Feststellung eines höheren Grades der Behinderung wegen eines Diabetes mellitus
Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grad der Behinderung (GdB) wegen seines Diabetes mellitus.
Der Beklagte hatte beim Kläger zuletzt einen Gesamt-GdB von 40 festgestellt. Den Neufeststellungsantrag des Klägers lehnte
der Beklagte ab. Der GdB des Klägers betrage unverändert 40 bei einem Einzel-GdB für den Diabetes mellitus von 40, von 20
für Schwerhörigkeit und von 10 für degenerative Wirbelsäulenveränderungen (Bescheid vom 8.3.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.2.2018).
Das SG hat den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide verurteilt, beim Kläger einen GdB von 50 festzustellen. Für den Diabetes
mellitus des Klägers hat es dabei einen Einzelwert von 50 zugrunde gelegt. Zur Begründung hat es sich auf die Einschätzungen
des von ihm gehörten Sachverständigen Dr. B und auf die Krankheitsschilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung gestützt
( Urteil vom 14.8.2019).
Das LSG hat neben Befundberichten ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt. Anders als das SG hat der Sachverständige Dr. A die GdB-Bewertung des Diabetes mellitus durch den Beklagten bestätigt. Das LSG hat den Kläger
schriftlich zu Einzelheiten seiner Erkrankung angehört.
Mit Urteil vom 23.9.2020 hat es das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Lebensführung des Klägers sei nicht, wie von der Versorgungsmedizinverordnung
für einen GdB von 50 verlangt, durch erhebliche Einschnitte gravierend beeinträchtigt. Das ergebe sich unter anderem aus seinen
schriftlichen Äußerungen im Berufungsverfahren.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt und sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil weder der behauptete
Verfahrensmangel (1.), noch eine Divergenz (2.) ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl §
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG), so muss sie bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegen.
Bereits diese erforderlichen Darlegungen der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen enthält die Beschwerde nicht. Es fehlt
dafür an der zusammenhängenden, vollständigen und aus sich heraus verständlichen Darlegung des Streitgegenstands, der Verfahrens-
und Prozessgeschichte sowie des vom LSG festgestellten Sachverhalts und damit der Umstände, die möglicherweise zu einem entscheidungsrelevanten
Verfahrensfehler geführt haben. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, sich die erforderlichen Tatsachen aus dem Urteil
und erst recht nicht aus den Verfahrensakten herauszusuchen (Senatsbeschluss vom 28.6.2018 - B 9 SB 53/17 B - juris RdNr 5).
Der Kläger sieht sein Anspruch auf rechtliches Gehör nach §§
62,
128 Abs
2 SGG, Art
103 GG verletzt, weil das LSG seine Angaben zu den Folgen seines Diabetes mellitus allein aufgrund seiner schriftlichen Befragung
im Berufungsverfahren anders gewertet habe als das SG, ohne ihn erneut persönlich anzuhören. Wie er indes angibt, hat das Berufungsgericht sein Urteil ua auch auf ein von ihm
eingeholtes Gutachten des Sachverständigen Dr. A gestützt. Auf dessen Inhalt geht der Kläger in der Beschwerdebegründung nicht
näher ein, sondern teilt dazu nur eine Aktenfundstelle mit. Das Urteil des LSG zitiert er zudem lediglich ausschnittsweise,
um seinen Vorwurf einer Gehörsverletzung zu untermauern. Der Gesamtzusammenhang der zitierten Passage und insbesondere ihre
Verknüpfung mit dem vom Berufungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten bleiben danach ebenso unklar wie der vollständige
Inhalt der vom LSG eingeholten schriftlichen Äußerungen des Klägers zu den Auswirkungen seines Diabetes mellitus. Diese teilt
er ebenfalls lediglich stichwortartig mit. Allein auf der Grundlage dieser Darlegungen kann der Senat aber den Vorwurf der
Gehörsverletzung (vgl dazu Senatsbeschluss vom 21.10.2019 - B 9 V 11/19 B - juris RdNr 10 mwN) nicht näher prüfen. Weder lässt sich anhand des lückenhaften Beschwerdevortrags beurteilen, ob das LSG die schriftlichen
Äußerungen des Klägers in einer auch für einen gewissenhaften und kundigen Prozessbeteiligten überraschenden Weise gewertet
noch, ob es in der Zusammenschau mit den Äußerungen des von ihm gehörten Sachverständigen tragend darauf abgestellt hat.
Unabhängig davon hat das LSG nach dem Beschwerdevortrag nicht lediglich entgegen §
117 SGG die Einlassungen des Klägers vor dem SG, das ihn als Beteiligten vernommen hat, anders gewertet als das erstinstanzliche Gericht (zur Zeugenvernehmung vgl BSG Beschluss vom 5.9.2006 - B 7a AL 78/06 B - juris RdNr 8 ff; BSG Beschluss vom 6.6.1989 - 12 BK 1/89 - SozR 1750 § 398 Nr 1 juris RdNr 3; BSG Urteil vom 18.2.1988 - 6 RKa 24/87 - BSGE 63, 43, 46 f = SozR 2200 § 368 a Nr 21 S 77 - juris RdNr 16 sowie die in der Beschwerdebegründung zitierte Rechtsprechung des BGH
und des BVerfG). Vielmehr hat das Berufungsgericht schriftliche Antworten des Klägers auf verschiedene Fragen zu den Auswirkungen seines
Diabetes mellitus eingeholt. Er hätte angesichts dessen aufzeigen müssen, warum seine schriftliche Anhörung als Beteiligter
als wiederholte Beweisaufnahme in der Berufungsinstanz nicht ausreichte (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
157 RdNr 2 ff mwN), zumal die Wiederholung der Anhörung ohnehin grundsätzlich entsprechend §
118 Satz 1
SGG iVm §
398 Abs
1 ZPO im Ermessen des Gerichts stand (vgl BSG Urteil vom 28.11.2007 - B 11a/7a AL 14/07 R - SozR 4-1500 § 128 Nr 7 juris RdNr 11 mwN). Seine Behauptung, das LSG habe ihn zu Unrecht als unglaubwürdig eingeschätzt, obwohl dies zwingend eine erneute persönliche
Anhörung verlangt hätte, hat der Kläger nicht belegt. Aus der gerafften Mitteilung der entscheidungserheblichen Passagen des
LSG-Urteils kann der Senat einen an den Kläger gerichteten Vorwurf mangelnder Glaubwürdigkeit nicht mit hinreichender Sicherheit
entnehmen. Die mitgeteilte Einordnung seiner Angaben als "nicht verständlich" oder "schon verwunderlich" durch das LSG müssen
je nach Kontext nicht zwingend als Kritik an seiner Glaubwürdigkeit, sondern können ebenso gut als Hinweis auf unauflösbare
sachliche Widersprüche und damit auf fehlende Glaubhaftigkeit verstanden werden. Eine abschließende Einschätzung ist dem Senat
insoweit auch deshalb verwehrt, weil der Kläger, wie ausgeführt, seine schriftlichen Äußerungen weder vollständig vorgelegt
noch ausreichend wiedergegeben hat.
2. Soweit der Kläger dem LSG darüber hinaus vorwirft, es sei von der Senatsrechtsprechung zur GdB-Einschätzung des Diabetes
mellitus abgewichen ( vgl dazu zuletzt Senatsbeschluss vom 1.7.2020 - B 9 SB 5/20 B - juris RdNr 8 mwN), fehlt es wiederum bereits an einer vollständigen Darlegung des entscheidungserheblichen Sachverhalts und der Prozessgeschichte.
Erst sie würde die Einschätzung ermöglichen, ob das angegriffene Urteil auf der geltend gemachten Rechtsprechungsabweichung
beruhen kann.
Unabhängig davon legt der Kläger auch sonst die Voraussetzungen einer Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) nicht substantiiert dar. Dafür wäre es erforderlich, entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des
Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu auszuführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein
sollen. Erforderlich ist, dass das LSG einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht
angewendet hat (Senatsbeschluss vom 12.1.2017 - B 9 V 58/16 B - juris RdNr 21 mwN).
Einen solchen abweichenden Rechtssatz des LSG legt der Kläger nicht dar. Vielmehr wirft er dem Berufungsgericht vor, es weiche
mit seiner Einschätzung des Ausmaßes der Teilhabebeeinträchtigung durch den Diabetes mellitus von der Rechtsprechung des BSG ab. Damit wendet sich der Kläger aber letztlich gegen die mit der GdB-Beurteilung verbundene Rechtsanwendung des Berufungsgerichts
gerade in seinem Fall. Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall ist aber nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde
(Senatsbeschluss vom 24.8.2017 - B 9 SB 24/17 B - juris RdNr 16 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.