Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII
Verletzung rechtlichen Gehörs
Rechtswidrige Ablehnung von PKH
Willkürliche Gerichtsentscheidung
Gründe:
I
Im Streit sind höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.4.2011 bis 31.3.2013.
Der Beklagte bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 1.4.2011 bis 31.3.2013 Grundsicherungsleistungen. Seine Klage, mit der
der Kläger (mit der Begründung zusätzlichen Bekleidungs- und Pflegebedarfs) die Gewährung eines um monatlich 200 Euro höheren
Regelsatzes verfolgt, ist in beiden Instanzen nur insoweit erfolgreich gewesen, als der Beklagte unter Abänderung der Bewilligungsbescheide
zur Zahlung von monatlich weiteren 48,51 Euro verurteilt worden ist (Urteil des Sozialgerichts [SG] Ulm vom 17.9.2014; Urteil
des Landessozialgerichts [LSG] Baden-Württemberg vom 23.2.2017). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt,
die Voraussetzungen für eine monatlich 48,51 Euro übersteigende abweichende Bedarfsfestsetzung lägen nicht vor. Der Kläger
habe für den streitbefangenen Zeitraum nur einen einzigen Rechnungsbeleg vorgelegt. Im Übrigen sei auch weiteren Rechnungen
aus jüngerer Zeit ein erhöhter Bedarf nicht zu entnehmen. Der Vortrag, ihm habe für weitere Ausgaben kein Geld zur Verfügung
gestanden, sei angesichts einer Nachzahlung von Grundsicherungsleistungen in Höhe von 6000 Euro nicht nachvollziehbar.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache sowie eine Divergenz geltend und rügt Verfahrensfehler. Es stelle sich die grundsätzliche Frage, was zum notwendigen
Lebensunterhalt gehöre und wie weit die Aufklärungspflicht der Verfahrensbeteiligten gehe, um den notwendigen Lebensbedarf
zu ermitteln. Das angegriffene Urteil weiche insoweit vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 - ab, denn die vorinstanzlichen Gerichte hätten nicht festgestellt, welche Leistungen bzw Bedürfnisse er für seine physische
Existenz habe. Das Urteil beruhe zudem auf einer Verletzung des §
103 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) sowie seines rechtlichen Gehörs. Seinen verschiedenen Beweisangeboten in seinem Berufungsschriftsatz vom 17.11.2014 und
seinem Beweisantrag vom 23.6.2014 sei das LSG nicht gefolgt und habe dadurch die Maßstäbe der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) missachtet. Dadurch dass ihm keine Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt worden sei, habe er nicht von einem Rechtsanwalt in
der mündlichen Verhandlung vor dem LSG vertreten werden können. Hierdurch sei sein rechtliches Gehör verletzt.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG), der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) und des Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen
Richter nach §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG entscheiden.
Ein Verfahrensmangel wird nicht hinreichend bezeichnet. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne formgerecht geltend zu machen, müssen die Umstände
bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Wer sich - wie hier - auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach §
103 SGG stützt, muss daher ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung
des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden
Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (vgl zB BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 mwN). Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Darlegung, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung
gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl dazu BSG Beschluss vom 20.9.2013 - B 8 SO 15/13 B; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten sind zwar weniger strenge Anforderungen an die Form und
den Inhalt eines Beweisantrags zu stellen. Auch ein unvertretener Kläger muss aber darlegen, dem Berufungsgericht in der mündlichen
Verhandlung verdeutlicht zu haben, welche Punkte er am Ende des Verfahrens noch für aufklärungsbedürftig gehalten hat, und
auf welche Beweismittel das Gericht hätte zurückgreifen müssen, um den Fall weiter aufzuklären (BSG Beschluss vom 8.8.2017 - B 5 R 11/17 BH - juris; Beschluss vom 20.9.2013 - B 8 SO 15/13 B; Beschluss vom 28.5.2013 - B 5 R 38/13 B - juris RdNr 8 mwN; Beschluss vom 24.7.2012 - B 2 U 103/12 B - juris RdNr 7).
Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers und insbesondere sein Verweis auf Jahre vor Abschluss des Verfahrens
bzw sogar nur erstinstanzlich schriftsätzlich gestellte (nicht einmal im Einzelnen benannte) Beweisanträge nicht. In seiner
Beschwerdebegründung macht er weder geltend, diese Beweisanträge (jedenfalls sinngemäß) auch in der mündlichen Verhandlung
noch aufrechterhalten zu haben, noch, dass das Protokoll über die mündliche Verhandlung beim LSG insoweit unvollständig sei.
Der Hinweis des Klägers in dem von ihm selbst verfassten Schreiben vom 11.4.2017 auf eine kurz vor der mündlichen Verhandlung
an das LSG verschickte E-mail, in der er weiterhin auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens gedrungen habe, kann
bei der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde mangels Postulationsfähigkeit (§
73 Abs
4 SGG) ebenso wenig berücksichtigt werden wie seine dort aufgestellte Behauptung, in der mündlichen Verhandlung mehrfach auf die
Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens zu seinem erhöhten Bedarf erfolglos hingewiesen zu haben. Seinem
Vortrag, dass sein PKH-Antrag durch das LSG abgelehnt worden und er daher in der mündlichen Verhandlung nicht anwaltlich vertreten
gewesen sei, ist schließlich nicht schlüssig zu entnehmen, dass er gerade deshalb unverschuldet an der (auch im Protokoll
festgehaltenen) Aufrechterhaltung eines Beweisantrags gehindert war.
Soweit er im Zusammenhang mit der PKH-Ablehnung die Verletzung rechtlichen Gehörs (Art
103 Abs
1 Grundgesetz [GG], §
62 SGG) rügt, genügt auch dies nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels. Grundsätzlich ist eine Rüge,
die sich gegen unanfechtbare Vorentscheidungen wie hier die Ablehnung von PKH (vgl §
177 SGG) richtet, ausgeschlossen (§
202 SGG iVm §
557 Abs
2 Zivilprozessordnung [ZPO]; BSG SozR 1500 § 160 Nr 48). Daher kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde als Verfahrensmangel nicht die rechtswidrige Ablehnung von PKH als
solche geltend gemacht werden, sondern nur eine Ablehnung, die verfassungsrechtlich fundierte prozessuale Gewährleistungen
verletzt, weil sie auf Willkür beruht und damit gegen Art
3 Abs
1 GG und das Gebot der Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten verstößt. Willkürlich ist ein Richterspruch erst
dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden
Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein begründet noch keinen Verstoß gegen das aus Art
3 Abs
1 GG folgende Willkürverbot, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht
jedes sachlichen Grundes entbehrt (BSG SozR 4-1500 § 183 Nr 14 RdNr 10; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 21 RdNr 9, 10 mwN; BSG Beschluss vom 3.12.2013 - B 13 R 447/12 B mwN; BVerfG 52, 131, 143 f; BVerfG Beschluss vom 8.7.2016 - 2 BvR 2231/13). Wird einem Beteiligten - entgegen einer eindeutigen gesetzlichen Regelung - PKH versagt und ist das Berufungsgericht trotz
Erhebung einer Gehörsrüge nicht bereit, die ablehnende Entscheidung zu ändern, so verletzt es mit seiner Berufungsentscheidung
den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst auch die Befugnis, sich in
der mündlichen Verhandlung anwaltlich vertreten zu lassen (Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 653 mwN).
Einen solchen Verfahrensmangel zeigt der Kläger nicht auf. Er gibt schon nicht die genaue Begründung des ablehnenden PKH-Beschlusses
wieder und behauptet auch nicht, dass die Ablehnung des PKH-Gesuchs bei verständiger Würdigung der das
GG beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen
beruht (vgl BVerfG 52, 131, 143 f). Die bloße Ablehnung von PKH kann für sich gesehen nicht auf eine willkürliche Verfahrensweise
hinweisen oder die Annahme rechtfertigen, das rechtliche Gehör sei verletzt.
Auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache legt der Kläger nicht dar. Eine solche liegt vor, wenn die Rechtssache
eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts
einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete
Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit)
sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt
werden (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen, was zum notwendigen Lebensunterhalt gehöre und in welcher Höhe der Mehrbedarf zu bemessen
sei, sind so allgemein gehalten, dass sie nicht als Grundlage einer Grundsatzrüge taugen, zumal sie ersichtlich vom Einzelfall
abhängig sind und auf die Richtigkeit der Entscheidung zielen. Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist aber nicht, ob
das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Auch die weitere "grundsätzliche Frage", wie weit die Aufklärungspflicht der Verfahrensbeteiligten gehe, um den notwendigen
Lebensbedarf zu ermitteln, verfehlt die Anforderungen an eine Grundsatzrüge. Zwar können prinzipiell auch prozessuale Fragen
grundsätzliche Bedeutung haben und eine Rechtsfortbildung im Verfahrensrecht erfordern. Dies darf aber nicht zur Umgehung
von §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG führen, soweit dieser die Nachprüfbarkeit von Verfahrensmängeln einschränkt (BSG Beschluss vom 25.6.2013 - B 12 KR 83/11 B - juris). Dies wäre hier im Verhältnis zur Aufklärungsrüge (dazu oben) aber der Fall.
Eine Divergenz der Entscheidung des LSG zur Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09) ist ebenfalls nicht dargelegt. Der Kläger formuliert weder einen tragenden abstrakten Rechtssatz des BVerfG noch einen tragenden
abstrakten Rechtssatz des LSG, der davon abweichen soll (vgl dazu BSG SozR 1500 § 160a Nr 67), was zur ordnungsgemäßen Begründung der Divergenz aber erforderlich wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.