Anspruch auf Arbeitslosengeld II, Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Aufhebung der Bewilligung
Gründe:
Die gemäß den §§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte und zulässige Beschwerde des Antragsgegners, der das Sozialgericht Karlsruhe (SG) nicht abgeholfen hat, ist unbegründet.
Das Gericht der Hauptsache kann gemäß §
86 b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende
Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 25. Oktober 2006, mit dem die Aufhebung
der Leistungsbewilligung für die Zeit von November 2006 bis Dezember 2006 verfügt wurde, haben keine aufschiebende Wirkung.
Denn es handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 39 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II), der
über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet und der mit Widerspruch und einer nachfolgenden Anfechtungsklage
angegriffen werden kann. Der vom Antragsteller eingelegte Widerspruch hatte deshalb keine aufschiebende Wirkung. Der Senat
hat bereits mehrfach entschieden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26. August 2005 - L 13 AS 3390/05 ER B, vom 18. Oktober 2005 - L 13 AS 3993/05 ER-B -, vom 29. Dezember 2005 - L 13 AS 4684/05 ER-B -, vom 30. Dezember 2005 - L 13 AS 5471/05 ER-B - und vom 14. Juni 2006 - L 13 AS 1824/06 ER-B), dass als Verwaltungsakte im Sinne von § 39 Nr. 1 SGB II auch solche anzusehen sind, welche die Bindungswirkung einer
Leistungsbewilligung ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit beseitigen.
Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs aufgrund von §
86 b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG ist anhand einer Interessenabwägung zu beurteilen. Die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts
und die privaten Interessen an der Aussetzung der Vollziehung sind gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu beachten, dass das
Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung
des angefochtenen Bescheides Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt. Diese typisierend
zu Lasten des Einzelnen ausgestaltete Interessenabwägung kann aber im Einzelfall auch zu Gunsten des Betroffenen ausfallen.
Die gegeneinander abzuwägenden Interessen ergeben sich in der Regel aus den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, dem
Vollziehungsinteresse und der für die Dauer einer möglichen aufschiebenden Wirkung drohenden Rechtsbeeinträchtigung.
Bei summarischer Prüfung ist derzeit der Erfolg des Widerspruchs wahrscheinlicher als der Misserfolg, da es keine ausreichenden
tatsächlichen Anhaltspunkte für den Wegfall des Anspruchs auf die ursprünglich bewilligte Leistung gibt. Im Ergebnis zutreffend
ist das Sozialgericht Stuttgart damit von ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung ausgegangen.
Ob der Antragsteller vor Aufhebung des Bewilligungsbescheids in ausreichender Weise angehört worden ist, bedarf insoweit keiner
abschließenden Beurteilung, weil die Anhörung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens als nachgeholt anzusehen ist. Sollte der
Antragsgegner, der auch im Vorverfahren keine Aufklärung zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Freundin des Antragstellers
betreibt, solche Tatsachen noch ermitteln und hierauf den Widerspruchsbescheid stützen wollen, wird auch eine Anhörung in
Betracht gezogen werden müssen, weil in Bezug auf diese im Ausgangsbescheid nicht mitgeteilten Tatsachen die Anhörung nicht
als nachgeholt angesehen werden kann (zur erneuten Anhörung vgl. z.B. Bundessozialgericht (BSG), SozR 3-1300 § 24 Nr. 13 und
Nr. 21). Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides vom 25. Oktober 2006 ist § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder
rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt
muss nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X i.V.m. dem über § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr.
2 SGB II anwendbaren §
330 Abs.
3 Satz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB III) mit Wirkung ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste,
weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende
Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Dass diese Voraussetzungen hier vorliegen, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber derzeit mangels entsprechender tatsächlicher
Anhaltspunkte nicht hinreichend wahrscheinlich. Es kann bereits nicht festgestellt werden, dass der Anspruch des Antragstellers
auf Arbeitslosengeld II (Alg II) ganz oder teilweise weggefallen ist. Alg II gemäß § 19 SGB II erhält nach § 7 Abs. 1 SGB
II ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder
nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern
kann. Insoweit muss in tatsächlicher Hinsicht geklärt werden, ob und wann nach der Bekanntgabe der Bewilligung eine wesentliche
Änderung eingetreten ist. Eine solche würde ab dem 1. November 2006 vorliegen, wenn der Antragsteller bereits ab 1. November
2006 zusammen mit seiner Freundin und deren Kinder eine Bedarfsgemeinschaft bildete und die Bedarfsgemeinschaft ab 1. November
2006 über nach §§ 11, 12 SGB II zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen verfügte, welches die Hilfebedürftigkeit des
Antragstellers ganz oder teilweise ausschloss. Da der Antragsteller mit seiner Freundin nicht verheiratet ist, kommt nur in
Betracht, dass der Antragsteller mit dieser ab 1. November 2006 im Rahmen eines gemeinsamen Haushalts in einer Verantwortungs-
und Einstandsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II zusammengelebt hat. Schon dies bedarf weiterer Klärung.
Allerdings ist dem Antragsgegner zuzugestehen, dass einiges dafür spricht, dass der Antragsteller, seine Freundin und deren
Kinder, die alle zusammen in einer Wohnung leben, eine Bedarfsgemeinschaft bilden. Alleine die Aussage, sie seien - jedenfalls
derzeit noch - nicht bereit bzw. in der Lage füreinander auch finanziell einzustehen, kann den hier insbesondere aufgrund
der vom Antragsteller wahrgenommenen Stiefvaterrolle bestehenden Eindruck einer familiären Gemeinschaft, die typischerweise
von gemeinsamer Verantwortung und von gegenseitigem Beistand getragen ist, nicht widerlegen. Dies bedarf letztlich keiner
abschließenden Beurteilung, weil der Erfolg des Widerspruchs aus anderen Gründen derzeit als wahrscheinlicher anzusehen ist.
Denn die Hilfebedürftigkeit entfällt nicht bereits dadurch, dass der Antragsteller in einer Bedarfsgemeinschaft mit seiner
Freundin und deren Kindern lebt. Ob die Freundin des Antragstellers über Einkommen und Vermögen verfügt, das den Bedarf der
durch den Antragsteller erweiterten Bedarfsgemeinschaft ganz oder teilweise deckt, ist im Rahmen des Widerspruchsverfahrens
noch aufzuklären. Gleiches gilt für die Frage, ob und ab wann der Antragsteller keine rechtlich verbindlichen Aufwendungen
mehr für Wohnung und Heizung hatte. Im Rahmen einer einstweiligen Anordnung auf vorläufige Gewährung von Leistungen wäre es
Sache des Antragstellers das Bestehen eines Anspruchs glaubhaft zu machen (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom
28. Oktober 2005 L 8 AS 3783/05 ER-B). Für die im vorliegenden Verfahren, in dem es um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs geht, zu
stellende Frage nach der Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheids sind dagegen die Erfolgsaussichten des Widerspruchs hinreichend
wahrscheinlich, wenn sich das Vorliegen der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für die Aufhebungsentscheidung mangels jeglicher
tatsächlicher Grundlage überhaupt noch nicht feststellen lässt.
Für die Aussetzung der Vollziehung genügt im vorliegenden Fall schon der ernstliche Zweifel begründende wahrscheinliche Erfolg
des Rechtsbehelfs, weil der Regelung des § 39 SGB II im Fall eines - wie hier - vorschnellen und verfrühten Verfahrensabschlusses
(zum auch für belastende Verwaltungsakte geltenden rechtsstaatlichen Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses vgl. BSGE
67, 104, 113, BSG SozR 3-1200 § 42 Nr. 9; BSGE 80, 72, 77 und BSG SozR 3-8856 § 5 Nr. 3) und damit einer vorläufigen Entziehung auf Verdacht im Rahmen der Interessenabwägung kein
vorrangiges Vollzugsinteresse zu entnehmen ist. Der Gesetzgeber ist bei dieser Regelung davon ausgegangen, dass auch eine
sofort vollziehbare Aufhebungsentscheidung nicht am Anfang eines Verwaltungsverfahrens steht, sondern dessen Ende nach abschließender
Klärung der entscheidungserheblichen Tatsachen mit einer die Entscheidung tragenden Begründung bildet. Dementsprechend hat
er der Verwaltung in §
331 SGB III, der hier gemäß §
40 Abs.
1 Nr.
2 SGB II entsprechende Anwendung findet, die Möglichkeit einer vorläufigen Zahlungseinstellung eröffnet, um Erstattungen für
die Dauer des Verwaltungsverfahrens zu vermeiden. § 39 SGB II trägt diesem Gedanken erst für das Widerspruchs- und Klageverfahren
Rechnung, in dem er den Sofortvollzug einer nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens ergangenen endgültigen und damit die
abschließende Klärung der Sach- und Rechtslage voraussetzenden Aufhebungsentscheidung anordnet und deshalb eine Ausnahme von
der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und der Anfechtungsklage gerechtfertigt ist. Dem sich hieraus ebenfalls ergebenden
und im Rahmen des vorliegenden Aussetzungsverfahrens zu berücksichtigenden grundsätzlichen Vorrang des öffentlichen Vollzugsinteresses
kann deshalb dann keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen, wenn, wie hier, das Verwaltungsverfahren hinsichtlich der entscheidungserheblichen
Fragen des Bestehens einer Beistands- und Verantwortungsgemeinschaft und insbesondere des Wegfalls der Hilfebedürftigkeit
noch nicht hätte abgeschlossen werden dürfen und die Begründung der Verfügung - dementsprechend - die Entscheidung nicht trägt.
Das Suspensivinteresse des Antragstellers, das sich auf die vorläufige Weitergewährung bewilligter, der Existenzsicherung
dienender Leistungen richtet, wiegt damit im vorliegenden Fall allein aufgrund des derzeit wahrscheinlichen Erfolgs des Rechtsmittels
schwerer als das Interesse am gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (vgl. §
177 SGG).