.
Die Bemessung des Grades der MdE ist die auf der Grundlage des §
56 Abs
2 Satz 1
SGB VII durch eine Schätzung vorzunehmende Festlegung des konkreten Umfangs der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und
geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, bei der
es sich nach der ständigen Rechtsprechung des BSG um eine tatsächliche Feststellung handelt, die das Gericht gemäß §
128 Abs
1 Satz 1
SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSGE 4, 147, 149; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 7 und 8; BSG Urteil vom 18. März 2003 - B 2 U 31/02 R = HVBG-Info 2003, 1635). Dabei ist neben der Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten die Anwendung
medizinischer oder sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen
auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens erforderlich. Als Ergebnis
dieser Wertung ergibt sich die Erkenntnis über den Umfang der dem Versicherten versperrten Arbeitsmöglichkeiten. Hierbei kommt
es stets auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 8; BSG Urteil vom 18. März 2003 aaO). Die
MdE-Erfahrungswerte, die sich in der gesetzlichen Unfallversicherung im Laufe der Zeit bei einer Vielzahl von Unfallfolgen
oder Berufskrankheiten für die Schätzung der MdE herausgebildet haben, dienen als Anhaltspunkte für die MdE-Einschätzung im
Einzelfall (BSG Urteil vom 18. März 2003 aaO). Die in den Tabellen und Empfehlungen enthaltenen Richtwerte stellen allgemeine
Erfahrungssätze dar und bilden in der Regel die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der
MdE unterbreitet, die aber nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr 23 und 27; BSGE 82,
212 = SozR 3-2200 § 581 Nr 5; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 8; BSG Urteil vom 18. März 2003 - B 2 U 31/02 R -; BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 §
56 Nr 1; Burchardt in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung,
SGB VII, Stand 2005, §
56 RdNr 71). Die Feststellung der Höhe der MdE als tatsächliche Feststellung erfordert stets die Würdigung der hierfür notwendigen
Beweismittel im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung gemäß §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 8; Urteil vom 18. März 2003 aaO).
Zu den vom LSG festgestellten Gesundheitsstörungen in Form eines chronifizierten Kopfschmerzsyndroms mit ausgeprägten Defiziten
im Bereich der Merk- und Lernfähigkeit fehlen jedoch gerade allgemeine Erfahrungssätze, in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit
durch solche Einschränkungen beeinträchtigt wird. Ob allgemeine Erfahrungssätze, die sich für andere Gesundheitsstörungen
herausgebildet haben, auf davon nicht unmittelbar erfasste Sachverhalte übertragbar sind, ist ebenso wie die Frage der Einschätzung
der MdE eine tatsächliche Feststellung, die dem Beweis durch - medizinische - Sachverständige unterliegt.
Es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass das LSG bei weiteren aufgrund des (im Berufungsverfahren unterbliebenen) Vortrags
des Klägers vorgenommenen Ermittlungen eine MdE um mehr als 40 vH festgestellt hätte, soweit eine Vergleichbarkeit von den
MdE-Erfahrungswerten für zentrale vegetative Störungen als Ausdruck eines Hirndauerschadens mit chronischen Kopfschmerzen
nach Distorsionen an der Halswirbelsäule von Seiten des medizinischen Sachverständigen verneint würde, auch wenn ein solches
Ergebnis wenig wahrscheinlich sein dürfte (vgl Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl 2003,
S 304; Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl 2005, S 218; Bonnermann, BG 1988, 749, 751).
Ob darüber hinaus - wie vom Kläger gerügt - eine Verletzung der in §
103 SGG normierten Amtsermittlungspflicht durch das LSG vorliegt, kann ungeprüft bleiben, weil die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör allein die Entscheidung trägt (vgl BSG Urteil vom 31. Januar 1989 - 2 RU 17/88 = HV-Info 1989, 907).
Da der gerügte Verfahrensmangel in der Revisionsinstanz nicht geheilt werden kann, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung
in der Sache (§
170 Abs
2 Satz 1
SGG) insoweit verwehrt. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs kann in der Revisionsinstanz nicht wirksam nachgeholt werden, weil
sich die Gehörsverletzung im konkreten Fall auf die Feststellung und Bewertung von Tatsachen - nämlich die Vergleichbarkeit
der Gesundheitsstörungen des Klägers mit den in den MdE-Erfahrungswerten ausdrücklich benannten Gesundheitsstörungen - bezieht.
Dies zwingt zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht, soweit das Urteil die Frage betrifft, ob die dem Kläger zuerkannte
Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 40 vH zu bemessen ist.
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Verletztengeld
für die Zeit vom 10. Dezember 1998 bis zum 30. März 2003 bejaht.
Gemäß §
46 Abs
3 Satz 1 Nr
1 SGB VII endet das Verletztengeld ua mit dem letzten Tag der AU oder der Hinderung an einer ganztägigen Erwerbstätigkeit durch eine
Heilbehandlungsmaßnahme. Damit normiert §
46 Abs
3 Satz 1 Nr
1 SGB VII die bereits aus §
45 Abs
1 Nr
1 SGB VII abzuleitende Folge, dass das Verletztengeld endet, wenn eine unfallbedingte AU nicht mehr vorliegt (Kater in: Kater/Leube,
SGB VII, §
46 RdNr 11).
Ist mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen und sind berufsfördernde Leistungen (seit dem 1. Juli 2001:
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) nicht zu erbringen, endet das Verletztengeld mit dem Tag, an dem die Heilbehandlung
so weit abgeschlossen ist, dass der Versicherte eine zumutbare, zur Verfügung stehende Berufs- oder Erwerbstätigkeit aufnehmen
kann (Nr
1), mit dem Beginn der in §
50 Abs
1 Satz 1
SGB V genannten Leistungen, es sei denn dass diese Leistungen mit dem Versicherungsfall in Zusammenhang stehen (Nr 2) und im Übrigen
mit Ablauf der 78. Woche, gerechnet vom Tag des Beginns der AU an, jedoch nicht vor dem Ende der stationären Behandlung (Nr
3). Dabei kommt ein Ende des Verletztengeldanspruchs nach Nr 3 aaO erst dann in Betracht ("im Übrigen"), wenn die Voraussetzungen
eines Verletztengeldes nach Nr 1 und 2 aaO nicht gegeben sind (vgl Benz/Köllner, BG 2000, 39, 40).
Die Tatbestände für ein Ende des Verletztengeldanspruchs in §
46 Abs
3 Satz 2 Nr
1 bis
3 SGB VII setzen voraus, dass mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist, dh mit der Beendigung der infolge des
Versicherungsfalls eingetretenen AU zumindest für die nächsten 78 Wochen nicht zu rechnen sein darf (Krasney in Brackmann,
aaO, § 46 RdNr 23). Weiter darf zum Zeitpunkt der Entscheidung kein Anspruch auf berufsfördernde Leistungen (bzw ab 1. Juli
2001 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben), die einen Anspruch auf Übergangsgeld auslösen, bestehen (Krasney aaO; Kater,
aaO, § 46 RdNr 14). Liegt weder ein Ende des Verletztengeldanspruchs nach Nr 1 noch nach Nr 2 aaO vor und sind auch die für
alle drei Tatbestände gemeinsamen Voraussetzungen nach §
46 Abs
3 Satz 2
SGB VII nicht gegeben, so tritt auch nach Nr
3 aaO allein wegen des Ablaufs der Frist von 78 Wochen seit Beginn der AU kein Ende des Verletztengeldanspruchs ein, sondern
Verletztengeld ist über die 78. Woche hinaus zu zahlen.
Das Ende des Verletztengeldanspruchs nach §
46 Abs
3 Satz 2
SGB VII ist durch Verwaltungsakt festzustellen, weil es eine Prüfung iS einer Prognoseentscheidung erfordert, die nicht durch die
Gerichte ersetzt werden kann (vgl Nehls in: Hauck/Noftz,
SGB VII, Stand 2005, §
46 RdNr 11; aA Mehrtens in: Bereiter-Hahn-Mehrtens,
SGB VII, Stand 2005, §
46 RdNr 9.3; differenzierend Ricke in: Kasseler Kommentar, Stand 2005, §
46 SGB VII RdNr 9; Krasney in Brackmann, aaO, §
46 RdNr 19). Die Frage, ob berufsfördernde Leistungen zu erbringen sind, richtet sich dabei nach den Erfolgsaussichten, dem
Alter des Versicherten und weiteren Umständen, die der Unfallversicherungsträger bei seiner Prüfung berücksichtigen muss (vgl
Ricke, aaO, RdNr 11). Dabei kommt es auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Unfallversicherungsträgers an. Eine rückwirkende
Feststellung der Voraussetzungen einer Beendigung des Verletztengeldanspruchs nach §
46 Abs
3 Satz 2
SGB VII kommt dabei nicht in Betracht (vgl im Ergebnis BSG SozR 3-2700 § 46 Nr 1). Insoweit ist es entgegen der Auffassung der Beklagten
unbeachtlich, ob eine Gewährung von Entschädigungsleistungen erst nachträglich zuerkannt wurde. Da die Beklagte bis zum 30.
März 2003 keinen Verwaltungsakt gegenüber dem Kläger über eine Beendigung des Verletztengeldanspruchs erlassen hatte, bestand
der Anspruch jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt, wie das LSG im Ergebnis zutreffend festgestellt hat.
Soweit die Beklagte rügt, das LSG habe es unter Verletzung des §
128 Abs
1 Satz 1
SGG unterlassen, das Vorliegen der Voraussetzungen einer Beendigung des Verletztengeldes mit Ablauf der 78. Woche zu ermitteln
und zu prüfen, ergibt sich daraus nichts anderes. Zwar ist der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung verletzt,
wenn das Tatsachengericht einen bestehenden Erfahrungssatz nicht berücksichtigt (vgl BSG SozR 1500 § 128 Nr 4, BSG Urteil
vom 28. April 2004 - B 2 U 33/03 R -). Ob die Annahme, dass bei Eingang eines Schriftsatzes eines Rentenversicherungsträgers über die Anerkennung eines Anspruchs
auf Rente wegen EU in einem Rentenrechtsstreit davon auszugehen ist, dass mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit
nicht zu rechnen ist und berufsfördernde Leistungen nicht zu erbringen sind, einen allgemeinen Erfahrungssatz darstellt, ist
bereits fraglich. Das angefochtene Urteil kann zumindest nicht auf einem solchen Mangel beruhen, da es für die Entscheidung
auf die fehlende Festsstellung der Voraussetzungen der Beendigung des Verletztengeldanspruchs durch die Beklagte selbst ankommt.
Die Revision der Beklagten war nach alledem zurückzuweisen.
Das LSG wird bei seiner abschließenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.