Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
Zusicherungspflicht nach Aufnahme eines Elternteils in die eigene Wohnung
Gründe
I.
Der 1993 im Irak geborene Antragsteller, der als Flüchtling anerkannt ist und über eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 09.07.2018
verfügt, beabsichtigt, in eine 1-Zimmer-Wohnung in der K. Str. ., E., umzuziehen. Er begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung
die Zusicherung für den Unterkunfts- und Heizungsbedarf.
Der Antragsteller siedelte im Jahr 2012 in die Bundesrepublik Deutschland über und zog nach F. in die Wohnung seines Vaters,
der der deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. In F. besuchte er die Internationale Schule im R.. Nachdem sein Vater im Jahr
2013 nach K. verzog, lebte der Antragsteller mit seinem Bruder in einer Wohnung (H.-M.-Str.) in E. und bezog vom Antragsgegner
Ziff. 2 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Ab dem 01.01.2015 mieteten der Antragsteller und sein älterer Bruder, der eine Tätigkeit in Vollzeit ausübt, eine 2-Zimmer-Wohnung
in der S. Str. in F. mit 50qm Wohnfläche (ursprünglicher Mietvertrag vom 23.12.2014 für zwei Personen; Kaltmiete 420,00 €,
Nebenkosten 200,00 € monatlich). Auf seinen Antrag hin bestätigte der Antragsgegner Ziff. 2 dem Antragsteller, dass der Umzug
notwendig sei (Bestätigung vom 18.12.2014). Fortan erhielt der Antragsteller SGB II-Leistungen vom Antragsgegner Ziff. 1. Nachdem der Antragsteller im März 2015 mitgeteilt hatte, dass er und sein Bruder beabsichtigten,
die ebenfalls aus dem Irak kommende und im Flüchtlingsheim lebende Mutter in die Wohnung mitaufzunehmen, legte er den - wegen
der geplanten Nutzung der Wohnung durch eine weitere Person - geänderten Mietvertrag vom 01.03.2015 vor (Kaltmiete 520,00
€, Nebenkosten 200,00 € monatlich). Laut Mietvertrag wurde die Nutzung der Wohnung auf maximal 3 Personen festgelegt. Der
Antragsteller teilte dies dem Antragsgegner Ziff. 1 am 30.03.2015 mit, woraufhin dieser erhöhte Unterkunftskosten anerkannte.
Die 1970 geborene Mutter des Antragstellers, die seither in der Wohnung in der S. Str. wohnt, erhielt vom Amt für Soziales
und Senioren der Stadt F. zunächst Leistungen nach §
3 Asylbewerberleistungsgesetz (
AsylbLG).
Mit Bescheid vom 29.06.2016 bewilligte der Antragsgegner Ziff. 1 dem Antragsteller SGB II-Leistungen vom 01.08. bis 26.09.2016. Nachdem die Mutter ab dem 01.08.2016 einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hatte, hob der Antragsgegner Ziff. 1 den Bewilligungsbescheid gegenüber dem Antragsteller ab dem 01.09.2016 auf, da er ab
diesem Zeitpunkt in die Bedarfsgemeinschaft der Mutter aufgenommen werde (Bescheid vom 23.08.2016). Mit Bescheid vom 23.08.2016
bewilligte der Antragsgegner Ziff. 1 der Mutter um dem Antragsteller vorläufig SGB II-Leitungen i.H.v. 484,00 € monatlich ab Oktober 2016 bis Juni 2017, geändert durch Bescheid vom 19.1.2016 (SGB II-Leistungen i.H.v. 1048,00 € monatlich).
Am 31.10.2016 teilte der Bruder des Antragstellers der Antragsgegnerin Ziff. 2 telefonisch (und am 2./03.11.2016 der Antragsteller
auch persönlich) mit, dass der Antragsteller eine 1-Zimmer-Wohnung in E. für 470,00 € warm gefunden habe und ein Einzug zum
01.11.2016 möglich sei. Er legte einen (nur) vom Vermieter am 25.10.2016 unterschriebenen Mietvertrag für eine 45qm große
1-Zimmer-Wohnung in der K. Str., E. vor (Kaltmiete 300,00 €, Nebenkosten 180,00 €). Mit Bescheid vom 04.11.2016 lehnte der
Antragsgegner Ziff. 2 dem Antragsteller gegenüber eine Zusicherung nach § 22 Abs. 5 SGB II ab. Dass er die Wohnung für drei Personen als zu klein empfinde, rechtfertige nicht einen steuerfinanzierten Umzug.
Hiergegen hat der Antragsteller am 08.11.2016 Widerspruch eingelegt. Am gleichen Tag hat er im Hinblick auf die Erteilung
einer Zusicherung beim Sozialgericht Freiburg (SG) auch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.
Zur Begründung hat er ausgeführt, dass er nicht der Zusicherungspflicht des § 22 Abs. 5 SGB II, sondern der des § 22 Abs. 4 SGB II unterliege. § 22 Abs. 5 SGB II sei nicht einschlägig, denn es handle sich nicht um einen geplanten Auszug aus der Wohnung des Elternteils. Es sei seine
Wohnung und die seines Bruders, denn es sei die Mutter gewesen, die zu ihnen gezogen sei. Die Wohnung werde durch den Zuzug
der Mutter nicht zur elterlichen Wohnung. Mietvertragsparteien seien weiter er und sein Bruder und nicht auch die Mutter.
Zudem hätte er Anspruch auf die begehrte Zusicherung, denn ein Verbleib in der Wohnung sei ihm aufgrund der räumlichen Gegebenheiten
nicht länger zumutbar. Er müsse als 23-Jähriger mit seiner Mutter in einem Zimmer wohnen und habe keine Intimsphäre mehr.
Auch könne er keine Sozialbeziehungen innerhalb der Wohnung mehr pflegen, ohne dass seine Mutter dabei gegenwärtig sei. Seine
Partnerin dürfe er in der Wohnung nicht empfangen. Für drei Personen sei die Wohnung gänzlich ungeeignet. Es bestehe auch
ein Anordnungsgrund. Dieser ergebe sich daraus, dass die konkrete Wohnung vergeben werde. Der Vermieter sei bereit, bis zum
01.12.2016 mit dem Abschluss des Mietvertrages zu warten.
Mit Beschluss vom 17.11.2016 hat das SG den Antrag auf Erteilung einer Zusicherung und die Gewährung von PKH abgelehnt. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf
Erteilung der begehrten Zusicherung nicht glaubhaft gemacht. Der Umzug bedürfe der Zusicherung nach § 22 Abs. 5 SGB II, da es sich nicht um einen Folgeumzug handle. Durch den Umzug entstehe jedoch eine weitere Bedarfsgemeinschaft, was durch
die Vorschrift des § 22 Abs. 5 SGB II vermieden werden solle. Der Umstand, dass der Antragsteller und sein Bruder den Mietvertrag abgeschlossen hätten, ändere
hieran nichts. Denn die zivilrechtliche Vertragsgestaltung habe keinen Einfluss auf die Ausgestaltung der Bedarfsgemeinschaft.
Zudem komme eine Vorwegnahme der Hauptsache nur in Ausnahmefällen in Betracht. Ein schwerwiegender Grund i.S. des § 22 Abs. 5 S. 2 SGB II liege aber nicht vor. Zwar rechtfertige die Gesamtsituation einen Umzug der gesamten Familie. Dass weitere Familienmitglieder
hierzu nicht bereit seien, ergebe sich aber weder aus den Unterlagen, noch habe der Antragsteller dies hinreichend glaubhaft
gemacht.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 17.11.2016 beim Landessozialgericht (LSG) eingereichten Beschwerde,
mit der er im Wesentlichen seinen erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und ergänzend darauf hinweist, dass es sich vorliegend
nicht um einen Erstauszug handle. Er sei bereits zuvor aus der elterlichen Wohnung ausgezogen. Durch die Mitbenutzung der
Wohnung durch die Mutter werde diese nicht zur elterlichen Wohnung. Wäre er an einem Umzug gehindert, so entspreche dies nicht
der Verhältnismäßigkeit. Im Übrigen lägen schwerwiegende Gründe für einen Umzug vor. Es sei ihm nicht zuzumuten, bis zu seinem
25. Lebensjahr ein Zimmer mit seiner Mutter zum Leben und Schlafen zu teilen.
Der Antragsteller beantragt - sachdienlich gefasst -,
den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 17.11.2016 aufzuheben und den Antragsgegner Ziff. 2 zu verpflichten, ihm im
Hinblick auf den beabsichtigten Umzug in die 1-Zimmer-Wohnung in der K. Str., E., eine Zusicherung für den Unterkunfts- und
Heizungsbedarf für diese Wohnung zu erteilen.
Der Antragsgegner Ziff. 2 beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. In § 22 Abs. 5 SGB II sei lediglich die Rede von Umzug. Eine Eingrenzung auf einen "Erstumzug" sei bewusst nicht gewählt worden. Der Auszug des
Antragsteller führe mithin zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Vermehrung von Bedarfsgemeinschaften.
Der Antragsgegner Ziff. 1 hat keinen Antrag gestellt und weist darauf hin, dass die Mutter bereits seit Februar 2015 in der
Wohnung des Antragstellers lebe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster
und zweiter Instanz sowie auf die von den Antragsgegnern vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
II.
Die gemäß §§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist statthaft. Sie ist nicht nach §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG in der seit 11.08.2010 geltenden Fassung des Art. 6 Drittes Gesetz zur Änderung des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 05.08.2010 (BGBl. I, 1127) ausgeschlossen. Denn in der Hauptsache wäre die Berufung zulässig.
Die Beschwerde ist auch begründet, denn das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt. Der Antragsteller hat im Rahmen des einstweiligen
Rechtschutzes sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen
hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (vgl. §
86 b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. mit §§
920 Abs.
2,
294 der
Zivilprozessordnung <
ZPO >). Der Antragsgegner Ziff. 2 ist verpflichtet, dem Antragsteller im Hinblick auf den beabsichtigten Umzug in die 1-Zimmer-Wohnung
in der K. Str. , E., eine Zusicherung i.S.v. § 22 Abs. 5 SGB II für den Unterkunfts- und Heizungsbedarf für diese Wohnung zu erteilen.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 1
SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine
Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert
werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§
86b Abs.
2 Satz 2
SGG). Ein Anordnungsgrund ist dann gegeben, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
nötig erscheint (§
86b Abs.
2 Satz 2
SGG). Dies ist der Fall, wenn es dem Antragssteller nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls
nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
SGG, 11. Auflage 2014, §
86b RdNr. 28). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen
Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung
der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summarischen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (BVerfG,
02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242). Allerdings sind die an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu stellenden
Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere
auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art.
1 Abs.
1 des
Grundgesetzes (
GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf
effektiven Rechtsschutz (Art.
19 Abs.
4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und
Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung
der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (vgl. etwa LSG Baden-Württemberg v. 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05
ER-B - und v. 06.09.2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - <beide [...]> jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Dabei ist das Rechtsschutzbedürfnis als prozessuale
Voraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (BSG SozR 3-1500 § 54 Nr. 45 S 93).
Unter Beachtung des sich aus Art.
19 Abs.
4 GG ergebenden Gebotes effektiven Rechtsschutzes ist vorliegend der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung, mit dem im
Ergebnis die Hauptsache - jedenfalls faktisch - vorweggenommen wird, nach den Umständen des Einzelfalles ausnahmsweise gerechtfertigt.
Das SG hat zu Unrecht einen Anspruch auf die begehrte Zusicherung verneint. Es bestehen schon erhebliche und ernsthafte Zweifel,
ob der geplante Umzug des Antragstellers überhaupt dem Anwendungsbereich des § 22 Abs. 5 SGB II unterfällt. Danach gilt Folgendes: Sofern Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, werden Bedarfe
für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur anerkannt, wenn der kommunale
Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet,
wenn
1. die oder der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen
werden kann,
2. der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder
3. ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
Unter den Voraussetzungen des Satzes 2 kann vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden, wenn es der oder dem Betroffenen
aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden bei Personen,
die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht anerkannt, wenn diese vor der Beantragung von Leistungen in eine
Unterkunft in der Absicht umziehen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen.
Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass der Antragsteller bereits im Jahr 2013 die Wohnung seines Vaters verlassen und
mit seinem Bruder zusammengezogen ist. Verlässt aber ein Elternteil die gemeinsame Wohnung, so unterfällt der Auszug eines
Leistungsberechtigten unter 25 Jahren nicht dem Anwendungsbereich des § 22 Abs. 5 SGB II (vgl. nur Luik in: Eicher, Kommentar zum SGB II, 3. Aufl. 2013, § 22 RdNr. 176 m.w.N.). Schließlich ergibt sich aus der Ratio des Gesetzes, dass von der Regelung nur Erstumzüge erfasst werden
sollten und nicht - wie vorliegend - Folgeumzüge, wenn der Leistungsberechtigte bereits eine eigene Wohnung innehatte und
nicht als Teil einer Bedarfsgemeinschaft leistungsberechtigt war (Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 RdNr. 194; ausführlich hierzu auch Lang/Link in: Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 RdNr. 80c ff.; vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.06.2010 - L 5 AS 155/10 B zu Vorgängerregelung in § 22 Abs. 2a SGB II; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.02.2010 - L 25 AS 35/10 B ER).
Vorliegend hatte der Antragsteller zusammen mit seinem älteren Bruder aber bereits im Jahr 2013 eigenen Wohnraum in E. und
ab Januar 2015 in F. begründet. Dies ergibt sich u.a. aus den auch vom Antragsteller unterschriebenen Mietverträgen vom 23.12.2014
und 01.03.2015. Seither war der Antragsteller auch allein (d.h. außerhalb einer Bedarfsgemeinschaft) leistungsberechtigt und
bezog SGB II-Leistungen. Durch die Aufnahme der Mutter im März 2015 in die Wohnung des Antragstellers und seines Bruders trat - im Hinblick
auf § 22 Abs. 5 SGB II - keine wesentliche Änderung ein. Denn hierdurch wurde die Wohnung des Antragstellers nicht zur elterlichen Wohnung. Dass
der Gesetzgeber aber nur den Auszug aus der "elterlichen Wohnung" temporär verhindern wollte, folgt aus dem systematischen
Zusammenhang von § 22 Abs. 5 S. 1 und S. 2 Nr. 1 SGB II (vgl. Nr. 1: "nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen") sowie aus der Übergangsregelung des § 68 Abs. 2 SGB II in der bis zum 31.07.2016 geltenden Fassung ("§ 22 Absatz 2a Satz 1 gilt nicht für Personen, die am 17. Februar 2006 nicht mehr zum Haushalt der Eltern oder eines Elternteils
gehören."; vgl. hierzu Link, a.a.O., § 68 RdNr. 29, 31).
Der Senat muss diese Frage aber im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzes nicht abschließend beantworten. Auch wenn im vorliegenden
Fall Einiges gegen die Anwendbarkeit des § 22 Abs. 5 SGB II spricht, sind jedenfalls die Voraussetzungen, unter denen der Antragsgegner verpflichtet ist, eine Zusicherung zu erteilen,
erfüllt. Denn es liegt ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vor (§ 22 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 SGB II). Hierbei handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der insoweit zum Tragen kommt, wenn grundrechtliche Erwägungen zur
Geltung zu bringen sind (Luik, a.a.O., § 22 RdNr. 190). Vorliegend ist sein Recht auf Selbstentfaltung in der Wohnung (Art.
2 Abs.
1 GG) zu berücksichtigen. Der Senat hält es nach dem Vortrag des Antragsstellers aber für glaubhaft, dass er als 23-Jähriger in
seiner allgemeinen Lebensführung durch das Zusammenwohnen mit der Mutter in nur einem Zimmer stark eingeschränkt ist. Für
den Senat ist es nachvollziehbar, dass der 23-Jährige seine sozialen Kontakte zu Gleichaltrigen und zu seiner Partnerin auch
in seiner Wohnung bzw. in seinem eigenen Zimmer pflegen möchte. Diese Privatsphäre könnte der Antragsteller bis zu seinem
25. Lebensjahr nicht mehr herstellen, obwohl er bereits seit 2013 in seiner eigenen Wohnung - außerhalb einer Bedarfsgemeinschaft
- gelebt hat. Unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten geht der Senat in diesem Einzelfall davon aus, dass ein sonstiger,
ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt, der die Zusicherung nach § 22 Abs. 5 SGB II rechtfertigt.
Vor dem grundrechtlichen Hintergrund und des drohenden Zeitablaufes (der Vermieter ist noch bis 01.12.2016 bereit, den Mietvertrag
abzuschließen), wodurch der Antragsteller auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat, erscheint es dem Senat nicht zumutbar,
den Antragsteller auf die Durchführung des Hauptsachverfahrens zu verweisen. Die Vorwegnahme der Hauptsache ist damit ausnahmsweise
gerechtfertigt.
Die Zuständigkeit für die Erteilung der Zusicherung des Antragsgegners Ziff. 2 folgt aus § 22 Abs. 4 SGB II (in entsprechender Anwendung) in der seit dem 06.08.2016 geltenden Fassung.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 Abs.
2 SGG).