Regresse wegen der Verordnung von Immunglobulinen für Patienten mit HIV-Infektionen
Rüge einer unzulässigen Parteiänderung
Partner einer Gemeinschaftspraxis
Gründe:
I
Der Beschwerdeführer, Mitglied der klägerischen Gemeinschaftspraxis, wendet sich gegen Regresse wegen der Verordnung von Immunglobulinen
für Patienten mit HIV-Infektionen in den Quartalen IV/2000, I/2001 und II/2001.
In den Verfahren vor dem beklagten Beschwerdeausschuss konnte die Klägerin zT eine Reduzierung der vom Prüfungsausschuss festgesetzten
Regresse erreichen, war im Übrigen aber erfolglos. Das SG hat die Klagen abgewiesen und das LSG die Berufungen zurückgewiesen. Die Verordnung der Immunglobuline Octagam und Flebogamma
sei in allen Fällen außerhalb der Indikationen erfolgt, für die die Arzneimittel zugelassen seien. Die Voraussetzungen für
einen zulässigen Off-Label-Use hätten aber nicht vorgelegen. Es sei nicht belegt, dass Immunglobuline bei der Behandlung von
HIV-Erkrankungen oder den damit einhergehenden Begleiterkrankungen wirksam seien. Soweit die Klägerin angebe, sie habe eine
Antikörpermangelerkrankung behandelt, fehle es an jeder Dokumentation.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Beschwerdeführer die grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache geltend (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG), eine Divergenz (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
2 SGG) sowie Verfahrensfehler (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
II
Die vom Beschwerdeführer als Mitglied der Gemeinschaftspraxis in zulässiger Weise erhobene Beschwerde (vgl SozR 4-2500 § 106
Nr 26 RdNr 16) hat keinen Erfolg. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Anforderungen.
1. Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss gemäß den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet
(vgl BVerfGE 91, 93, 107 = SozR 3-5870 § 10 Nr 5 S 31; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 37 f) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren
entscheidungserheblich (klärungsfähig) sowie klärungsbedürftig ist. Es muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort nicht
ohne Weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt.
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Es fehlt insoweit bereits an der Formulierung einer konkreten
Rechtsfrage. Die Klägerin moniert eine aus ihrer Sicht unzulässige Parteiänderung. Damit rügt sie zum einen lediglich eine
fehlerhafte Anwendung von Verfahrensrecht im Einzelfall. Zum anderen fehlt jede Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung
des Senats, wonach grundsätzlich die im streitbefangenen Zeitraum bestehende Gemeinschaftspraxis gegenüber der KÄV und den
Prüfgremien berechtigt und verpflichtet ist (vgl nur BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 21), die Partner einer Gemeinschaftspraxis aber auch jeder für sich in Anspruch genommen werden können (vgl BSGE
89, 90, 92 f = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 5; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 16).
2. Soweit die Klägerin den Zulassungsgrund der Divergenz geltend macht, genügt ihr Vorbringen ebenfalls nicht den Anforderungen
des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG. Für die Zulassung einer Revision wegen einer Rechtsprechungsabweichung ist Voraussetzung, dass Rechtssätze aus dem LSG-Urteil
und aus einer höchstrichterlichen Entscheidung miteinander unvereinbar sind und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht
(vgl BSG SozR 3-1500 §
160 Nr 26 S 44). Für eine Divergenz iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG reicht nicht aus, aus dem LSG-Urteil inhaltliche Schlussfolgerungen abzuleiten, die einem höchstrichterlich aufgestellten
Rechtssatz widersprechen. Das LSG-Urteil einerseits und die höchstrichterliche Entscheidung andererseits müssen vielmehr jeweils
abstrakte Rechtssätze enthalten, die einander widersprechen. Das muss in der Beschwerdebegründung aufgezeigt werden. Dem genügen
die Ausführungen der Klägerin nicht, denn sie zeigt keinen vom LSG aufgestellten abstrakten Rechtssatz auf, der einem vom
Senat aufgestellten abstrakten Rechtssatz widerspricht. Sie trägt vielmehr zur Begründung vor, das LSG habe sich nicht damit
auseinandergesetzt, dass die nach der Rechtsprechung des BSG erforderliche Ermessensausübung in der Entscheidung des Beklagten fehle. Damit ist ein Rechtsfehler, nicht aber eine Divergenz
iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG gerügt. Die Beigeladene zu 2. hat im Übrigen zu Recht darauf hingewiesen, dass es auch insofern an einer Auseinandersetzung
mit der Rechtsprechung des Senats zur Festsetzung von Regressen wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen fehlt.
3. Auch ein Verfahrensmangel ist nicht hinreichend gerügt. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist.
Die Rüge, das Berufungsgericht habe seine Pflicht zur Amtsermittlung gemäß §
103 SGG verletzt, ist nicht ausreichend dargetan und damit unzulässig. Bei Beanstandung der Amtsermittlungspflicht sind die besonderen
Anforderungen an Rügen einer Verletzung des §
103 SGG zu beachten. Danach kommt nicht jeder geltend gemachte Verstoß gegen die Pflicht des Gerichts zur Erforschung des Sachverhalts
von Amts wegen als - die Zulassung der Revision ermöglichender - Verfahrensfehler in Betracht; dies ist vielmehr nur dann
der Fall, wenn sich der geltend gemachte Verfahrensmangel auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung
nicht gefolgt ist.
Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG iVm §
160a Abs
2 Satz 3
SGG muss ein Beweisantrag benannt und dazu ausgeführt werden, dass das LSG diesem ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Darzulegen ist ferner, dass der Beweisantrag im Berufungsverfahren noch zusammen mit den Sachanträgen gestellt oder sonst
aufrechterhalten worden ist. Konkret bedeutet dies (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5), dass die Beschwerdebegründung (1) einen ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, (2) die Rechtsauffassung
des LSG wiedergeben, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) die von dem
Beweisantrag betroffenen Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) das voraussichtliche
Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (5) schildern muss, weshalb die Entscheidung des LSG auf der angeblich
fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen
Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können
(vgl zum Ganzen BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Klägerin bezeichnet zwar hinreichend konkret einen Beweisantrag.
In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG hat die Klägerin den Antrag gestellt, ein immunologisches Gutachten zu der Frage
einzuholen, ob in den streitgegenständlichen Fällen die Immunglobulintherapie indiziert war. Die Beschwerdebegründung legt
aber nicht ausreichend dar, welche Umstände hier konkret Anlass zu weiterer Sachaufklärung gegeben hätten. Dazu hätte sie
sich im Einzelnen mit der Argumentation des LSG auseinandersetzen müssen. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass von einem
allein noch möglichen Aktengutachten angesichts der fehlenden bzw nicht hinreichenden Dokumentation keine Erkenntnisse zu
erwarten seien. Soweit die Klägerin dem Gericht die Kompetenz abspricht, die Dokumentation zu beurteilen, hat sie nicht vorgetragen,
welche Erkenntnisse auf welche Weise gewonnen werden könnten. Der unspezifische Vortrag, es hätte eine Einzelfallprüfung durchgeführt
und dabei die klägerischen Behandlungsangaben unterstellt werden müssen, genügt den Darlegungsanforderungen nicht. Dabei ist
bereits unklar, inwieweit damit die besonderen Voraussetzungen für einen Off-Label-Use oder für eine notstandsähnliche Situation
im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG nachgewiesen werden sollen. Mit den Aussagen der zahlreichen Gutachten und Stellungnahmen
aus der Zeit von 1999 bis 2010, auf die das LSG seine Bewertung der Wirksamkeit von Immunglobulinen bei der Behandlung von
HIV-Erkrankungen und damit zusammenhängenden Begleiterkrankungen gestützt hat und die sogar zum Teil Patienten betrafen, die
auch in den streitbefangenen Quartalen mit Immunglobulinen behandelt wurden, hat die Klägerin sich nicht inhaltlich auseinandergesetzt.
Soweit sie rügt, das LSG sei einem Zirkelschluss erlegen, weil es einerseits eine Einzelfallprüfung anhand der Behandlungsunterlagen
für zulässig halte, andererseits der Klägerin eine unzureichende Dokumentation entgegenhalte, lässt dies ein Eingehen auf
die Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Einzelfallprüfungen und den Folgen einer fehlenden Dokumentation vermissen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §§
154 ff
VwGO. Als unterlegene Beteiligte hat die Klägerin auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen zu 1. und 3., die keine Anträge im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gestellt haben (§
154 Abs
2, §
162 Abs
3 VwGO).
5. Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der Beschwer der Klägerin (§
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 1
SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG).