Rechtliche Beurteilung von Weiterbildungsordnungen, Verfassungsmäßigkeit
Gründe:
I. Der als Arzt für Urologie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Kläger rechnete gegenüber der beklagten Kassenärztlichen
Vereinigung (KÄV) über mehrere Quartale hinweg zytologische Leistungen nach Nr 4952 und 4955 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes
für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä - in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung [aF]) ab. Die Beklagte teilte ihm
im Dezember 2002 mit, die Urinzytologie sei nach der Feststellung der Ärztekammer Niedersachsen für Urologen fachfremd. Aus
diesem Grund werde sie ab dem Quartal I/2003 die entsprechenden Leistungen nicht mehr vergüten.
Widerspruch, Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Rechtsauffassung der Beklagten
geteilt, dass die Urinzytologie zum Fachgebiet der Pathologie gehöre, was zur Folge habe, dass urinzytologische Leistungen
nach den Nr 4952 und 4955 EBM-Ä aF für Urologen fachfremd seien (Urteil vom 25. Mai 2005).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht der Kläger geltend, im Rechtstreit seien
Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
II. Die Beschwerde ist zulässig; sie genügt insbesondere den Anforderungen, die nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG an die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung zu stellen sind. Sie ist jedoch unbegründet, weil die
aufgeworfenen Fragen nicht (mehr) klärungsbedürftig sind.
Zunächst hält der Kläger für klärungsbedürftig, ob nur diejenigen Leistungen fachgebietszugehörig sind, hinsichtlich derer
der Arzt im Rahmen seiner Weiterbildung eingehende Kenntnisse, Erfahrungen und Fähigkeiten erworben hat. Diese Frage ist nicht
klärungsbedürftig, weil sie in der Rechtsprechung des Senats mehrfach in dem Sinne entschieden worden ist, dass für die Fachzugehörigkeit
auf "eingehende Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten" abzustellen ist. In seinen Urteilen vom 8. September 2004 (B 6 KA 27/03 R - SozR 4-2500 § 95 Nr 7 RdNr 6; BSGE 93, 170 = SozR, aaO, Nr 8, jeweils RdNr 6) hat der Senat in Zusammenfassung seiner bisherigen Rechtsprechung ausgeführt: "Beschränkungen
des Fachgebiets erfassen den Arzt auch in seiner Tätigkeit als Vertragsarzt. Sie sind rechtmäßig, soweit die betroffenen Leistungen
für das Fachgebiet nicht wesentlich und nicht prägend sind, die Abgrenzung vom fachlich medizinischen Standpunkt auch sachgerecht
ist und der Facharzt in der auf sein Fachgebiet beschränkten Tätigkeit eine ausreichende Lebensgrundlage finden kann. Für
die Beurteilung, ob Leistungen fachzugehörig oder fachfremd sind, ist darauf abzustellen, welche Inhalte und Ziele der Weiterbildung
für das jeweilige Fachgebiet in der Weiterbildungsordnung (WBO) genannt werden und in welchen Bereichen eingehende Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten erworben werden müssen. Die
Inhalte werden in der jeweiligen WBO des Landes festgelegt." In seinem Beschluss vom 16. Juli 2004 (SozR 4-2500 § 135 Nr 2) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
ausgeführt, es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Bundessozialgericht (BSG) zur Abgrenzung abrechnungsfähiger
ärztlicher Leistungen auf die für das jeweilige Fachgebiet in der WBO genannten Inhalte und Ziele der Weiterbildung und die dort genannten Bereiche abstelle, in denen eingehende Kenntnisse, Erfahrungen
und Fertigkeiten erworben werden müssten. Im Hinblick auf die gefestigte Rechtsprechung des Senats, die durch Entscheidungen
aus jüngster Zeit bestätigt worden ist, sowie eine diese Rechtsprechung ausdrücklich billigende Entscheidung des BVerfG besteht
keine Klärungsbedürftigkeit der vom Kläger aufgeworfenen Frage. Im Übrigen zeigt die Beschwerde keine Gesichtspunkte auf,
die in der bisherigen Rechtsprechung des Senats oder des BVerfG nicht erwogen worden wären und Anlass zu einer erneuten Klärung
der Fachgebietsabgrenzung geben könnten.
Soweit der Kläger für grundsätzlich bedeutsam hält, "wie eine Lücke in einer WBO auszulegen bzw zu schließen sei", ist diese Frage in dieser Allgemeinheit nicht klärungsfähig und im Übrigen in dem von der
Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Allgemeine Grundsätze zur Ausfüllung von Lücken in
WBO'en lassen sich nicht aufstellen. Die Vorschriften der WBO'en sind im Streitfall unter Zuhilfenahme der traditionellen juristischen Methoden auszulegen, zu denen gegebenenfalls das
Auffinden und Schließen von Lücken gehört. Dabei sind eine Vielzahl von wortlautbezogenen, systematischen und entstehungsgeschichtlichen
Aspekten im jeweiligen Fall zu berücksichtigen, die der Festlegung eines allgemeinen Prinzips, wie es dem Kläger vorschwebt,
entgegenstehen. Im Übrigen wäre in dem von der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren für eine methodengerechte Schließung
einer Lücke in der maßgeblichen WBO der Niedersächsischen Ärztekammer kein Raum. Das LSG hat nämlich in Auslegung dieser landesrechtlichen Regelung ausgeführt,
eingehende Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten hinsichtlich zytologischer Techniken und Untersuchungen seien im Rahmen
der Weiterbildung für Frauenheilkunde und Pathologie vorgeschrieben gewesen. Daraus ergibt sich zwanglos, welchen Fachgebieten
die entsprechenden Leistungen gegebenenfalls zuzuordnen sind. Dem entspricht, dass die Leistungen nach Nr 4952 und 4955 EBM-Ä
aF im Abschnitt P (Histologie, Zytologie, Zytogenetik und Molekulargenetik) und nicht etwa im Abschnitt über die Urologie
aufgeführt sind.
Schließlich hält der Kläger für klärungsbedürftig, ob das Berufungsgericht die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage
verneinen und damit die Zulassung der Revision mit der Begründung versagen dürfe, die für den Rechtsstreit maßgeblichen Vorschriften
seien nicht mehr in Kraft. Auch insoweit fehlt es indessen an der Klärungsbedürftigkeit. Die Frage ist vielmehr seit Jahrzehnten
in der Rechtsprechung aller Senate des BSG dahin geklärt, dass Rechtsfragen zur Auslegung und Anwendung von zwischenzeitlich
außer Kraft getretenem Recht in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung mehr haben, dass von diesem Grundsatz aber Ausnahmen
in Betracht kommen. Bei Rechtsfragen, die lediglich auslaufendes oder bereits ausgelaufenes Recht betreffen, kommt eine grundsätzliche
Bedeutung nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen in Betracht. Entweder muss noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf
der Grundlage des auslaufenden bzw ausgelaufenen Rechts zu entscheiden sein, oder die Überprüfung der Rechtsnorm bzw ihre
Auslegung muss aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung haben (vgl zuletzt Senatsbeschluss vom 28. September
2005 - B 6 KA 47/05 B -, nicht veröffentlicht, sowie BSG SozR 1500 § 160a Nr 19; Senatsbeschlüsse vom 5. November 2003 - B 6 KA 69/03 B und vom 9. Dezember 2004 - B 6 KA 71/04 B). Nach diesen Maßstäben ist hier für eine Zulassung der Revision kein Raum. Die Leistungspositionen des EBM-Ä, die der Kläger
zu Lasten der Beklagten erbringen und abrechnen will, sind seit dem In-Kraft-Treten des neuen Einheitlichen Bewertungsmaßstabes
zum 1. April 2005 entfallen. Zudem hat sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch das ärztliche Weiterbildungsrecht
in der Weise geändert, dass jedenfalls nach Auffassung des LSG zytodiagnostische Verfahren nunmehr ausdrücklich auch dem Fachgebiet
der Urologie zugewiesen sind. Im Hinblick darauf kann allein der Umstand, dass zu der hier streitigen Abrechnungsfrage bei
dem Sozialgericht Hannover und dem LSG Niedersachsen-Bremen noch einige Verfahren anhängig sind, den aufgeworfenen Rechtsfragen
im Jahre 2006 keine grundsätzliche Bedeutung verleihen.