Herabsetzung eines Grades der Behinderung nach Heilungsbewährung
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Klägerin wendet sich gegen die Herabsetzung ihres Grades der Behinderung (GdB) nach Heilungsbewährung.
Bei der Klägerin war wegen eines Mamma-Karzinoms rechts ein GdB von 50 anerkannt. Als Ergebnis eines Überprüfungsverfahrens
setzte der Beklagte den GdB mit Bescheid vom 10.2.2016 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.7.2016) auf 30 herab unter Berücksichtigung des Verlustes der rechten Brust (Einzel-GdB 30).
Das SG hat den Beklagten unter teilweiser Aufhebung der Bescheide verurteilt, einen GdB von 40 festzustellen und die Klage im Übrigen
abgewiesen (Urteil vom 29.10.2018).
Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Das LSG hat ausgeführt, das Urteil des SG sei jedenfalls nicht zulasten der Klägerin rechtswidrig; sie habe keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als
40. Die verlangte Höherstufung wegen des im Verlaufe des Verfahrens diagnostizierten Erschöpfungssyndroms scheide aus, weil
der erstinstanzliche Gutachter dieses nicht mit einem Einzel-GdB bewertet habe (Urteil vom 14.10.2021).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil die
allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht ordnungsgemäß dargelegt worden ist (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
1. Grundsätzliche Bedeutung iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit
oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss
daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen
sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder
der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer
muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete)
Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten
Entscheidung (sogenannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 27.8.2020 - B 9 V 5/20 B - juris RdNr 6 mwN). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die
Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz
ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit der einschlägigen
Rechtsprechung auseinandersetzen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 21.8.2017 - B 9 SB 11/17 B - juris RdNr 8 mwN).
Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerdebegründung. Die Klägerin hält es für grundsätzlich bedeutsam, ob der GdB 30, welcher
üblicherweise nach der Heilungsbewährungszeit für Brustkrebserkrankte anerkannt wird und das Erschöpfungssyndrom einschließt,
geeignet ist, dem Beschwerdezustand gerecht zu werden, oder ob nicht vielmehr eine konkrete Beachtung des Erschöpfungssyndroms
in seinem einzelfallbezogenen Ausmaß erfolgen muss.
Indes fehlt es zum einen bereits an der Darlegung, warum diese Frage im Verfahren der Klägerin überhaupt entscheidungserheblich
sein sollte und deshalb in einem Revisionsverfahren geklärt werden könnte (Klärungsfähigkeit). Nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts, die den Senat nach §
163 SGG binden, war das bei der Klägerin diagnostizierte Erschöpfungssyndrom nicht mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Damit erschließt
sich nach den Darlegungen der Beschwerde nicht, warum die Frage nach der zutreffenden Bewertung eines solchen Erschöpfungssyndroms
nach einer Brustkrebserkrankung im Fall der Klägerin etwas an ihrem GdB und damit im Ergebnis des Verfahrens ändern können
sollte.
Unabhängig davon hat die Klägerin auch die Klärungsbedürftigkeit der von ihr aufgeworfenen Frage nicht hinreichend substantiiert
dargelegt. Dafür wäre eine Auseinandersetzung mit den zugrunde liegenden Rechtsnormen und der dazu ergangenen Rechtsprechung
erforderlich gewesen. Danach wird der GdB gemäß §
69 Abs
3 Satz 1
SGB IX (in der hier noch maßgeblichen, bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung vom 23.12.2016, BGBl I 3234) nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen
festgestellt. Dies hat in drei Schritten zu erfolgen (stRspr; zB BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris RdNr 29; BSG Urteil vom 2.12.2010 - B 9 SB 4/10 R - juris RdNr 25; BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 10 RdNr 18; BSG Beschluss vom 8.5.2017 - B 9 SB 74/16 B - juris RdNr 7): Im ersten Schritt sind die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der
Norm abweichenden) Zuständen (vgl §
2 Abs
1 SGB IX) und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festzustellen. Im zweiten Schritt
sind diese dann den in der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" <VMG>) genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Im dritten Schritt ist dann - in der Regel ausgehend
von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB (Teil A Nr 3 Buchst c VMG) - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB
zu bilden (BSG Urteil vom 16.12.2021 - B 9 SB 6/19 R - juris RdNr 37 mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Nach Teil B Nr 14.1 VMG ist dabei der - von der Klägerin erlittene - einseitige Verlust der Brust mit einem GdB von 30 zu
bewerten; die Bewertung seelischer Leiden wie des diagnostizierten Erschöpfungssyndroms richtet sich nach Teil B Nr 3 VMG.
Die Beschwerde führt nicht aus, warum die von ihr aufgeworfene Frage sich nicht anhand dieser Vorgaben beantworten ließe.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 Satz 2 und
3 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.